Project Eternity - Comeback der Partygänger

Mit Project Eternity will eine Gruppe ehemaliger Baldur's Gate-Entwickler die Glanzzeit der Old-School-Rollenspiele wiederbeleben. Wir haben den Machern für unsere Preview über die Schulter geschaut.

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Bei Gygax' Bart, nichts kriegen diese Helden in Project Eternity alleine hin! Auszeit, Lagebesprechung. Zwergenkrieger: Bitte mal die Stummelbeine in die Hand nehmen und den Elfenmagier retten, der gerade unter der fachgerechten Faustmassage eines Trolls in einen breiähnlichen Zustand überzugehen droht. Priesterin: Den Magier in eine Zauberrüstung hüllen, anschließend den Waldläufer heilen, der allergisch auf die Feuerbälle des Trollhexers da drüben reagiert. Waldläufer: Den Dolch wegstecken, den Bogen zücken und den Trollhexer schleunigst zur Eispfeil-Zielschiebe umdeklarieren. Elfenmagier: Heiltrank exen, möglichst nicht sterben und vielleicht noch die drei restlichen Trolle mittels Schlafzauber entsorgen, damit die Kameraden in Ruhe kloppen können. Alles klar? Dann weiter!

Was nach der Halbzeit-Ansprache eines dezent geistesgestörten Fußballtrainers klingt, gehörte für Rollenspieler der Jahrtausendwende zum unterhaltsamen Alltagsgeschäft: Taktische Kämpfe, in denen man der eigenen Heldengruppe in selbstbestimmten Kampfpausen jeden Schritt, jeden Zauber, jeden Schwertstreich vorgab, um sofort wieder zu pausieren und neue Order zu verteilen, sobald die aktuelle Befehlskette ausgeführt war. Außerhalb der Kloppereien gab's verzweigte Dialoge und interessante Geschichten samt amüsanter oder skurriler Auseinandersetzungen mit den eigenen Begleitern. Wer nicht liebevoll an den Krieger Minsk und seinen Kampfhamster Bo aus Baldur's Gate (»Immer auf die Augen, Bo!«) zurückdenkt, hat kein Herz oder Baldur's Gate nie gespielt.

Pillars of Eternity - Screenshots ansehen

Was freilich ein Unding wäre, schließlich legten Biowares Rollenspiel-Klassiker und die dafür entwickelte Infinity-Engine seinerzeit den Grundstein für allerlei anspruchsvoll-komplexe 2D-Abenteuer wie Planescape: Torment und Icewind Dale. Und heute? Ballert Mass Effect-Commander Shepard die Geht fast im Alleingang quer durch die Milchstraße und darf sich dennoch schon Rollenspiel-Held nennen, weil er alle drei Missionen einen neuen Granatentyp freischaltet. Okay, das war natürlich überspitzt formuliert, dennoch: Wer vom »Rollenspiel Light« der Generation Call of Duty die Schnauze voller hat als ein verschnupftes Walross, darf sich nun freuen - auf ein Spiel, das die alten Genre-Tage, die Taktikkämpfe und Gabeldialoge endlich wiederbeleben soll.

Alte Hasen im Geschäft

Wir haben Obsidian besucht, den Entwickler dieses Spiels. Die rund 100 Mitarbeiter, die dort im südkalifornischen Irvine neue Abenteuer basteln, verteilen sich auf drei Projekte: Das South Park-Rollenspiel South Park: Der Stab der Wahrheit für Ubisoft, ein geheimnisvolles »großes Spiel« für einen noch unbekannten Publisher - und dann ist da noch das kleinste der drei Spiele, an dem ein kompaktes Team von rund 15 Leuten werkelt. Doch in vielerlei Hinsicht handelt es sich bei diesem Spiel mit dem Arbeitstitel Project Eternity um die interessanteste Entwicklung der gesamten Studiogeschichte. Denn es gewährt Obsidian die einmalige Chance, ein neues Fantasy-Universum zu erschaffen, über dessen Entwicklung das Team die volle kreative Kontrolle besitzt - und mit dem es einiges vorhat.

Das klassische Rollenspiel im Stil von Baldur's Gate und Icewind Dale, das im Frühjahr 2014 erscheinen soll, könnte der Auftakt zu einer ganzen Trilogie sein. Danach ist es denkbar, in weiteren Spielen neue Regionen der (noch namenlosen) Welt zu besuchen. Langfristig schließt Obsidian sogar Ausflüge in andere Genres nicht aus: »Wir wollen eine Welt erschaffen, in der eine Vielzahl von Spielen stattfinden kann«, verspricht der Abenteuer-Veteran Josh Sawyer, der Projektleiter und Chefdesigner. »Man bekommt selten die Gelegenheit, so etwas zu entwickeln - und auch die Rechte an dem geistigen Eigentum zu behalten.« Sawyer weiß, wovon er spricht. Er sollte einst die Entwicklung von Baldur's Gate 3 leiten, doch das Projekt scheiterte wiederholt, Interplay ging die Lizenz an der Pen&Paper-Vorlage Dungeons & Dragons (D&D) und später Atari das Geld aus. Wohl auch aufgrund der erheblichen D&D-Rechtekosten liegt die Marke bis heute brach - von der jüngst erschienenen Baldur's Gate: Enhanced Edition mal abgesehen.

