Grenzwertig gut

Abwechslung ist kein Kredo, mit dem sich Action-RPGs brüsten könnten. Auch wenn „Diablo“ heute immer noch ein Dauerbrenner ist, muss sich...

von TheVG am: 15.04.2016

Abwechslung ist kein Kredo, mit dem sich Action-RPGs brüsten könnten. Auch wenn „Diablo“ heute immer noch ein Dauerbrenner ist, muss sich das Spiel den Vorwurf gefallen lassen, dass es storytechnisch so viel zu sagen hat wie ein Stummer mit Sprachfehler. Es wird gehackt und geslayt und gesammelt, als hätte man einem Neandertaler eine Minigun umgeschnallt und eine Horde Mammuts vor die Nase gesetzt – mit Diversität kann man das jetzt nicht unbedingt in Verbindung bringen, und doch machen Spiele dieser Art immer wieder eine Menge Laune.

Gearbox´ „Borderlands“ variierte das Genre schon ein wenig mehr. Cel-Shading-Look, Ego-Shooter und eine Welt, die man durchaus als verrückt und chaotisch bezeichnen konnte. Nichtsdestotrotz war „Borderlands“ nichts anderes als „Diablo“, nämlich eine Looting-Orgie, die nicht gerade von tiefgreifenden Ereignissen zeugte. Tja, und trotzdem machte das Spiel einen Heidenspaß. Die Suchtspirale funktionierte so gut wie bei gefühlt zwei Millionen anderer Spiele dieser Machart, Langeweile kam trotz der relativ gleichförmigen Ballerei weniger auf.

Nun hätte sich Gearbox auf ihren Lorbeeren ausruhen und akzeptieren können, dass ihr Spiel als Action-RPG sehr gut spielbar ist, aber Storys in solchen Genres einfach wenig Chancen zuzurechnen sind. Trotzdem wollten sie es probieren – mit „Borderlands 2“ wurde das Versprechen mitgeliefert, mehr Geschichte in die spannende Welt von Pandora zu packen. Doch würde das Sequel überhaupt in der Lage sein, eine Story angemessen zu erzählen? Waren die Versprechungen zu ambitioniert? So viel vorweg: Schlechter ist das Sequel schon mal nicht...

 

Ausgefüllte Leere

 

Eigentlich war gar nichts bei der Schatzsuche herumgekommen. Es wartete lediglich ein riesiges Tentakelmonster im Schnee auf uns, bis wir es ins Nirvana geschickt hatten, und fanden: nichts. Nichts ist aber so auch nicht richtig, denn – und hier hakt die Story von „Borderlands 2“ nun ein - nachdem der/die Protagonist(in) mit hängendem Haupt die Szene verließ, entdeckte der Großindustrielle Handsome Jack kurz danach in einer Höhle dahinter das seltene Element Eridium und dessen besondere Eigenschaften. Seitdem terrorisiert er mit seiner Hyperion Corporation samt Roboterarmee den Planeten Pandora. Ganz klar, dass man dem Großunternehmer den Garaus machen will, und so schlüpfen wir wieder in die Haut von vier Charakteren und ballern uns durch das außerirdische Ödland.

Punkt. Das war´s. Die wenigen Ausschmückungen wie gestreckte Dialoge können jedenfalls nicht über diesen Fakt hinwegtäuschen, dass der Plot des Spiels prinzipiell nur das Gut-Böse-Schema aufzieht. Selbst die witzige Machart ist keine Entschuldigung für eine allgemein löchrige Story. Die beinhaltet viele humorige oder dramatische Momente, sind aber wohl nur was für den hohlen Zahn des Storyfans. Man erfährt keine Details über Jacks Motivation (der Mann ist einfach nur raffgierig), nur wenig über NPCs und rein gar nichts über Pandoras geschichtlichen Hintergrund.

Die Stadt Sanctuary ist unser Heimatstädtchen geworden - die wir aber erstmal erreichen müssen

 

Damit ist auch gleich die Frage beantwortet, welchen Stellenwert die Story denn nun einnimmt. Die Bemühungen sind sichtbar, jedoch wirkt es hier schlicht aufgebläht. Die Charaktere haben nun mehr zu sagen, man hört sich gerne die abgedrehten Sprüche an, der Humor ist teilweise richtig gut. Nur schade, dass Gearbox nicht einfach konsequent weitergedacht und uns eine Story serviert hat, die das Genre vielleicht hätte entscheidend weiterbringen können. Somit muss die Revolution erst mal auf morgen vertagt werden.

