Zwischen Nostalgie und Etikettenschwindel

Um Tomb Raider Legend zu bewerten, sollte man die Vorgeschichte nicht außer Acht lassen. Bestandsaufnahme In diesem Ausmaß hatte es die...

von Threepwoodfan am: 20.06.2016

Um Tomb Raider Legend zu bewerten, sollte man die Vorgeschichte nicht außer Acht lassen.

Bestandsaufnahme

In diesem Ausmaß hatte es die Computerspielewelt bis 2003 noch nicht gesehen.
Tomb Raider The Angel of Darkness kam damals in einem Zustand auf den Markt, den man bestenfalls als "BETA" bezeichnen konnte. Dabei war das Spiel doch von der Games-Presse bereits seit Jahren als NextGen-Offenbarung angepriesen worden, die Restriktionen der PS1 konnten endlich hinter sich gelassen werden und Lara Croft sollte sowohl grafisch und auch spielerisch eine Weiterentwicklung erfahren. Komplett neue Engine, Multiple-Choice-Dialoge, Rollenspielelemente, Schleich- und Nahkampfsequenzen und sogar ein weiterer spielbarer Charakter wurden uns versprochen.

Nun, man konnte Core Design als Entwickler nicht vorwerfen, diese Versprechungen nicht eingehalten zu haben, denn all diese Dinge bekamen wir tatsächlich geboten. Allerdings in einer Art und Weise, die einen vermuten lies, vielleicht etwas im "Kleingedruckten" dabei überlesen zu haben. War die neue Engine im Vergleich zu früher noch eine wirklich deutliche Verbesserung, so wirkten alle anderen neuen Features wie "mit der heißen Nadel gestrickt": unfertig, halbherzig umgesetzt und spielerisch wenig sinnvoll.

Das wäre nach den Vorschußlorbeeren für das Spiel zwar eine Enttäuschung gewesen, aber alleine Lara Croft in neuer, toller Grafik zu erleben, mit all den Stärken, welche die Tomb Raider Reihe seit Jahren ausgezeichnet haben, hätte für einen halbwegs brauchbaren NextGen-Einstand ausgereicht.
Immerhin galt Lara Croft als Vorzeige-Spielheldin in Sachen Beweglichkeit und Spielbarkeit, alle anderen Action-Adventure-Spielfiguren mußten sich damals zurecht am Tomb Raider-Gameplay messen lassen...und sahen in dem Punkt dabei meistens schlechter aus.
Allerdings gesellten sich beim Release zu einer Grafik-Bug-Flut der offensichtlichsten Art auch noch Level, welche überhaupt nicht dem bekannten Spielprinzip entsprachen und eine der schlechtesten, fehlerhaftesten Steuerungen einer Computerspiel-Hauptfigur seit...seit...jemals!
Es war so schlimm, daß eine recht bekannte Spieletesterin damals den Fans aus dem Herzen sprach, Zitat: "Ihr habt sie kaputt gemacht"!

Später erfuhr man, daß Core Design wohl, obwohl das Spiel schon mehrere Jahre in Entwicklung war, zum vorschnellen Release gedrängt wurde und sich somit gezwungen sah, deutlich spürbare Einschnitte sowohl beim Umfang des Spiels, bei der Story, als auch bei der Umsetzung der versprochenen Features vorzunehmen. Dies mag zwar einige der Probleme erklären, allerdings begründet das nicht eine komplette Änderung eines seit Jahren perfekt funktionierenden Steuerungsystems unter gleichzeitiger Abwesenheit jeglicher Qualitätssicherung. Ebenso das Fehlen von Laras Doppelpistolen, wie konnte so etwas vergessen werden? Auch, daß die Story nicht abgeschlossen wird, sondern am Ende ein Nachfolger angetriggert wurde - das Spiel hörte gefühlt mittendrin auf - gefiel nicht jedem.

Allerdings muß ich sagen, daß das Spiel mit den offizielen Patches und mit Tastatur allein gut durchspielbar ist. Die "modernen" Levelabschnitte sind zwar Murks, aber wenn Lara ihr Tomb Raider-Outfit trägt und in Ausgrabungen herumturnt, kommt tatsächlich klassisches Tomb Raider-Feeling auf.
Dennoch war der erste Eindruck vom Spiel verheerend, die Kunden wandten sich ab und AoD floppte zurecht, da es dem Franchise und den Erwartungen in keinster Weise gerecht wurde.

