Einsatz in vier Wänden

Nur noch einmal kurz um die Ecke lehnen. Einen Blick kann ich wohl riskieren. Momente später liegt meine Spielfigur tot in eben dieser Ecke. An der...

von Martin Dietrich am: 20.05.2016

Nur noch einmal kurz um die Ecke lehnen. Einen Blick kann ich wohl riskieren. Momente später liegt meine Spielfigur tot in eben dieser Ecke. An der Selbstbeherrschung muss ich noch arbeiten. Na gut, nächste Runde sage ich mir. Dann vielleicht mit dieser schnieken Drohne die Lage vorher auskundschaften? Dieses Mal gehört die Ecke mir! Man lernt halt nie aus, auch als Spezial-Einheit nicht. 

Ein Königreich für einen Strategen  

Das Bad ist klein, aber das ist auch gut so. Nur zwei Fenster und eine Tür. Mehr brauche ich auch nicht beim taktischen Warten auf meine Gegner. Wir müssen die Geisel beschützen und ich bin Kapkan, ein russischer Vertreter der Spetznaz. Ich kann kleine, gemeine Minen an Fenstern und Türen platzieren. Und genau die habe ich vorher auch, clever wie ich bin, am Haupteingang des Hauses in die Wand gebohrt. Meine bisherige Laufbahn als Minenleger verlief eher unglücklich, 1 Kill in dutzenden Versuchen. Aber dieses Mal bin ich mir sicher, die Mine sitzt. Alternativ könnte sie auch in der Nähe der Geisel platziert werden, aber das erwarten doch die Gegner. Während ich mir meinen Minenplan nochmal durch die Großhirnrinde jage, höre ich ein Geräusch. Ha, das Bad war eine gute Idee. Ich ziele auf das Fenster.    

Die Verteidiger haben am Anfang der Runde kurz Zeit ihren Raum zu präparieren: Wände verstärken, Stacheldraht verteilen oder Sprengfallen verstecken. Absprache mit dem Team ist unbedingt zu empfehlen.

 

Die Geräusche verraten mir, dass es sich um einen schwer gepanzerten Gegner handelt. Die lauten Tapps-Töne nehmen zu. Es muss sich um zwei Gegner handeln. Auf jeden Fall hat ein Gegner ein Schild. Eine gemeine Waffe in den richtigen Händen. Von vorne fast unverwundbar, muss man im Team zusammenarbeiten, um den Koloss zu stürzen. Alternativ bieten sich auch ein speziell präpariertes Handy an. Ein Knopfdruck und das innen gelagerte C4 explodiert. Sicherlich kein altes Nokia Telefon, aber die Druckwelle haut selbst den am besten gepanzerten Soldaten um. Mein C4-Handy ist griffbereit und der Gegner schlägt auch gerade eines der Fenster ein. Noch hat er mich nicht entdeckt, aber als er seinen wohl geformten Kopf in das Bad hält, vergesse ich alle guten Vorsätze und schieße das Magazin leer. Leider konnte sich mein Gegner noch rechtzeitig zurückziehen und für ein paar Sekunden ist es wieder still. Doch bevor er sich vollends vom Fliesenraum entfernt, schmeiße ich meine C4-Ladung Richtung Fenster und Augenblicke später liegen 2 Feinde tot vor mir. Wenn jetzt noch eine der Minen hochgeht war das eine gute Runde.    

Die beschriebene Szene ist sicherlich nicht besonders und im Zusammenspiel mit einem eingespielten Team entstehen pro Match noch unzählige bessere Momente, aber selbst in solch kleinen Momenten zeigt Rainbow Six, warum es ungeheureres Potenzial hat.

Die etwas anderen Cops

Die unterschiedlichen Einheiten, im Spiel Operator genannt, sind das Herzstück der 5 vs. 5 Multiplayer Matches. Sie sind in Angreifer und Verteidiger unterteilt. Jeder der Operator hat eine spezielle Fähigkeit, wie die vorhin beschriebene Mine oder einen Herzschlagsensor, die meist den entscheidenden Unterschied in den überaus spannenden Partien machen kann. So gut wie jede Fähigkeit ist sinnvoll und ergänzt oder kontert eine andere aus. Jede Einheit hat ihre Daseins-Berechtigung und im Team ergeben sich tolle Situationen, wenn jedes Zahnrad ineinander geht. Doch nicht nur auf der eigenen Seite ergeben sich immer wieder spannende Scharmützel. Auf viele Taktiken von Angreifer oder Verteidiger gibt es eine oder mehrere Gegenstrategien. So kann ein Angreifer an Wände ein raffiniertes Gerät befestigen, das mehrere Granaten in den gegenüberliegenden Raum schleudert. Die Verteidiger haben allerdings ein Kontergerät, das feindliche Granaten abfängt und neutralisiert. Die Angreifer können wiederrum EMP-Granaten einsetzen, die können das Abfanggerät und andere elektronische Technik ausschalten. Selten gleicht sich eine Runde der anderen und die unterschiedlichen Klassen sorgen für viele unerwartete Spielsituationen.

 

Das hier ist Rook. Er verteilt spezielle Westen an seine Teamkollegen. Wiegt laut seiner Biographie nur 63kg. So ein Lauch! 

 

Ähnlich wie in MOBA-Spielen muss meine seine Rolle im Team erst kennenlernen und wissen, wie und wo man seine Fähigkeit am besten einsetzt. Das führt natürlich dazu, dass es keine samtig weiche Lernkurve gibt. Die ersten Runden in Siege werden noch etwas unbeholfen sein und viele der kleinen Feinheiten im Gameplay offenbaren sich erst nach einigen Stunden, davon profitiert allerdings enorm die Langzeitmotivation. Bis alle Tricks gelernt, alle Klassen gemeistert und vor allem die Karten auswendig vorm geistigen Auge erscheinen, wird die Ingame-Uhr noch einige Male weiter schlagen.

