Knallharte Knacki-Simulation mit Suchtgefahr

Vorwort Prison Architect ist einer dieser Steam-Titel, der für 19 € mehr Umfang und Spielspaß bietet als mancher sogenannter Triple-A-Kandidat...

von Eronaile am: 12.10.2015

Vorwort

Prison Architect ist einer dieser Steam-Titel, der für 19 € mehr Umfang und Spielspaß bietet als mancher sogenannter Triple-A-Kandidat für 60.
Aufgabe des Spielers ist es, ein Gefängnis zu entwerfen und dabei alle nur denkbaren Aufgaben zu übernehmen, er ist Bauherr, Verwalter, Vermittler und Verantwortlicher in einer Person.
Bevor ich die einzelnen Bestandsteile unter die Lupe nehme, geht zunächst ein Riesenlob an die absolut vorbildhafte Bedienung und Nachvollziehbarkeit des Spiels.
Trotz der gewaltigen Möglichkeiten und variierbarer Komplexität, von fordernd bis Vollprofi, ist Prison Architect erstaunlich leicht zu bedienen. Die Simulation des Gefängnis-Lebens ist zu jeder Zeit nachvollziehbar, alle Aktionen der Knackis und Angestellten lassen sich schnell auf eine oder mehrere Ursachen zurückführen und die Gegenmaßnahmen (falls die Aktion problematisch war) greifen gezielt und realistisch zeitverzögert.
Ich möchte nicht wissen, wie viel Zeit und akribische Gewissenhaftigkeit die Teams der Tester und Designer gemeinsam eingesetzt haben, doch die Dankbarkeit der Spieler ist ihnen gewiss!

Um was geht es im Einzelnen?

Auf der grünen Wiese, umgeben von Schmetterlingen und Bäumen, lassen sich Schwerverbrecher kaum inhaftieren. Deshalb beginnt der Endlos-Modus mit einem kleinen LKW und einigen Bauarbeitern. Mehr steht dem zukünftigen Gefängnis-Imperator anfangs nicht zur Verfügung – kein Gebäude, kein Strom, kein Wasser, keine Mauern oder Zäune, nichts.
Ähnlich vielen anderen Simulationen wie z. B. City Skylines oder den Kult-Klassikern Theme Park / Theme Hospital beginnt der Spieler mit wenigen Aufgaben, die sich bald schon vermehren, verzweigen und mit der Größe des Gefängnisses wachsen.

Grundlagen


Zu Beginn des Simulation geht es erstmal um absolute Grundlagen: schon in einem halben Tag kommen die ersten Knackis an, d. h. zunächst baut man eine großzügig dimensionierte Auffang-Zelle, denn Einzelzellen sind erstens teuer, der Bau dauert relativ lange und sie nehmen viel Platz weg.


Was sollen die Insassen aber ohne Strom, Wasser oder Essen machen? Der logische nächste Schritt ist, die Stromversorgung mit einem Generator, die Wasserversorgung über eine Pumpe und die Mahlzeiten mit einem Küchen- und Kantinengebäude sicher zu stellen. Dabei ist es natürlich nicht mit dem Bau getan. Strom- und Wasserleitungen müssen verlegt werden, die Gebäude müssen mit der notwendigen Ausstattung versehen werden: Tische, Bänke, Küchenherde, Tiefkühlschränke und so weiter und so fort.
Hat man dies geschafft, bevor die ersten Gefangenen ankommen, hat man eine erste kleine „Mini-Wirtschaft“ erzeugt, die sich selbst versorgt und dem Spieler Zeit einräumt, während der er die nächsten Schritte angehen kann. Beispielsweise sollte man schnellstens Wächter einstellen und einen Grenzzaun um die Anlage errichten, sonst sind die ersten Ausbrüche vorprogrammiert.