Publisher Eidos beendete daraufhin die Zusammenarbeit mit Entwickler Core Design und ließ einen Nachfolger von Crystal Dynamics produzieren.
Dieses Spiel "Tomb Raider Legend" ist mir einen Lesertest wert.

Eine Neue Hoffnung ?

Nach dem AoD-Flop ging Eidos auf Nummer Sicher und versprach den Fans für 2006 ein "Back to the Roots". Vorbei der Quatsch mit Gameplay-Elementen aus anderen Spielegenres, Stadt-Leveln und Schokoriegeln, sondern klassisches Tomb Raiding: Viele, abwechslungsreiche Locations, echtes Abenteuer-Feeling und die Rückkehr von Laras beiden durchschlagendsten Argumenten, ihren zwei...Pistolen mit Endlosmunition!
Soweit, sogut...und die Trailer sahen klasse aus. Natürlich bekam man wieder einmal eine zeitgemäße, komplett neue Grafikengine. Also das Einzige, was beim Vorgänger nicht verschlimmbessert wurde, wurde nochmals überholt. Klar, die Ansprüche 2006 waren andere als 3 Jahre zuvor, also gut. Und sie haben sogar den Original-Designer von Lara als Berater mit an Bord geholt, super!
Hauptsache war doch, daß Crystal Dynamics nicht die gleichen Fehler macht wie Core Design und die Steuerung komplett verändert oder die Story am Ende
nicht richtig abschließt, oder? ODER?

Lara sieht klasse aus! Die Grafikabteilung hat einen guten Job gemacht. 

Lara sieht klasse aus! Die Grafikabteilung hat wirklich gute Arbeit abgeliefert!

Shiny Entertainment

Das Positive: Die Grafik ist für 2006 fantastisch! Nie zuvor sah Lara Croft besser aus. Ob nun mit den zuschaltbaren "Next Gen"-Grafikeffekten oder nicht, im Vergleich zur kantigen Würfelwelt mit Low Polygon Lara von früher, sind die Grafik, die Animationen, die Texturen einfach top.
Die noch detailreicheren, besser ausgeleuchteten "Next Gen"- Effekte setzten noch einen drauf, gaben den Spielfiguren allerdings auch den berüchtigten, glänzenden "Plastik-Look".
Nachteil: Selbst heutzutage, 10 Jahre später, zwingt der NextGen-Modus so manche Grafikkarte in die Knie. Auch läuft er nicht immer bugfrei, da hilft dann
nur, zurück zum Nomalmodus zu schalten, welcher, wie gesagt, aber auch schon super aussieht. Selbst das Tomb Raider-Outfit in neuer Farbe sieht meiner Meinung nach besser aus, als das alte.
Die Lokalisation ist qualitativ einfach Spitzenklasse! "Ordne den Synchronsprecher seiner Hollywood-Rolle zu" hat hier echt mal Spaß gemacht, so viele Top-Sprecher in einem Spiel hört man selten. Musikuntermalung ist ok, das klassische Tomb Raider Theme fehlt aber leider.
Die Zwischensequenzen sind filmreifer, als je zuvor in einem Tomb Raider Spiel.
Die Kommentare per Funk von den Helfern zu Hause lockern das Spielgeschehen auf.

Keine Gefahr für Lara, denn falls die Gegner wirklich mal treffen, lassen sie zum Dank Medipacks fallen.

Storyline

Viele Locations wurden versprochen und...es geht diesmal wieder rund um die Welt. In dieser Episode sucht Lara nach einer Möglichkeit, ihre Mutter zu retten, welche vor Jahren durch ein mystisches Artefakt vor den Augen Laras, damals noch ein Kind, verschwand. Soweit, so generisch. Durch Zufall findet Lara heute einen Hinweis, wie sie ihre Mutter nach all der Zeit vielleicht doch noch retten kann und eine typische Hatz nach Artefakten an verschiedenen Orten beginnt. Diese Locations unterscheiden sich grafisch tatsächlich deutlich voneinander und selbstverständlich darf auch etwas Übernatürliches nicht fehlen.
In einem Rückblick in Laras Vergangenheit lernen wir etwas mehr über die Gegenspieler und dürfen Lara sogar im alten Outfit bewundern.
Viele, qualitativ hochwertige Zwischensequenzen treiben zwar das Geschehen voran, aber dennoch erscheint die Story wie "aus dem Baukasten".
Man nehme: Dschungel, Schnee, Monster, Unterwasser, Japan. Wär noch ein T-Rex vor einer Pyramide aufgetaucht, dann hätte man ein BEST OF TOMB RAIDER daraus machen können. Da hat Crystal Dynamics leider wenig riskieren wollen und "Back to the Roots" sehr wörtlich genommen.
Spannung, Innovation oder gar unvorhergesehe Twists sucht man vergebens.

