Die Ultima-Historie - Teil 1 - Rule Britannia

Wie aus einem Schulprojekt die größte Rollenspiel-Serie aller Zeiten wird: Im ersten Teil unserer Ultima-History blicken wir zurück auf Teil 0-6.

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Wahrscheinlich wäre die folgende Geschichte nie passiert, wenn sich Richard Garriott im Sommer 1979 einen anderen Ferienjob gesucht hätte. Aber der junge Mann, den seine Freunde »Lord British« nennen, weil er in Cambridge geboren wurde und einen englischen Akzent hätte (Letzteres bestreitet Garriott bis heute), findet eine Stelle bei einem Computerladen. Eigentlich will er nur ein paar Dollar verdienen, bevor er im Herbst mit dem Studium an der Universität von Texas beginnt, doch dann macht ihm sein Boss ein schmeichelhaftes Angebot: Garriott darf ein selbst programmiertes Spiel im Laden verkaufen - sofern er die Produktionskosten übernimmt.

Begeistert sagt Garriot zu, kopiert zuhause Disketten, bittet seine Mutter, ihm ein Schwarz-Weiß-Motiv zu zeichnen, schreibt das Handbuch und packt den Inhalt in wiederverschließbare Klarsichthüllen. 200 Dollar kostet ihn der Spaß, damals eine hübsche Stange Geld, auch wenn Garriott aus einem betuchten Elternhaus stammt, sein Vater nimmt als Astronaut an zwei NASA-Missionen teil. Der Sohn wird später auch ins Weltall fliegen, aber das ist Schnee von morgen, denn zunächst geht Garriott baden: Sein Spiel bleibt wie Blei im Regal liegen. Die genaue Zahl der verkauften Exemplare hat er inzwischen vergessen, »aber mehr als 12 waren das bestimmt nicht«.

Name: Dr. Richard Garriott de Cayeux (geboren als Richard Allen Garriott)
Geboren: 4. Juli 1961 in Cambridge (52 Jahre alt)
Familienstand: verheiratet, eine Tochter
Wohnort: Austin, Texas/New York City
Ausbildung: Studium an der University of Texas (abgebrochen); Ehrendoktortitel der Queen Mary, University of London (2011)

Wissenswertes:
- ließ sich ein mittelalterliches Anwesen mit Kerker, Theater, Geheimgängen und einer Sternwarte bauen (Britannia Manor)
- verjagte von dort einen Einbrecher mit einer Uzi (es sei die einzige Waffe gewesen, die er nachladen könne)
- flog als sechster Weltraumtourist ins All; der Trip kostete rund 30 Millionen US-Dollar
- veranstaltete eine Titanic-Party auf dem Lake Austin und versenkte das Schiff, 400 Gäste in Abendgarderobe mussten zum Ufer schwimmen
- ist ein leidenschaftlicher Hobby-Magier
- besitzt unter anderem ein Mondfahrzeug, ein authentisches Vampirjäger-Set aus dem 16. Jahrhundert und eine funktionsfähige Kanone

Für das, was anschließend folgt, existieren zwei Legenden, beide sind abenteuerlich. Laut der ersten Version schickt sein Chef, ob aus Mitleid oder aufrichtiger Überzeugung ist nicht überliefert, eine Kopie des Spiels an den Publisher California Pacific Software Company. Die zweite Variante behauptet, dass California Pacific selbst auf das Spiel aufmerksam wird, nachdem der Firmeninhaber eine raubkopierte Fassung spielte. Welche Geschichte tatsächlich stimmt, weiß auch Garriott nach 34 Jahren nicht mehr; möglicherweise ­treffen beide zu.

An das Resultat jedenfalls erinnert er sich noch gut, denn es ist ein atemberaubendes Erlebnis für einen achtzehnjährigen Highschool-Absolventen: Der Publisher fliegt Garriott und seine Eltern nach Kalifornien und kauft ihm die Rechte ab. Fünf Dollar pro verkauftem Exemplar lautet der Deal. Es werden rund 30.000 Stück, inflationsbereinigt und gemessen an der heutigen Kaufkraft ist Garriot schon mit 19 Jahren circa 425.000 Dollar schwer.

