Stimmungsvoller Grusel-Shooter mit Haken

  Einleitung Der Brite Clive Barker (*1952) machte sich einen Namen als Autor der „Bücher des Blutes“ und Regisseur von Horrorfilmen wie...

von Njcid am: 14.03.2018

Einleitung

Der Brite Clive Barker (*1952) machte sich einen Namen als Autor der „Bücher des Blutes“ und Regisseur von Horrorfilmen wie „Hellraiser“ oder „Nightbreed“. Weniger bekannt ist hingegen sein Ausflug in die Welt der Videospiele: Er verfasste die düstere Story für den 2001 erschienenen Ego-Shooter „Undying“ aus dem Hause Electronic Arts und lieh sogar einem Zwischenboss seine Stimme. Das digitale Schauermärchen, das bei Dreamworks Interactive („Medal of Honor“ und „Trespasser“) entstand, amalgamiert Barkers Visionen mit unkonventionellem Shooter-Gameplay und reichlich Monstergeschnetzel.

Spieleinstieg

„Clive Barker’s Undying“ spielt im Jahr 1923: Der Kriegsheimkehrer Patrick Galloway wird von seinem früheren Kameraden Jeremiah Covenant auf dessen Familiengut gerufen, weil dieser um seine Hilfe bittet. Auf der prunkvollen Residenz liegt ein Fluch und seine untoten Verwandten trachten dem kränklichen Jeremiah nach dem Leben, weshalb er seinen Freund anfleht, das Unheil abzuwenden. Um genau zu sein, schuldet Patrick ihm noch diesen einen Gefallen, weil Jeremiah ihm einst das Leben rettete. Kurz nach seiner Ankunft auf dem Anwesen wird Galloway bereits von einem unfreundlichen Begrüßungskomitee empfangen: Die Howler, die sich durch ihr namensgebendes Geheule ankündigen, sind flinke Biester mit tödlichen Krallen und würden Patrick mühelos in Stücke reißen, wenn der nicht wohlweislich seinen Revolver eingepackt hätte. Nachdem das Geschmeiß unschädlich gemacht wurde, weiht Jeremiah seinen Schutzengel näher in die dunklen Familiengeheimnisse der Covenants ein…

Am nächsten Morgen findet Patrick in seinem Gästezimmer eine arkane Schriftrolle. Als er sie berührt, durchströmt eine magische Macht seinen Körper und er verfügt künftig über seinen ersten Zauberangriff: Im Kampf gegen das Böse kann er fortan Blitze aus seiner Hand abfeuern. Sehr nützlich, denn die Howler sind wieder aus ihren Löchern gekrochen und machen erneut die Gegend unsicher. Galloway begibt sich mit Schießeisen und kribbelnden Fingerkuppen auf den Weg, um erste Anhaltspunkte zu finden, wie er den Fluch brechen kann. Mit einem smaragdgrünen Talisman, den er vor Jahren aus dem Krieg mitgebracht hat, kann er die Geheimnisse der Vergangenheit in den Gemäuern der Covenants ans Licht bringen und so einer Spur folgen.  Nebenbei muss er jede Menge Monster ausmerzen und wird obendrein in einer Sakristei von dem verärgerten Geist eines Priesters belästigt.  Als Patrick später auch noch durch eine Zimmertür in eine andere Dimension gelangt, wird ihm klar, dass sein Vorhaben wahrlich kein Spaziergang wird…

