Wahnsinnige Shooterperle

Wahnsinnige Story? In einem Bambuskäfig gefesselt und geknebelt zu sein, kann man sich als braver Bürger wohl nur schwer vorstellen – oder Far...

von TheVG am: 10.12.2012

Wahnsinnige Story?

In einem Bambuskäfig gefesselt und geknebelt zu sein, kann man sich als braver Bürger wohl nur schwer vorstellen – oder Far Cry 3 hätte es fast geschafft, mir dieses Gefühl zu vermitteln. Während eines Abenteuerurlaubs vom Menschenhändler Vaas Montenegro gefangen genommen, sehe ich mich einer ausweglosen Situation ausgesetzt. Zum Glück war Bruderherz Grant bei der Army, dass er sich und mich aus den Fesseln befreien kann. Die Flucht gelingt auch bis zu dem Punkt, wo wir fast aus dem Dorf entkommen konnten. Da wird Vaas auf uns aufmerksam, tötet meinen Bruder, so dass mir nur noch der verzweifelte Run in die dichten Wälder dahinter bleibt. Mein Spielerego darf danach erstmal ganz verstört durchatmen, und ich sitze mit offener Kinnlade vor dem Bildschirm. Puuuh, das war ja gleich mal der Dampfhammer an spielerischer Inszenierung, der mich da plattgemacht hat...

 

Ohne Übertreibung kann man behaupten, dass Ubisoft mit Far Cry 3 wirklich etwas besser machen wollte, und das mit allen Mitteln, die möglich sind. Die Einleitung ist dermaßen intensiv gestaltet worden, dass ich gerne noch mehr gesehen hätte, bevor ich mich in das eigentliche Spiel stürze, aber ok, da werden noch ein paar Szenen kommen. Man wird in keiner der kleinen Zwischensequenzen enttäuscht sein, und nicht nur unser Feind hat animatorisch bzw. stimmlich etwas zu bieten. Der redet so eindringlich über den Wahnsinn und verkörpert ihn einfach mal so ganz locker, dass man sich schon auf den nächsten Auftritt freut. Neben Vaas werden wir auch noch auf so manch abgedrehte Gestalt treffen, die uns den Weg zur Rettung unserer Freunde ebnen oder uns nicht ganz so gut gesonnen sind. Sei es der mit Drogen vollgepumpte Dr. Earnhardt oder der verwegene Buck – die Insel scheint mit Wahnsinnigen vollgestopft zu sein.

 

Letztlich bleiben noch wir selbst, näher die Figur von Jason. Der ist genau wie unsere zu rettenden Freunde zuerst noch ein Studenten-Hans-Wurst. Durch die Aktivitäten auf dem Eiland verändert sich aber sein Charakter bald einschneidend, dass sogar seine Freundin Liza mit dem Schicksal hadert. Man stellt sich auch schnell als Spieler die Frage, ob man die Entwicklung seines Alter Egos irgendwann noch nachvollziehen kann, und ob der Wahnsinn auch Jason schon gepackt hat. Was mir besonders gut gefallen hat: Die Interaktion der Ich-Figur, in der alle Gesten sehr nachvollziehbar und flüssig gestaltet wurden. Er fuchtelt in Rage mit den Händen herum, als wäre ich das selbst, und die Bewegungen wirken zu jeder Zeit passend auf das Gezeigte abgestimmt.

 

Wahnsinnig große Insel?

Um es kurz und knackig zu resümieren: Ja. Den Spieleumfang wird man aber erst nach gut fünf Stunden so richtig erkennen. Die zuschaltbare Karte zeigt nämlich nur die Abschnitte komplett an, die wir per Erklimmen von Funktürmen sichtbar gemacht haben. Erst ein Zoom mit dem Mausrad zeigt schließlich so richtig, was denn da an Terrain noch zu entdecken ist.

 

Wollen wir aber mal der Reihe nach das Spielgefühl sezieren. Far Cry 3 geizt nämlich zu Spielbeginn schon ein wenig mit verfügbaren Waffen oder Items. Man startet mit einem von vier Waffenslots, einem kleinen Geldbeutel bzw. Munitionsvorrat. Um die jeweiligen Einheiten zu vergrößern, ist es notwendig, auf der Insel auf Tierejagd zu gehen. Denn jede größere herstellbare Tasche benötigt eine gewisse Anzahl und Art von Tierfellen, was zwar eine nette und anspruchsvolle Aufgabe zu sein scheint, jedoch ein wenig an Realismus einspart – denn warum kann ich keine mittleren und großen Geldbeutel mit derselben Tierhaut herstellen? Naja, sei´s drum, dafür sind die Reviere der verschiedenen Tierarten auf der Karte aufgeführt, was uns das Planen natürlich sichtlich erleichtert. Mit der Artenvielfalt hat sich Ubisoft auch nicht lumpen lassen, denn vom einfachen Hausschwein bis zum schwarzen Panther ist da alles wichtige vertreten. Zusätzlich dürfen wir uns noch an Nebenquests probieren, in denen wir nur mit Pfeil und Bogen die Könige des Duschungels erlegen sollen – Spannung ist hier garantiert!