 

Fabrikationsfehler

 

Bis man sich mit dieser Ernüchterung abfinden dürfte, dauert es ein paar Spielstunden. Das Problem liegt eben nur daran, dass die Mogelpackung Story eine Weile braucht, um als solche erkannt zu werden. Das mag vielleicht „Mad Max“-Fans egal sein – ich empfand es jedenfalls ein bisschen enttäuschend. Bis dahin hat man sich auch wieder ordentlich in „Borderlands 2“ hinein gezockt, das Erfolgsrezept des ersten Teils wurde nicht grundlegend verändert. Man hat lediglich ein paar Stellschrauben angedreht und die Dynamik spürbar verbessert.

In der Egoperspektive spielt sich das Sequel demnach sehr knackig. Mit der gewohnten Shootersteuerung kommt man sehr schnell zurecht, Beute sammeln ist nun noch einfacher geworden. Der lange Tastendruck, der herumliegende Geldbündel und Munition um sich herum aufsaugt, ist erhalten geblieben, jetzt wandern noch zusätzlich die Goodies, die Gegner fallen lassen, durch Zentrieren automatisch in unser Säckchen. Davon ausgenommen sind stationäre Beute wie solche in Kisten, auch Waffen kann man nicht wie von Geisterhand einsacken. Es wird deutlich, dass sich Gearbox sehr wohl Gedanken über die Spielmechanik gemacht hat. Ausnahme: die Eridiumbarren kann man nicht auf dieselbe Weise aufnehmen, obwohl sie für Inventarerweiterung oder die Aufstockung der Menge tragbarer Munition von Wichtigkeit ist und eigentlich denselben Stellenwert wie Geld und Gold einnehmen.

Bei Tiny Tina steigt ´ne Party - morbider geht´s kaum

 

Beim Questdesign ist die Kreativität dann leider wieder ins Stocken geraten. Nimmt man mal die coolen Dialoge weg, wird man oft dazu verdonnert, reine Sammelaufgaben abzuarbeiten – sammle zehn hiervon, töte zwanzig davon. Interessante Quests der Sorte „Infiltriere einen Räuberclan, hisse die gegnerische Flagge und überlebe Gegnerwellen, bis die Flagge ganz nach oben gezogen ist“ darf man leider zu selten absolvieren. Man wird die Missionen trotzdem erledigen wollen, weil sie quantitativ natürlich für den Levelaufstieg von Nutzen sind und man dadurch auch mal ein attraktives Geschenk sein Eigen nennen darf.

Auch das Inventar bzw. dessen Verwaltung ist für mich nicht hundertprozentig gut gelöst worden. Das Registerkartenprinzip mit einem schlecht sichtbaren Pfeil zum Blättern hätte der Entwickler auch anders designen können. Damit einhergehend wird es auch zur leichten Fummelei, Waffen in die Schnellauswahl zu wechseln, außerdem wirkt es optisch nicht sehr eindeutig. Ferner hätte man den Fähigkeitenbaum für alle wie auch immer Spielen wollenden Klassen aufstocken sollen. In meinem Testdurchlauf mit der Sirene, die Gegner mit dem „Phaselock“ in der Luft kampfunfähig machen kann, sind Einzelspieler- und Teamperks zusammengelegt worden. Da läuft man bei ersteren Gefahr, Skillpunkte nach dem Levelaufstieg in zweite zu investieren, die im Einzelspielermodus keinerlei Wirkung haben. Hier hat es sich der Entwickler ein bisschen zu einfach gemacht und die Menüfunktion schlicht für alle gleich programmiert – ein kleiner Faux-pas, der nicht hätte sein müssen. Ferner wirkt sich die Waffenhandhabung der einzelnen Klassen nicht völlig unterschiedlich aus. Maya, die Sirene, kann etwa gefühlt ähnlich gut mit dem Scharfschützengewehr umgehen wie Zero, der Assassine, eben ohne die Boni des Skillbaumes. Die Unterschiede zeigen sich eher im Detail, da hätte vielleicht eine klare Abgrenzung die Motivation, unterschiedliche Klassen zu spielen, eher verstärkt. Davon abgesehen sind die neuen Figuren im Grunde nur optisch verschieden zum Vorgängerspiel, was vielleicht der Story dienlich ist, spielerisch jedoch keine neue Seite im Buch aufschlägt.

 

Alles dabei

 

Man kann sich durchaus an die Menüführung gewöhnen, alles kein Problem. Am wichtigsten ist in derartigen Genres sowieso, wie die Welt zum Erkunden einlädt, ob sich Ballern und Sammeln denn auch nach 40 Spielstunden noch lohnen.