Spielverlauf

Wie bereits angeschnitten, spielt Magie in „Undying“ eine wichtige Rolle. Im Laufe des Spiels entdeckt Galloway immer mehr Spruchrollen, die im Gefecht helfen. Patrick kann nicht nur Blitze schießen, sondern auch explodierende Totenschädel auf Gegner hetzen, tote Feinde als Verbündete wiederbeleben oder einen Schutzschild wirken, der Projektile absorbiert (dazu später). Insgesamt gibt es acht unterschiedliche Fähigkeiten, außerdem sind in der gesamten Spielwelt sogenannte Amplifier verteilt, die man einsammeln und zur Verbesserung der Skills einsetzen sollte. Je mehr man von diesen Upgrade-Punkten in einen Zauber investiert, desto mächtiger wird er, etwa in Schadenswirkung oder Reichweite. Wie man es aus Spielen aus dem Fantasy-Genre gewohnt ist, benötigt man Mana, um Magie einzusetzen. Zum Glück regeneriert sich die Energie automatisch, sodass man immer auf die Zauberangriffe ausweichen kann, wenn die Munition für die konventionellen Waffen knapp wird. Neben den Skill-Amplifiern gibt es noch weitere Verstärker, nach denen man Ausschau halten sollte: Diese erhöhen entweder den maximalen Manavorrat oder beschleunigen dessen Regeneration. Selbstverständlich sind jene Power-Ups nicht überall verstreut, sondern selten und zudem gut versteckt. Abseits der Magie besitzt Galloway Schießeisen, mit denen er sich zur Wehr setzen kann. Zum einen den donnernden Trommelrevolver und die bleiinjizierende Schrotflinte, aber auch fantasievolle Waffen aus der Anderswelt: Zum Beispiel den atmenden Drachenkopf, der Eisgeschosse spuckt; Explosive Phönixeier, welche man nach dem Abfeuern lenken kann oder eine Speerschleuder mit eingebauter Zoom-Funktion. Zusätzlich kann man mit Molotowcocktails und Dynamitstangen um sich werfen. Nicht zu vergessen die brachiale Nahkampfwaffe: Eine Sense, die Gegner verstümmelt und im alternativen Feuermodus Lebenspunkte für das Zerteilen von Feinden spendiert. Apropos Altersvorsorge: Sollte Patrick auf seinem Feldzug gegen die Schergen der Finsternis verwundet werden, kann er sich mit eingesammelten Medipacks heilen. Diese liegen in ausreichenden Mengen überall herum, was das Überleben erleichtert. Kurios und leider unüberlegt: Patrick kann unbegrenzt viel Verbandszeug in der Hosentasche tragen, weshalb er im späteren Spielverlauf selten ernsthaft in Bredouille gerät. Auf dem niedrigsten der drei Schwierigkeitsgrade werden die Medipacks zudem automatisch aktiviert, sobald die Lebenspunkte in einen kritischen Bereich sinken. Obwohl sich Galloway im Laufe des Spiels eine beachtliche Reiseapotheke aufbaut, ist „Undying“ in der ersten Hälfte kein Zuckerschlecken. Kein Gegner darf unterschätzt werden und selbst die Heuler, die nur wenig einstecken, sind eine Gefahr, weil sie umso mehr austeilen und aufgrund ihrer Agilität schwer zu treffen sind. Außerdem kreuzen sie meistens im Rudel auf. Auf seinem Trip durch Barkers Horrorreich trifft Galloway nicht nur auf fieses Getier und untote Priester, sondern wird mit einer Schar von wandelnden Zielscheiben konfrontiert: Diese reicht von Piraten über mutierte Killerpflanzen bis hin zu Skeletten, Trollen und Dämonen. Also all das Ungeziefer, welches man so in Katakomben, Friedhöfen, Parallelwelten und Gewächshäusern vorfindet. Das weitläufige Familiengut der Covenants dient in „Undying“ als Bindeglied (Hub) zwischen den einzelnen Abschnitten: Die meisten Levels spielen außerhalb des Hauses und führen den Spieler in Burgruinen, ein Piratenversteck, alte Kloster und sogar in eine Höllendimension. Zwischen den Levels kehrt man in das Quasi-Hub des Anwesens zurück, das in den Intermezzo-Passagen kaum Zeit zum Verschnaufen lässt.