 

Auch Knackis haben Ansprüche


Von dieser recht einfachen Anfangslage verzweigt sich Prison Architect in die unterschiedlichsten Gebiete, die alle mehr oder weniger stark mit den Bedürfnissen der Insassen zu tun haben. Die „Zufriedenheit“ der Knackis ist damit auch eine der Säulen, auf der die gesamte Simulation beruht. Das heißt aber nicht, dass man sich hingebungsvoll um jedes psychische oder physische Wehwehchen kümmern muss. Alternativ kann man auch durch brutale Gewalt und Disziplin zu einem erfolgreichen Knast-Verwalter aufsteigen – oder man wählt den gesunden Mittelweg.
Schnell verlangen die Insassen nach Auslauf (abgesicherte Außenanlagen), gewaschener Kleidung, Duschen für die Hygiene, Kontakt zu den Verwandten (Telefone, Besucherräume usw.) sowie etwa 15 weiteren Faktoren, die alle über ihr „Wohlbefinden“ entscheiden.
Und das gleich vorweg: Prison Architect ist dabei sehr konsequent und oft nicht ganz einfach in den Griff zu bekommen. Die Zufriedenheit der Knastbrüder lässt sich zum Beispiel nicht immer durch Einzelmaßnahmen verbessern. Fordern sie Religionsausübung, reicht es, einen Gebetsraum herzurichten. Geht es aber um allgemeinere Forderungen wie „Freiheit“ (in den Grenzen des Knasts, versteht sich), Bildung oder Kreativität, so kann man an mehreren Stellschrauben drehen. Selbst vergleichsweise einfache Forderungen wie „Hygiene“ ( = Duschen) können zu unerwarteten Probleme führen, wenn man z. B. bei der Planung nicht berücksichtigt hat, dass diese nahe bei den Zellen liegen sollten.

 

Ein Tag im Gefängnis


Eine weitere Grundlage des Spiels ist das Gefängnis-Regime. Hier legt man fest, wann die Knackis Freizeit haben, in den Zellen bleiben müssen, schlafen, an Schulungen teilnehmen oder im Knast arbeiten. Wer den Tagesablauf clever plant, kann viele potentielle Probleme im Keim ersticken. Zum Beispiel lohnt es sich, vor dem Duschen eine Stunde Zellen-Pflicht zu setzen. So müssen die Insassen nicht über die ganze Anlage verteilt zu den Duschen laufen sondern gehen alle gezielt von planbaren Orten (den Zellen) aus dorthin. Eine schnelle Verbindung, und das Hygiene-Bedürfnis kann in nur einer Stunde am Tag erledigt sein.
So wird die Architektur und Logistik der Anlage zu einer Aufgabe für sich. Wer einfach „drauf los baut“, muss damit rechnen, später kosten- und zeitintensive Umbauten vorzunehmen. Vorausplanung hilft weiter!

 

Druck von außen


Doch nicht genug damit, die viele internen Bereiche zu überwachen! Ein vertrauensvoller Gefängnisdirektor, egal ob mit einem Wohlfühl- oder Terror-Regime, ist letzten Endes natürlich der Öffentlichkeit Rede und Antwort schuldig. Geld gibt’s zwar für jeden aufgenommenen Insassen – man kann dabei die Rate der Aufnahme selbst festlegen, um nicht überfordert zu werden –, aber die benötigte Knete für Bauten, Infrastruktur und Personal sind damit allein nicht zu finanzieren. Deshalb gibt es die „Grants“, quasi Belohnungen für das Umsetzen bestimmter Ziele. Der Knast kann mindestens 100 Insassen aufnehmen --> eine fette finanzielle Belohnung winkt! Man hat das Bedürfnis nach Kreativität durch Workshops, Seminare und praktische Arbeiten gestillt --> schon gibt es eine hübsche Finanzspritze. Auch diese „grants“ fangen mit basalen Aufgaben an und passen zum gegenwärtigen Status des Knasts. Dabei ist es dem Spieler freigestellt, welche Aufgaben er wann angeht. Will ich zuerst ein sauberes Gefängnis durch Hausmeister und Gärtner erreichen oder lieber schnell an die bewaffneten Wächter und Hundepatrouillen kommen, die Krawalle respektive Schmuggelware stark reduzieren? Möchte ich schnell über die genauen Bedürfnisse der Insassen Bescheid wissen oder ist es mir wichtiger, zunächst mehr Kontrolle über das Mikromanagement zu erlangen?
Damit unterteilt sich die finanzielle Sphäre in die Tageseinnahmen und einmalige Zuschüsse, beides wichtige Werte. Wer kein Geld mehr hat, muss den Zufluss an Gefangenen reduzieren / stoppen und einen Weg finden, wieder flüssig zu werden – notfalls über Bankkredite.