Ich hatte bis zu einem bestimmten Punkt im Spiel immer wieder Lust, eine Session hinzulegen. Gerade, wenn es darum geht, die für Teil 2 ausgeweitete Spielwelt zu erkunden, gab es ständig neue Reizpunkte wie Gegnertypen, Umgebungen und Belohnungen, die meine Sammelwut entfachten. Man probiert sich an Waffengattungen, sucht nach schlagkräftigeren Pendants, sammelt Geld, um an Automaten vielleicht ein neues, tolles Goodie kaufen zu können. Bei Schilden und Granatenmods ist das nicht anders. Nicht nur die Kapazitäten spielen hier eine Rolle, sondern auch die Nebeneffekte wie Elementarschaden oder Munitionsaufwertungen. Bei den Granaten empfand ich es als besonders cool, wenn diese mit entsprechenden Mods Flächenschäden verübten oder durch Implosionen Feinde zu sich heranziehen. Die Effekte sind recht unterschiedlich und laden regelrecht zum Ausprobieren ein.

Doch hat man irgendwann alles gesehen und sich seine Favoriten zusammengestellt. Neuartiges gibt es ab gefühlt der Hälfte der Spielzeit nicht mehr zu erleben, und so suchte ich eigentlich nur noch nach gleichwertigen Items, die mehr Schaden zufügten oder meine Schildkapazität erhöhten. Hier hätte ich mir doch gewünscht, wenn man noch das ein oder andere für den späteren Spielverlauf aufgespart hätte. So verkommt das letzte Drittel des Shooters doch ein bisschen zur Routine, abgesehen vom letzten Bosskampf, Zwischengegner hat Gearbox hier ziemlich früh verbraten.

Wer Kohle braucht, versucht sich an den robusten Stalkern

 

Dem steht zum Glück eine optisch abwechslungsreiche Welt entgegen, die gleichzeitig den Anspruch ständig hoch hält. Die Gegnertypen sind nicht alle gleich zu bekämpfen, nicht wenige verfolgen auch ihre eigenen Angriffsstrategien. Etwa die lästigen Varkids, insektenähnliche Krabbler, die man recht komplex konzipiert hat und die mich ziemlich auf Trab gehalten haben. Die Larven sind dabei noch nicht die schlimmsten, auch wenn sie schon im Basisstadium richtig strapaziös sein können. Achtet man nicht auf deren Verwundete, nisten sie sich im Boden ein und verpuppen sich mal schnell zu mannsgroßen Insekten, die einiges aushalten. Hat man diese fast heruntergeschossen, sollte man sie ebenfalls schnell erledigen, sonst verpuppen sich diese wiederum zur „Badass“-Variante, die noch mehr einstecken bzw. austeilen kann. Ähnlich ideenreich wurden die Goliaths designt, die eine kleine Überraschung im Petto haben. Schießt man ihnen den Kopf weg, wandeln sie sich zur rasenden Version (mitsamt Mini-Ersatzkopf), die auch mal für uns Spieler nützlich ist. Die greift nämlich mit Vorlieb alles in ihrer Umgebung an und kann etwa knackig schwere Trupps von selbst dezimieren; wir müssen uns noch nicht mal selbst die Finger krampfig ballern und können das Spektakel aus der Ferne bewundern. Allgemein halten die vielen Gegnertypen mit ihren verschiedenen Taktiken den Spieler bei Laune, vermischen altbekannte mit neuen Varianten – so spielt sich „Borderlands 2“ viel abwechslungsreicher als sein Vorgänger. So muss das sein.

Auch im Weltdesign ist der Nachfolger ordentlich angeschwollen. Pandora ist, wie schon erwähnt, größer geworden, neben den unterschiedlichen Arealen draußen finden sich auch nicht wenige Dungeons bzw. Stützpunkte, in denen wir uns austoben können. Neben Schneegebieten und vulkanischen Basaltböden hat Gearbox auch etwas für´s Spielerauge getan und etwa eine moderne Stadt aufgebaut, die ein wenig an Siriusopolis aus „Serious Sam 2“ erinnert – hier ist es lediglich eine Plattform, der narzisstischen Persönlichkeit Handsome Jacks eine Bühne zu bereiten. Überhaupt hat der Entwickler viel Mühe investiert, Pandora vielseitiger und üppiger zu gestalten, was auch spielerische Auswirkungen hat. Säureseen und Eridiumpfützen nagen spürbar am Gesundheitsbalken des Spielers, was in Schusswechseln und allgemeiner Hektik Übersicht und Taktik erfordert. Auch das ist ein deutlicher Fortschritt im Gegensatz zum Vorgänger.

