Trash, Gelächter, Grusel und Bugs

Wenn ein Spiel von manchen Magazinen mit 80% und mehr abgefeiert wird, während andere es mit 20er und 30er Wertungen abstrafen, dann wird man...

von ArtsyDartsyNBG am: 09.12.2012

Wenn ein Spiel von manchen Magazinen mit 80% und mehr abgefeiert wird, während andere es mit 20er und 30er Wertungen abstrafen, dann wird man hellhörig. Wie kann eine solche Differenz erklärt werden? Und welches Spiel kann derart polarisieren? Eines ist klar - "Into the Dark" ist derzeit eines der am kontroversesten diskutierten Nischen-Games am Markt. Wenn man sich einen groben Überblick verschafft, ist es für knapp die Hälfte der Rezensenten ein Kultgame, für ein Viertel ein innovatives, "anderes" Spiel mit gravierenden technischen Mängeln, und für das verbleibende Viertel eine Gurke.

Wie geht denn das?

Ich habe mir selbst die Demo gesaugt, als sie rauskam. Und dann, an einer bestimmten Stelle, die Demo beendet, deinstalliert, meinen Hintern zum nächsten Media Markt bewegt und mir die Vollversion zugelegt. Inzwischen bin ich zweimal durch (einmal mit Patch) und bereit, den schwierigen Versuch zu wagen, dieses Machwerk halbwegs gerecht zu bewerten. Los gehts!

1. Einstieg und Technik

Gleich am Anfang wirft uns Into the Dark eine geballte Ladung an Trash entgegen - in Form eines schräg und hässlich (mit Patch nur mehr schräg) gezeichneten Hintergrundbildes, dass Tentakel, Zombies, Nutten und einen Mann mit Oberlippenbärtchen samt Seitenscheitel in Szene setzt.



Und eines Menüs, das keinerlei Einstellungsmöglichkeiten für Grafik und Sound bietet.
Achtung: Bei keinem anderen Spiel der letzten Jahre gilt das Motto "Read the f*cking manual!" so wie bei Into the Dark. Das mitinstallierte, offenbar aus Open Office direkt zu PDF konvertierte Handbuch sowie die readme enthalten (neben einigen guten Seitenhieben und Scherzen) Informationen, die für den optimalen "Genuss" unersetzlich sind.
So blöd wie das Spiel sich gibt, ist es nämlich nicht - es zieht sich die Grafikeinstellungen direkt aus den Treibersettings und läuft immer in der nativen Auflösung des Monitors, bis 1920X1200.
Wer im AMD oder NIVIDIA Control Center die Einstellungen für AA und Filterung raufdreht, wird schlussendlich mit Texturenauflösungen und Views belohnt, die teilweise denen aktueller Spiele durchaus entsprechen. Wer es riskiert, gemäß der mitgelieferten readme auch noch in der setup.ini herumzuspielen, kann die Texturenauflösung noch einmal vervierfachen - dann wird sogar das Kleingedruckte auf einem herumliegenden Medikamentenbeipackzettel gestochen scharf lesbar. Beeindruckend.

Ärgerlich hingegen ist das völlige Fehlen von Soundeinstellungen, die Abmischung ist nämlich sehr  gewöhnungsbedürft und an manchen Stellen einfach nur versemmelt worden. Die Stimmen sind teilweise viel zu leise im Vergleich zur Soundkulisse, an manchen Stellen sogar schon im