Jeremiahs Palast wirkt zwar auf den ersten Blick riesig, man wird jedoch stets linear durch die Flure und Hallen gelotst, denn in dem Labyrinth der verschlossenen Türen sind eigentlich immer nur die Wege offen, die zum nächsten Zielort führen. Im Großen und Ganzen ist „Undying“ ein äußerst geradliniges Spiel, was besonders der Engine geschuldet ist.

Technik

„Undying“ läuft auf der ersten Unreal Engine, die 1998 mit Epics Meilenstein ihr grandioses Debüt feierte. Eine kompetente Engine könnte man meinen, aber leider stößt sie in dem ambitionierten Projekt an ihre Grenzen: Dreamworks strebte Vorzeige-Grafik an, ohne Rücksicht auf die technische Performance. Zwar sieht „Undying“ besser aus als frühere Unreal-Titel (wie etwa das im Vorjahr erschienene „Deus Ex“), kann dafür aber nur Gebiete in überschaubarer Größe auf den Bildschirm zaubern. Jedes Mal, wenn man ein Areal (und die sind kompakt) verlässt, kommt es zu einer kurzen Ladeunterbrechung. Das ist zwar kein Beinbruch, stört den …lädt… Spielfluss aber … lädt… spürbar und nervt … lädt … mit der Zeit.

Abgesehen von diesem Defizit spielt „Undying“ für damalige Verhältnisse visuell auf hohem Niveau: Die Kulissen sind sehr atmosphärisch gestaltet, es gibt gelungene Lichtstimmungen und die Levels sind größtenteils liebevoll texturiert. Bedauerlicherweise schwankt das Gesamtbild trotz alledem, denn die ausgesprochen imposanten Innenräume stehen im Kontrast zu den kargen, detailarmen Außenlandschaften. Das Spiel hat anders als „Deus Ex“ keinen animierten Himmel, sondern setzt stattdessen auf eine unscharfe, statische Skybox-Grafik, deren Nahtstellen in der Textur sichtbar sind. Ebenfalls vom Zahn der Zeit angenagt sind die Charaktermodelle. Insbesondere Jeremiah Covenant lässt sich wohl am ehesten als Pixelmatsch beschreiben, polygonarm und lausig texturiert. Dieses modellierte Missgeschick passt nicht ins eigentlich ordentliche Gesamtbild.

 Beim Sound-Design hat „Undying“ mehr Asse im Ärmel: Die stimmige Geräuschkulisse ist nach wie vor eindrucksvoll und die englische Sprachausgabe klingt gut. Bemerkenswert ist der sparsame Einsatz von Musikuntermalung in den Levels. Die wenigen Stücke von Komponist Bill Brown tragen aber zur Atmosphäre bei. Seine von wuchtigen Chorgesängen getragene Titelmelodie bleibt lange in Erinnerung. Antiquiert klingen lediglich die dumpfen Waffensounds, die wahrscheinlich noch von Kassette stammen.

An der Bedienung gibt es wenig auszusetzen. Patrick kann simultan mit der rechten Hand Magie wirken und mit der linken Hand seine Schießprügel abfeuern. Beides wird über die Maustasten gesteuert. Neben festen Checkpoints kann jederzeit frei gespeichert werden, Quicksave inklusive. Ein kreisförmiges Schnellauswahlmenü erleichtert im Kampf das Wechseln zwischen Zaubern und Waffen. Ein Tagebuch fasst wichtige Hinweise zusammen, eine Karte oder Wegmarkierungen gibt es nicht, sind angesichts der linearen Levels aber auch nicht notwendig. Nur die Handhabung des Inventars ist nicht ganz optimal geraten, da zwischen Medipacks, Sprengstoff und Sekundäritems umständlich umhergeschaltet werden muss und diese per separatem Tastendruck aktiviert werden.

