Life is Strange überzeugt mit Charakter

Einleitung Eine Wasserhose fegt Richtung Arcadia Bay. Keine Alarmglocken schrillen. Keine Feuerwehrsirenen konkurrieren mit dem tosenden Unwetter. Kein Mensch...

von Footy am: 01.03.2015

Einleitung

Eine Wasserhose fegt Richtung Arcadia Bay. Keine Alarmglocken schrillen. Keine Feuerwehrsirenen konkurrieren mit dem tosenden Unwetter. Kein Mensch scheint diese Katastrophe wahrzunehmen. Außer eine. Max. Sie kann sich an nichts erinnern. Wieso ist sie hier? Wie kam sie her? Egal. Sie muss sich in Sicherheit bringen.

Vom Regen durchnässt kämpft sie sich auf einem Waldpfad zum Leuchtturm hinauf. Der Tornado nimmt rasant an Größe zu. Äste, herumliegende Baumäste und ganze Bäume werden förmlich aufgefressen. Nur noch wenige Meter bis zum rettenden Hafen. Max sammelt ihre ganzen Kräfte. Jetzt bloß nicht aufgeben. Plötzlich donnert ein Schiff gegen den Turm. Die Dachspitze löst sich und steuert direkt auf Max zu …

„Alfred Hitchcock beschrieb den Film bekanntlich als Bruchstücke der Zeit.“ Max öffnet die Augen und sieht ihren Lehrer Mark Jefferson. War es nur ein Traum? Es hat sich so echt angefühlt. Max konnte immer noch den peitschenden Wind auf ihrer Haut fühlen. […]

 

 

 

Grobe Story

Max hat ihre gesamte Kindheit in Arcadia Bay verbracht, eine Kleinstadt in Oregon. Ein gemütlicher Ort. Jeder kennt jeden. Wälder und das Meer prägen die Umgebung. Mit dreizehn zog Max jedoch mit ihren Eltern nach Seattle. Sie musste ihre beste Freundin Chloe verlassen und alles hinter sich lassen.

Nun ist sie alleine zurückgekehrt um an der bekannten Blackwood Academy Fotografie zu studieren. Das sonst so schläfrige Dörfchen ist in voller Aufruhr. Eine Schülerin namens Rachel Amber ist spurlos verschwunden. Im ganzen Dorf hängen Vermisstmeldungen aus. Wäre das nicht schon aufregend genug, bemerkt Max auf einmal, dass sie die Zeit zurückdrehen kann. Sie trifft auf ihre Kindheitsfreundin Chloe, die sich in all den Jahren sehr verändert hat.

Zusammen machen sie sich auf die Suche nach Rachel Amber.

 

Die Entwickler und ihre Spiele:

Dontnod Entertainment. Wer ist bitteschön Dontnod Entertainment? Ein „junges“, französisches Entwicklerteam, die mit Life is Strange ihr zweites Spiel veröffentlichen. Das leider sehr unterschätzte Erstlingswerk -Remember Me- hat mir damals sehr gut gefallen. Zwischenzeitlich gab es das Gerücht einer Insolvenzmeldung bei Dontnod. Dontnod Chef Oskar Guilbert hat diese Meldung zum Glück als Unfug abgestempelt. Mir gefallen die Spiele von Dontnod. Remember Me hatte sehr gute Ideen, ein frisches Setting und auch das oft kritisierte Kampfsystem hat mich gut unterhalten. Life is Strange geht in eine ganz andere Richtung und meiner Meinung nach beweist Dontnod damit ihre Vielseitigkeit. Dieses Jahr soll anscheinend auch ein drittes Spiel namens Vampyr veröffentlicht werden. Ich bin auf die Umsetzung gespannt. Vor allem auf die Qualität und die Steigerung. Dontnod sollte man in Auge behalten. Sie haben ein Gespür für besondere Settings und kreative Umsetzung ihrer Ideen, nebenbei gehen sie mit sehr viel Feingefühl an ihre Geschichten ran. Ihre Titel wirken nicht wie die typischen AAA Titel, sondern haben diesen sympathischen "Indieflair". Sie trauen sich bekannte Mechaniken aus anderen Spielen mit frischen Neuerungen zu vermischen. Ich hoffe die Dontnods bleiben weiterhin so mutig.

