Quälende Erinnerungen

Fünf Jugendliche laufen nackt und bewaffnet durch NYC. Klar, sie werden verhaftet und als verrückt abgestempelt. Doch es soll mehr dahinterstecken, wie der...

von - Gast - am: 09.09.2008

Fünf Jugendliche laufen nackt und bewaffnet durch NYC. Klar, sie werden verhaftet und als verrückt abgestempelt. Doch es soll mehr dahinterstecken, wie der zuständige Psychiater herausfindet. 'Overclocked - eine Geschichte über Gewalt' lässt euch zum Seelenklempner werden, der selbst einen benötigt.

Quälende Erinnerungen

Gewalt ist fester Bestandteil des Lebens – ob gewollt oder nicht. Die Nachrichten berichten von Schießereien und Amokläufen, die Zeitungen tun es ihnen gleich, die Unterhaltungsindustrie zieht mit gewaltdarstellenden Medien nach. Obwohl letzteres meist rein fiktiver Natur ist, wird die Verantwortung gern auf eben diese Videospiele, Filme und Lieder abgegeben, während man sich indes unklar darüber sein möchte, wer die tatsächliche Schuld für die steigende Gewaltanwendung trägt. Sich ausbreitende Armut, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit als Erklärung wird bevorzugt kaum oder gar nicht in Erwägung gezogen. Nun, manchmal muss man sehr tief graben, um die Ursache für etwas zu finden, das man sich selbst nur schwer erklären kann.

Genau das ist Aufgabe von David McNamara, Psychiater und Spezialist für forensische Psychiatrie. Er wird extra aus Washington geordert, um sich mit den fünf jungen Menschen zu beschäftigen, die schreiend und ohne Gedächtnis in ganz New York City aufgegriffen wurden – einer von ihnen lief gar bewaffnet und nahezu vollständig unbekleidet auf einer Kreuzung herum und schoss in die Luft. Dem hiesigen Seelenklempner Dr. Robert Young, der die fünf bis zum Eintreffen McNamaras behandelt, fällt nichts besseres ein, als ihnen Beruhigungsmittel zu injizieren. Das allein führt natürlich zu nichts; die Erinnerungen von ihnen müssen ausgegraben und verarbeitet werden. Ob David der richtige Mann für diesen Job ist?

Fünf Zellen, fünf Akten

Zuerst müssen wir uns in Davids Hotelzimmer für die bevorstehenden Therapiesitzungen wappnen. Zu unserem Equipment gehört ein Pendel (zwecks Hypnose) sowie ein PDA, dessen Aufnahmefunktion uns später sehr hilfreich sein wird. Haben wir noch das bisschen Kleingeld von der Kommode eingesteckt, uns eine Straßenkarte von Flynn, dem Portier, geben lassen, können wir uns auch schon nach draußen begeben, um uns auf den Weg zur Psychiatrie zu machen. Das – für diese Art von Adventure obligatorische – Regenwetter durchnässt den Protagonisten recht schnell, sollte uns aber nicht davon abhalten, die Zeitung zu lesen, die uns vom Wind vor die Füße gefegt wird. In einem kurzen Artikel heißt es, das NYPD habe am Vortag bekanntgegeben, dass die Zahl der schwerwiegenden Gewaltdelikte bereits jetzt – am 11. November 2007 – höher als die im Vorjahr ist. Experten rechnen daher mit einem Quotenanstieg von 30% im Vergleich zu 2006. Ferner erfahren wir, dass konservative Politiker meinen, die Gewalttaten seien vor allem auf gewaltverherrlichende Videospiele und Filme zurückzuführen, wohingegen liberale Kritiker – die sich anscheinend mehr Gedanken gemacht haben – den relativ leichten Zugang zu Waffen und die steigende Armut als Ursache beklagen. Eine Diskussion, die uns auch außerdem des Spiels bekannt sein dürfte. Jedenfalls müssen wir uns nun zur Fähre begeben, die uns nach State Island bringt – die Insel, auf der unser neuer Arbeitsplatz liegt. Bei dem stürmischen Wetter kann die Schifffahrt ja heiter werden..

