Versöhnung mit einem Gothic-Fanatiker

Das kann doch garnichts werden... Wir schreiben den 18. August 2014, ich hatte gerade in erster Näherung das Festival des vorangegangenen Wochenendes aus...

von - Gast - am: 22.08.2014

Das kann doch garnichts werden...

Wir schreiben den 18. August 2014, ich hatte gerade in erster Näherung das Festival des vorangegangenen Wochenendes aus den Knochen geschüttelt und ich sitze halbgelangweilt, halbkaputt vor dem Rechner. Da fällt es mir ein. Risen 3! Risen 3 ist doch erschienen. Wieso hab ich es noch nicht? Ah...genau. Dafür muss man kurz ausholen.

Ich darf mich zu den wohl garnicht so wenigen zählen, für die Gothic 1 und vor allem Gothic 2 (mit Addon) eines der tollsten Spiele aller Zeiten ist. Die Welt, die Quests, der Charme, das perfekt kontrollierbare Kampfsystem. Alles ist perfekt...was mich dazu verleitet hat Gothic 2 insgesamt 18 mal zu vollenden. Man darf mich also zurecht als Gothic 2-Fanatiker bezeichnen. Und zugegebenermaßen ein ausgesprochen militanter dazu. Dementsprechend auch meine tiefempfundene Sympathie für die Jungs (und Mädels) von Piranha Bytes, die es in einem sehr kleinen Team schaffen, so manchem Weltentwickler das Wasser abzugraben. 

So war ich auch Feuer und Flamme als Gothic 3 angekündigt wurde, habe es so früh wie möglich bei Amazon vorbestellt und, nun ja, wir wissen wie das ausging. Tatsächlich hab ich Gothic 3 erst dieses Frühjahr das erste mal durchgespielt (und das auch eher aus Pflichtgefühl als aus Genuß). Doch dann wurde 2009 mit Risen vieles wieder gut gemacht. Schöne Welt, das gewohnte Gameplay. Etwas hakeliges Kampfsystem aber großartiges Spiel. Mein Vertrauen war wiederhergestellt und so wanderte Risen 2 bei Ankündigung in der Collector's Edition in den Einkaufswagen, Piratenkitsch hin oder her. Doch vieles, wofür ich die Piranhas liebte fehlte...die offene Welt, der raue Charme. Gepaart mit der viel oberflächlicheren Spielmechanik und dem verhunzten Kampfsystem ergab sich ein gutes Spiel, welches aber nicht das "Feuer" entfacht hat das ich von den früheren Spielen kannte und wollte.

Dementsprechend groß war die Skepsis bei Risen 3 von Anfang an. Zwar sahen die ersten Bilder gut aus (dicke Rüstungen statt Ledermänteln, fette Schwerter und Äxte anstatt klappriger Degen), doch die Bekennung zum Gameplay von Risen 2 das lediglich verbessert werden sollte ließ mich zusammenzucken. Als ich die ersten gemischten Previews und zuletzt die eher mittelmäßigen Reviews las, war für mich klar: "Das wars, das wird nix mehr"

Letztlich kaufte ich das Spiel nur, um zu erfahren wie sehr mein Herz zerbrechen würde.

Wir schreiben nach wie vor den 18. August 2014, eine Stunde später. Das Spiel befindet sich dank Steam auf der Platte, ich starte es das erste mal in der Erwartung des Schlimmsten.

...oder doch?

Das Spiel beginnt direkt in einer Seeschlacht mit einem Schiff voller untoter Schergen. Der erste Gedanke ist positiv: Das Design der Schergen ist klasse. Da hat offenbar jemand die Orks aus Der Hobbit als Vorbild gehabt. Nach einigen mittelmäßig inszinierten Quicktime-Events dann der erste Kampf. Und hier die Überraschung: Das Kampfsystem flutscht auf den ersten Blick. Man hat zum ersten mal seit Gothic 2 das Gefühl, wirklich Herr der Lage im Kampf zu sein und nicht nur mehr oder weniger gezielt in Richtung Feind zu klicken. Dieser positive Eindruck des Kampfsystems hat sich bei mir durchs gesamte Spiel gefestigt. Ich find's klasse, lediglich manchmal etwas unübersichtlich. Erste Katastrophe abgewendet, schließlich war das Kampfsystem stets ein großer Knackpunk bei PB-Spielen, zumal diesmal auch die Animationen des Helden während des Kampfes regelrechter Augenschmauß sind. Selbst die Finishing Moves bei humanoiden Gegnern, in Teil 2 eher unfreiwillig komisch, sind jetzt teils wirklich cool und nett anzuschauen. 

