Kriegs-Spiel?

Vorweg. 'Medal of Honor' erfindet das Rad nicht neu. Aber wo man bei anderen Games gnädig ein 'Lieber gut geklaut als schlecht erfunden' walten lässt, drückt...

von GROBI75 am: 24.10.2010

Vorweg. 'Medal of Honor' erfindet das Rad nicht neu. Aber wo man bei anderen Games gnädig ein 'Lieber gut geklaut als schlecht erfunden' walten lässt, drückt man EAs aktuellen Shooter zu unrecht in den Schatten von Modern Warfare. Natürlich zwingt das Setting zu Vergleichen, MoH bedient sich stellenweise auch recht offensichtlich an den letzten Call of Dutys, trotzdem birgt das Spiel Eigenständigkeit, um sich als Reihe neben MW positionieren zu können.

Afghanistan als Schauplatz hielt ich anfangs schon für etwas gewagt. Das Spiel schafft es auch nicht, den aktuellen Konflikt bemerkenswert herauszuarbeiten. Es ist halt doch nur ein Shooter. Allerdings muss man ihm zu Gute halten, dass hier kein tonnenschwerer Pathos oder Patriotismus gesattelt wird. Es gibt keine hanebüchene Verschwörung aufzudecken oder Diktatoren zu bezwingen. Keine EMP- oder Atom-Bomben, kein Amerika am Abgrund. Nur der eigene Arsch und der von Kameraden muss gerettet werden. Sonst nix. Und das nur in der kargen Landschaft Afghanistans. Ohne Weisse Häuser, Burgerbuden oder Tschernobyl.

Im Grunde gibt das nicht viel her. Zumal sich das Spiel um eine differenzierte Ausgestaltung auch nicht viel schert. Man hat es also weder mit Kriegsverbrechen zu tun und muss sich auch keine Gedanken um eine zivile Bevölkerung machen. Den Part des Fieslings übernimmt ein Schreibtischtäter in der Heimat, das ist schon auch das Höchste an Subversivität.
Allerdings gelingt durch das Szenario eine spezielle Intensität. Vollkommen entschlackt und frei von jeglicher Michael-Bay-Dramatik hat man in diesem Spiel am ehesten das Gefühl, einen Soldaten anstatt eines Statisten zu spielen. Das macht das Spielgeschehen zuweilen etwas einfältig, weil eben nicht an jeder Ecke ein Feuerwerk abgefackelt wird. Aber daher greift das mir verhasste 'Moorhuhn'-Argument hier überhaupt nicht. Natürlich werden Schiesserein über die Distanz und in Deckung ausgetragen, wie auch sonst?! Man kommt hier gar nicht erst auf die Idee mit einer Pumpgun zu versuchen die Taliban hinter jeder Deckung zu pflücken. Soldaten-Alltag sieht nun mal anders aus als in Hollwood.

Die Entwickler verstehen es allerdings, die verschiedenen Kampfeinsätze spürbar unterschiedlich zu gestalten. Die Missionen sind wesentlich geschickter miteinander verwoben. Wo CoD einen ständig auf's Neue ins kalte Wasser schmeisst, führt MoH den Spieler fast nahtlos zu seinen verschiedenen Einsätzen. Abwechslung wird am unmittelbarsten durch Tag- und Nachteinsätze suggeriert. Auch die Aufgaben verlegen sich mal auf's Schiessen, mal auf's Schleichen, dann wieder auf's Fliegen oder Fahren, aber eben in den immergleichen Kulissen.

Was nicht sonderlich stört. Die Designer beweisen ein geschicktes Händchen was das Ausleuchten der Schlachtfelder betrifft. Allerdings hat selbst das erste „Modern Warfare“ optisch die Nase vorn. Typische Macken der Unreal-Engine wie das verzögerte Nachladen von Texturen mag man noch verschmerzen. Aber die Gegner-Figuren sind wenig detailliert ausgestaltet und einfach zu klobig. Nach Granaten-Explosionen verpufft der Rauch in Millisekunden und ein paar mehr Akzente in der Umgebung wären auch nicht verkehrt gewesen
Dafür überzeugen etwa die Heli-Passagen, in denen man sich (ausschliesslich) als Bordschütze betätigt. Die vorbeizischende Landschaft sieht klasse aus, die Explosionen sind wuchtig und man hat tatsächlich das Gefühl, die gerne als überlegen angepriesene Kriegsmaschinerie einzusetzen.
Um Bauchweh aufgrund der neusten Wikileaks-Enthüllungen bei solchen Missionen vorzubeugen muss man lediglich auf die höchst bizarre Ragdoll-Mechanik verweisen, die immer wieder für unfreiliwillige Komik sorgt. Es ist mir damit gelungen, ein Fahrzeug mit einem Jeep-Geschütz ca. 100 m in Luft zu ballern.

Wo die Medallie dem Plichtruf etwas vormachen kann ist der Sound! Die Waffen klingen satter, es gibt viel mehr Kommunikation unter den Kameraden. Da hat DICE vielleicht unter die Arme gegriffen. Die Musik spart sich Zimmers gelangweiltes Gedudel und probiert sich teilweise sogar an rustikalen Einlagen. Die Einschläge der Waffen sind krachig, trotzdem bietet MW2 immer noch etwas mehr an zerstörbarer Umgebung. Lampen leuchten bei Beschuss unverdrossen weiter und man weiss selten, wann man jetzt ein Fahrzeug in die Luft gejagt hat. Auch hier nimmt man sich etwas zurück. Selbst der Beschuss auf Gasflaschen garantiert nicht immer eine Reaktion. Dafür ist das eigene Trefferfeedback markiger. Anstatt Marmelade auf’s Visier zu schmieren spürt man fast den Druck einschlagender Kugeln.

In den Multiplayer von DICE habe ich lediglich eine Viertelstunde lang reinprobiert und keinen weiteren Sinn darin gesehen, mich ins Bad Company 2/Modern-Warfare-Crossover einzuarbeiten, während ich die Originale eh auf der Platte habe. Da war nichts, was den eh schon muffeligen MP-Gamer in mir gereizt hätte.
Technisch kann zumindest der Singleplayer nur schwer mit einem „Modern Warfare“ konkurrieren. EA hätte gut daran getan, die Unterschiede präziser herauszuarbeiten. „Medal of Honor“ überzeugt mich durch seine Nüchternheit. Der Ambition einen Kontrapunkt zum Hollwood-Bombast von CoD zu setzen. Es gelingt leider nicht bis in letzter Konsequenz. Das Finale ist um Beklemmung bemüht und wenn man es etwas sacken lässt, ist es durchaus nachhaltiger als ein heldenhafter Zweikampf gegen Bin Laden oder sonstige Endgegner. Viel verrät den Schiss vor der eigenen Courage bzw. der Zielgruppe zuviel zuzumuten. Kriegspiele haben halt auch Freizeit-Unterhaltung zu sein.
Trotzdem rechne ich es dem Spiel hoch an mich in mindestens einer Mission so gepackt zu haben, wie es „Modern Warfare 2“ zu keinem Zeitpunkt konnte, weil die Kampagne schlicht zu abstrakt, zu „gespielt“ war. Wer nimmt allen Ernstes Anteil an einem vom Russen eingenommen Weissem Haus? Dabei braucht es nur drei Kameraden in einer Lehm-Hütte, die sich gegenseitig Durchhalte-Parolen zubrüllen, während die Deckung nach und nach vor den einschlagenden Rakten nachgibt und einer Hundertschaft der Taliban unter Beschuss genommen wird. So könnte also Krieg sein...


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(4)
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