Der Tower-Defense-Squad-Wahnsinn-ADHS-Fun Teil 1.5

Realistische Ballistik und -schadensmodell, Einheiten mit vielen Features, Mikromanagement, strategische Planung, Gefechte voller Taktik, Shooter-like...

von Yeager am: 19.04.2016

Realistische Ballistik und -schadensmodell, Einheiten mit vielen Features, Mikromanagement, strategische Planung, Gefechte voller Taktik, Shooter-like Atmospähre - Men of War 2 hat fast alles, was es braucht, um ein hervorragendes Echtzeitstrategiespiel zu sein. Ist es das auch?


So, meine US-Guys haben es endlich mal mit ihren Granätchen geschafft eine deutsche StuG III auszuschalten, ohne sie auch gleich zu zerstören! Während ich einen im Schutze des rauchenden Chassis in Deckung zum Sichern schickte - mit seiner popligen Rifle mit insgesamt noch 20 verbliebenen Schuss - soll der andere das Sturmgeschütz reparieren. Andernfalls war's das für meinen Versuch Nordfrankreich zurück zu erobern, da ich den feindlichen Panzerverbänden kaum etwas entgegen zu setzen habe. Sicherheitshalber habe ich dem Soldaten den Befehl gegeben nur zu feuern, wenn er selbst beschossen wird. Nun heisst es warten - lange warten - denn ich spiele im Zeitlupen-Modus. Ansonsten wäre ich nicht so weit gekommen, hätte nie die beiden Soldaten aus ihren ursprünglichen 8-Mann-Trupps heraus klamüsern und so spezielle, individuell verschiedenartige Befehle geben können. Während meine Aufmerksamkeit an allen möglichen Teilen der Map gleichzeitig gefordert ist, weil überall etwas passiert.
Willkommen bei den Männern des Krieges, Teil 2!


Men of War 1.5

Der sich kaum von Teil 1 unterscheidet, teils sogar die gleichen Karten hat. Das ist kein echter Nachfolger, sondern nur ein Vollpreis-Update. Einiges wurde verbessert (Soldaten munitionieren endlich automatisch auf in der Nähe von Versorgungs-LKWs), anderes sogar verschlechtert: Das Interface ist nun z.B. noch fummeliger, als schon im Vorgänger. Insgesamt kann man ziemlich enttäuscht sein, denn von einem Nachfolger hätte man mehr erwarten können.


Wer später schiesst, ist länger tot

Nicht von der Grafik, die ist sehr gelungen:
Wenn irgendwo etwas explodiert, was realistischer Weise nicht so häufig vorkommt, wirkt es echt. Genial sogar ist die Physik: Jedes Projektil wird mit Aufprallwinkel korrekt berechnet. Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich einen Panzer frontal, seitlich oder von hinten angreife. Abpraller können sogar Truppen in der Nähe treffen. Die Kampfentfernungen sind für RTS ebenfalls erstaunlich realistisch: Nämlich weit. Panzer bekämpften sich nun mal nicht 5 Meter nebeneinander, sondern durchaus über 2 Kilometer Entfernung. Auch MGs schiessen nicht nur auf Ziele innerhalb von 20 Metern.


Soldat oder General - was darf's sein?

Das alles macht Laune, zumal alle Geschosse Leuchtspurmunition sind, man also genau sieht, woher Schüsse kommen oder wohin sie gehen. Ausserdem kann ich bei jeder Einheit, egal ob Scharfschütze, Mörsertrupp oder Panzer - auch selbst die Kontrolle über das Schiessen übernehmen. Dabei kann man zum Beispiel Sprengmunition laden und versuchen den Sehschlitz eines Panzers zu treffen, um die Besatzung auszuschalten, ohne das Gefährt zu zerstören. Andererseits begibt man sich damit in den tödlichen Soldaten-Tunnelblick - tödlich, wegen all dem, was dann sonst noch passiert und man es verpasst - als befehlshabender Kommandant. Aber das muss auch so sein in einem RTS. Unterm Strich bleibt MoW seinen Wurzeln also treu. Es ist eine Art Company of Heroes für ganz Harte.


Lass dir Zeit, aber beeil dich!

