Wie ich Göttlichkeit erreicht habe

Ich wähle einen wohlbekannten Archetypen: Fernkämpfer/in, Magier/in, Assassine oder Ritter. Ich kombiniere diese Archetypen mit einer typischen...

von Kigosh am: 08.01.2018

Ich wähle einen wohlbekannten Archetypen: Fernkämpfer/in, Magier/in, Assassine oder Ritter. Ich kombiniere diese Archetypen mit einer typischen Fantasy-Rasse: Mensch, Zwerg, Elfe, Echse oder Untoter. Ich wache in einer mir unvertrauten Umgebung auf, weiss nicht wie ich hierher gekommen bin und plötzlich passiert eine Katastrophe. Um diese ausserordentliche Situation zu bewältigen, verbünde ich mich mit Unbekannten, die zufällig sich ergänzende Fähigkeiten mit sich bringen. Am Ende landen wir auf einer Insel und müssen herausfinden, wie wir die Fliege machen können. 

Dies ist das Grundlagenrezept für fast jedes Rollenspiel; quasi der Pizzateig aller Rollenspiele. Skyrim, KOTOR II, Elex, Diablo, oder Path of Exiles beginnen jeweils ganz ähnlich und haben teilweise auch ähnliche Klassen. So betrachtet könnte man meinen, Divinity Original Sin 2 sei rollenspielerische Fertig-Tiefkühlpizza, die man sich Zuhause 10 Minuten lang in den Ofen schiebt, um sie dann während der RTL II Trashsendung "Love Island" zu konsumieren. 

Wie bei einer guten Pizza, kommt es aber nicht nur auf den Teig an, sondern auch auf den Belag. Genauso wie jeder Mensch Pizzas mag (zumindest nach meinem verzerrten Weltbild) funktionieren Rollenspiel Klischees und Stereotypen beim Spielepublikum sehr gut. Ein Spiel, das den/die Spieler/in in die Rolle eines Buchhalters schlüpfen lässt, der mithilfe seiner Begleitern - ein administrativer Assistent, ein Jurist und eine HR-Angestellte - ein episches Abenteuer beschreitet herauszufinden, wer im Männerklo die Bürste nicht benutzt, wäre eine neue und innovative Prämisse, aber würde kaum einen Absatzmarkt finden. Oder...?

Divinity schafft es aber diese bekannten Klischees auf den Kopf zu stellen und verleiht seinem Pizzateig dadurch eine einzigartige Würze, die zum Markenzeichen von Larian Studios geworden ist. Keiner der vorgegebenen Charaktere ein richtiger Held/in. Ich habe mich für den selbstsüchtigen Schurken Ifan Ben-Mezd entschieden, der seiner Zunft alle Ehre bereitet. Ich hatte zwar Dialogoptionen, die durchaus zu einem Helden passen würden, habe mich aber immer für die "Outlaw" Option entschieden. Ich habe also den Charakter so gespielt, wie ihn die Storyautoren angedacht hatten. Wenn mich also eine holde Magd um Hilfe bat, fragte ich zuerst, was für mich dabei rausspringen wird. Schliesslich kann ich es mir nicht leisten ein Gutmensch zu sein auf meinem Weg zur Göttlichkeit. Als ob es nicht schon genug wäre die Welt zu retten... Meine Begleiter, der rote Echsenprinz oder die mörderische Sebille, sind ebenfalls von Heldenfiguren weit entfernt sind und ihre distinkte Persönlichkeiten verliehen unserer Gruppe eine besondere Atmosphäre und Dynamik. So konnte ich am Schluss nicht anders, als meinem besten Freund, der roten Echse, zum Abschied einen aufs Maul zu geben...

Die Story folgt diesem Umkehrprinzip treu. Die Götter unserer Welt sind in Not und erwählen ausgerechnet mich und meine Begleiter, um sie aus ihrer unpässlichen Lage zu befreien. Anstatt eine langweilige Gut gegen Böse Geschichte zu erzählen, lässt Divinity uns herausfinden, dass es keine klaren Linien gibt. Unsere Götter sind eben doch nicht ganz die strahlenden, wohlgesinnten Wesen. Deshalb mache ich einen auf Prometheus und rebelliere gegen "Zeus", um seinen Thron selber zu besteigen. 

Storytechnisch hat Divinity also einen passenden Mix aus wohlbekannten und geschätzten Klischees und innovativen, spannenden und frechen Ideen, was das Spiel zu einer besonderen Steinofen-Pizza vom bekannten Italiener macht und nicht zu einer weiteren Tiefkühl-Mikrowellen Pizza aus dem Supermarkt. 