Aber gut, so leicht lass ich micht nichtmehr täuschen. Erstmal abwarten. Das erste Gebiet das man besucht lässt jedoch ebenfalls gleich mein Gothic-Herz lachen, erinnert die Krabbenküste im ersten Moment doch sehr angenehm an den Canyon aus Jharkendar. Zudem gibt es bereis bevor man auch nur den ersten Schritt in Richtung Questziel tut jede Menge zu erkunden. Und das will man auch, die Welt ist schon in diesem kleinen Abschnitt so offen und einladend gestaltet, dass das Erkunden, Monsterschlachten (hach, dieses Kampfsystem!) und Sammeln von Plunder die reinste Freude ist. Aber nun erstmal die Story in Gang bringen (höhö, guter Witz. Aber dazu später) und die ersten Quests bestreiten, während denen wir mit Schwesterherz Patty in sehr schön designten Katakomben eines Tempels einen Schatz suchen. Finden tut unser namenloser Charakter nach einem irgendwo doch noch sehr zäh wirkenden Prolog jedoch bekanntermaßen nur den Tod. Nach einer eher steif inszinierten Seemannsbeerdigung geht das Spiel erst richtig los, nachdem wir von einem leicht verpeilt wirkenden Voodoo-Doktor reanimiert werden, jedoch ohne Geist. Die folgenden 30-35 Spielstunden stehen nun also in erster Linie unter dem Banner, unsere Seele wiederzuerlangen bevor wir zum willenlosen Sklaven der Unterwelt werden. Auf gehts...

Fan-Service am Mann

Aber wohin zuerst? Anders als in Risen 2 steht einem diesmal die komplette Welt mit ihrer handvoll Inseln offen. Nach einem kurzen Abstecher nach Antigua (wo wir gleich mal eben den Auftrag bekommen, die gesamte Südsee zu einen im Kampf gegen eine Flotte von Untoten, die die Meere unsicher macht) entscheiden wir uns für Calador. Und in dem Moment wo wir diese Region betreten scheint alles, was Piranha Bytes in den letzten Spielen hat missen lassen, vergessen. Diese Insel blutet Gothic aus jeder Pore. Offene, weite Landstriche, felsige Klippen, satte Weiden, Wälder, Burgruinen, lauschige Dörflein. Zudem wirkt die Zitadelle der hier ansässigen Dämonenjäger von der Architektur her ein wenig wie die Burg des alten Lagers, fantastisch. Auch die Dialoge sind wieder im gewohnt, platten und derben Ton gehalten. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Ich finde die Dialoge diesmal wieder sehr gelungen, teils entlockte mir so manch stumpfer oder zynischer Kommentar unseres Alter Egos ein Lachen oder zumindest ein Grinsen. Auch die Begleiter melden sich ab und an zu Wort und geben teils sehr unterhaltsame Kommentare ab. Klar braucht man hier nicht die Tiefe eines Bioware-Rollenspiels erwarten, aber nettes Beiwerk ist es allemal. 

Auch die Garderobe entspricht eher der gepanzerten Mode eines Gothic oder Risen 1 und nicht die flädderigen Lederlappen aus dem 2. Teil. Seien es nun die Panzer der Wächter oder die flauschigen Panzermäntel der Dämonenjäger (deren Ähnlichkeit mit den Drachenjägern aus Gothic 2 wohl auch kein Zufall ist). 