Im Mental Hospital Health angekommen, das von außen eher einem Gefängnis ähnelt, werden wir von Dr. Youngund der Krankenschwester Tamara Farebanks bereits erwartet – nur nicht gerade sehnsüchtig. Farebanks steht allem Anschein nach voll hinter Young, welcher, genauso wie die Schwester, nicht allzu viele Erwartungen in David steckt – sieht ganz danach aus, als stünde eine kleine Rivalität zwischen den beiden Doktoren im Haus. Zumindest dürfen wir kurz nach der kalten Begrüßung einen kurzen Blick durch die Sichtfenster in die fünf Zellen werfen, in denen sich unsere Patienten befinden. Einige von ihnen liegen einfach nur auf dem Bett, andere stehen herum, doch sie alle wirken alles andere als glücklich. Uns gleich an die Arbeit machen können wir jedoch nicht, da wir erst einmal mit Detective Moretti vom NYPD sprechen müssen, um näheres über die Zeit vor der Zwangseinweisung zu erfahren. Er erzählt uns, dass alle fünf wild um sich geschossen und geschrien haben. Was genau das zu bedeuten hat, weiß er allerdings auch nicht. Durch dieses, zugegebenermaßen wenig aufschlussreiche, Gespräch bekommt man ein erstes Gefühl für den Job und macht sich mit Moretti den ersten Freund in New York – wenngleich auffällig ist, dass er sehr neugierig ist und auch private Fragen stellt, was er mit seinem Dasein als Cop begründet – neugierig ist man da „von Natur aus“, meint er. Bei „Overclocked“ spielen auch soziale Kontakte eine Rolle – wenn auch nur eine kleine. Später dürft ihr sogar eine Bar besuchen und einen trinken gehen, wobei ihr hierbei auch neue Leute kennenlernt. Vordergründig bleibt trotz allem der Plot rund um die fünf unbekannten Menschen; das bisschen Freizeit dient vermutlich nur dazu, eine Art Arbeitsalltag zu schaffen. Jeden Abend müsst ihr nämlich brav zurück ins Hotel fahren und am nächsten Morgen wieder zur Klinik.

Nach dem Gespräch mit Moretti bekommen wir von Dr. Young die Akten mit der Bemerkung überreicht, dass die Patienten nun „uns“ gehören und er sich nicht weiter einmischen wird – ist da jemand eingeschnappt? Immerhin war es die Regierung, die David nach New York zitierte. Da kann man schonmal etwas eifersüchtig werden. Dass sich Young fortan zurücknimmt, hat jedoch auch etwas positives: David kann die Medikation ohne große Auseinandersetzungen absetzen. Das ist notwendig, da seine selbst erarbeitete Therapie nur im „nüchternen“ Zustand funktioniert. Natürlich ist Young skeptisch und teilt euch das auch mit, denn seine Young-Methode, die offensichtlich starke Medikamente mit einbezieht, habe bisher – bis auf wenige Ausnahmen – prima geklappt und er war bisher zuversichtlich, dass sie auch hier anschlägt. Hilft aber alles nichts – ab jetzt ist David der Boss. Damit ihr ungefähr wisst, was euch in den einzelnen Zimmern erwartet, empfiehlt es sich, die Aufnahmebögen zu studieren und eventuelle Gemeinsamkeiten herauszufinden. Dicke Aktenwälzer braucht ihr nicht zu befürchten; jede Akte hat nur eine Seite. Zum Beispiel seht ihr, dass alle zwischen 18 und 20 Jahren alt sind und mindestens am posttraumatischem Stresssyndrom leiden. Die Einweisungsdiagnose beläuft sich auf Selbst- und Fremdengefährdung. Besonders wegen letzterem Eintrag solltet ihr die Zellen nicht ohne den Notruf-Knopf betreten.