 

Jedes Detail zählt!


Wer auf dem Weg zum „perfekten“ Gefängnis ist, muss sich früher oder später in die Details vertiefen. Was in Stadtsimulationen die kleinteilige Verkehrsplanung ist, ist im Gefängnis die flexible Zeitplanung von Patrouillen, die unterschiedliche Behandlung von Klein- und Schwerverbrechern bis hin zu komplett eigenen Bereichen (Zellen, Essen, Auslauf…) oder die Detailauslegung von Strafen, frühzeitigen Entlassungen und mehr.
Ganze Stunden kann man z. B. damit verbringen, die optimale Rota für Wachen zu finden. Es macht herzlich wenig Sinn, die Zellen zu bewachen, solange die Knackis alle Auslauf haben oder essen. Wer es einfach will, muss für Kantine UND Zellen Personal besorgen. Wer clever ist, teilt die Wachen und Patrouillen nur zu den Uhrzeiten für Zellen ein, in denen die Gefangenen auch dort sind. Die restliche Zeit werden sie in die Kantine, den Hof oder die Duschen geschickt.

 

Hilfe, Hilfe, ich werde unterdrückt!


Apropos Wachen: Je mehr „Präsenz“ die Jungs und Mädels mit Schlagstock zeigen – vor allem die teuren Spezialeinheiten mit Shotgun und Tazer – desto mehr werden alle nahen Gefangenen „unterdrückt“ (Suppression). Das hat einerseits den Vorteil, dass sie kaum Straftaten im Gefängnis begehen und sehr brav sind, andererseits bewegen sie sich langsamer und sind demotiviert, ihr Verhalten grundlegend zu bessern. Die bereits oben erwähnten Wachhund-Einheiten sind spezialisiert darauf, Kontrabande zu finden und Fluchttunnel zu entdecken. Abgesehen davon müssen die Hunde natürlich wie jeder Angestellte auch mal ausruhen, die putzigen Körbchen mit den Wuff-Wuff-Schlafgeräuschen sind total niiedlich :)

 

"Ist die Katze aus dem Haus" aka was passiert, wenn Insassen pöse werden


Was ist der Worst Case für jeden Direktor? Na klar, der Aufstand! Wer trotz aller Mühen die Bedürfnisse zu viele Insassen nicht in den Griff bekommt, findet sich früher oder später in diesem Alptraum wieder. Jetzt hilft nur noch, die „Riot Guard“-Spezieleinheiten der Polizei zur Hilfe zu rufen, am besten auch Feuerwehr und Notfall-Ambulanz. Die eingenommenen Bereiche müssen zurückerobert werden, doch der Stress fängt eigentlich erst danach an, wenn man alles wieder aufbauen darf… passiert ;-)

Story-Modus

Gleich beim ersten Start legt automatisch der Story-Modus los. Hier startet man mit vorhandenen Gefängnissen in unterschiedlichen Situationen und lernt die Grundlagen des Spiels auf sehr angenehme und spannende Weise lernen. Dabei werden richtige Geschichten erzählt, z. B. von der dramatischen Hintergrundgeschichte eines Insassen, von intrigierenden Mafia-Banden und der Bekämpfung handfester Aufstände im Knast.
Da ich eher der "Trial & Error"-Typ bin, bin ich relativ früh in den Endlos-Modus gewechselst, kann aber aus der kurzen Story-Episode jedenfalls sagen, dass die Inszenierung einfach toll ist. Teilweise kann man mit den Charakteren richtig mitfühlen.