Dass Obsidian in einer solchen Position ist, nachdem das Studio im letzten Sommer noch unter akutem Auftragsmangel und Arbeitsplatzsorgen litt, verdankt das Studio nicht etwa einem weitsichtigen Publisher, sondern 73.986 spendablen Fans. Die Schwarmfinanzierungs-Plattform Kickstarter hat die Branche verändert, seit der Monkey Island-Veteran Tim Schafer geschickt an die Ehre der Adventure-Spieler appellierte. Sein Studio Double Fine verpackte seinen Geldsammel-Aufruf als eine Art Genre-Rettungsaktion: »Spendet uns, oder das klassische Adventure stirbt!« Die Spieler schaufelten letztlich über 3,3 Millionen Dollar in den virtuellen Klingelbeutel. Als sich Obsidian im letzten September ebenfalls an Kickstarter wandte, übernahm man dieses Erfolgsrezept, um für die Rückkehr der taktischen Party-Rollenspiele im Stil von Baldur's Gate zu trommeln - und hatte damit noch mehr Erfolg als das mittlerweile Broken Arrow getaufte Double-Fine-Adventure: Binnen 33 Tagen sammelten sich über 3,9 Millionen Dollar für Obsidians Project Eternity an.

Dass die Spielergemeinde den Entwicklern ein solches Unterfangen zutraut, hat historische Gründe. Obsidian entstand 2003 aus den Ruinen von Black Isle, der Rollenspiel-Abteilung des Publishers Interplay, der Ende der 90er-Jahre eine echte Marktmacht war. Die Brötchen der letzten zehn Jahre verdiente man sich mit Fortsetzungen von Serien anderer Studios. Wer einen Nachfolger zu einem etablierten Rollenspiel benötigte, konnte sich vertrauensvoll an Obsidian wenden: Von Knights of the Old Republic 2 bis Fallout: New Vegas lieferte das von Feargus Urquhart geleitete Studio eine Auftragsarbeit nach der anderen ab. Mit dem 2010 veröffentlichten Alpha Protocol durfte man dann mal etwas Eigenes versuchen. Das Agenten-Rollenspiel litt zwar unter technischen Problemen und verkaufte sich mäßig, erntete aber auch Lob für seine Story und Innovationen wie die Dialog-Entscheidungen unter Zeitdruck - ein Ansatz, den Telltale erfolgreich für die Walking-Dead-Adventures adaptierte.

Ortstermin bei Obsidian

Eingang Poster und Ausstellungsstücke früherer Studioproduktionen schmücken den Empfangsbereich.

Nostalgie Im Spielautomaten sind die fünf Firmengründer als spielbare Pixel-Charaktere verewigt.

Tabletop Im Obsidian-Büro gibt's ein eigenes Tabletop-Zimmer um in Arbeitspausen die D&D-Würfel auszupacken.

Mastermind Adam Brennecke ist leitender Programmierer und Executive Producer im 15-köpfigen Team für Project Eternity.

Zurück zu den Wurzeln

Nun möchte Obsidian also zurückkehren zur Rollenspiel-Glorie der späten 90er. Gemäß der Baldur's Gate-Tradition erschaffen Sie auch zu Beginn von Project Eternity den zentralen Helden, um den sie sich die Handlung rankt, und wählen dazu aus sechs Rassen (Menschen, Zwerge, Elfen, Orlans, Aumaua, Godlike) sowie elf Klassen (dazu gleich mehr). Im Spielverlauf stoßen Sie auf weitere Abenteurer, die sich Ihrer Gruppe anschließen können. Voraussichtlich acht solcher Begleiter stehen für die insgesamt sechsköpfige Party zur Wahl. Nach Entwicklerschätzungen dürfte das Heldenpersonal am Ende des Spiels bei Charakterstufe 8 oder 9 ankommen, wer besonders gründlich Nebenaufgaben erledigt, kann die vorläufige geplante Höchststufe 12 erreichen (die bei Fortsetzungen weiter steigen soll).

Mit jedem Level-Aufstieg lernen die einzelnen Figuren dazu: »Jede Klasse erhält pro Stufe eine weitere einzigartige Fähigkeit«, meint Josh Sawyer, »Dazu kommen Attributs- und Talentpunkte, die man einsetzen kann, um die Charaktere zu spezialisieren.« Der Clou: Falls es später einen Nachfolger gibt, können Sie die komplette Veteranen-Party aus dem ersten Teil importieren, der Schwierigkeitsgrad der Fortsetzung passt sich entsprechend an die höhere Startstufe an.

Eine Heldengruppe macht ein Päuschen am Lagerfeuer Eine Heldengruppe macht ein Päuschen am Lagerfeuer

Klingt in der Theorie überzeugend, aber in welchem Zustand ist die Neuerfindung des klassischen Taktik-Rollenspiels gerade? Der leitende Programmierer Adam Brennecke rollt einen verwaisten Stuhl in sein Büro, damit wir Platz nehmen und ihm über die Schulter gucken können. Derzeit tüftelt er an den Fog-of-War-Routinen, denn abhängig von der Position der Party-Mitglieder ändert sich die Sichtweite. Es ist eine der zahlreichen Modifikationen, die Obsidian in Handarbeit für die Unity-Engine programmiert. Augenblick, Unity ist doch eine 3D-Engine, die Bilder sehen aber zweidimensional aus - wie passt das zusammen?

Tatsächlich verwenden die Designer 3D-Technologie, um ein 2D-Spiel zu basteln. Im Level-Editor sieht das für den Laien verwirrend aus, doch die Entwickler wissen, wie sie damit Spielumgebungen schaffen, die das typische Gefühl der alten Infinity-Titel aufkommen lassen. Wir sehen das Geschehen aus einer fixen isometrischen Perspektive, bei der sich die Betrachterkamera zoomen, aber nicht frei drehen lässt. »Unsere Charaktere leben in einer 3D-Welt. Hinter den Kulissen ist Project Eternity also ein 3D-Spiel, das man aber in 2D sieht. Wir mussten Unity für unseren eigenartigen 2D-3D-Mischling anpassen«, erklärt Brennecke und grinst.

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