Miss Croft hat wieder einfach so ein "Secret" gefunden . Lange suchen muß sie dafür selten.


Gameplay

Nun, nachdem alle Zutaten, Audio, Video, Storyline und Locations ordentlich vermischt wurden und der Lara Chefkoch von früher die Speise höchstpersönlich abschmeckte, dann kann doch nichts mehr schiefgehen, oder? Doch! Wenn man nämlich versucht, neben den alten Fans, welche man zurückholen möchte, auch noch neue zu gewinnen. Auch wenn man aus den bereits von anderen gemachten AoD-Fehlern nicht lernt: (" Hey, die Steuerung war früher perfekt, warum habt ihr die geändert?" und "was fürn blödes Ende mittendrin plus Ankündigung des Nachfolgers")

Kein Back to the Roots bei der Steuerung. Natürlich, heute muß ein Spiel Mouse-Support haben, zum Umsehen auch immer ganz nett.
Steuere ich Lara halt mit Mouse und WASD wie einen Shooter, warum nicht?
Aber warum hat Lara das Springen verlernt? Sowohl vor- als auch aufwärts wurden aus den genau berechenbaren, akrobatischen Weitsprüngen von früher nur noch...Hüpfer. Den Zurück-Sprung um Anlauf zu nehmen hat man bei der Gelegenheit gleich ganz entfernt, nicht mehr nötig.
Lara hält sich nun an Kanten automatisch fest, gern auch etwas länger. Man mußte sich schon Mühe geben, Sprungsequenzen nicht zu schaffen, so simpel sind diese. Muß denn alles gleich so vereinfacht werden, daß beim Spielen kaum mehr eine Eigenleistung erforderlich ist?

Ein Highlight des Spiels sind die anspruchsvollen Sprung-und Rätselpassagen bei Lara zuhause.

 

Positiv anzumerken ist der neue Metallhaken, den Lara entweder als Seil-Ersatz zum Überwinden von Abgründen und Ähnlichem verwendet, oder mit dem sie Gegenstände oder Gegner zu sich heranzieht. Dieser guter Einfall stellt die einzige positive Gameplay-Neuerung dar.
Auch das Erforschen des Hauses von Miss Croft war spaßig und ein toller Ersatz zu den sonst eher langweiligen Einführungen in das Gameplay.
Dort ist wenigstens noch ein Hauch von Anspruch zu spüren.

Dem gegenüber steht ein Leveldesign, welches linearer kaum sein kann.
Nicht einmal, während der 10 Stunden, die das Spiel dauert, kommt man in die Verlegenheit, überlegen zu müssen, "wo geht es weiter?" oder "wie komme ich da hin?" Das war immer ein elementarer Gameplay-Bestandteil der Tomb Raider Spiele - ersatzlos gestrichen.
Das Rätseldesign ist so simpel gehalten, da wünscht man sich doch glatt die alten Schalter- und Schlüsselrätsel zurück.
Immer wenn das Spiel zunächst den Anschein einer anspruchsvolleren Aufgabe erweckt, entpuppt es sich als billigste Kistenschiebeaufgabe.
Zeitgesteuerte Schalter/Türen und entsprechende Timed-Runs inklusive Sprinten gibt es nicht mehr. Stattdessen bröseln hier und da mal die Kanten, an denen Lara hängt oder die Bodenplatten unter ihr weg.
Da man nun auf Knopfdruck schneller hangeln und klettern kann, hält sich der Schwierigkeitsgrad dabei in Grenzen.

Die seltenen Quick-Time-Event-Zwischensequenzen sehen zwar toll aus, aber liefen halt früher einfach ohne Einblendung von "Drücke Pfeil Oben"usw.
Der Sinn einer solchen "Gameplay"-Neuerung erschließt sich mir nicht. Soll das Spannung vortäuschen?
Die Kampfabschnitte mit Söldnern sind geradezu lächerlich einfach und stellen gar keine Herausforderung dar, weshalb man das Waffenarsenal von Lara auch gleich auf nur die Pistolen und eine schwere Waffe plus Granaten zusammengestrichen hat. Medikits gibts nur noch maximal 3, was ein deutlicher Hinweis auf den Schwierigkeitsgrad ist.