Kritik

Das originelle Shooter-Abenteuer hätte das Zeug zum Evergreen gehabt, stolpert aber vor der Zielgeraden. Die ersten Stunden von „Undying“ sind ein fantastisches Erlebnis, das an den Bildschirm fesselt und mit vielen tollen Momenten auftrumpft: Man durchstreift fremde Welten und reist sogar durch ein Zeitportal ins Mittelalter. Die Zaubersprüche sorgen für frischen Wind und ermöglichen neue Vorgehensweisen gegen die unterschiedlichen Gegnertypen. Trotzdem entweicht „Undying“ leider nach einigen Stunden die Luft und gerade die späteren Levels können nicht mehr an die anfängliche Klasse anknüpfen: Weiterhin abwechslungsreich, aber streckenweise uninspiriert. Zudem wird die übergroße Schwäche des Gamedesigns ab einem bestimmen Zeitpunkt offensichtlich: Je mehr Medipacks angehäuft und Fähigkeiten freigeschaltet werden, desto anspruchsloser wird die Spielerfahrung. Zur endgültigen Achillesferse des Gameplays wird gegen Ende der Schildzauber, mit dem man nahezu unbesiegbar wird. Da die - zugegeben coole - Magie-Mechanik von „Undying“ nicht gut genug durchdacht wurde und es auch keinen Cool Down gibt, ist es möglich, permanent mit kugelsicherem Schirm durch die Levels zu laufen. Dazu noch die übermächtige Sense im Anschlag und man mäht mühelos alles nieder, was einem in die Quere kommt. Um es auf den Punkt zu bringen: Nachdem die Spielbalance eingebrochen ist, wird „Undying“ zum unterfordernden „Painkiller“-Gemetzel. Allein die Bosskämpfe bieten noch Herausforderungen. Das anfängliche Gefühl der ständigen Bedrohung ist jedoch verflogen.

Die Gegner-KI des 2001 erschienenen Shooters ist zweckmäßig und nur die menschlichen Widersacher erachten es für sinnvoll, Deckung zu suchen. Die restlichen Monster vertrauen instinktiv auf Kamikaze und laufen schnurstracks in unsere Killersichel.

Das technisch limitierte Gerüst der Unreal Engine nervt mit ständigen Nachladebildschirmen, die Levels sind arg linear und der schwache letzte Akt ist ein Wermutstropfen. Weshalb lohnt es sich dennoch, „Undying“ nach 17 Jahren eine Chance zu geben? Weil es ungeachtet der sich aufstauenden Mankos ein vor Atmosphäre strotzender Ritt durch Barkers Alptraumwelt ist, immer wieder mit kleinen Highlights überrascht und sich der ideenvolle Gameplay-Mix aus Feuerkraft und Magie selbst heute noch gut spielen lässt. Ein spannend erzählter Dark-Fantasy-Shooter mit großer Gegnervielfalt, langer Spielzeit, innovativen Waffen und markanten Schauplätzen. PC-Spieler, die „Dark Messiah of Might & Magic“, „Dishonored“, „Bioshock“ oder das in Vergessenheit geratene „Wheel of Time“ (1999) mochten, könnten auch am fast ebenbürtigen „Clive Barker’s Undying“ Gefallen finden, das man für’n Fünfer auf GOG bekommt.

Screenshots

Banditen umnieten


Wertung
Pro und Kontra
  • Großartiger Einstieg
  • Dichte Soundkulisse, stimmige Musik
  • Gruselige Atmosphäre
  • Zauberangriffe und Feuerkraft
  • Originelle Waffen
  • Spannende Story
  • Unterschiedliche Gegnertypen plus Bosskämpfe
  • Abwechslungsreiche Levels
  • Zeitreisen und Höllendimension
  • Bequeme Bedienung
  • Gut gestaltete Levels
  • Lange Spielzeit
  • Spieler wird übermächtig durch Sense und Schildzauber
  • Schwacher letzter Akt
  • Ladebildschirme
  • Triste Außenareale
  • Etwas behäbiges Inventar
  • Dürftige Gegner-KI

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



Kommentare(5)
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