 

Dagobert Duck wäre neidisch: Finanzen sind zu einfach geraten

Spätestens wenn man die ersten 100 Insassen untergebracht hat wird Prison Architect leider in Sachen Finanzen deutlich zu einfach. Die massiven Einkommen durch neue Häftlinge und Grants stehen in keinem Verhältnis zu den Ausgaben für Bau, Personal, Einrichtung usw.

 

Wem der Wusel-Charme und die Optimierung der vielen Stellschrauben im Knast genügt, der kommt bei der Langzeitmotivation gut weg. Wer hingegen eine Herausforderung liebt und gerne mit knappen Mitteln das Beste erreichen möchte, der wird sich früher oder später gelangweilt zurücklehnen, weil er bereits reicher ist als Dagobert Duck und im Grunde nie auch nur den Anflug von Geldknappheit erleben wird.

 

Da ich dies in der ersten Version dieser Rezension so stark noch nicht erfahren hatte, gibt es eine Abwertung um 4 Punkte. Persönlich, da ich die Herausforderung durch Geldknappheit liebe, wären es eher 6 Punkte. Aber für den Durchschnitt der Spieler sollte das so passen.



Fazit

Architektur, Infrastruktur, Personal, Bedürfnisse, „Quests“ / Aufgaben, Mikromanagement und mehr machen Prison Architect zu einem komplexen und überaus fesselnden Erlebnis. Man muss schon sehr aufpassen, um nicht in die Spirale aus „ach, nur noch eben dies bauen“ oder „naja, die Kleinigkeit erledige ich eben“ zu laufen und um 4 Uhr nachts (reale Uhrzeit ^^) noch den Knast zu optimieren.

Übrigens: die anfängliche Land-Parzelle ist ausreichend für eine ziemlich große Anlage. Sobald aber immer mehr Insassen eintrudeln und man vermehrt Einzelzellen baut, ist das nicht mehr genug. Das Spiel erlaubt es, anliegende Ländereien zu kaufen, um den Knast bis zu einer wahrhaft gigantischen Größe auszubauen – viel größer, als jedes Gefängnis in der Realität.
Die Langzeitmotivation ist damit sichergestellt.

Meine uneingeschränkte Empfehlung, ein Must-Have für alle Planer, Aufbau-Fans und solche, die endlich mal den Kriminellen zeigen wollen, wo es langgeht!

Eronaile


Wertung
Pro und Kontra
  • Viele Aufgabenbereiche
  • Komplex aber trotzdem gut bedienbar
  • Abwechslungsreich durch immer neue Ziele
  • "Quest"-System durch öffentl. Zuschüsse
  • Stets nachvollziehbar in Problem, Ursache, Lösung
  • Mikromanagement flexibel von fordernd bis Vollprofi
  • Packend und atmosphärisch inszenierter Story-Modus
  • Endlos-Modus erlaubt gigantische Anlagen dank Landkauf
  • Vorausplanung und kluge Grundstruktur werden belohnt
  • Langzeitmotivation garantiert
  • Preis-Leistungs-Verhältnis extrem gut
  • Erfolgreiche Teleportation von Klassikern wie Theme Hospital in die Gegenwart --> Nostalgie für ältere Semester
  • Finanziell deutlich zu einfach, reduziert Langzeitspaß wenn man Herausforderungen mag
  • Nicht alle Elemente werden ausreichend ingame erklärt (aber: vorbildliche offizielle Wiki, Community)
  • Vereinzelte Wegfindungs-Bugs
  • Feste (und einzige) Straße zur Anlieferung sorgt trotz Möglichkeit von Zwischen-Lagern spät im Spiel für lange Bauzeiten
  • Struktur-Fehler in der Anfangsphase können später meist nur teuer und langwierig behoben werden

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(6)
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