Oder: Wie kurz kann ein gutes Spiel sein?

Kurzes Vorwort: Ich benutze eine modifizierte Variante des GS-Wertungssystems zur Berechnung der Gesamtwertung: Frei nach meinem Blog Spielspaß ist...

von Cd-Labs: Radon Project am: 06.08.2013

Kurzes Vorwort: Ich benutze eine modifizierte Variante des GS-Wertungssystems zur Berechnung der Gesamtwertung: Frei nach meinem Blog "Spielspaß ist überbewertet..." sehe ich diese Wertung als tendenziell eher frei von meiner persönlichen Meinung an und probiere mich statt dessen mich eher auf Punkte wie Konzeptumsetzung zu konzentrieren.

 

 

Unachtsamkeit am Steuer kann schwere Folgen haben:

So auch in Tiny and Big---während Tiny mit seinem Handheld, dem LaserBoy, spielt, baut sein automatisierter Fahrer einen heftigen Crash:

Und auch der hat schwere Folgen, denn Tiny landet glatt in einem tiefen Tal. Wieso sich das aber eigentlich als Glückstreffer erweist, erfährt man später.

 

Doch worum geht es eigentlich? Kurz gesagt um schneiden, ziehen und raketieren.

Dafür steht Tiny das von ihm selbst entwickelte „The Tool©“ zur Verfügung, das einen Lasercutter, einen Greifarm und einen Druckraketenwerfer enthält!

Und mit diesen drei Werkzeugen kann man buchstäblich die gesamte Welt auseinandernehmen:

Mit dem Laser kann man (so gut wie) jeden Stein zerschneiden, solange man ihn denn ihn komplett mit dem Laser-Tool zu markieren:

 

 

 

Die Bruchstücke können dann abermals unterteilt werden, bis sie zu klein werden und zu Staub zerfallen.

Gleichzeitig können die Bruchstücke natürlich auch mit dem Greifarm oder der Druckrakete verschoben werden, um z.B. Brücken zu bauen.

Solch wirkliche Großprojekte gibt es aber in der Praxis kaum: Stattdessen muss man in teils riesigen Arealen einen Weg zum Ausgang finden:

Dabei sieht das generelle Konzept vor, dass es unterschiedlichste Lösungsrouten gibt:

  1. Eine relativ lineare und (halbwegs) offensichtliche Route.
  2. Eine äußerst komplexe Route, die keines der Collectibles auslässt
  3. Eine/ mehrere Speedrun-Routen, die ein Level in einem Bruchteil der gewöhnlichen Zeit  

 

 

 

Ja, dort unten kommt man tatsächlich hin...

 Ja, man kommt tatsächlich bis ganz da unten hin...

Vollbild: http://abload.de/img/tinyandbigjabisganzdamekvr.png

Musikalische Innovation

 

Wirklich interessant und innovativ ist auch ein Soundtrack-Feature:

Im Gegensatz zu herkömmlichen Soundtracks ist dieser hier nämlich losgelöst von dem eigentlichen Spielgeschehen, das heißt, dass auch eigentlich total unpassende Stücke in einer Szene gespielt werden können.

 

Die Kontrolle darüber hat man allerdings als Spieler selber: Denn in der gesamten Spielwelt sind Kassetten als Collectibles versteckt, die einen bunten Mix der unterschiedlichsten Stücke von Indie-Bands enthalten, auch wenn sich die Mehrzahl in Richtung Blues und Jazz orientiert. Damit kann man tatsächlich ein Level vollkommen unterschiedlich erleben.

Als weiteres Gimmick gibt es versteckte Arcade-Automaten, wovon jeder ein weiteres Retro-Spiel im Stil der Tutorial-Level für den LaserBoy enthält. Diese Mini-Level-Sammlung stellt in meinen Augen eines der besten Spiele im Spiel der letzten Jahre da!

Hier zeichnet sich aber auch eine der größten Schwächen von Tiny and Big ab:

Die Herausforderungen sind nicht anspruchslos, nicht einfallslos, sie sind sogar gut designend--- Aber es gibt einfach zu wenige von ihnen!

Das ist nämlich dann auch das größte Problem von Tiny and Big: Das Spiel ist kurz; wirklich kurz!

Mit gerade einmal sechs Level, von denen zwei äußerst kurz (<10min), zwei kurz (<30min)  und zwei recht lang (~1h) sind.

 

Technisches Doppelgesicht

 

Einerseits schafft es die Scape-Engine Tiny and Big tatsächlich diese Level sehr eindrucksvoll, samt Sichtweite auf weit entfernte Strukturen, darzustellen. Allerdings muss man dabei im Hinterkopf behalten, dass sich dieses Spiel direkt zu Beginn schon über die eigene Grafik & Bildqualität lustig macht:

Denn die Einstellmöglichkeiten lauten „normal“, „crap“ und „Ultra crap“.

Und tatsächlich hat das einen Grund: Das Spiel setzt vehement auf Fake:

Gute (!) Unschärfeeffekte für entfernte Strukturen verschleiern, dass dort eigentlich nichts ist, Schmutzpartikel werden aufgewirbelt und ähnliche Tricks verwendet.

Das klappt auch sehr gut---nur sind die Unschärfeeffekte für GERINGE Entfernungen vollkommener Mist!

Der berühmte zehn-Dioptrien-Fehler hat mal wieder zugeschlagen.

In der Praxis führt dies zu Dauerunschärfe, die leider auch noch dadurch verstärkt wird, dass Black Pants Game Studio AUSGERECHNET ein PostProzessing-AntiAliasing-Filter benutzt, oder, zu Deutsch:

Kanten werden auf Kosten von Schärfe und Bildruhe in Bewegung geglättet.

