Die Beerdigung des Meisterwerks

Jetzt müssen wir aber mal unseren Hut vor Crytek ziehen. Crysis 3 sieht fantastisch aus. Seit Battlefield 3 bekommen wir erstmals wieder eine neue...

von AlexX2 am: 14.07.2013

Jetzt müssen wir aber mal unseren Hut vor Crytek ziehen. Crysis 3 sieht fantastisch aus. Seit Battlefield 3 bekommen wir erstmals wieder eine neue Grafikreferenz zu sehen, die nicht nur den heimischen Rechner in die Knie zwingt, sondern auch all sein Potenzial ausschöpft. Zum Glück, wenn wir uns an Crysis 2 erinnern, welcher lediglich die Grafik der Konsolenversionen nutzte. Teil 3 sieht wieder super aus und zeigt in seinem zweiten Level „Welcome to the Jungle“, wozu der PC heute und in naher Zukunft in der Lage ist. Jetzt müssen wir aber gleich noch einmal unseren Hut vor Crytek ziehen, denn eine noch viel größere Leistung ist, eine derart große Marke und eine Trilogie, die mit einem so großartigen Shooter anno 2007 begann, derart in den Sand zu setzen. Crysis 3 ist das traurige Ende einer Trilogie, die nie eine hätte sein dürfen.

Hübsche Apokalypse

Nach dem Erfolg des ersten Crysis verriet der deutsche Entwickler Crytek schnell, die Marke zu einer Trilogie ausweiten zu wollen. Durchaus berechtigt, war das Spiel nicht nur technisch sondern überraschend auch spielerisch ein wahres Meisterwerk. Vor allem das sehr offene Ende schrie geradezu nach einem Nachfolger. Crysis 2 entpuppte sich jedoch als große Enttäuschung auf hohem Niveau. Zu schlauchig waren die Levels für die Spieler, zu geskriptet die Handlung und die Grafik wurde auf Konsolen-Niveau reduziert. Teil 3, welcher die Reihe nun abschließt, versucht dagegen neue Ansätze und baut auf die neue Cry Engine 3, die den PC nun wieder voll ausreizt. Neben einer seit dem ersten Crysis und Battlefield 3 nicht mehr erreichten Grafikqualität erfordert dies wieder einen teuren High End Rechner. Unser Test-PC mit einer GeForce GTX 580, einem Intel i5 Vierkerne und 8 GB RAM konnte die maximale DX11 Einstellung jedenfalls nicht ruckelfrei packen. Wer unter dem Schreibtisch ein stärkeres Gerät besitzt, wird von einer fantastischen Vegetation, täuschend echtem Wasser und knackscharfen Texturen fasziniert. All das jedoch lediglich im zweiten von sieben Levels im Spiel. Warum die anderen Abschnitte eher in grauen Ruinen bei Nacht ohne optische Highlights spielen, ist uns schleierhaft.

Haben wir nicht gerade „Vegetation“ gesagt? Spielte der Vorgänger nicht noch in New York, welches von den außerirdischen Ceph angegriffen wurde? Crysis 3 verlegt seinen Schauplatz nicht, spielt jedoch satte 24 Jahre nach dem Ende von Crysis 2. Der Großstadtdschungel ist nun wortwörtlich einer – ganz Manhattan ist überwuchert mit Grünzeugs und die Straßen sind überflutet. Leben gibt es keins mehr. Hinzu kommt, dass die Metropole von CELL, einer feindlichen Militärorganisation, unter einer riesigen Kuppel (im Spiel paradoxerweise Liberty Dome genannt) abgeschottet wird. Eine ganz interessante Ausgangslage für das Spiel, doch die Handlung schafft es, die ohnehin schon konfuse Geschichte des Vorgängers, noch einmal zu unterbieten und stolpert von einer Beklopptheit über die Nächste. Das größte Problem dabei ist, das die Autoren versuchen, all die dummen und verwirrenden Ereignisse der Vorgänger irgendwie zu retten oder zu erklären, was jedoch völlig schiefläuft. Wir versuchen dennoch einen Erklärungsversuch: Prophet, der am Ende des ersten Crysis spurlos verschwand, im zweiten plötzlich in New York auftaucht, sich das Leben nimmt und im Körper des Soldaten Alcatraz weiterzuleben (wie auch immer), ist nun nach dem gewonnen Kampf gegen die Ceph am Ende von Teil 2, in Gefangenschaft von CELL (CELL = böse Menschen (!)), welche ihn aus dem Nanosuit entfernen will, es aber nicht schafft. Prophet ist nämlich mit der Zeit irgendwie mit dem Ding verwachsen und weder Mensch, noch Alien. „Super-Nano-Außerirdisches Irgendwas-Dingsbums“ wird jedenfalls plötzlich von Psycho (den wir aus dem ersten Teil noch kennen und nun irgendwie aufeinmal wieder da ist) befreit und schließt sich mit seinem Retter zusammen, um CELL ordentlich in den Hintern zu treten. Wenn da nicht die Ceph wären, die aufeinmal wieder auftauchen und ihren eigenen Teil zum „Dauer Prophet vs. CELL“ Kampf beitragen wollen. Wie, unsere Erklärung war jetzt nicht so gelungen? Schade, aber um es ehrlich zu sagen, kann man die Handlung des Trilogie-Finales nicht wirklich gut in Worte fassen, da es sich hier wohl um einen der schwachsinnigsten Plots in einem Computerspiel der letzten Jahre handelt. Allzu kompliziert ist es jedoch eigentlich nicht. Crysis 3 kann man auch simpel in „Prophet verkloppt CELL + Prophet verkloppt Ceph Aliens“ zusammenfassen. Denn CELL ist böse und die Ceph sind es auch. Und wenn was Böses im Spiel ist, dann muss um jeden Preis die Welt gerettet werden, selbst wenn sie schon so kaputt und verlassen ist.