2. Intro & Story

Da bleibt einem erstmals die Spucke weg. In einem Artwork-Stil gezeichnete, vollcolorierte und teilweise fehlfarbenkomponierte Bilder werden mit leidlichen Zoomeffekten zu einem Filmchen zusammengestöpselt, dass stilistisch und handwerklich bereits ganz laut "B-Movie!" und "Trash!" schreit, es erinnert teilweise an die Abspannsequenzen diverser Asylum Produktionen (Die Mockbusterfirma mit Perlen wie "Transmorphers" und "Snakes on a Train").
Die Story kann in Sachen Klischees locker mithalten, wir haben da einen Peter Brenner, der mit 14 Jahren aus Ösistan nach Amerika einwanderte, Highschool und College absolvierte, drei Jahre beim Militär verbrachte, danach bei der Polizei in New Jersey anheuerte und aufgrund seinem Hang zu Glücksspiel und Alkohol gefeuert wurde. In dieser Zeit dürfte sich sein Englisch noch verschlechtert haben, da ich es dem österreichischen Schulsystem durchaus zutraue, 14jährige mit einer besseren Aussprache des "TH" zu exportieren. Allerdings ist dies bereits gewollt und später für die Lösung eines Rätsels und mehrere Gags tragend.
Zurück zu Pete: Jetzt ist er Privatdetektiv, jagt entlaufene Ehemänner und untreue Katzen (oder war das umgekehrt?) und verzockt / versäuft seine gelegentlichen Honorare. Bis er über Samantha Miller stolpert, die die  Versicherungsbetrugsabteilung einer großen Insurance Company leitet. Sie offeriert ihm ein Erfolgshonorar von 2 Millionen Dollar, wenn er illegal in die Waldhütte eines kürzlich verstorbenen Wissenschaftlers eindringt und Beweise sammelt, dass der alte Knacker in Wirklichkeit in Regierungsdiensten stand. Denn dann hätte er bei der Versicherungsanmeldung damals geschummelt und Sams Firma müsste die horrende Versicherungssumme von 10 Millionen nicht zahlen. Pete nimmt an, sie fahren gemeinsam in die Wälder von Neuengland (Lovecraft lässt grüßen) und Pete erreicht endlich...

3. Das Gameplay

In der Waldhütte angekommen steht man erstmal im Finsteren. Taschenlampe gibt es keine, aber vor uns befindet sich ein Licht und ein spärlich beleuchteter Raum wo erste menschliche (?) Überreste zu sehen sind. Pete bleibt in Kontakt mit Samantha und kann so hin und wieder Recherchen anfordern oder sein Erlebtes mit ihr besprechen - meistens läuft es allerdings auf köstliche Dialoge voller gegenseitiger Sticheleien, Vorwürfe und sexueller Asnpielungen hinaus. 
Mit "M" öffnet man das Missionlog und liest die erste Aufgabe. Auf der linken Seite werden die "Investigation" Tasks gezeigt, auf der rechten die "Shooter Tasks". Man entscheidet selbst, welchen Hinweisen man folgt.



Was im ersten und letzten Level relativ belanglos ist, sorgt in den anderen Abschnitten dafür, dass sich jeder Spieler seinen Mix aus Shooter und Adventure selbst zusammenstellt. Wer mehr Rätsel-Hinweisen folgt, bekommt schwächere Gegner, aber mehr Hintergrundwissen und nützliche Skills wie Nekromantie (Die man aus dem Necronomicon lernt, kein Scherz!). Wer mehr Shooter-Aufgaben erfüllt, bekommt härtere Gegner, aber dafür auch bessere Wummen und levelt sein Schießverhalten über "Basic Gunnery" bis zu "Master Gunnery" hoch. Dabei gibt es durchaus knackige Schusswechsel, hastige Mellegefechte mit Zombienutten und Horror-Schockmomente.



Teilweise ändert sich sogar der Levelaufbau hinter unserem Rücken, je nachdem welchen Pfad wir einschlagen. Das ist so ziemlich einzigartig und sorgt für einen ordentlichen Wiederspielwert. Doch dieser liegt auch darin, dass man unbedingt jedes Easteregg, jeden Dialog, jeden Hinweis und jeden Arnold-Schwarzenegger-dialektgekauten Spruch des Protagonisten erleben will. Denn das, was dieses Spiel wirklich so einzigartig macht und fast alel Kritikpunkte negieren kann, ist...

4. Der Humor

Hier fährt das Spiel die dicksten Geschütze auf, die es diesbezüglich in Computerspielen je gab. Von relativ primitiven Gags wie der bekannten McGyver-Melodie oder

Ich habe die einzig brauchbare Batterie geklaut. Nur mehr 358 andere Wertsachen bis zum Achievement "Polnischer Ehrenbürger"

über eine sehr trockene Analyse der amerikanischen Religiösität im Bible Belt im Kontext mit ihrer Unterstützung des Irak Krieges, der ersten Real-Life-Tentakelsex-Erfahrung des Protagonisten (für die es sogar ein Achievement gibt) bis hin zu hochintelligenten Allegorien und politischen Analysen mit fragwürdigem Ausgang lässt das Spiel den Spieler alle paar Minuten entweder schmunzeln, laut Gackern & Wiehern oder gar vor Lachen vom Sessel kippen (mir zweimal passiert) - wenn man die Witze kapiert.