Also genau für die Personengruppe, der ich nicht angehöre.
Für mich als alten Rundenstrategen kommt dennoch richtig Freude auf: Ich spiele das Spiel auf Superzeitlupe, die TBS schon verdächtig nahe kommt - und im Übrigen mir die fummeligen Mikromanagement-Sachen überhaupt erst ermöglicht. Dabei ist es schon auf dem niedrigsten der vier Schwierigkeitsgrade schwer. Zumindest am Anfang. Wenn man einmal hinter die Mechaniken blickte, kann man sich auch an "Hard" herantrauen. In meinem Fall aber wie gesagt nur in SlowMotion, sonst war's das mit der Taktik - die dann durch hektische, planlose, wenn auch sehr stimmungsvolle Actionszenen ersetzt wird.


Die Tower-Defense-Nicht-Kampagne

Grösster Schwachpunkt: Es gibt keine Kampagne.
Nur lose historisch aufeinander folgende Szenarien. Ich versuche es dennoch so zu spielen, als wäre da eine Kampagne und echte Menschen und nicht billiges Kanonenfutter. Dabei orientiere ich mich am Spielgefühl vom Vorbild "Blitzkrieg". Dort hatte man nur die Einheiten, die man eben hatte, sodass jede wichtig war und einem ans Herz wuchs. Das ist hier anders: Ähnlich wie bei Company of Heroes erobert man hier strategische Punkte, die Ressourcen liefern, mit denen man zwar keine Basis bauen, aber dafür endlos neue Einheiten anfordern kann. Es dauert halt nur. Zudem schalten sie bestimmte Truppengattungen frei, z.B. schwere Panzer, sodass die eigene, strategische Planung diesen Umstand berücksichtigen sollte. Sollte! Denn tatsächlich fällt das unter den Tisch, man nimmt sich meist einfach einen nach dem anderen vor. Erst auf den höheren Schwierigkeitsgraden wird dieses strategische Feature überlebenswichtig. Dazwischen jedoch erfolgen wie bei jedem stinknormalen Tower Defense Angriffswelle um Angriffswelle seitens des Feindes. Selten koordiniert, eigentlich lauter Kamikaze-Truppen, selbst bei den Nicht-Japanern. Das schmerzt, gerade im Realismus-Sinne, den das Spiel ansonsten technisch gut darstellt.


Wir haben es geschafft - wir sind gestorben

Bei den Deutschen nervt die Soundausgabe ("Wir haben es geschafft!" - 1000x in Folge, selbst wenn sie sterben, was für zynische Komik sorgt, die nicht so ganz ins ernste Szenario reinpasst), die Akzente der Amerikaner, Engländer und Japaner wirken sehr bemüht, überzeugen jedoch nie. Es gibt ohnehin nicht viele Soundfiles, sodass es letztlich bei allen nervt.


Krieg das mal auf die Kette

Kettenfahrzeuge sind Radfahrzeugen vorzuziehen. Nicht nur wegen Panzerung und Bewaffnung, sondern weil damit auch das Vor- und Zurückfahren, um in die gewünschte Ausrichtung zu kommen, wegfällt. Mit gedrückt gehaltener rechter Maustaste wurde bei den Kett-lern der Genre-Standard umgesetzt: Fahrt- UND Guck-Ausrichtung zugleich - bei den Rad-lern jedoch nicht. Wie ein Fahranfänger sind wir mehr mit Einparken beschäftigt, als mit kämpfen. Dabei fährt unser Jeep auch schön über die Sandsäcke, die unser Pionier mühselig und langwierig aufgebaut hat, während die tonnenschwere Wolverine wie eine gertenschlanke Primaballerina jene geschickt umschifft. Da kann man schon mal ein wenig explodieren vor "Freude". Wohlgemerkt: Selbst in Zeitlupe! Wie das in hektischer Normal-Echtzeit oder gar in beschleunigter Zeit abläuft, mag ich mir gar nicht erst vorstellen. Habe das bewusst nicht ausprobiert, um meine Nerven zu schonen. Wer für dieses Gamedesign-Element verantwortlich ist, darf gerne selbst noch mal zum "Spaß" zurück zur Fahrschule.