 

Life is Strange:

Ich bin ein großer Fan der Telltale Spiele. Auch das deutsche Entwicklerstudio Daedalic Entertainment konnte mich mit vielen Spielen begeistern. Trotzdem hat mich immer etwas gestört. Die Telltale Spiele sind mir manchmal zu hektisch, manchmal zu überzogen und vor allem der zweite Walking Dead Teil hat es an einigen Stellen etwas übertrieben. Da wurde mehr mit der Holzhammermethode gearbeitet, statt ausgeklügeltem Storytelling.

Daedalic hat hingegen öfters mal einen „speziellen“ Humor, der mich nicht immer anspricht. The Whispered World war gut, aber an vielen Stellen einfach zu … „too much“. Trotzdem freue ich mich auf den zweiten Teil und auf das angekündigte Spiel The Devil´s Men.

Aber kommen wir nun zu Life is Strange. Das erste storylastige, filmähnliche Spiel, welches mich 100% überzeugen konnte. Zumindest mit der ersten Episode. Der Einstieg ist mitreißend und damit meine ich nicht unbedingt den Tornado, sondern das gezielte Einfangen der Bilder in der Zwischensequenz. Hier wird sehr schön mit der Kamera gearbeitet. Die Totale, der Blick auf den Tornado, der einstürzende Leuchtturm. Sehr gut. Andere Entwickler hätten vielleicht irgendwelche rasanten Kamerfahrten benutzt, die Soundkulisse übersteuert, Max hysterisch kreischen lassen und so weiter. In der heutigen Zeit muss ja alles Krachen, explodieren, sausen, ein reines Effektgewitter sein. Aber das ist hier nicht der Fall. Die Soundkulisse bleibt verhältnismäßig „ruhig“ und wird durch eine sanfte Hintergrundmusik abgerundet. Der ganze Einstieg wirkt ehrfürchtig.

Ich war froh, aber zugleich auch etwas besorgt. Wenn die Entwickler alle halbe Stunde so etwas raus hauen, geht der Effekt sicherlich verloren. Aber nein. Danke liebe Entwickler! Sie gehen mit so viel Feingefühl an ihre Geschichte … äh, an ihr Spiel ran. Es gibt hier nicht diese billige Effekthascherei, irgendwelche gezwungenen Reize um den Spieler an das Spiel zu binden. Wenn die Geschichte ruhig ist, sich vielleicht etwas zieht (Zum Beispiel auf dem Campus) dann ist es eben so. Das gehört dazu. Und genau das gefällt mir so gut.

Ich habe keinen Zeitdruck. Sei es im Gameplay oder in den Dialogen. Ich kann die halbe Schule erkunden, mir fast jedes Poster anschauen, mit sehr vielen Personen reden, hin und wieder gibt es Abwechslung, zum Beispiel wenn man eine Drohne fliegen darf. Und wenn man gerade keine Lust auf die Handlung hat, kann ich mich an einen Baum anlehnen oder mich ins Bett legen und der Musik lauschen, die Gedanken von Max verfolgen, meine eigenen Gedanken nachgehen. Es ist eine wahre Entschleunigung. So etwas brauchen Spiele. Egal welches Genre. Solche, ruhigen, stillen, nachdenklichen Momente. Max erlebt im Intro schon sehr viel, auch der Anfang in der Schule ist sehr spannend, aber nach so viel „Action“ benötigt ein Mensch Pause. Andere Spiele bombardieren uns mit Nonstop Action. Was passiert dadurch? Wir gewöhnen uns an einstürzenden Hochhäusern. Ein Alien mit zehn Zungen ist kein gruseliger Moment mehr und so weiter. Es wird einfach Effekt auf Effekt auf Effekt auf Effekt gestapelt, aber ohne richtige Wirkung. Hauptsache der nächste Effekt übertrumpft sich selbst. So etwas wirkt, zumindest auf mich, ermüdend. Die großen Momente oder die großen Bilder, die einen eigentlich überraschen sollten, werden einfach weggeskippt. Nicht weil sie schlecht aussehen, sondern weil das Spiel alle zehn Sekunden so einen Moment parat hat. Gäähn