 

Strich durch die Rechnung

 

Grafisch hat sich im Vergleich zum Vorgänger gar nicht mal so viel getan. Zwar hat man sichtbar mehr an Details gearbeitet, doch sind Welt, Modelle und Texturen gefühlt immer noch auf dem Stand von 2009. Die Unreal Engine 3, die in „Borderlands 2“ Verwendung findet, wirkt mit seinem Cel-Shading-Look sehr comichaft und dadurch eigenständig. Einziges Manko ist das Nachladen der „Mega Textures“ nach dem Eintreten in einen neuen Bereich. Man sollte dadurch einen Moment, nachdem man ein neues Areal betritt, warten, bis die Texturen sich vollständig aufgebaut haben. Abgesehen davon sind die Ladezeiten angenehm kurz, damit wird der Spielfluss auch weniger gestört. Lustiges Detail: Auch „Rage“, ebenfalls ein Endzeitballerer in trostlosen Canyons, wurde mit diesen Texturen gebaut.

Fakt ist jedenfalls, dass der Look immer noch seine Reize hat. Der Comiceinschlag passt wie die Faust aufs Auge von Pandora und dessen skurrilen Figuren. Auch wenn das Spiel nicht gerade vor Effekten strotzt, ist die eindeutige Farbgebung durchaus spieldienlich, direktes optisches Feedback inbegriffen, etwa wenn der Elementarschaden beim Gegner anschlägt. Auch die Schadenswerte fliegen wieder in der Welt umher, so wie man das aus dem Genre und speziell „Borderlands“ zuzuschreibenden Art und Weise kennt.

Feuer und Eis - In Borderlands 2 ist optische Abwechslung Trumpf

 

Beim Sound hat sich ebenfalls nicht viel geändert. Die neuen Features im Spiel mussten natürlich noch zusätzliche Vertonung erhalten, ansonsten sind lediglich die Dialogzeilen der Charaktere ordentlich aufgestockt worden. Fast jede Nebenfigur hat nun seine fünfzehn Minuten bekommen, das heißt, dass sie zu jeder noch so öden Nebenquest ihren Senf dazu geben dürfen. Für meinen Geschmack quatschen sie manchmal auch ein bisschen zu viel, aber das wird jeder Spieler anders auffassen. Dafür hat man gute bis hervorragende Sprecher engagiert, auch die deutsche Version steht dem Original in nichts nach. Sehr positiv sticht hier zum Beispiel Dirk Meyer heraus, den man als die Stimme von Philip J. Fry aus „Futurama“ kennt. In der Matt Groening-Serie klang er mir noch zu monoton, als Mordecai hier hat er jedoch einen tollen Job abgeliefert. Die Musik hingegen geht soweit in Ordnung, hält sich im Hintergrund, klingt für mich jedoch wenig innovativ, vor allem wenn der Soundtrack des Vorgängers noch im Ohr hängen geblieben ist.

 

Grenzerfahrung

 

Es steht außer Frage, dass „Borderlands 2“ ein sehr guter Shooter ist und der RPG-Anteil dafür sorgt, die „Noch-ein-paar-Minuten“-Falle zuschnappen zu lassen. Der gestiegene Schwierigkeitsgrad in Verbindung mit den abwechslungsreichen Kämpfen motivieren immer wieder auf´s Neue, doch wird man innerhalb der durchschnittlich 50 Spielstunden an seine Grenzen stoßen, je nach persönlichem Geduldsfaden. Es dauert, bis man erkennt, dass die Story doch nur ein aufgeplustertes Gut-Böse-Spielchen ist, die Spielwelt irgendwann später ihr Pulver verschossen hat und keine Überraschungen mehr preisgibt.

Gearbox hat seine Chance genannt, erkannt, und doch ist ihnen wieder auf halber Strecke die Puste ausgegangen. Ich will die Idee gar nicht kleinreden, denn immerhin hat man als Spieler jetzt ein bisschen mehr von Pandora und seinen freakigen Charakteren – so wie ein Sequel eben sein sollte. Leider konnte der Entwickler eben nicht verhindern, dass dem Action-RPG-Genre weiterhin das Klischee der hirnlosen Ballerei anhaften wird.


Wertung
Pro und Kontra
  • Cooler Cel-Shading-Look
  • Eindeutige Farbgebung
  • Sehr gute Sprecherleistungen
  • Abwechslungsreiche Spielwelt
  • Unterschiedliche Gegner in verschiedenen Variationen
  • Knackige Bosskämpfe
  • Ein bisschen Hintergrundgeplänkel der Figuren
  • Ab und zu spaßige Quests
  • Suchtspirale funktioniert prächtig
  • Waffenmods und Nebeneffekte
  • Klassenperks laden zu mehreren Durchgängen ein
  • Menüdesign etwas fummelig
  • Story vorhanden, jedoch ohne Tiefe
  • Viele Quests spielerisch anspruchslos
  • Verliert zum Ende hin seinen Reiz

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



Kommentare(1)
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