Danke, Psycho

Wirklich gelungen ist aber der Charakter Psycho, den wir schon im ersten Crysis lieben gelernt haben und im Ableger Crysis Warhead sogar spielen durften. Die Logik, warum dieser jetzt einfach wieder da ist, stört uns nicht lange, da Psycho abermals der Handlung richtig gut tut. Er rettet sie zwar nicht, sorgt aber dafür, uns zum Weiterspielen zu motivieren. Psycho sieht dank der Grafik nicht nur unglaublich echt aus (beim Spielen auf die Gesichtsanimationen achten!), sondern stellt sich als enorm sympathischer und besonderer Charakter heraus. Vor allem sein innerer Konflikt, keinen Nanosuit mehr tragen zu dürfen, sondern nur noch ein normaler Mensch zu sein, kommt uns richtig nahe. Prophet dagegen ist eine wahre Kampfmaschine. Die Menschlichkeit in ihm ist jedoch beinahe ganz erloschen. So machen die beiden starken Gegensätze von Prophet und Psycho einen großen Reiz des Spiels aus. Die Figurenzeichnung gelingt Crysis 3 deutlich besser als seinen beiden Vorgängern, wo die Helden Nomad und Alcatraz austauschbare Namen auf dem Papier waren.

Was ist denn jetzt bloß dieser Nanosuit und was macht ihn so besonders? Und warum will CELL ihn unbedingt in die Finger kriegen? Groß erklären müssen wir das bestimmt nicht, war doch der Nanosuit seit dem ersten Teil das zentrale Element der Reihe. Doch wer noch immer kein großer Crysis-Experte ist, dem erklären wir gerne noch einmal die Funktion des Anzuges. Ehemals von CELL entwickelt, bietet dieser eine nahezu undurchdringliche Panzerung und lässt den Träger höher springen, schneller laufen und sogar unsichtbar werden. Den Nanosuit hat Crytek seit Crysis 2 nicht mehr verändert. Wie gewohnt schalten wir mit den Tasten Q und E wahlweise auf stärkere Panzerung oder den Tarnmodus um. Abermals ist das sehr komfortabel aber auch längst nicht so taktisch wie im ersten Crysis, da die Funktionen eingeschränkter sind und es kaum Gelegenheiten gibt, den Anzug vielseitig einzusetzen. Statt aus seinen Fehlern zu lernen, designt Crytek die meisten Passagen wieder so, dass ein Vorbeischleichen an den Gegnern im Tarnmodus völlig ausreicht. Zwar geht nach einer Weile die Energie des Anzugs aus. Kurz hinter einer Deckung zuwarten und der Nanosuit ist schon wieder betriebsbereit. Natürlich zwingt Crysis 3 uns nicht, zu schleichen. Wir haben immer die Wahl. Erst Recht, da die Levels anders als im Vorgänger wieder sehr offen gestaltet sind. Es gibt unzählige Routen und genauso viele Gegner. Doch mit genialem offenen Leveldesign hat das Spiel nicht viel gemein. Statt taktisch fordernder und aufregender Open World Schießereien wie in Far Cry 3 erwarten uns unglaublich leicht zu durchschauende Levels mit wenig Biss. Das wir uns fast nie fürs grobe Ballern im Panzermodus statt dem Schleichen entscheiden, liegt daran, dass die Gegner abermals vielzu viel einstecken und wir als Supersoldat viel zu wenig. Die Schießereien verkommen so und dank der schon wieder wie im zweiten Teil viel zu weiten und unsinnig platzieren Speicherpunkte zur Frustpartie. Schleichen im Tarnmodus jedoch ist dank der KI, die uns einfach nicht bemerkt, selbst wenn wir uns noch so dusselig anstellen, ein gemütlicher Durchmarsch durch die langen Levelabschnitte. Schnell wird das ganze erschreckend langweilig. Hat Crytek überhaupt irgendeine Kritik zu Crysis 2 gelesen oder sich nur die Grafikpreis-Trophäen in den Schrank gestellt?

