Ein Quantum Frust

Die Symbiose aus Egoperspektive und Puzzles hat seit Portal einen kleinen Boom ausgelöst. Das doppelte Lottchen von Valve hat aber auch so viele...

von TheVG am: 27.07.2015

Die Symbiose aus Egoperspektive und Puzzles hat seit Portal einen kleinen Boom ausgelöst. Das doppelte Lottchen von Valve hat aber auch so viele Aha-Momente kreiert, dass Nachahmer und Weiterentwickler nicht lange auf sich warten ließen. Nun wird mehr auf Puzzles denn auf Shooter Wert gelegt, da wohl der Aufwand ein zu großer ist, in 3D Welten zu bauen und dann noch Rätsel einzuflechten.

 

Den Aufwand hat sich „Antichamber“ nun doch auf die Fahnen geschrieben, und so präsentiert sich das Spiel nun im Gitternetz der Unreal-Engine. Doch wieviel Shooter geschweige denn Rätsel steckt denn in den Antikammern?

 

Wandernde Steine

 

Hätten Portal und M.C. Escher ein Kind gehabt, hätten sie es wohl „Antichamber“ getauft. Hier kann der Spieler auch durch Wände laufen, und man bekommt die Paradoxa des Ausnahmekünstlers obendrauf gepackt. Zuerst fällt der minimalistische Look auf, der oft lediglich aus weißen Wänden und dunklen Trennlinien besteht, damit ein räumliches Gefühl aufkommt. Ein Kessel Buntes wurde hinzuaddiert, die jedoch lediglich in einfachen Formen dem Simpellook aufgeklatscht wurde. Manchmal machen die Farben sogar spielerischen Sinn, denn bei der Interaktion mit rechteckigen Blöcken ist deren Kolorierung von Bedeutung für das Weiterkommen.

 

Aber zurück auf Anfang: Wir beginnen das Spiel in einem schwarz-weißen Raum, der quasi den Menübildschirm darstellt. Jede Wand bedeutet etwas anderes – eine etwa stellt die Karte dar, auf der wir den Fortschritt überblicken können und uns an Knotenpunkten den nächsten Anlauf anwählen können. Die Anordnung ist teils logisch, teils beliebig, denn im Spiel selbst kommt es nicht selten vor, dass man von einem Raum in einen völlig anderen gelangt. Zumindest hat das im Spiel selbst einen geordneten Ablauf, der das Erreichen verschiedenfarbiger Kanonen erfordert. Man beginnt hier mit Blau, weiter geht es mit Grün, dann mit Gelb und endet schließlich mit Rot, und mit jeder Farbe erweitert sich die Kanone um eine Funktion, mit der die vorher erwähnten Blöcke zur Rätsellösung manipuliert werden müssen.

 

Um die blaue Kanone zu erreichen, wird zuerst die abstruse Mechanik erklärt. Schon in den ersten Räumen ist mir ein Dauerrunzeln auf der Stirn festgewachsen, denn wo mir „Portal“ in seiner Form noch logisch vorkam, ist der Ausdruck „um die Ecke denken“ hier noch zu milde ausgedrückt. Auch an Escher selbst zu denken half mir nicht wirklich weiter, weil unmögliche geometrische Formen nicht die Krux bei „Antichamber“ darstellen, sondern nur Vater des Gedanken für eine eigene Form von eigentlich unmöglichen Elementen ist. Anfangs öffnen sich noch Wände beim Draufzulaufen oder verlangt eine bestimmte Herangehensweise, etwa Gehen statt Rennen, später dann wird die Nutzung der „Waffe“ zu einem Martyrium für den logisch denkenden Menschen – sobald die Blöcke zum entscheidenden Rätselelement erkoren werden, wird auch das Spiel immer abstruser und weniger nachvollziehbar. Der sonst so zelebrierte „Aha“-Moment verkommt für mich dann eher zum „Was soll das?“- oder „Ja, nee, is klar!“-Moment.

 

(Im)possible Mission

 

Man kann es nicht leugnen, denn will „Antichamber“ auf Biegen und Brechen alles anders machen. Mit den Möglichkeiten, die virtuelle Welten bereitstellen, wird jedes noch so kleine, programmierbare Element ins Gegenteil verkehrt. Ein Beispiel dafür zeigt nicht nur den impossiblen Rahmen für ein Rätsel, sondern auch den Frustfaktor, der mit der ungewöhnlichen Rätselmechanik einhergeht:

 

Wir lassen uns instinktiv in einen Schacht fallen, obwohl da unten in gelben Blöcken das Wort „Up“ geformt wurde. Okay – der fortgeschrittene Spieler denkt sich: Gelbe Blöcke, gelbe Kanone – das muss so sein. Also geht es wirklich nach oben wie beschrieben, um im Spiel weiter zu kommen und man muss mit den Blöcken etwas anstellen, um sich nach oben zu katapulieren. Jeder „normale“ Mensch denkt dann ans Treppchen bauen, denn gibt es keinerlei Anhaltspunkt, den wir sonst anwenden könnten, um nach oben zu gelangen. Nun greift „Antichamber“ in das optische Geschehen ein und zaubert sich den Lösungsweg aus dem Nichts zurecht. Durch Nichtstun gibt es keinen Lösungsweg, also muss man mindestens die Blöcke mit der Mausradtaste anschubsen und gleichzeitig nach oben schauen, denn dann ist da plötzlich ein Kreuz zu sehen, das vorher nicht da war. Als wäre das nicht genug der Spinnerei, bringt man durch die Mausaktion eine ganze gelbe Blockreihe dazu, sich wie von selbst nach oben zu bewegen. Wer da nicht richtig positioniert ist, wird dem Balken folglich nur betröppelt hinterher gucken...