Das schadet der Optik des Spieles ungemein und nach wie vor gibt es keine Treiberlösung für dieses Problem.

Dafür gibt es auf der anderen Seite völlig fehlerfreie Physik (die allerdings mit Hilfe eines Zeitstopps während des Lasereinsatzes trickst) und halt eben die generelle Möglichkeit, Steine nahezu unbegrenzt in kleinere Steine zu zerschneiden, ohne, dass die Performance (trotz des höheren Polygongehaltes) leidet.

Und insgesamt sind sowohl die einzigartig gestalteten Texturen als auch die Lichteffekte technisch solide und sehr gut eingesetzt.

 

Skurril & Malerisch

 

Das verpasst dem Spiel auch gleich einen wirklich EIGENEN Look abseits des „Indie-Mainstream“-Looks.

 

Dazu tragen vor allen Dingen die tolle Himmelsgestaltung und die wohl bisher beste Umsetzung des Cel-Shading-Effektes für Schatten bei.

 http://abload.de/img/tinyandbiggrandioserszukt3.png

http://abload.de/img/tinyandbigschatten5xjgv.png

Das gesamte passt auch perfekt zur Story:

Der Hauptcharakter Tiny, seines Zeichens abgedrehter Erfinder, jagt nämlich einer Unterhose hinterher, die seinem Großvater gehört hat.
Diese wurde ihm von dem anderen Enkel, Big, entwendet. Aber das ist natürlich keine besondere Unterhose, sondern ein mystisches und mächtiges Artefakt einer untergegangenen Kultur…

Ernsthaft, abgedrehter bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Tiefgründigkeit (ja, die gibt es) kann eine Erzählung wohl kaum sein. Ach, und natürlich hat der Autounfall ihn (beinahe) direkt zu Big gebracht.

 

Fazit & Persönliche Einschätzung

 

Was kann man abschließend sagen?

Tiny and Big ist einerseits außerordentlich innovativ, atmosphärisch und konsequent durchdesignend, anderseits sind Schwächen im Bereich der Technik und des Umfangs nicht zu ignorieren.

Trotzdem macht es insgesamt absolut nichts falsch, was die Bewertung natürlich schwierig macht:

Denn das Spielgeschehen ist intensiv und halt eben stark komprimiert, weshalb sich die Frage aufdrängt, ob dieses Spiel auf die doppelte Spielzeit gestreckt überhaupt noch einen Fünfer wert wäre.

Mir selber hat es übrigens wirklich gut gefallen und ich bereue auch keine Minute, die ich investiert habe.

Nur hätte ich halt auch eben gerne MEHR Minuten sinnvoll investieren wollen…


Wertung
Pro und Kontra
  • Technik:
  • +Kaum eingeschränktes Zerschneiden
  • +Jederzeit konsequente, fehlerfreie Physik
  • + Texturen in der Nähe scharf…
  • +gute Soundqualität
  • +tolle Cel-Shading-Schatten
  • Stil:
  • +vier komplett unterschiedliche Umgebungen
  • +Himmel wirkt wie gemalt
  • +eigenständiger Stil
  • +sinnvoller Einsatz von Leuchteffekten
  • +äußerst innovativer und „passender“ Musikeinsatz
  • Balance:
  • +keine generellen Kritikpunkte...
  • Atmosphäre
  • +skurriles Grundsetting
  • +Humor
  • +episch inszenierte Level
  • Bedienung
  • +wenig Tasten notwendig
  • +keine Doppelbelegungen
  • +geringe Latenz
  • Umfang
  • +ordentlicher Wiederspiel-/Komplettierungswert…
  • +LaserBoy-Games als sinnvolle Erweiterung…
  • +sinnvolle Achievements…
  • Leveldesign
  • +große, offene Level
  • +nie leere Stellen
  • +äußerst intelligent gebaut
  • +starke Unterschiede zwischen den Leveln
  • „Waffen“ und Extras
  • +selbstironische „BoringStones“
  • +Kassetten zum Sammeln als innovatives Gimmick
  • +alles an Equipment ist da
  • + Verbesserung weder nötig noch möglich
  • Handlung
  • +nie aufdringlich, dafür…
  • +wird indirekt über Umgebungen und Kommentare erzählt
  • +abgedrehte Charaktere
  • +Weltenretter-Plot wird komplett ad absurdum geführt
  • Grundkonzept, Abwechslung, Motivation
  • +innovatives Musiksystem
  • +innovatives Manipulationskonzept
  • +Zerstörung als Ausdruck von Kreativität
  • +motiviert über den Schluss hinaus
  • +keinerlei Streckung
  • 7/10
  • - kein hochwertiges AntiAliasing
  • -miese Unschärfeeffekte
  • -… dafür aber generelle Unschärfe
  • -
  • -
  • 9/10
  • - abartig unpassend gleichförmige Dialogfetzten
  • -
  • -
  • -
  • -
  • 9/10
  • - aber der große Knall fehlt
  • 9/10
  • -unlogische Mischung aus Ernst und Quatsch
  • -
  • -
  • 8/10
  • -kein echtes WSAD, sondern Gamepad-WSAD
  • -
  • 6/10
  • - sebst damit nicht einmal zehn Stunden Spielzeit (1x=4h)
  • - …aber auch davon zu wenige
  • -… trotzdem klarer Content-Mangel
  • 9/10
  • -ultimatives Level fehlt
  • -
  • -
  • -
  • 10/10
  • -
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  • -
  • -
  • 8/10
  • -… zu selten Gameplaytreibend
  • -nicht jedermanns Sache
  • -
  • -
  • -
  • -
  • 10/10
  • -
  • -
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Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(6)
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