Außerdem nimmt sich Piranha Bytes oft selbst aufs Korn, in dem sie Gags, Sprüche und ganze Charaktere (Nervensäge Mud gibt es nun auch im Risen-Universum) aus alten Spielen wieder aufgreifen, so gibt es auf Calador einen Kerl, der sich lauthals darüber beschwert dass jemand eine zweite Tür in seine Hütte gehauen hat und jetzt jeder Depp durchrennt. Als Veteran der alten PB-Spiele kommt man hier aus den "Ha, wie geil"-Momenten teils garnicht raus. 

Auch die anderen Inseln, allen voran Tanaris, schlagen in die gleiche Kerbe und vermitteln genau das, was ich an Piranha's Spielen immer geliebt habe. Kila mit den Voodoo-Piraten und den (äußerst klischeehaften) Ureinwohnern hätte man sich jedoch meines Erachtens trotzdem sparen können, wobei auch das Urwald-Setting gut umgesetzt wurde.

Alles in allem darf man festhalten, dass Piranha Bytes in meinen Augen mit Risen 3 seine schönste Welt geschaffen hat und steckt damit auch das im Vergleich eher generisch wirkende Skyrim locker ein. 

Design versus Technik

Nicht nur die Welt hat Piranha Bytes wunderbar gestaltet, auch das Monsterdesign ist großartig. Vom federbestückten Scavenger über riesige Warane bishin zu Golems verschiedener Geschmacksrichtungen und Schattenwesen, jedes Monster ist herrlich abgefahren und stimmig designt und v.a. die Golems sehen richtig toll aus. Auch die Animationen sind im Grunde oft sehr schick, sei es nun im Kampf oder wenn Scavenger eifrig im Boden picken. Aber wo viel Licht, da ist auch viel Schatten. Die Gesichter sehen aus wie vor 10 Jahren und oftmals gehen Animationen auch komplett in die Hose (Charaktere bleiben hängen, im Kampf klebt man an Kanten fest) und v.a. die In-Game-Zwischensequenzen wirken zumeist sehr unbeholfen und abgehakt. Allgemein, das tolle Design und die wunderschöne Lichtstimmung kann nur teils darüber hinwegtäuschen dass die Engine einfach schon das ein oder andere Jahr zuviel auf dem Buckel hat. 

Wann kommt endlich Fahrt auf?

Also, nach 5 Stunden sitze ich baff vorm Rechner: Risen 3 hat mich trotz des sehr zähen Prologs voll gepackt. Das Kampfsystem ist mit ein paar Ausnahmen ein Hochgenuß, das Design ist spitze, die Atmosphäre so gut wie in Hochzeiten. Ich warte immer noch auf die bittere Pille die es mir versaut. Doch auch nach 10 weiteren Stunden bin ich immer noch in der totalen Sucht aus Charakterentwicklung, Entdeckung, Kämpfen, Sammeln und das Selbe von vorne. Erst als diese Euphorie irgendwann etwas abflaut sieht man langsam den Dämpfer kommen: Die grundsätzlich interessante Story wird lustlos und absolut nebenbei abgespult, vor allem gegen Ende sind die Main-Quests meist nur noch Pflichtarbeit die man erledigt, während man die schöne Welt weiter auskundschaftet. Trauriger Höhepunkt ist das völlig zurecht bemängelte Ende. Nach einem durchaus spaßigen Endkampf wird man mit völlig inhaltslosen, kurzen und lahmen Sequenzen abgespeist. Was wird aus den Titanenlords, wie gehts mit der Menschheit weiter? Nichtmal eine Texteinblendung. Äußerst unbefriedigend. 

 

Toller Sound, keine Hits

Ein Aushängeschild von Piranha-Spielen war seit jeher der fantastische Soundtrack von Kai Rosenkranz. Fans der Reihe erfährt wohl bis heute jedes mal ein wohliger Schauer wenn man die Musik des Alten Lagers hört, die damals stets ein "Du bist daheim"-Gefühl vermittelte, oder auch die wunderschönen Flötenklänge die das Ohr umschmeichelten, wenn man in Gothic 2 die Landschaft um Khornis durchstreifte. Gothic 3 kann sich trotz aller Patzer in meinen Ohren damit rühmen, einen der wohl schönsten Soundtracks der Spielegeschichte zu haben (Stichpunkt: Vista Point). Auch Risen 1 konnte überzeugen, die Musik der Hafenstadt ist bis heute ein Ohrwurm, den ich öfters summen muss.