 

Solche und weitere Klöpse sind mir mehrmals aufgefallen. Das Spiel macht meiner Auffassung nach den Fehler, seine Rätselelemente manchmal wie von Geisterhand zu erschaffen, auch wenn sich im Nachhinein alles als mach- und realisierbar herausstellt. Man muss diese Mechaniken aber erstmal auch entdecken können. Und hier hapert´s oftmals, und ich will jetzt nicht mal behaupten, dass ich zu doof zum Querdenken wäre. Es ist einfach zu unzugänglich, um das Rätselniveau nachvollziehbar zu gestalten – das hat mit Trial & Error nicht wirklich was zu tun und frustet eher durch das, was sich das Spiel aus den Fingern saugt. Wie gesagt: Hat man das erstmalig herausgefunden, läuft es auch wieder, doch werden ständig neue solcher Hindernisse kreiert, was mir die Lust am (zufälligen) Entdecken immer wieder raubt.

 

Punkt, Strich und Kleks

 

Der Aufwand, mit dem „Antichamber“ beim Rätseln designt wurde, macht bei der optischen Präsentation einen sehr harten Schnitt. Wie oben bereits beschrieben, ist das Spiel sehr minimalistisch gehalten worden. Außer Strichen und Farbklecksen gibt es wahrlich nicht viel zu bewundern, und ich empfinde den Look in sich sehr unausgegoren. Da hätte mir ein Leveldesign nur in Grautönen oder ähnlich dem Menü besser gefallen, oder man hätte sich die Zeit genommen, der 3D-Welt ein stimmiges Bild zu verpassen. So jedoch spielt man mit den Grundfarben und lässt sich auf keinerlei optische Mätzchen ein, wobei der Einsatz von Effekten sehr überschaubar und nicht mal notwendig erscheint.

 

Viel besser wirkt da die Soundkulisse. Zwar mag das Vogelgezwitscher ein wenig befremdlich sein, wenn man in sehr vereinfachten Kammern umherläuft, aber mit den atmosphärischen Soundwänden mit Keyboardstringeinsatz fühlt man sich fast schon wie hypnotisiert. Leider lässt auch hier die Abwechslung zu wünschen übrig, so dass sich das hörbare Repertoire auf das ganze Spiel ausweitet. Außerdem säuselt das alles so leise im Hintergrund, dass man beim Gehirnsport kaum noch Notiz davon nimmt. Vergleichsbeispiel wäre hier „Limbo“, bei dem ich auch im Audiobereich eine gelungene Atmosphäre spendiert bekam, also ist „Antichamber“ folglich auch beim Sound kein Überflieger geworden. Zweckmäßig, aber im kleinen Rahmen doch wieder nicht schlecht.

 

Die Message ist also klar definiert: Die Rätsel sollen das Spiel ausmachen, der Rest wurde dem Spielanspruch geopfert, was ja mittlerweile zum Trend geworden ist.

 

Jazz extrem

 

Tja, jetzt gab es im Vorneherein so viel Lob für das Spielprinzip von „Antichamber“, und natürlich musste ich das Game irgendwann mal nachholen. Leider kann ich mit der Rätselei nicht zufrieden sein. Ich habe bestimmt nichts gegen absurde Ideen, aber wenn ein Spiel nicht mal nach dem Trial & Error-Prinzip richtig funktioniert, dann schwindet meine Motivation doch schnell. Ich kann durchaus verstehen, warum das Spiel dermaßen viel an Lob eingeheimst hat – für mich ist das aber so, als würde mir einer vorschlagen, mal schnell ein Jazzlied zu improvisieren, wenn ich doch eher auf Strukturen in der Musik stehe.

 

Auch wenn das Spiel dermaßen absurd anmutet, kann von Wiederspielwert nicht die Rede sein, und damit unterscheidet es sich dann doch wieder nicht signifikant von anderen Rätselspielchen, die nur den Weg von A nach B kennen und danach im Regal ein einsames Dasein fristen (oder hier exklusiv in der Steam-Bibliothek). Als Erfahrung in der Unmöglichkeit des Escher-Universums ist das mal okay, verliert aber auch wieder seinen Reiz. Der ist mir aber schon viel früher abhanden gekommen. „Antichamber“ ist so betrachtet der Spinner unter den Freaks, der Querulant unter den Querdenkern, und selbst wenn es sich als einmalig betrachtet, ist es im Kern wieder sehr gewöhnlich – nämlich dass es kein Langzeitmotivator ist. Das kann „Portal“ viel besser, weil es neben einer Story und gewissen, versteckten Schmankerln auch Abwechslung bietet.

 

Anders sein ist demnach nicht unbedingt immer besser. 


Wertung
Pro und Kontra
  • Ungewöhnliche Menüführung
  • Ungewöhnlicher Look
  • Seichte Audioatmosphäre
  • Rätseldesign schraubt sich im Anspruch nach oben
  • Aha-Effekte vorhanden
  • Gewöhnungsbedürftiges Grafikdesign
  • Sound abwechslungsarm
  • Rätsel "zaubern" sich teils im Spiel herbei
  • Steuerung an manchen Stellen müßig
  • Ohne besonderes Konzept
  • Kaum Wiederspielwert

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(1)
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