Auch die Estereggs haben es in sich. Das Spiel zeigt jeweils vor dem nächsten Level im Ladescreen, was den Spieler erwartet. Das können Zombienutten auf einer Bühne, Mutantenembryos in einem Tank oder sogar Schrödingers Katze sein. Aber vor einem bestimmten Level sieht man auf einmal eine Waldlichtung mit einem Bastkorb voller Eier. Als erfahrener Gamer kommt man noch darauf "Ah, hier gibt es Eastrereggs", aber wenn man dann entdeckt, dass der ganze Level ein Easteregg ist und in der Auflösung dessen noch eine köstliche Anspielung auf das berühmteste deutsche Rollenspiel versteckt wurde, dann lachen wir über die Allegorie in einer Metaebene einer Metaebene.

Und spätestens hier wird Into the Dark zu einem Allgemeinbildungs- und Intelligenztest für Spieler und Spieletester. Denn je mehr Hintergrundwissen ich über Popkultur, Computerspiele, amerikanische Geschichte, internationale Politik, Genrefilme und die Trash-Szene allgemein mitbringe, desto amüsanter, intelligenter und schlussendlich "besser" ist das "Spiel" für mich.

Oder, anders gesagt: Mit einer durchschnittlichen Bildung und einem halbwegs brauchbaren Allgemeinwissen lache ich nur drei- viermal pro Level obwohl 8-10 hervorragende Gags drin versteckt sind. Wenn mir aber Hentai, McCarthy, Mel Brooks "The Producers", John Carpenter, Gothic 2, die "Freie-Energie-Weltenverschwörung" und Basic 2.0 ein Begriff sind, komme ich aus dem hysterischen Gackern nur dann raus, wenn mir ein Monster das Lebenslicht ausbläst.

Vielleicht hätte man auf die Packung bei den Systemvoraussetzungen noch Mindestens: "gute Nerd Allgemeinbildung" und Empfohlen: "Popkulturkenner mit Abitur und Interesse an Zeitgeschichte" drucken sollen.

Und da kommen wir wieder zu der Anfangsfrage nach den so stark schwankenden Rezensionen. Die erklären sich daraus, wieviel der "fiktiven Systemvoraussetzungen" der Tester mitbringt, und als WAS er das Spiel bewertet. Und damit komme ich zum

5. Fazit:

Wenn man Into the Dark als "Survivalhorror" einstuft, ist es beinahe eine Totalgurke. Allerdings müsste man schon ziemlich dämlich sein um auf diese Idee zu kommen. Wenn man es als Trash-Horror-Comedy ansieht, ist es ein innovatives, sehr lustiges, durchaus ansprechendes Game mit einigen gravierenden technischen Macken. Wenn man sich aber sowohl auf den (wirklich wundervollen) Trash-Charme des Spieles einlässt als auch gewillt ist, wirklich jeden Zettel der irgendwo liegt zu lesen, und genug Insiderwissen für die Gags bereits mit sich herumschleppt, ist eines der genialsten Games der letzten Jahre. Für Trash- und B-Movie-Fans sowieso ein Pflichtkauf.

Dennoch kann ich aufgrund der technischen Macken der Verkaufsversion keine 80% mit meinem Gewissen vereinbaren und bleibe einen magischen Punkt darunter. Da man sich den Patch händisch von IndieDB saugen und anwenden muss, rechne ich ihn hier nicht mit ein.


Wertung
Pro und Kontra
  • Humor, Eastereggs, Anspielungen
  • Herrlicher Trash Charme
  • Teilweise ansehliche Grafiken
  • Flotte Shoot-Outs
  • Gute Hintergrundmusik
  • Einige clevere Rätsel
  • Hochintelligente, auch politische Seitenhiebe
  • Innovativer B-Movie zum Selberspielen
  • Überschreitet mehrfach die Grenzen des guten und politisch korrekten Geschmacks
  • Clipping Fehler
  • Abstürze (weniger dank Patch)
  • Miese Aufnahmequalität der Voice Overs
  • Soundabstimmung
  • Nervige Schlüsselsuchrätsel
  • Überschreitet mehrfach die Grenzen des guten und politisch korrekten Geschmacks

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



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