Wahnsinn mit System

Auch insgesamt läuft alles nach Schema F:
Basis einnehmen, Basis halten, Vorrücken. Dazwischen Abwehren endloser Angriffswellen. Todesmutig stürzen sich Wellen von Soldaten und Panzern in unser Abwehrfeuer. Sicher, solch einen Wahnsinn hat es im Zweiten Weltkrieg (und nicht nur da!) auch gegeben. Die Betonung liegt aber auf "auch" - und nicht "nur". MoW ist daher ein gutes Beispiel dafür, wie man als passionierter Strategie-Zocker vor dem PC hängt und sich Kopfschüttelnd denkt, um wieviel besser das Ganze sein könnte, wenn es mal zu Ende gedacht worden wäre. Allein schon das Squad-Management treibt einen in den sicheren Wahnsinn: Mal markiert es den ganzen Trupp, dann wieder nur Solisten, dann wieder alle von der Sorte, die in der Umgebung sind. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie man damit in "echter" Echtzeit oder gar im Multiplayer bestehen will. Das übersteigt meinen Horizont. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur nur zu schlecht. Oder schlimmer noch: Zu alt! Spaß macht es trotzdem allemal, so ist es nicht. Nur ist es alles andere als rund - und für einen Nachfolger viel zu wenig Neues. Am meisten schmerzt wirklich das Fehlen einer Kampagne. Da hilft auch der Editor nicht, mit dem man Szenarien selbst basteln kann.


Fazit:

Stimmungsvoll trotz fehlender Inszenierung, quasi-realistisch, durchaus sehr taktisch. Einerseits. Nicht zu Ende gedachte Mechaniken, quälendes Mikromanagement bei vermurkster Squad-Steuerung, keine Kampagne und auf Dauer nervende Sprach-Samples andererseits. Multiplayer: Nie getestet. Ich nehme aber an, dass dieser sehr stressig ausfällt. Falls man das mag.

Men of War 2 ist ein gutes Spiel - aber es hat erstens zu wenig Neuerungen für einen echten Nachfolger und ist zweitens bei Weitem nicht so gut, wie es spürbar hätte werden können. Es eignet sich nur für beinharte RTS-Strategen, die zudem über den Tower-Defense-Charakter und das stetig wiederkehrende Schema F hinwegsehen können. Oder für Leute wie mich, die aus dem RTS ein Pseudo-TBS machen, indem sie den Zeitregler nach ganz unten stellen. Was aaabeeer iiiim Laaaauuuufeee deeeeer Zeeeeit auuuch neeeerven tuuuuut.


Wertung
Pro und Kontra
  • Zeitsteuerung flexibel anpassbar
  • Realistische Ballistik
  • Realistisches Schadensmodell
  • Gute Balance
  • Keine übermächtigen Einheiten
  • Dramatische Atmosphäre trotz fehlender Inszenierung
  • Taktisch überlegtes Vorgehen notwendig
  • Sniper-Modus für alle Einheiten
  • Verschiedene Munitionstypen mit spürbar anderer Wirkung
  • Einheiten haben Inventar
  • Einheiten können verschiedene Aufgaben übernehmen (insbesondere Infanterie)
  • Einige Verbesserungen ggb. Teil 1
  • Historische Einheiten
  • Editor
  • Guter Umfang (4 Fraktionen mit je 8 Szenarien)
  • Wiederspielwert mäßig, hoch durch Editor
  • Vier Schwierigkeitsgrade, Nebel des Krieges abschaltbar
  • Komplett auf Deutsch
  • Hard to learn, harder to master
  • Katastrophale Squad-Steuerung
  • Für Genre-Einsteiger viel zu schwer
  • Selbst auf "Easy" anfangs noch zu schwer
  • Fummeliges, kleinteiliges Interface
  • Zu viel Hektik bei normaler Echtzeit
  • Zu wenig Verbesserungen ggb. Teil 1
  • Teils sogar Rückschritte (Interface)
  • Einheiten wachsen einem nicht ans Herz
  • Fehlende Inszenierung, fehlende Story, fehlende Kampagne
  • Sprachsamples nerven mit der Zeit
  • Bis zur Weissglut treibende Parkversuche mit Radfahrzeugen
  • Endlose Kamikaze-Wellen (Tower Defense)

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



Kommentare(4)
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