No Map for Old Men 

Dass die Partien noch nicht ihren Reiz verloren haben, liegt auch am Map-Design. Ubisoft hat tolle Arbeit dabei geleistet vielfältige Karten zu gestalten, die die unterschiedlichen Fähigkeiten der Klassen sinnvoll in den Spielfluss integrieren. Viele Wände sind zerstörbar, dass bedeutet als Verteidiger muss man höllisch aufpassen, sich nicht am falschen Ort zu platzieren. Vor allem auf die Decke und seinen Rücken sollte man achten. Viele Klassen verfügen über Sprengsätze, die einem die gedachte Deckung zerstören und offen für Flankierungsangriffe machen. Zum Glück ist aber die Zerstörung nicht überall einsetzbar. Die grundlegende Levelstruktur lässt sich genauso wenig zerlegen, wie viele Steinwände. Das Leben als Verteidiger wäre sonst auch wenig erbaulich, wenn jede Wand eine potenzielle Gefahrenquelle darstellen würde. So wurde ein guter Mittelweg zwischen unberechenbarer Zerstörung und übersichtlichem Leveldesign gefunden. 

Bei der Ortung von Personen, innerhalb der häufig mehrstöckigen Gebäude fällt es allerdings manchmal schwer, die Geräusche richtig zuzuordnen. Die eigenen Schrittgeräusche sind verdammt laut und mir und meinen Kollegen ist mehr als einmal passiert, dass wir von links einen Gegner gehört haben und er dann aber vor uns aufgetaucht ist. Wenn sich der Gegner sich dann noch ein oder zwei Stockwerke über einem befindet, weiß man meistens überhaupt nicht, von wo zugeschlagen werden könnte. Die Soundabmischung scheint hier einige Probleme zu haben. Es tritt nicht so häufig auf, dass es einen den Spaß nimmt, doch verursachte es schon den ein oder anderen Frustmoment. 

Zehn Spielmodi, die ich an dir hasse

Bei den Multiplayer-Matches, die wahlweise im normalen oder ranked-Modus staffinden, gibt es drei grundsätzliche Spielmodi: Geiselrettung, Bombenentschärfung und Gebietssicherung. Alles Modi, die der erfahrende Shooter Spieler schon kennt. Nach mehreren Spielstunden stellte sich die Geiselrettung als die schwierigste aller möglichen Ziele heraus. Da sie sowohl Schaden vom eigenen Team nimmt und die Angreifer viele explosive Hilfsmittel bei sich tragen, wurde die Geisel mehr als einmal von ihren Bewachern oder Rettern in die Luft gejagt. Ärgerlich, aber auch immer wieder unterhaltsam! 

In den Runden kommt es immer wieder zu kurzen, intensiven Schusswechsel, bevor man wieder bedächtig die Gegend absucht. Eine tolle Dynamik. 

 

Bei den übrigen Spielmodi kommt allerdings keine Freudenstimmung auf. Ubisoft hat nur notdürftig die Lücke für Singleplayer-Fans geschlossen. Eine richtige Kampagne existiert nicht, was durch die Ausrichtung als reines Mehrspielererlebnis auch kein Problem ist. Nur wurden an dieser Stelle ziemlich lieblose Bot-Matches ins Spiel gepresst, die so viel Spaß machen wie Warteschlangen-Telefonate. Auf den bekannten Maps darf man Moorhuhn gegen die grenzdebile KI spielen. Einzig durch ihre Masse können sie gefährlich werden und bieten keinen adäquaten Ersatz für Solisten. 

Vergiss mein Fazit nicht

Kann sich Rainbow Six: Siege gegen die Multiplayer-Dauerbrenner von Call of Duty, Battelfield und Counter Strike behaupten? Das grundsätzliche Gameplay funktioniert hervorragend, die Maps sind toll und die verschiedenen Charaktere verleihen genug Tiefgang und Langzeitmotivation. Dazu unterstützt Ubisoft das Spiel vorbildlich, neue Karten und Klassen werden kostenlos nachgeliefert (die neuen Einheiten kosten allerdings viel Ingame-Währung bei Nichtbesitz des Season Pass- fair ist es trotzdem). Die Partien sind nach einer Eingewöhnungszeit wunderbar abwechslungsreich und bieten eine tolle situative Spannung. Fast der einzige Wehmutstropfen sind die vereinzelt auftretenden Audio-Probleme, sowie Cheater und Bug-User. In meinen bisherigen Partien bin ich kaum auf derartige Schummler getroffen, wenn man sich allerdings durch Foren durchliest, hatten Andere weniger Glück. Hier muss der französische Publisher noch unbedingt nachbessern. Dann werden noch viele, viele Wände eingerissen, Häuserfassaden erklommen und C4-Fallen gelegt.   


Wertung
Pro und Kontra
  • spannende, dynamische Kämpfe
  • Klassen sinnvoll und vielseitig
  • sehr gut designte Maps mit hohem Wiederspielwert
  • unzählige Strategien- und Gegenstrategien möglich
  • Zerstörung ist sinnvoll in die Karten integriert
  • sehr guter Support, der das Spiel erweitert
  • teilweise Probleme mit dem Surround-Sound
  • unnötige und lahme Spielmodi gegen die KI
  • noch Cheater und Bug-User in den Matches

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



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