 

Was eine Insel vom Aufbau her zu bieten hat, wollte 2004 schon Crytek zeigen, doch waren diese streng genommen eher linear aufgebaut gewesen. Um eine Aufgabe zu meistern, wurden die Laufwege z.B. mit unüberwindbaren Bergkämmen eingefasst. Ubisoft macht das grundlegend anders und erweiterte die Kulisse um einige Neuerungen. Grundsätzlich ist die Insel frei begehbar. Einzig wenn wir Nebenaufgaben erfüllen, wurde ein bestimmtes Gebiet markiert, das man nicht verlassen darf, sonst ist die Mission vorbei. Ich empfinde das durchaus als sinnvoll, so bleibt der Fokus auf der Quest selbst. Storymissionen bleiben davon aber unberührt, denn die sind ganz klassisch in Scriptsequenzen programmiert worden und müssen demnach erledigt werden.

 

Außerdem hat die Insel auch kleine Minispiele zu bieten, wie etwa Schuss- und Messertraining, freischaltbare Rennen oder Medizintransporte mit Checkpunkten oder eine lockere Partie Poker. Diese Spielchen sind aber eher etwas für diejenigen, die einfach das letzte Eckchen des Eilandes entdecken und jeden noch so kleinen Fetzen Spielbares auskundschaften wollen.

 

Wahnsinniger Aufwand?

Das was die Insel so aufzubieten hat, spielt uns wiederum insofern in die Hände, dass wir bald schon nicht mehr so richtig überblicken können, was denn alles für uns relevant ist. Schnell stellt sich im Laufe des Spiels nämlich heraus, dass wir gezwungen sind, unser Inventar umzustellen. Mit 1000 $ ist das Portemonnaie sehr früh voll, 32 Slots im Rucksack auch schnell befüllt, und Waffenslots sind per se viel wert im Spiel. Planungen auszuhecken ist in Far Cry 3 aber schon ein bisschen müßig, denn die Portierung der Menüs ist gelinde gesagt aufwändig. Wie viele Tierfelle brauche ich denn für eine größere Munitionstasche? Da reichen keine zwei Klicks, um das herauszufinden. Die Klickorgien können mit der Zeit schon ein wenig nerven, da viele Details erst bei den einzelnen Items sichtbar sind. Auch einfache Dinge wie Medizinspritzen machen da keinen großen Spaß, so dass man sich lieber daran macht, irgendwo eine Tasche mit entsprechendem Inhalt zu suchen oder gleich an den verschiedenen SB-Automaten einkauft.

 

Das macht auch nicht bei den verschiedenen Suchaufgaben Halt. Man kann sich - wer noch nicht genug gesucht, geschossen oder gesammelt hat –dazu noch an der Suche nach Relikten, Speicherkarten oder Briefen beteiligen, um die Hintergrundgeschichte der Insel noch eingehender kennenzulernen. Wer es sehr genau nimmt und die einzelnen Details abrufen will, wird auch hier wieder mit lästigem Geklicke bestraft. Ihr seht, es gibt so viel zu erledigen und entdecken, dass es mal mindestens 30 Spielstunden dauert, sich nur mit dem nötigsten zu beschäftigen. Wer wirklich alles haben und sein XP-Konto ordentlich aufstocken will, der kann noch locker 50-70 dazurechnen. Das macht auch mehr Sinn, sich ein wenig abseits der Story zu bewegen, weil freigeschaltete Talente das Bewegungs- und Aktionsrepertoire von Jason sinnvoll aufwerten. So sind wir vielleicht in der Lage, länger im Fluss zu tauchen, die Gesundheit zu erhöhen oder mit neuen Killmoves unsere Gegner flachzulegen.

 

Wahnsinnig anspruchsvoll?

 

Nach dem kleinen Dilemma mit Far Cry 2 in Sachen Spielbarkeit war es ebenfalls wichtig, die Kämpfe etwas dynamischer und vielseitiger zu gestalten. Ubisoft nahm sich der Sache auch entsprechend an, so dass man die Verbesserungen jederzeit spürt. Die Shootersteuerung ist im Vergleich zum ausgewachsenen Menümanko typisch gut gelungen. Mit Schusswaffen kommt man schnell und gut zurecht, auch die Nutzung von Granaten oder Sprengfallen sind kein Hexenwerk. Neu und besonders cool ist der Umgang mit dem Bogen, der ebenfalls gut von der Hand geht und ein richtiges Jägerfeeling aufkommen lässt.

