Mittelerde: Schatten des Krieges - Ich will es doch hassen!

Maurice will Schatten des Krieges als Tolkien-Fanatiker eigentlich bescheuert finden – aber das ist gar nicht so einfach.

Man stelle sich vor: Der Regen prasselt auf die Zinnen von Helms Klamm nieder, die hoffnungslos unterlegenen Verteidiger sprechen sich in der Kälte noch ein letztes Mal Mut zu, tausende Uruks marschieren unaufhaltsam auf die Festung zu - und Ober-Badass Aragorn ist das alles völlig schnurz. Er hat ja einen verdammten Drachen!

Auf dessen Rücken schießt er aus der Hornburg hervor, fährt mit Feuer und Krallen unter die Uruks. Der feindliche Kommandant will seine Truppen neu formieren, da gibt Aragorn mit einer lässigen Handbewegung ein Signal und einer der Uruks sticht seinem Boss ein Schwert in den Rücken. Gedankenkontrolle, ihr Versager!

Waldläufer reitet feuerspeienden Drachen. Äh, bitte was? Waldläufer reitet feuerspeienden Drachen. Äh, bitte was?

Die Uruks fallen übereinander her, Aragorn springt vom Drachenrücken mit gezückter Klinge in ihre Mitte, der Sieg scheint nahe - da bricht plötzlich ein Balrog aus dem Boden hervor! Totaler Schwachsinn? Stimmt! Und das ist genau mein Problem mit dem neuen Mittelerde-Spiel Schatten des Krieges: Schon oberflächliche Herr-der-Ringe-Kentnisse reichen, um zu erkennen, dass die Entwickler mit Tolkiens Welt so einiges Schindluder treiben. Aber sie tun das auf so coole und stilvolle Weise, dass ich ihnen gar nicht richtig böse sein kann.

Der Autor
Maurice Weber sieht sich gern als den Sauron der GameStar-Redaktion: Eine finstere, allgegenwärtige und allmächtige Präsenz, die alles, was sie berührt, mit Finsternis und Niedertracht durchtränkt. Ob er auch wie Sauron in Wirklichkeit ein ziemlich armes Würstchen ist, ein ausgezehrter Schatten, der viel mächtiger tut, als er ist, weil zwischen ihm und der totalen Vernichtung nur nur zwei Hobbits und Gollum stehen? Kein Kommentar.

Das ist nicht der Herr der Ringe!

Zwischen dem kleinen Hobbit und dem Herrn der Ringe soll in Mordor - und laut Schatten des Krieges sogar auch in Gondor - ein riesiger Ork-Bürgerkrieg stattgefunden haben, von dem später keine Sau mehr redet? Allein damit brandmarkt sich das Spiel schon als recht offensichtliche Fanfiction, die sich gar keine große Mühe gibt, ins bestehende Story-Gerüst zu passen.

Ein neuer Ring? Unfug! Ein neuer Ring? Unfug!

Aber es geht noch tiefer als das, denn Schatten des Krieges fehlt für mich auch das Herz und die Seele von Tolkiens Werk. Die Botschaft, dass selbst der kleinste Hobbit den Lauf des Schicksals zu verändern mag. Dass Faramir - wie der Weltkriegsveteran Tolkien selbst - das blanke Schwert nicht um seiner Schärfe willen, den Krieger nicht um seines Ruhmes Willen liebt, sondern nur das, was sie verteidigen.

Herr der Ringe wird größenwahnsinnig: Ausführliche Vorschau zu Schatten des Krieges

Shadow of War dagegen zelebriert seine Gewalt und all die Wege, Feinde so spektakulär wie möglich über den Jordan zu jagen. Die Antwort auf eine Macht wie die Saurons ist hier, ihr noch mehr Macht entgegenzuschmettern. Das Böse mit brutaler Gewalt, gar einem zweiten Einen Ring (das zu schreiben, schmerzt in den Fingern) in die Knie zu zwingen - genau also der eine Weg, der Tolkiens Helden nie offensteht.

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Und trotzdem…

Aber verdammt, ich kann nicht anders, als das Spiel trotzdem zu mögen! Schon im Trailer habe ich Gänsehaut bekommen, als der dunkle Herrscher Sauron vom Barad-Dûr auf seine Schergen herabsah, als der Nazgûl hinabstürzte, als der Balrog seinen feurigen Auftritt hatte. Shadow of War mag Unsinn sein - aber ist einfach verdammt cooler Unsinn! Ich liebe diese Welt und diese Figuren und habe sie, bei allen Freiheiten, lange nicht mehr so eindrucksvoll inszeniert auf dem Bildschirm gesehen.

Und es ist ja nicht so, als hätten die Spiele Mittelerde-Fans nichts zu bieten! Die Geschichte des Ringschmieds Celebrimbor ist eine der faszinierendsten Fußnoten in Tolkiens Werk, wurde davor aber nie tiefer angerissen. Mordor mal tiefer kennenzulernen als nur die immergleichen schwarzen Ebenen? Klasse!

Schatten des Krieges führt Spieler in einige der coolsten Ecken Mittelerdes, darunter die Nazgûl-Festung Minas Morgul. Schatten des Krieges führt Spieler in einige der coolsten Ecken Mittelerdes, darunter die Nazgûl-Festung Minas Morgul.

So geriet Mordors Schatten seinerzeit zu einer Fanboy-Achterbahn der Ausnahmeklasse für mich. Ich kam kaum durch, ohne mir regelmäßig kathartisch an die Stirn zu klatschen, steigerte mich in ein falsches Detail nach dem anderen hinein - und doch erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich mir widerstrebend dachte: »Okay, das war gerade verdammt cool.«

Und Schatten des Krieges scheint mit doppelter Wucht in genau die gleiche Kerbe zu schlagen. Noch abgedrehter, noch unsinniger - und noch fantastischer! Kann ich da tatsächlich mit meiner eigenen Orkarmee Minas Morgul stürmen? Okay, liebe Entwickler - ich gebe auf. Wenn ihr mir derart epische Momente serviert, dann schalte ich mein kritisches Fanhirn gerne auch mal ein paar Stunden lang aus.

Mittelerde: Schatten des Krieges - 16 Minuten Gameplay: So funktioniert Mordor 2 Video starten 16:15 Mittelerde: Schatten des Krieges - 16 Minuten Gameplay: So funktioniert Mordor 2

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