Mit dem Bogen zum Ziel

Taktik gibt es trotzdem ein wenig. Wie schon im Vorgänger bekommen wir mit dem Visor ein strategisches Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, mit dem wir Gegner und Munitionskisten markieren dürfen. Diese Ansicht ist nun auch um einiges sinnvoller, da wir nebenbei noch feindliche automatische Maschinengewehre aus sicherer Entfernung hacken und gegen unsere Feinde einsetzen dürfen. Eine weitere spielerische Neuerung ist der neue Predator-Bogen, der im Vorfeld des Spiels schon viel diskutiert wurde. Passt dieser nun zum futuristischen Waffen-Repertoire? Definitiv. Das sonst eher bekannte und wenig attraktive Arsenal wird hier mit einer sehr taktischen und spaßigen Komponente ergänzt. Für uns wurde der Bogen schnell zur Lieblingswaffe, da wir nicht nur die Art der Pfeile sondern auch die Ziehgeschwindigkeit anpassen dürfen. Mit geringerer Ziehgeschwindigkeit können wir blitzschnelle Schüsse abfeuern, die jedoch weniger Schaden veursachen. Bei den Pfeilen dürfen wir aus einem normalen Karbonitpfeil, zwei Sprengpfeilen und einer Elektrovariante wählen. Letztere eignet sich besonders gut gegen unachtsame Gegner, die sich gerade im Wasser aufhalten, die Sprengpfeile sind dagegen besonders gut gegen gepanzerte Aliens zu empfehlen. So machen einige Abschnitte im Spiel tatsächlich jede Menge Spaß, jedoch eben nur sehr selten. Denn Munitionskisten für den Bogen sind rar verteilt. Die meisten Kämpfe laufen auf recht stupide Ballereinlagen hinaus, die zudem viel zu unübersichtlich geraten sind. So schön all die Bewegungsunschärfe- und Partikeleffekte des Shooters auch sind, so sehr stören sie die Übersicht und Bewegung in den Schießereien. Vor allem in den letzten zwei Levels, in denen wir mit Aliens, Energiestrahlen und lauter Blitzen, Farben und Effekten geradezu „verprügelt“ werden, hatten wir teilweise kaum noch eine Ahnung, auf was wir eigentlich noch schießen oder wo wir überhaupt hinmüssen. Überhaupt erkennen wir Gegner meist viel zu schlecht in all der Effektorgie, zudem die Steuerung recht fummelig ausfällt, was das Wechseln der Waffen angeht.

Vergesst mich nicht

Crysis 3 ist wie seine Vorgänger recht schwer ausgefallen. Häufiges Sterben ist dank der robusten Gegner keine Seltenheit. Trotzdem sollte jeder Spieler nach acht Stunden schon den Abspann sehen. So ist der dritte Teil abermals viel zu kurz geraten, doch dieses Mal sind wir tatsächlich dankbar dafür, denn Lust auf mehr hatten wir nach sieben sehr großer aber sehr eintöniger Levels, nicht mehr. Vor allem die Kämpfe gegen die Ceph, die in der ersten Hälfte des Spiels noch recht taktisch und unterhaltsam ausfallen, verkommen gegen Ende mehr und mehr zur chaotischen Effektorgie. Tiefpunkt des Spiels und der ganzen Trilogie ist schließlich der Endkampf gegen den Alpha Ceph, welcher uns eine halbe Stunde lang auf den großen Boss ballern, der uns an den Driller aus Transformers 3 erinnert, ballern lässt, bis dieser endlich irgendwann ins Gras beißt, frustrierende Tode inklusive. Die Entwickler haben im Laufe des Spiels sichtbar an Ideen verloren, so bemüht und geradezu peinlich aufgesetzt, wie auch das Ende wirkt. Verstehen können wir es jedenfalls nicht, wie ein Entwickler, der eigentlich für so großartige Spiele wie das erste Far Cry und das erste Crysis steht, uns so ein liebloses Einerlei aus Ideenlosigkeit, aufsetzen kann. Crysis 3 endet mit Prophets Worten „Vergesst mich nicht“. Tut uns Leid, alter Freund, nach diesem Tiefpunkt der Reihe, bleibt uns leider nichts anderes übrig.


Wertung
Pro und Kontra
  • fantastische Grafik
  • Beleuchtung, Wasser, Effekte als Referenz
  • gute Sprecher, gute Musik
  • sehr offene Levels mit eigener Vorgehensweise
  • Psycho als glaubwürdiger Charakter
  • Bogen als taktische Komponente
  • Multiplayer enthalten (nicht getestet)
  • Grafikstil nach dem Anfang eher trist
  • große Balanceprobleme (Tarnmodus und Schießereien)
  • Leveldesign durchschaubar und eintöniger, als es vorgibt
  • sinnlose Upgrades
  • Gegner KI oft überfordert
  • völlig hahnebüchene Story, enttäuschender Abschluss
  • Kämpfe sehr unübersichtlich
  • Speicherpunkte unfair verteilt

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



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