Akalabeth: Das Ultima 0

Akalabeth - Erscheinungsjahr: 1979/1980 - Publisher: Richard Garriott/California Pacific - Designer: Richard Garriott - Beilagen: 8 Seiten Handbuch Akalabeth - Erscheinungsjahr: 1979/1980 - Publisher: Richard Garriott/California Pacific - Designer: Richard Garriott - Beilagen: 8 Seiten Handbuch

Würde man Akalabeth heute vom Dachboden kramen (oder bei Ebay einen mittleren vierstelligen Euro-Betrag hinblättern), dann müsste man schon eine bemerkenswerte Schmerztoleranz besitzen, um nicht auf den Gedanken zu kommen, dass das ziemlich viel Buhei um ein ziemlich belangloses Rollenspiel ist. Zwar sehen die kruden Höhlensysteme in der Ego-Perspektive für damalige Verhältnisse bahnbrechend aus, im Kern allerdings bleibt Akalabeth ein eindimensionaler Dungeon-Crawler mit einer primitiven Geschichte aus der Fantasy-Kreidezeit: Geh raus und töte ein Monster - und dann machst du das noch neunmal.

Wenn ein gewisser Lord British nicht seinen ersten virtuellen Auftritt hätte (er sagt: »Geh raus und töte ein Monster - und dann machst du das noch neunmal!«) und erhebliche Teile des Programmcodes später bei Ultima 1 als Subroutinen im Hintergrund liefen, wenn Akalabeth also nicht mit einiger Berechtigung als Ultima 0 gelten würde, dann könnte man es bei oberflächlicher Betrachtung in die Schublade »Sie waren jung und brauchten das Geld« stecken.

Anlässe dafür gäbe es jedenfalls genug, wir zitieren zum Beispiel mal aus dem Intro-Text: »Vor vielen, vielen, vielen Jahren durchquerte der Dunkle Lord Mondain, Erzfeind von British, die Lande von Akalabeth und verbreitete Übel und Tod, wo er vorbeizog. Als Mondain von British, dem Träger des Weißen Lichts, aus den Landen vertrieben wurde, hatte er den Landen viel Schaden zugefügt.« Auch wenn diese Zeilen wenigstens den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung erfüllen - das Geld braucht Richard Garriott nicht, und unbedingt wollen tut er es auch nicht, denn Akalabeth ist eigentlich nie zur Veröffentlichung bestimmt.

Bevor Garriot mit Akalabeth (im Bild) begann, stanzte er seine Spiele am Teleprinter auf Papierrollen. Bevor Garriot mit Akalabeth (im Bild) begann, stanzte er seine Spiele am Teleprinter auf Papierrollen.

Es ist auch nicht, wie heute oft fälschlicherweise behauptet, das erste Spiel, das Garriott programmiert - es ist das 29. Die anderen 28 entstehen größtenteils auf einem einsamen Teleprinter, den Garriott in seiner Schule entdeckt und zum Werkzeug eines naiv-ambitionierten Vorhabens macht: Er will das »ultimative« Rollenspiel programmieren. Als leidenschaftlicher Dungeons and Dragons-Spieler nennt er das erste dieser textbasierten und auf Papierrollen gestanzten Werke D&D.

Als er den Titel Akalabeth klaut (von Tolkien; so heißt das vierte Buch im Silmarillion) ist er inzwischen bei D&D28b angekommen. Gedacht sind diese Spiele für seine Freunde, mit denen er am Wochenende eine der größten Dungeons and Dragons-Runden der 70er-Jahre veranstaltet. Bis zu 100 Spieler, so erzählt Garriott, tummeln sich zeitweise im Haus seiner Eltern; kein Wunder also, dass sein Vater ins Weltall flüchtet. Nebenbei überredet er das Direktorat der Schule, seine mit dem Teleprinter erworbenen Kenntnisse in BASIC als Fremdsprache anzuerkennen.