Das taktische, rundenbasierende Kampfsystem hat die nötige Komplexität ohne zu überfordern. Immer wieder lässt mich das Spiel neue Wege zum Sieg finden, neue Arten Angriffe miteinander zu kombinieren und meine Umgebung in die Kämpfe miteinzubeziehen. Ich teleportiere meine Gegner in Giftpfüzen, die sie selber heraufbeschworen haben, stecke sie in Brand und kombiniere die Wasserfähigkeiten meiner Magierin mit den Donnerpfeilen meines "Bald-Gottes". Die grösste Kritik, die ich am Kampfsystem anbringen muss, ist die Balance der Schwierigkeit. Im "Explorer" Schwierigkeitsgrad gleitet man wie ein heisses Messer durch weiche Butter. Gerade ab Mitte des Spiels, wenn man schon etwas gute Ausrüstung zusammengesammelt hat, fehlt jegliche spielerische Herausforderung. Iban konnte mit zwei normalen Schüssen seiner Armbrust und einer 80% Krit Chance Boss Gegner weghauen. Auf dem zweiten und höheren Schwierigkeitsgrad hingegen wurden mir in jedem Bosskampf die Zähne ausgeschlagen, Fingernägel ausgerissen, Zehen abgehackt und Körperhaare gewachst - alles gleichzeitig. Das mag daran liegen, dass ich mich als "Casual Spieler" verstehe und ich mich mit dem Kampfsystem wohl nicht gut genug auseinandergesetzt habe. Allerdings würde ich mir gerade deshalb einen mittleren Schwierigkeitsgrad wünschen, der auch mich als "Casual Spieler" fordert ohne zu überfordern. 

Für mich ist eine hervorragende 90 für Divinity Original Sin II angemessen. Die beste Pizza der Stadt bleibt am Ende eben "nur" eine Pizza. Sie ist kein Gourmet Menü, kein kulinarisches Meisterwerk.

Ich werte etwas unterhalb der Gamestar Wertung, weil das Spiel für mich stellenweise zuviel Frustpotential hatte. Auf die Lösung von gewissen Rätsel kommt man von selber kaum ohne "Walkthroughs" und Guides zu konsultieren. Da wünsche ich mir mehr Hinweise vom Spiel. Ein bisschen "an die Hand nehmen" muss man Spieler wie mich halt schon. Wie zur Hölle soll ich darauf kommen, dass ich dieses eine Gitter mit Blut beschmieren muss, um es danach zu segnen? Solche frustrierenden Momente hatte ich ab und an. Zum Glück hielten sich die Bugs in Grenzen. Es sind durchaus einige vorhanden, aber keine gravierenden, wie Plotstopper o.ä.

 

Fazit

Divinity Original Sin II kann man getrost allen Rollenspielerinnen und Rollenspielern empfehlen und allen Fans von rundenbasierenden, taktischen Kämpfen. Wer das Spiel nur wegen seiner Geschichte spielen will, sollte sich einer Sache bewusst sein: Die Erzählweise von Divinity ist nicht unproblematisch. Die (Englische) Vertonung ist zwar grandios aber das Spiel verliert ab und zu seinen erzählerischen roten Faden. Die Story ist letztlich doch eine "Anti-Helden retten die Welt" (wenn auch auf ungewöhnliche Weise) Geschichte und gewisse Aspekte blieben mir auch nicht längerfristig in Erinnerung. Als ich mal mein Spiel zwei Wochen lang pausieren musste, musste ich dann nochmals nachlesen was es mit dem Gottkönig genau auf sich hatte, da mir das Spiel diese Figur nicht spektakulär genug vorgestellt hatte. Ein Umdrehen von Klischees kann zwar ganz witzig sein, bleibt aber letztlich unoriginell und prägt sich entsprechend nicht so stark ins Gedächtnis. Leider war meine emotionale Verbundenheit mit meinen Charakteren nicht so stark wie erhofft. Sie sind zwar von ihrer Persönlichkeit her ganz witzig aber sie schaffen es nicht mich emotional so mitzunehmen wie in einem Witcher 3. Gerade die Liebesoptionen liessen mich ziemlich kalt. Für Lohse konnte ich mich nicht begeistern, weil sie sowas von einer Prinzessin in Nöten, die gerettet werden muss, hatte und Sebille war mir zu massenmörderisch veranlagt. Eine homosexuelle Beziehung fühlt sich für einen heterosexuellen Spieler sowieso seltsam an, sie dann auch noch mit einem aristokratischen Echsenprinzen einzugehen, überspannt den Bogen definitiv. Wobei ich die Grenze ganz klar bei Echse ziehe, eine homosexuelle Beziehung mit einem untoten Akademiker wäre in Frage gekommen, doch leider war zu diesem Zeitpunkt besagter Begleiter nicht mehr "untot"... 

Nichtsdestotrotz ist Divinity Original Sins II eines meiner Spielehighlights des Jahres 2017, in das ich 107 Stunden investiert habe, die wie im Flug vergangen sind. Ich freue mich auf mehr von Larian Studios. 


Wertung
Pro und Kontra
  • Kampfsystem
  • Witzige Charaktere
  • Überraschende Wendungen in der Story
  • Vertonung
  • Rollenspielerische Freiheiten
  • Schwierigkeitsbalance
  • Teilweise Frustpotential

Zusätzliche Angaben

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(2)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.