Making of The Witcher - Brillanz zwischen Bugs und Busen

Ein großes Spiel zu entwickeln dauert zwei Jahre, manchmal drei. Das Rollenspiel The Witcher brauchte mehr als vier. Für den polnischen Entwickler CD Projekt wurde das Erstlingswerk zu einem spannenden Hürdenlauf -- mit babylonischem Finale.

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Das mit den wabbelnden Brüsten haben sie noch in den Griff bekommen. Im Februar 2007, als das Studio CD Projekt Journalisten aus aller Welt zu sich nach Warschau bat, spielten sich auf den Bildschirmen Szenen beängstigender Lebhaftigkeit ab. Veteranen der Veranstaltung erinnern sich vage an einen schwertschwingenden Rollenspiel-Helden, vor allem aber an dessen Gespräche mit eng korsettierten Frauenfiguren, deren üppige Oberweite bei jeder Bewegung ein wallendes, vibrierendes Eigenleben entwickelte, als wollte sie den hypnotisierten Zustarrern entgegenmorsen: Schaut her, uns lenkt keine Schwerkraft, allein die Macht der Karma-Psysikengine!

Die Dynamik im Mieder war ein Versehen, das Konzept dahinter Absicht: Sexuelle Reize gehören zum erwachsenen Szenario des ernsten Rollenspiels The Witcher. Mehr als drei Jahre lang hatte CD Projekt bereits an dem Programm gearbeitet, die Februar-Veranstaltung sollte inmitten von Mittelalter-Scheune, Schwertkämpfer-Show und reichlich Bier launig drauf einstimmen: Bald ist’s soweit! Das war verfrüht. Es dauerte dann doch noch acht Monate, bis eine vertrackte Entwicklungsgeschichte in das gleichsam reife wie unreife Rollenspiel-Ereignis des Jahres 2007 mündete.

Entwicklungs-Fakten

Teamgröße 70 Personen
Entwicklungszeit 48 Monate
Entwicklungskosten 10 Millionen Euro
Quellcode 1.600.000 Zeilen
Projektumfang 80.000 Dateien, 25 GByte
Soundtrack 4 Stunden 18 Minuten
Sprachversionen 11
Verkaufte Einheiten 600.000 Stück

Vermessen?

Spulen wir ein ganzes Stück zurück, ins Jahr 2001. Da gab es auf den Konsolen ein Action-Rollenspiel namens Baldur’s Gate: Dark Alliance. Das Spiel ist niemals auf dem PC erschienen -- und dieser Tatsache verdankt The Witcher wohl sein Dasein.

Der polnische Publisher CD Projekt, in seinem Heimatland seit 1994 hochgradig erfolgreich, sollte die PC-Umsetzung des Spiels übernehmen. CD Projekt hatte seit geraumer Zeit überlegt, selbst in die Entwicklung von Spielen einzusteigen; Dark Alliance sollte der Auftakt werden. Das Projekt zerschlug sich. Die Polen blieben zielgerichtet: Dann würde man eben ein eigenes Spiel auf die Beine stellen!

Die Firma kaufte die Lizenz zur wichtigsten Fantasy-Saga des osteuropäischen Raums, den Witcher-Büchern des polnischen Autors Andrzej Sapkowski, und begann im September 2003 mit der Arbeit. Aus der Vorlage sollte ein wahrhaft episches Rollenspiel werden. Auf episches Maß wuchs allerdings erst einmal die Entwicklungszeit: Vier Jahre lang feilte das bald 70 Mann starke Team an seinem Erstlingswerk.

Veraltet?

»Um genau zu sein, haben wir die Produktion zweimal begonnen«, erinnert sich Michal Madej, der Lead Designer von The Witcher. Zunächst gab CD Projekt das Spiel an einen externen Entwickler weiter, der es auf dessen hauseigener Engine umsetzen sollte. Das entpuppte sich als Fehlschlag. So kam es zur Gründung des internen Teams CD Projekt Red, das mit zunächst zehn Leuten loslegte. Die erste Amtshandlung: Der Einkauf eines bewährten Technikgerüsts, auf dessen Basis das Spiel entstehen sollte. CD Projekt entschied sich für Biowares Aurora-Engine.

Die Wahl sorgte bei Beobachtern für Stirnrunzeln. Denn die Engine, die Bioware für das Rollenspiel Neverwinter Nights entwickelt hatte, war schon 2002 grafisch angestaubt; mit CD Projekt und Obsidian fanden sich bis heute gerade mal zwei Lizenznehmer für die Technologie.

Aber die optische Leistungsfähigkeit spielte für das polnische Team eine untergeordnete Rolle. »Uns war von Anfang an klar, dass wir einen Großteil der Engine durch eigene, zeitgemäße Technologie ersetzen würden müssen«, sagt Michal Madej. Viel wichtiger war dem Team, dass zum Aurora-Paket ein bewährtes, robustes Rollenspiel-System mit seinen Datenbanken, seiner Skript-Sprache und dem leistungsstarken Editor gehörte. »Die meisten Menschen denken bei der Engine nur an die Grafikdarstellung«, erklärt Michal Madej. »Um ehrlich zu sein: Dieser Teil ist am leichtesten auszutauschen.«

Die Aurora-Engine Umbau einer Engine: Aus dem Aurora-Gerüst von Neverwinter Nights...

DirectX-9 ...erstellte CD Projekt zunächst eine wesentlich detailliertere DirectX-9-Version...

Shader-3.0 ...die später mit Shader-3.0-Effekten auf das zeitgemäße Niveau der finalen Fassung gebracht wurde.

Dank des Aurora-Fundaments konnten Madej und seine Leute direkt mit der Entwicklung der Spielinhalte beginnen, während die Programmierer parallel sukzessive die Technologie der Engine austauschten. »Natürlich haben wir im Endeffekt auch vieles an der Spiellogik der Aurora-Engine geändert«, erzählt Madej. »Aber diese Anpassungen kamen Schritt für Schritt während der Entwicklung.«

Bereits zur E3-Messe 2004 hatte das Team die Grafikdarstellung von der wenig gebräuchlichen OpenGL-Schnittstelle auf DirectX 9 umgestellt, das Kampfsystem angepasst und ein eigenes Charaktersystem implementiert. Als nächsten großen Schritt ersetzte CD Projekt das mächtige »Aurora Toolset«, eine Sammlung von Editoren und Entwicklungsprogrammen, durch eine hauseigene Fassung namens »D’jinni«. Im fertigen Spiel, schätzt Michal Madej, stecken noch ungefähr 20% der ursprünglichen Aurora-Engine. Den Rest hat CD Projekt im Laufe der vier Jahre ausgetauscht.

CD Projekt hat den D’jinni-Editor mittlerweile kostenlos veröffentlicht. CD Projekt hat den D’jinni-Editor mittlerweile kostenlos veröffentlicht.

Eine Wiki-Webseite hilft Hobbyentwicklern beim Einstieg.

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