Kein verbessertes Gameplay
Unsere Entscheidungen werden nur selten außerhalb deskriptiver Texte sichtbar. Wer wenig Lust auf das Lesen eines ganzen interaktiven, englischen Buchs hat (Dragonfall bietet noch keine deutsche Übersetzung, soll aber in Arbeit sein), den wird das Gameplay auch jetzt nicht vom Hocker reißen, denn gegenüber Dead Man's Switch hat sich nicht viel getan.
Die Gegner-KI ist nur durch Masse gefährlich und ansonsten dumm wie Brot, Kämpfe sind kaum eine Herausforderung. Wurde an Persönlichkeit und Dialog-Interaktion der Gefährten nachhaltig geschraubt, so sind weiterhin keine Veränderungen an Skills oder Ausrüstung derselben möglich (abgesehen von ganz rudimentären Dingen wie Granaten oder Medikits). Auch lässt sich die Gruppe immer noch erst nach Beginn eines Kampfes taktisch positionieren. Dafür wurde allerdings das freie Speichern eingeführt, was eine erhebliche Komfortsteigerung bedeutet.
Berlin, Berlin, wir reisen durch Berlin
Die gute zwölf Stunden Unterhaltung bietende Berliner Kampagne hat ihren Angelpunkt im Kreuzbasar: Hier finden wir Händler, treffen unsere Auftraggeber, sprechen mit anderen Shadowrunnern und suchen uns über das U-Bahn-Reisesystem die Aufträge aus, die wir als nächstes angehen wollen. Eine wirklich offene Welt gibt es nicht, alte Schauplätze lassen sich nicht wieder bereisen.
Die Karten wirken weniger steril als noch in Seattle, was am höheren Detailgrad liegen mag. Erkundungsmöglichkeiten sind weiter sehr begrenzt, allerdings lohnt es sich, hinter jede Ecke zu schauen, denn manchmal tut sich unverhofft eine hilfreiche Begegnung oder ein Keycode für einen verschlossenen Raum auf.
Gerade für uns Deutsche bietet das Setting ein angenehmes Heimatgefühl - auch wenn wir im Spiel Berlin nicht direkt wiedererkennen. Allein dass sich die Geschichte um Orte wie Gesundbrunnen oder die Zitadelle Spandau dreht, Verweise auf Dresden, Stuttgart, Tübingen oder den Naturpark Schönbuch sorgen für eine angenehme Vertrautheit. Die deutschen Wort- und Satzfetzen, die den Shadowrun-Slang begleiten sowie die Namen der Protagonisten schaffen zudem eine ganz besondere Verbindung für deutschstämmige Spieler.
Fazit
Benjamin Danneberg: Die Bewertung des Kollegen Jochen Gebauer zum Grundspiel war inhaltlich und objektiv vollkommen richtig, aber sie passte nicht zu meinem Spielgefühl. Ich habe die Atmosphäre von Dead Man's Switch geliebt, die tollen Texte haben mich über das schwache Gameplay hinwegsehen lassen. Mit Dragonfall wurden nun einige wichtige Kritikpunkte nicht bloß behoben (Speicherung), sondern sogar zu Stärken ausgebaut (tolle Nebenschauplätze, Begleiter mit Persönlichkeit). Allerdings hat sich beim Gameplay nichts getan: Die Kämpfe bleiben mau, die KI ist mies und die fehlende Ausrüstungsmöglichkeit der Teammitglieder nervt.
Aber: Das ist mir schon wieder vollkommen schnuppe. Denn in Bezug auf die Story, die Wendungen und Überraschungen, die Entscheidungen und die Charakterzeichnung der NPCs (vor allem meiner Runner-Kollegen) hat Entwickler Harebrained Schemes mehr als nur eine Schippe draufgelegt. Das Spiel thematisiert dabei nicht nur schwierige Themen wie Fanatismus, Satanskult oder Gewalt in der Familie: Moral, Freundschaft, Pflichtgefühl, Ehre und nicht zuletzt Rache sind tragende Elemente einer feinsinnigen Dramatik-Mixtur. Ich habe Dragonfall mit diesem tollen Gefühl der Befriedigung beendet, wie ich es etwa von Baldur's Gate oder Dragon Age: Origins kenne. Vor allem aber dachte ich mir beim Abspann: Schade, dass es vorbei ist!
Wer sich nicht scheut, die überwiegende Spielzeit mit dem Lesen hervorragender englischer Texte zu verbringen, wer interaktive Erzählungen mag und sich nicht daran stört, dass viel eigene Fantasie gefragt ist, für den ist Dragonfall eine klare Kaufempfehlung. Ich persönlich bin durch Dragonfall endgültig vom Shadowrun-Virus infiziert worden. Sagen Sie mal, Herr McIntosh (Autor von Dragonfall), könnten Sie bitte ein Drehbuch für einen tollen Shadowrun-Film schreiben?
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Dein Kommentar wurde nicht gespeichert. Dies kann folgende Ursachen haben:
1. Der Kommentar ist länger als 4000 Zeichen.
2. Du hast versucht, einen Kommentar innerhalb der 10-Sekunden-Schreibsperre zu senden.
3. Dein Kommentar wurde als Spam identifiziert. Bitte beachte unsere Richtlinien zum Erstellen von Kommentaren.
4. Du verfügst nicht über die nötigen Schreibrechte bzw. wurdest gebannt.
Bei Fragen oder Problemen nutze bitte das Kontakt-Formular.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Nur angemeldete Plus-Mitglieder können Plus-Inhalte kommentieren und bewerten.