Quälende Erinnerungen

Es sind Erinnerungen, zu denen ihr dringen müsst, um die Patienten von ihrem Leiden zu befreien und gleichzeitig dem Grund für ihr nahezu identisches Verhalten auf die Schliche zu kommen. Weil sie alle in einem ähnlichen Zustand aufgefunden wurden (aggressiv, desorientiert, bewaffnet) liegt die Vermutung natürlich nahe, dass sie sich kennen und möglicherweise das selbe durchlebt haben. Nur was? Die Aufnahmebögen können euch dahingehend keine Antworten liefern, also müsst ihr euch zu ihnen gesellen und versuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen bzw. Zugang zu ihnen zu erlangen, was alles andere als einfach ist. David beginnt die Gespräche mit den üblichen Fragen nach dem Gemütszustand, ehe er versucht, herauszufinden, was vor der Einweisung geschehen ist. Hat einer der fünf (einigermaßen) Vertrauen gefasst, beginnt die Therapie, in der die Patienten nach und nach berichten, an was sie sich erinnern können – und zwar rückwärts. Das, was als letztes in ihrem Gedächtnis geblieben ist, erzählen sie als erstes und diese Erzählungen dürfen wir nachspielen. Dadurch kommen wir an verschiedene Schauplätze, beispielsweise einen Wald, ein abgesperrtes Gelände, durch das wir uns durchschlagen müssen oder auch in unterirdische Gänge, aus denen es einen Ausgang zu finden gilt. Das Besondere an der Erzählform ist, dass jeder Patient ein Stück zur Vervollständigung der Geschichte beiträgt. Kommt zum Beispiel in der Erinnerung des Jungen aus der ersten Zelle eine Person vor, die von der Beschreibung her auf einen der anderen Patienten passt, könnt ihr dies als Anhaltspunkt nutzen und eben diese Person aufsuchen. Die Sprachaufzeichnungen, die bei jeder Sitzung automatisch angefertigt werden, müsst ihr dem entsprechenden Zellengenossen dann nur noch vorspielen und hoffen, dass er damit Erinnerungen verbindet.

Die wesentlichen Teile des Plots ereignen sich in der Vergangenheit außerhalb der Psychiatrie. Stück für Stück taucht ihr in die Erlebnisse der zwei Frauen und drei Männer ein und kommt auf diese Weise der Ursache für das ganze Schlamassel näher. Natürlich müsst ihr auch Rätsel lösen, wobei diese in der Regel sehr einfach gestrickt sind und man, wenn man aufmerksam spielt, nicht lange nachdenken muss – weil es Hinweise gibt; entweder in den Aufnahmen, die ihr euch jederzeit anhören könnt, den Dialogen mit Moretti oder eben in den spielbaren Rückblenden selbst. Die Aufgaben, die ihr erfüllen müsst, sind größtenteils Inventar- und Suchaufgaben. Ein Patient braucht zum Beispiel ein Radio, um sich über seinen Lieblingssender zurück an ein Geschehnis erinnern zu können. Dr. Young gibt dieses allerdings nicht freiwillig her und die reizende Krankenschwester ist zu kurz angebunden, um sie dazu zu bewegen, das Gerät herauszurücken. Lösung: Ihr geht vor die Tür und betätigt den Notruf-Knopf. Während der Arzt zu den Patienten eilt um die Lage zu checken, könnt ihr euch unbemerkt das Radio besorgen. Ein Andermal hat man in einem Flashback einen Code zu knacken. Der Patient, in dessen Rolle man hierbei schlüpft, hat einen Zettel mit der Aufschrift „10 ? 2 - + : x“ in der Tasche. Also setzt man die jeweiligen Rechenzeichen zwischen die Zahlen und rechnet sie aus um kurz darauf festzustellen, dass die Ergebnise den Türcode ergeben. Einerseits positiv, da man so kaum an einer Rätselstellung hängenbleibt, andererseits hätte es sicherlich nicht geschadet, wären sie hin und wieder etwas schwerer ausgefallen.