Hier findet man jedoch ein gutes Mittelmaß. Mal ist es wirklich sehr spannend und dann ist es wieder ruhiger. Die richtig „großen“ Momente werden dadurch viel stärker. Wirken viel stärker. Das Intro ist der Knaller (Obwohl man als alteingesessener Zocker schon zigtausend besser aussehende Naturgewalten gesehen hat), die Szene im Klo hat mich förmlich in den Stuhl gepresst und der schönste Moment im Spiel (meine Meinung) ist der in Maxs Zimmer. Dieser Moment charakterisiert Maxine einfach perfekt. Das hergezogene Mädchen die Freunde sucht, nicht negativ auffallen will, Selbstzweifel hat, emotionale Grenzen besitzt und einfach mal allein sein will und ihre Gedanken sortiert. So wie wir es eben auch machen. Der Tag in der Schule/Arbeit war hart, so werden wir abends auch erst einmal zumindest 10 Minuten entspannen, im Bett liegen und vielleicht sogar einschlafen.

Und hier kommt für mich der große Pluspunkt. Der gezielte Einsatz vom „Effektgewitter“, die vielen kleinen Details und kleineren Abwechslungen (Drohneflug, fotografieren etc.) sind gut. Unterhalten und beeindrucken mich. Aber so etwas macht noch keine gute Geschichte, kein gutes Spiel und kein gutes Buch/keinen guten Film aus. Der Charakter trägt die Geschichte. Er entwickelt sich im Lauf der Geschichte. Wir lernen ihn näher kennen. Seine Vergangenheit, seine Sorgen, seine Persönlichkeit mit all seinen Macken (Auch Max hat Ecken und Kanten.) Hier hat Dontnod sehr gute Arbeit geleistet. Der Charakter ist nicht austauschbar, sondern lebt und zwar richtig. Max ist keine Superheldin, sondern ein normales achtzehnjähriges Mädchen. Mit all den Sorgen und Problemen die man als Jugendlicher halt so hat.

Lest euch beim Spielen unbedingt ihre Tagebucheinträge regelmäßig durch und checkt auch eure SMS Nachrichten. Dadurch wird die Immersion verstärkt.

Die Dialoge regen teilweise zum Nachdenken an. Wenn der Lehrer John Lennon zitiert (Leben ist das, was passiert, während Du fleißig dabei bist, andere Pläne zu schmieden.), Max sich die vielen Poster durchliest ("Multitasking hält dich auf Trab, aber nicht lebendig. Social Media ist kein Ersatz für Realität" – ist ja vor allem bei jüngeren Menschen ein aktuelles Thema, wie ich finde), kommt man selber ins Grübeln. Ist natürlich sehr subjektiv, aber solche Sachen runden für mich das Spiel ab. Auch die vielen Kommentare von Max, während sie sich Poster oder Personen anschaut, haben mich unterhalten und ihr gleichzeitig Leben eingehaucht.

Kontra:

Samuel, der Hausmeister der Schule, sagte: "Selbst Sonnenlicht kann Schatten werfen."

