Seite 2: Die Welt von Dragon Age: Inquisition - Die Open-World-Krankheit

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Zu groß für die Autoren

Was ich am allerwenigsten verstehe ist, dass die spannenden Nebenaufgaben doch eigentlich da sind. Nur anstatt, dass man mich diese spielen und selber erleben lässt, hat man sie zu Texten verarbeitet und in eine Art im Spiel verstecktes Browserspiel gepackt, in dem ich meine Berater auf Missionen schicken kann und entscheide, auf welche Art und Weise ich die vielen kleinen intrigenreichen Konflikte lösen will.

Der umfangreiche Charakter-Editor erlaubt schier groteske Kreationen. Der umfangreiche Charakter-Editor erlaubt schier groteske Kreationen.

Dabei trete ich sogar mit liebgewonnenen Charakteren aus den Vorgängern in Kontakt, die es nicht zu einem echten Gastauftritt gebracht haben. Das Ganze klingt spannend, kann aber natürlich in reiner Textform niemanden vom Hocker hauen. In Anbetracht dessen, dass spannende Nebengeschichten in Inquisition absolute Mangelware sind, verstehe ich also nicht, warum ich nicht einige dieser Berateraufgaben persönlich lösen darf. Das wäre zumindest deutlich spannender gewesen, als pro Gebiet acht Risse zu schließen und zehn Splitter zu sammeln.

Es macht den Eindruck, als hätte die Leveldesign-Abteilung hier eine Spielwelt geschaffen, die so monströs und gigantisch ist, dass die Story-Designer und Autoren beim Füllen dieser Welt mit interessanten Geschichten einfach nicht mehr hinterhergekommen sind. Doch leider sind es eben diese Geschichten, wegen denen ich ein Spiel der Marke Dragon Age spielen und lieben möchte.

Was kostet der Krieg?

Noch immer höre ich täglich die wunderschön gesungenen und herrlich melancholischen Tavernenlieder, die die Barden in Dragon Age: Inquisition zum Besten geben. Sie handeln von Verlust und der Sehnsucht nach besseren Zeiten ohne Angst und Krieg. Leider sind das Gefühle, die das eigentliche Spiel überhaupt nicht zu vermitteln schafft.

The Witcher ist das erste Spiel, das ich gespielt habe, dessen Entscheidungen vollkommen in einer moralischen Grauzone liegen. The Witcher ist das erste Spiel, das ich gespielt habe, dessen Entscheidungen vollkommen in einer moralischen Grauzone liegen.

Im Gegenteil, es glorifiziert den Krieg als dieses epische und ehrenhafte Unterfangen und die Geburt der Inquisition, einen noch ehrenhafteren Zusammenschluss der Rechtschaffenheit. Das ist ja auch soweit okay, wir wollen ja schließlich alle die Welt retten. Aber das Spiel verpasst dabei, mir das Elend des Krieges zu zeigen, die Grausamkeit meiner Widersacher.

Es stellt den Krieg nicht als notwendiges Übel dar, sondern als willkommene Gelegenheit für meinen eigenen Machtaufstieg. Es lässt mich nie an meiner letztendlichen Überlegenheit über den Feind zweifeln, denn es ist viel zu sehr damit beschäftigt, mir die ganze Zeit zu erzählen, wie toll meine Inquisition ist.

Raus aus der Grauzone

Das Konzept von Entscheidungsgewalt in Videospielen hat in den letzten Jahren viele verschiedene Ansätze gezeigt. Entscheidungen in Fallout 3 oder Fable basieren in der Regel auf einem simplen Gut-Böse-Konflikt und demonstrieren das sogar durch ein Karma-System im Spiel. Die Mass Effect-Reihe lässt den Spieler entweder sehr idealistisch, oder kalt und pragmatisch auftreten, in The Walking Dead drehen sich die Entscheidungen in der Regel um Vertrauen. Riskiere ich, hintergangen zu werden, oder kämpfe ich mich lieber alleine durch?

The Witcher ist das erste Spiel, das ich gespielt habe, dessen Entscheidungen sich vollkommen in einer moralischen Grauzone befinden. Ich kann mich zwischen zwei Fraktionen entscheiden, die beide sehr unterschiedliche, aber durchaus vertretbare Ansichten haben, und das Spiel verzichtet darauf, diese Entscheidung moralisch zu bewerten.

In The Walking Dead entscheide ich, ob ich anderen Überlebenden vertrauen möchte. In The Walking Dead entscheide ich, ob ich anderen Überlebenden vertrauen möchte.

In Dragon Age: Inquisition sind die meisten der zu treffenden Entscheidungen eher letzterer Art. Ich helfe entweder dieser oder jener Fraktion, um sie als Verbündete zu gewinnen oder unterstütze meine Gefährten bei diesem oder jenem persönlichen Bestreben. Es gibt dabei keinen moralischen Konflikt, sondern einen rein politischen und nur selten im Spiel wirklich merkliche Konsequenzen.

Ich vermisse Entscheidungen, die mich vor die Wahl stellen, ein persönliches Opfer zugunsten des großen Vorhabens zu bringen oder nicht. Entscheidungen, die wehtun und die mir zeigen, was es bedeutet, Anführer einer autonomen Militärorganisation zu sein, deren Erfolg um jeden Preis garantiert werden muss, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Es gibt genau eine Entscheidung im Spiel, die diesen Effekt bei mir hatte. Welche, verrate ich an dieser Stelle natürlich nicht.

»Ich bin sicher, denn der Spieler braucht mich noch!«

Es gelingt dem Spiel einfach nicht, dass mich der Krieg und die Entscheidungen, zu denen er mich zwingt, etwas kosten, ein emotionales Opfer fordern. Aus diesem Grund kann mich als Spieler auch nicht in das Leid der vom Krieg befallenen Welt hineinversetzen, das Opfer der betroffenen Menschen verstehen.

Wichtige Charaktere wie Josephine sind de facto unsterblich. Wichtige Charaktere wie Josephine sind de facto unsterblich.

Wenn ich erst einmal dahintergekommen bin, wie das Spiel funktioniert, tritt genau der gegenteilige Effekt ein, als es in der beliebten TV-Serie Game of Thrones der Fall ist. Dort sterben oft sehr unerwartet Hauptcharaktere, was einerseits für einen großen Schock bei den Zuschauern sorgt und andererseits dazu führt, dass wir uns nie in Sicherheit fühlen, stets das Gefühl haben, jeder Moment unserer Lieblingsfigur könnte ihr letzter sein.

In Inquisition hingegen habe ich stets das Gefühl, meine liebgewonnenen Gefährten seien in Sicherheit und sorge mich nicht um vermeintlich böse Überraschungen, was die Spannung der eigentlich toll erzählten Handlung natürlich deutlich mindert.

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