 

Nicht nur das Handling ist von elementarer Bedeutung für einen Shooter dieser Art, sondern auch das Design der Gegner sowie der unmittelbaren Umgebung. Kleines Beispiel: Außenposten sind immer gut für einen Angriff, so dass sie geradezu zum Stürmen einladen. Mit entsprechender Firepower kann man das auch gerne tun, da kommt es wirklich nicht darauf an, irgendwelche Stolperfallen zu beachten, die uns das Vorhaben versalzen würden. Wer also mit einer MG in Terminator-Manier schnurstracks einlaufen will – bitte schön. Was aber fast noch mehr Spaß macht und auch ein wenig mehr Anspruch verlangt, ist das Schleichen und umsichtiges wie vorausschauendes Vorgehen. Wer dies bevorzugt, kraxelt am besten auf einen hohen Aussichtspunkt, zückt die Kamera, markiert alle vorhandenen Gegner und schaltet noch gleich eine Alarmstation aus, damit die Piraten nicht noch Verstärkung anfordern können. Ob Ihr dann diese mit dem Messer traktiert oder sie mit Schalldämpferknarren ins Jenseits schickt, bleibt Euch überlassen. Die Jungs wissen sich aber auch zu wehren. Die gehen oft in Deckung und schießen zurück, kreisen uns ein und zwingen uns immer wieder mal zum Umdenken. Zwar haben auch sie ihre Macken, dass sie Granaten dankend annehmen und nur mit panischen Kommentaren versehen, aber man muss die KI allgemein als gelungen einstufen, weil sie sich nicht nur ihrem Schicksal ergibt.

 

Das ist sogar nur optionales Geschäft, in den Storymissionen wurde gar an Abwechslung gedacht. Hier heißt es nicht nur, irgendwelche Konvois am Weiterkommen zu hindern. Man darf nicht nur einem Freund mit dem Scharfschützengewehr aus der Patsche helfen, sondern auch mal Indiana Jones spielen und eine Tempelanlage durchqueren, oder man hilft Jason mit Quick-Time-Events und Taucheinlagen, ihn aus einem sinkenden Schiff zu manövrieren. Es ist also viel los im Inselstaate, und im Shootergenre habe ich selten so viel Liebe zum Detail entdecken dürfen.

 

Wahnsinnig schön?

Wir erinnern uns ja gerne an die Zeiten von Crytek, als sie mit Teil 1 eine schöne Kulisse gestalteten und damit eine aufwändige Grafikreferenz kreierten. In Afrika konnte Teil 2 nicht wirklich mithalten, da wirkte alles ziemlich leer und leblos. Dieses Mal besann sich Ubisoft der Anfänge zurück und machte den Shooter wieder zu einem karibischen Albtraum. Nachdem Crytek mit Crysis nochmal drei oder vier Schippen in Sachen Schönheit draufgepackt hatte, muss sich Ubisoft leider mit einem mittleren Platz begnügen. Zwar sehen Vegetation und Wasser recht gut aus, das hatte aber der Vor-Vorgänger auch gut hinbekommen (zumindest mit den damaligen Möglichkeiten). Da bewegt sich jedoch kein Baum so richtig realistisch im Wind, die Texturen sind teils viel zu klobig und Innenausstattungen wiederholen sich oft. Trotzdem wirkt das Areal homogen und ladet schier zum Erkunden ein. Die Animationen habe ich schon erwähnt, die sind jedenfalls über jeden Zweifel erhaben.

 

Beim Sound gibt es dagegen weit weniger zu bemängeln, weil man von überall mit Flora und Fauna akustisch umgeben ist. Da brüllen die Tiger in der Böschung, man vernimmt ein verdächtiges Rascheln im Dickischt oder bekommt das Regenwetter plätschernd zu spüren. Auch sehr gut vertont sind die Waffengeräusche oder brummende Autos. Am meisten herausstechen können aber die Sprecherleistungen. Ich kenne zwar nur die deutsche Version, aber ehrlich gesagt will ich auch nichts anderes mehr hören. Was da ein Synchronsprecher von Matt Damon alias Vaas von sich gibt, ist unglaublich gut gelungen, und sonst sind die Leistungen in dieser Sparte mindestens ordentlich.

 

Wahnsinnig gut!

Ich bin schlicht begeistert, mit welcher Inbrunst sich Ubisoft am dritten fernen Schrei ausgelassen hat. Nimmt man mal gewisse Mankos wie übliche Portierungsprobleme oder grafische Unzulänglichkeiten beiseite, bleibt ein Open World-Shooter, der gleich zweierlei motiviert. Nicht nur, dass man in Aufgaben fast ersticken würde, sondern auch die Story, die zwar einfach gestrickt ist, aber durch Animationen, Inszenierung und ein gelungenes Drehbuch den Wahnsinn spüren lässt. So gerne habe ich mich noch nie in einen Bambuskäfig sperren lassen, um danach ordentlich aufzuräumen!


Wertung
Pro und Kontra
  • Schöne, homogene Inselwelt
  • Top Animationen
  • Offenes Leveldesign
  • Schöne Soundkulisse
  • Super Sprecherleistungen (deutsch)
  • Tolle Atmosphäre
  • Viele Nebenaufgaben
  • Unterschiedliche Herangehensweisen
  • Einfache, aber gut erzählte Story
  • Texturen manchmal schwach
  • Fummelige Menüs
  • KI-Aussetzer

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



Kommentare(4)
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