Umso bedauerlicher war das Ausscheiden von Kai, weswegen seit Risen 2 ein anderer Komponist am Werk ist. Der liefert auch tolle Arbeit ab und untermalt die Atmosphäre der Inseln auch in Risen 3 stimmig und schön, jedoch fehlen diese herausragenden Stücke, die einem auch noch Jahre später im Ohr bleiben. Der Soundtrack tut das was er soll gut, mehr aber auch nicht.

Die Sprecher sind wie gewohnt sehr gut, der Hauptcharakter ist herrlich bissig (auch wenn wohl nichts an den Namenlosen aus Gothic herankommen wird) und auch die Mitstreiter und NPCs sind toll vertont, wenngleich sich manche Stimmen etwas oft wiederholen. 

 

Was bleibt hängen?

So, nach 5 Tagen Dauersucht flimmerten die Credits über den Bildschirm. Das war also Risen 3. Das Spiel von dem ich zunächst erwartet habe, den letzten Nagel im Sarg meiner Verehrung von Piranha Bytes zu liefern. Vielleicht wegen dieser niedrigen Erwartungshaltung, eher allerdings schlicht wegen des guten Spiels war dem zum Glück nicht so. Ich habe Risen 3 zutiefst genoßen und hatte immer zumindest gute Unterhaltung, über einen guten Zeitraum hinweg sogar diese alte Euphorie vespürt während ich durch die schönen Landschaften zog, zumal diese Ausflüge über 32 Stunden hinweg nur von einem einzigen Absturz unterbrochen wurden. Bugs habe ich keine erfahren.

Klar gibt es Dämpfer: Trotz allem hakt das Kampfsystem ab und an, die Animationen und die Grafik allgemein sind nicht zeitgemäß, die Story wird fad erzählt und quasi garnicht abgeschlossen, trotz aller Interaktivitäts-Zugeständnisse im Vergleich zu Risen 2 fühlt sich die Welt nicht so zugänglich an wie früher (ich vermisse das Ermorden von Bewusstlosen, das Aufheben von gegnerischen Waffen und ähnliche "Klassiker") und auch wenn der Piratenkitsch zurückgefahren wurde hätte ich ein Setting, das komplett im Stil von Taranis und Calador gehalten worden wäre, deutlich besser gefunden. Die fragwürdigen Day-One-DLCs (v.a. die Nebelinsel hätte meines Erachtens ins Hauptspiel gehört) sind auch nicht gerade erfreulich.

Im Endeffekt überwiegt jedoch der positive Gesamteindruck absolut: Piranha Bytes hat in vielen Belangen wirklich alle Arbeit geleistet, ihre alten Fans milde zu stimmen. Auch wenn die allgemeinen Presse-Stimmen das Gegenteil vermitteln: Als militanter Gothic-Fanatiker bin ich der Auffassung, dass Risen 3 das beste Piranha-Bytes-Spiel seit Gothic 2 darstellt. Wer mit den benannten Abstrichen leben kann wird viele reichhaltig gefüllte Stunden voller Rollenspiel-Wonne in der Welt von Risen 3 erleben. 

 


Wertung
Pro und Kontra
  • Tolle, abwechslungsreiche Welt mit fantastischer Atmosphäre
  • Stimmiges Monsterdesign
  • Waffenvielfalt
  • Flüssiges, beherrschbares Kampfsystem
  • Teils gute Animationen
  • Tolle Sprachausgabe
  • Soundtrack
  • Begleiter diesmal teils mehr als Lückenfüller
  • Zäher Prolog
  • Story quasi völlig nebensächlich
  • Teils undiskutable Animationen
  • Technisch hoffnungslos veraltet
  • ...Piratenkitsch wirkt latent deplaziert
  • Unbefriedigendes (weil nicht vorhandenes) Ende

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



Kommentare(5)
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