Ultima 1: Ab ins Weltall

Ultima: The First Age of Darkness - Erscheinungsjahr: 1981 - Publisher: California Pacific - Designer: Richard Garriott - Beilagen: 10 Seiten Handbuch, Referenzkarte Ultima: The First Age of Darkness - Erscheinungsjahr: 1981 - Publisher: California Pacific - Designer: Richard Garriott - Beilagen: 10 Seiten Handbuch, Referenzkarte

Nach dem überraschend großen Erfolg von Akalabeth will California Pacific natürlich eine Fortsetzung - und Garriott kommt diesem Wunsch nur ein Jahr später nach. Ultima: The First Age of Darkness ist eine konsequente Weiterentwicklung der alten Mechanik, ein Akalabeth 2.0 zusagen. Garriott erweitert nicht nur die Oberwelt, sondern spinnt auch eine komplexere (wenngleich ähnlich klischeehafte) Geschichte. Mussten im Quasi-Vorgänger noch die von Mondain hinterlassenen Monster dran glauben, geht's nun dem bösen Zauberer selbst an den Kragen.

Der Haken an der Sache: Mondain hat sich mit dem Kristall der Unsterblichkeit … nun ja … unsterblich gemacht, sodass die einzige Möglichkeit zur Rettung der Lande (die inzwischen Sosaria heißen) darin besteht, in die Vergangenheit zu reisen und den Kristall zu zerstören, bevor Mondain damit knuddeln kann. Dazu wiederum braucht's eine Zeitmaschine, und wo wäre so eine Zeitmaschine besser aufgehoben als im Weltall? Also losgedüst und 20 feindliche Raumschiffe abgeschossen, um zum »Space Ace« zu werden, denn sonst … okay, langsam wird's ein bisschen albern, aber solche Sci-Fi-Twists gehören in den 80er-Jahren ebenso zum Rollenspiel-Inventar wie Brustbehaarung zum Sex-Appeal, die Might and Magic-Reihe schlägt damals eine ähnliche Richtung ein.

Diesen Genre-Konventionen folgend gibt's im ersten Ultima auch eine klassische Charaktererschaffung, der einsame Held kann entweder Mensch, Elf, Zwerg oder Bobbit sein. Falls Sie sich jetzt fragen, ob es sich bei einem Bobbit tatsächlich um einen absichtlich falsch geschriebenen Hobbit handelt und keiner der sonst so klagewütigen Tolkien-Erben auf die Idee kommt, Garriott bis zum Sankt Nimmerleinstag abzumahnen - ja, tut es, und nein, kommt keiner, vermutlich, weil die 1980 immer noch damit beschäftigt sind, die Zeichentrick-Verfilmung von Herr der Ringe zum Kotzen zu finden.

Während die Oberwelt von Ultima 1 schon ganz ansehnlich aussah, wirkten die Städte spartanisch. Während die Oberwelt von Ultima 1 schon ganz ansehnlich aussah, wirkten die Städte spartanisch.

In vielerlei Hinsicht ist Ultima also ein schrulliges Spiel, aber es ist eben auch - anders als Akalabeth - ein sehr durchdachtes, ja wegweisendes Projekt. Die Kombination aus Draufsicht-Oberwelt und »dreidimensionalen« Dungeons wird bis in die 90er-Jahre hinein imitiert, das story-getriebene Konzept ebnet langsam den Weg zum modernen Erzähl-Rollenspiel, denn in diesen Jahren funktioniert das junge Genre größtenteils auf einer mechanischen Ebene. Wenn überhaupt eine Erzählung existiert, dann findet sie entweder im Handbuch statt oder gerät nach dem Intro in Vergessenheit.

Andere Entwickler dieser goldenen Rollenspiel-Ära wie Michael Cranford (The Bard's Tale) oder Jon van Canegham (Might and Magic) sind Programmierer, keine Geschichtenerzähler. Aber Richard Garriott wäre nicht Richard Garriott, wenn er nicht felsenfest davon überzeugt wäre, beides zu können - obwohl er im Englischunterricht reihenweise miese Noten nach Hause bringt. Seine einzige Eins erhält er übrigens mit fünfzehn Jahren für eine Fantasy-Erzählung, den Aufsatz mit dem roten »A« auf der ersten Seite besitzt er immer noch. Er handelt von einem gewissen Mondain und von Lord British.

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