Zurück zur Sache mit den Erinnerungen. Nicht nur eure Patienten haben mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen, auch David scheint Probleme zu haben. Jeden Abend, wenn ihr zurück im Hotel seid und alle Aufgaben erledigt habt, fasst David McNamara den Tag zusammen und spart auch nicht mit privaten Notizen – alles Sprachaufnahmen auf dem PDA, versteht sich. So erfahrt ihr ebenfalls, dass er Nachts von grauenhaften Träumen heimgesucht wird. Außerdem spricht er von einem Unfall, an dem er nichts kann. Je tiefer ihr in die Story eindringt, desto mehr erfahrt ihr über die Patienten, aber auch über den Protagonisten – beides zusammen führt euch schlussendlich zum Ziel. In dieser Hinsicht ist „Overclocked“ fast wie ein Krimi: Man sucht jemanden, der die Verantwortung für das Geschehene trägt und verdächtigt da schnell jeden. Angefangen bei Dr. Young, der einen durchgehend unsympathischen Eindruck macht, dem Detective bis hin zu irgendwelchen betrunkenen Machos in der Bar. Nichtsdestotrotz ist es ein relativ kurzes Vergnügen. Lässt man sich beim Zocken Zeit, kommt man an die angegebenen 20 Stunden heran. Wer, wie ich, etwas zügiger vorangeht, ist nach etwa 12 Stunden am Ende des Plots angelangt.

Grafik, Sound, Steuerung, Fazit

Atmosphärisch ist „Overclocked“ klasse. Es versucht nicht durch überwiegende Dunkelheit eine beklemmende Umgebung zu schaffen, sondern durch die Psychiatrie, die eher einem heruntergekommenen Gefängnis ähnelt, dem obligatorischem Regenwetter und der Geschichte an sich – besonders die Erzählform wirkt recht intensiv. Besonders die Zwischensequenzen können sich sehen lassen, wohingegen die Dialoge (die entweder automatisch ablaufen oder in denen wir durch Klicken auf eingeblendete Symbole Fragen stellen können) optisch unbeweglich und steif wirken.

Die Soundausgabe ist – abgesehen davon, dass sie manchmal etwas leise ist – durchweg gelungen. Professionelle Synchronsprecher verpassten den Charakteren passende und glaubwürdige Stimmen, aus denen man auch Emotionen heraushören kann. Musikalisch scheint sich immer wieder nur ein Lied zu wiederholen (klingt mysteriös und geheimnisvoll), was nicht weiter schlimm ist, da das Gedudel nur in bestimmten Situationen einsetzt.

Gesteuert wird konstant mit der Maus; Point&Click-Adventure eben. Im unteren Bildschirmrand wird das Inventar eingeblendet – wie üblich ist der Protagonist in der Lage, alles mögliche durch die Gegend zu tragen – von großen bis hin zu kleinen Gegenständen.

Fazit

Unterm Strich ist „Overclocked“ ein gelungenes, spannendes und ungewöhnliches Adventure. Angefangen bei der Erzählform, bei der wir im Gedächtnis der Patienten forschen müssen, bis hin zur dichten Atmosphäre und der professionellen Sprachausgabe stimmt (fast) alles. Einzig und allein zu bemängeln sind die etwas steifen Dialoge und die recht leichten Rätsel. Allerdings mindert weder das eine noch das andere den Spielspaß; im Gegenteil. Sicher gehört „Overclocked“ zu den Spielen, die man mehrmals zocken kann. Eventuell noch etwas warten, bis der Preis gesunken ist (momentan etwa 30 EU), dann kann mit Sicherheit nichts falsch machen.


Wertung
Pro und Kontra
  • Grafik: Zwischensequenzen überzeugend, atmosphärisch 1A
  • Sound: Gelungene Synchro, passende Musik
  • Balance: Spiel läuft durchweg stabil, keine Bugs o.ä.
  • Atmosphäre: Musik & Grafik sind stimmig, atmosphärisch klasse
  • Bedienung: Überwiegende Mausbedienung, leicht zu erlernen
  • Umfang: Im Umfang: Ausreichendes Handbuch
  • Handlung: Spannende Hauptstory, nette Nebenstory, intensiv
  • Charaktere: Undurchsichtig und mysteriös, passend zum Spiel
  • Dialoge: Meist aufschlussreich, niemals unnötig
  • Rätsel: Sehr leicht und daher absolut anfängertauglich
  • Grafik: Dialoge steif und unbeweglich
  • Sound: Sich wiederholende Musik, zeitweise leise
  • Balance: -
  • Atmosphäre: -
  • Bedienung: -
  • Umfang: -
  • Handlung: -
  • Charaktere: -
  • Dialoge: Wirken etwas steif in der Umsetzung
  • Rätsel: Zu leicht, keine wirkliche Herausforderung

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



Kommentare(2)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.