Ein Soziopath zum US-Präsidenten

Bei Saints Row 4 (Entwickler: Volition Inc.) handelt es sich um ein Actionspiel mit offener Spielwelt, in welcher man den Protagonist aus der Perspektive einer...

von Hans_W am: 18.11.2013

Bei Saints Row 4 (Entwickler: Volition Inc.) handelt es sich um ein Actionspiel mit offener Spielwelt, in welcher man den Protagonist aus der Perspektive einer dritten Person steuert. Diese Basis ist gut bekannt, sowohl von den Vorgängern innerhalb der Reihe als auch vom Hauptkonkurrenten, nämlich GTA. Doch handelt es sich bei Saints Row nicht (mehr) nur um einen GTA-Klon, denn es gelingt den Entwicklern, der Marke einen eigenen, interessanten Stil zu verleihen.

In Saints Row 4 übernimmt der Spieler die Rolle des namenlosen, stets als Boss titulierten Anführers einer ehemaligen Straßengang, der gleich zu Beginn der Handlung als neuer US-Präsident eingeführt wird. Dann wird die Erde von Alien-Invasoren heimgesucht, die die Menschheit knechten wollen und sie in eine virtuelle Welt wie die der Matrix (aus der gleichnamigen Filmreihe) einkerkern. Selbstverständlich fällt dem Präsident die Aufgabe zu, die Welt zu retten. Damit wird klar, was mit dem eingangs erwähnten Stil der Marke gemeint ist: ein skurriles Szenario, völlig überdrehte Charaktere und ein irrsinniger Plot. Es wird parodiert und veralbert, was in Film, Fernsehen und Videospielen zu gewisser Bekanntheit gebracht hat. Das gelingt den Entwicklern überaus gut, obwohl oder gerade weil die Grenzen des schlechten Geschmacks regelmäßig unterschritten werden.

Ist dem Protagonist im Rahmen der Handlung gestattet, zwischen Möglichkeiten zu entscheiden, so wählt er stets die schnelle und brutale Variante. Er nimmt Tod und Verletzung Außenstehender nicht nur billigend in Kauf. Dass es eine sanfte Option geben könnte, zieht er gar nicht erst in Betracht. Er leugnet nicht mal, dass Empathie und Altruismus nicht nur sprachlich zu den Fremdwörtern seines Vokabulars zählen. Es ist der running gag des Spiels, dass sich der Präsident der Vereinigten Staaten wegen einer soziopathischen Störung über gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzt und nicht im Mindesten die seinem Amt gemäßen Moralgrundsätze an den Tag legt. Bad-ass to the bone. Er handelt bestenfalls pragmatisch; um es treffender zu beschreiben: mit freudiger Zerstörungswut. Und das ist durchweg hochamüsant, wie zahllose Beispiele zeigen. Ein Präsident, der Mayhem-Missionen in bester Laune kommentiert: „I’ve got emotional here. And this emotion is: ass-kicking.“ Während der Flucht aus einer lebensbedrohlichen Situation intoniert er beherzt Haddaways 90er-Jahre Popsong: „What is love“ und schießt dutzende Alienkampfschiffe ab. An feingeistigen Dingen oder technischen Details hat er kein Interesse (gemäß: „Whenever I heare the word culture… I release the safety shaft of my browning.“)

Auch die zahlreichen Verweise und schwarzhumorigen Parodien auf bekannte Marken wissen zu unterhalten: So sammelt man beispielsweise eine Crew, ähnlich der Vorgehensweise in Mass Effect, um für das große Finale gerüstet zu sein. Wie bei Mass Effect besteht die Möglichkeit, romantische Beziehungen zu einzelnen Crewmitgliedern zu pflegen. Nur verzichtet der Protagonist auf langatmiger Gespräche und Vertrauensbeweise: Per Tastendruck folgt die Aufforderung an das Gegenüber: „Wanna fuck?“ Auch die sich in den ME-Teilen stets wiederholende Ansprache an die Mannschaft vor der finalen Schlacht darf nicht fehlen; das Erreichen hehrer Ziele wird darin jedoch nicht versprochen, nur Rachegelüste thematisiert. Auch aus anderen dystopischen Spielfilmszenarien wird sich großzügig bedient, wie - eingangs erwähnt - Matrix oder Terminator, und kein Kalauer vermieden.

Der Spielrahmen umfasst zunächst die virtuelle Großstadt Steelport, in der sich der Spieler frei bewegen darf, um an gekennzeichneten Stellen spezielle Aufträge zu erfüllen, die nach erfolgreichem Abschluss Erfahrung, Geld und Einfluss gewähren. Die Auswahl ist beträchtlich: von Attentats- über Verteidigungsmissionen bis hin zu Sprint- und Hüpfaufgaben. Nicht alle sind gleichermaßen interessant, aber man wird auch nur selten gezwungen, Missionen zu erledigen, die einem partout nicht liegen. Im Wesentlichen verfügt der Spieler über ein Arsenal an Waffen und Spezialfertigkeiten, die ihm erlauben, sich durch Gegnermassen zu kämpfen und einzelne, speziell aufgewertete Bossgegner mit taktischer Raffinesse auszuschalten.

Die skurrile Handlung wird über Hauptquests vorangetrieben, die im Questbook chronologisch erscheinen, dort aktiviert und abgearbeitet werden. Sie sind der abwechslungsreiche und interessante Kern des Spiels, dem die Entwickler besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben. Es wird immer wieder mit dem 3rd-Person-Prinzip gebrochen, um den verzückten Spiele-Nostalgiker kurzzeitig in völlig konträre, anachronistische Welten zu versetzen: Das sind 2.5 D Prügelspiele, Textadventure, scrolling shooter… - ehemals erfolgreiche Schemata der 80er und 90er Jahre. Zudem werden im Questbuch Nebenquests aufgeführt, die wiederum in zwei Kategorie zerfallen: Missionen, die die Loyalität der Crew fördern und zusammenhanglose Questketten, deren Abarbeitung leider mehr Nerven kosten als Vergnügen bereiten.

Eine zwiespältige Angelegenheit sind die slapstick-artigen Auftritte der KI-Gegner, die sich gerne untereinander behindern oder in Fahrzeugen über den Haufen fahren. Im Rahmen der mangelhaften Wegfindung suchen Gegner selten eine brauchbare Deckung oder würden den Spieler niemals durch taktische Manöver, wie z.B. Flankieren, aus dem Konzept zu bringen wagen. Sie sind als Kanonenfutter gedacht und verhalten sich dementsprechend. Das kann man als Mangel empfinden oder einer konzeptionellen Bequemlichkeit zuschreiben.

Technisch weist das Spiel Höhen wie Tiefen auf. Die Akustik ist sehr gelungen: Das betrifft sowohl die (englische) Synchronisation als auch Effekte und die musikalische Untermalung. Was ebenfalls gut gefällt, das ist die belebte und detailreich dargestellte Stadt Steelport. Explosionen und Effekte allgemein wirken hübsch in Szene gesetzt. Durchwachsen erscheinen jedoch die manchmal polygonarmen Charaktermodelle und generelle Texturunschärfe. Insgesamt lässt sich festhalten: Der Stil ist stimmig, die technische Umsetzung jedoch nicht zeitgemäß.


Wertung
Pro und Kontra
  • Ein Präsident, wie Amerika ihn bräuchte
  • Viele Spielmodi, abwechslungsreich
  • Spaßige Story
  • Technik leicht angestaubt
  • Nebenquests manchmal langatmig und nervig
  • Schwache KI

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



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