Auch Life is Strange ist kein perfektes Spiel. Die Gesichtsanimationen wirken sehr steif, generell wirken ein paar Bewegungen manchmal etwas grob/gestellt. Manche Dialogoptionen ergeben das gleiche Ergebnis. Finde ich ein wenig schade. Natürlich muss nicht jede Dialogoption irgendeine Konsequenz mit sich ziehen, aber die Antworten der jeweiligen Optionen hätten sich wenigstens Unterscheiden können. Das trübt ein wenig den Spielspaß bei mehrmaligen Durchspielen und austesten der unterschiedlichen Dialogmöglichkeiten.

Das Spielen mit der Zeit (Zeit zurückdrehen) wirkt manchmal arg gestellt, so als würde man künstlich die Spielzeit in die Länge ziehen. Die ersten zwei, drei Mal ist das zurückdrehen ganz nett , wenn man in den Dialogen zum Beispiel nicht die passende Antwort weiß, aber es nutzt sich, meiner Meinung nach, schnell ab. Zum Glück tritt das „Problem“ nicht so oft auf. Da wünsche ich mir zukünftig mehr Kreativität, auch bei den Rätseln. Klar, es ist mehr ein interaktiver Film, aber wenn dann schon Rätsel eingebaut werden, dann bisschen ideenreicher – bitte.

Ich lese sehr gerne Bücher und im Laufe der Zeit lernt man einfach viele Stereotypen kennen. Die zickige Mitschülerin. Der "Mary Sue" Antagonist. Auch hier gibt es viele Klischees. Der gutaussehende, sympathische Lehrer. Die super beliebte Schülerin, die auch noch alles weiß, gut aussieht und sich (fast) alles erlauben darf. Die Außenseiterin und so weiter. Jedoch gibt es immer wieder Momente, in denen die Figuren durch Kommentare und Bemerkungen (Tagebucheinträge) detaillierter "gezeichnet" werden. Hin und wieder gibt es auch einen überraschenden Charakterzug, den man so nicht erwartet hätte - also hält sich der "08/15 Wahn" in Grenzen. Max besitzt leider auch ein paar typische Klischees. Zumindest wenn der Spieler durch das Game "rusht". Beachtet unbedingt alle Poster undNotizen, betrachtet jeden Charakter, dann entwickelt Max eine eigenständige, nicht ganz so abgedroschene Persönlichkeit. Sie erinnert mich mittlerweile ein bisschen an Juno - zumindest wenn Max sich die Poster durchliest, da hat sie den ein oder anderen ironischen und bissigen Kommentar über.

 Man beachte: Er setzt immer dieses arrogante Grinsen auf, wenn er denkt, dass er recht hat.

 

Meine Wünsche und Fazit

Ich hoffe die Entwickler bleiben sich treu, zumindest in den nächsten zwei Episoden. Die Fäden wurden ausgeworfen, es gibt viele offene Fragen, es gibt einige Figuren die etwas verbergen und das Spielen mit der Zeit (Zeit zurückdrehen) hat schon einige interessante Momente erschaffen. Wenn die Entwickler weiterhin so … ich will es schon fast zahm nennen, mit ihrer Geschichte umgehen, diese ruhigen Momente nicht streichen und die Großen gezielt einsetzen, wird es ein sehr gutes Spiel. Mir ist bewusst, dass es irgendwann vorbei ist mit den vielen stillen Szenen, irgendwann wird man sicherlich auch nicht mehr die Schule erkunden, irgendwann wird es sicherlich hektischer usw. aber ich hoffe das wir zumindest in den nächsten zwei Episoden noch diesen tollen, ruhigen Aufbau der Geschichte haben. In der vierten Episode wird es dann hoffentlich (erst!) den großen Höhepunkt geben oder zumindest den gezielten Aufbau davon und in der fünften eine passende Verabschiedung aus der Geschichte. Bitte. Bitte. Bitte behaltet euren tollen Erzählstil und lasst euch nicht von effekthascherischen Spielen beeindrucken. Ihr habt da was ganz Tolles erschaffen.

 


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



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