Follow the train, Lara! Die Bike-Level wirken wie aus einem anderen Spiel entnommen.

 

Die Motorrad-Sequenzen wirken aufgesetzt und bieten gerade einmal Rail-Shooter-Bewegungsfreiheit plus Dauerfeuer.
Die im Spiel zu findenden Secrets sind fast so groß wie Lara selbst und sind in drei "Schwierigkeitsstufen" Bronze, Silber und Gold unterteilt.
Bronze Secrets verdienen den Namen nicht, man stolpert zwangsläufig über sie, einige der silbernen kann man schon mal übersehen, nur die goldenen Secrets sind tatsächlich Secrets im klassischen Sinne.
Die Bosskämpfe am Ende der Level sind immerhin noch einigermaßen anspruchsvoll, da diese jeweils immer nur auf unterschiedliche Art zu gewinnen sind.

Das Savesystem wurde von "Jederzeit speichern" auf Savepoints verändert. Da man aber alle Savepoints zwischenspeichern kann und das Spiel sowieso viel zu einfach ist, ist das noch annehmbar.
Die Storyline ist trotz vieler Zwischensequenzen schwer nachvollziehbar. Die Motive der beiden "Bösewichte" bleiben unklar und die Story triggert am Ende einen Nachfolger an, statt einen Abschluß zu bieten.



Fazit:

Ist das Spiel nun besser als der unrühmliche Vorgänger?
Allein vom technischen Standpunkt her: Auf jeden Fall! Auch hat es den klassischeren Tomb Raider-Look.
AoD bot in einigen Bereichen dafür das klassischere Tomb Raider-Gameplay.

Ist es ein gutes Spiel?
Das Spiel ist mit 10 Stunden Spielzeit sehr kurz.
Man wird zwar gut unterhalten, aber das anspruchslose Gameplay ist nur noch ein Schatten seiner früheren Tomb Raider Tage.
Crystal Dynamics gelingt es tatsächlich, die beiden Hauptfehler von Core´s AoD zu wiederholen: 1. Steuerung total verändert (immerhin funktionierte die Steuerung diesmal fehlerfrei) und 2. Storyline nicht abgeschlossen.
Aber die meisten waren wohl schon froh, Lara nicht mehr in Jeans in Paris herumlaufen zu sehen. Wem das reicht, der hat sicher Spaß.
Wer ein austauschbares, einfaches und kurzes Action Adventure sucht, kann zugreifen und auf die Wertung noch 10 bis 15 Punkte draufschlagen,
je nach Gefallen im Umgang mit nicht abgeschlossenen Storylines.

Ist es ein gutes Tomb Raider?
Wer allerdings ein Tomb Raider erwartet, das alles wieder gut machen sollte, was vorher "kaputt gemacht" wurde, darf auf eine Enttäuschung gefaßt sein.
Es wirkt eher so, als hätten wir es mit einer Nachfolgerin im Lara Croft Kostüm zu tun, einer Zweitbesetzung, stets bemüht, an ihr großes Vorbild heranzureichen, die einfach viel weiter springen konnte, sich direkter und genauer steuern ließ, sich auf den Umgang mit mehr Waffen und auf das Lösen von komplexeren Rätseln verstand und die in der Lage war, einen Levelausgang zu finden, auch wenn dieser nicht sofort zu erkennen war.
"Neu-Lara" hingegen bietet automatisierte Bewegungsabläufe, Rätsel und Gegner ohne Herausforderung, Secrets, die keine sind und lineare Level die...schön aussehen.
Crystal Dynamics wollte offensichtlich "bloß nichts falsch machen" und für die alten Fans klassische "Tomb Raider Atmosphäre um jeden Preis" bieten,
was grafisch auch gelungen ist. Nostalgische Momente gibt es zu Hauf, hier das alte Tomb Raider-Outfit, dort der Butler Winston und auch der berühmte "Swan-Dive"-Sprung von einer Klippe ins darunter liegende Wasser wurde hineingequetscht.
Kunden, die Laras Abenteuer von früher nicht kannten, wollte man mit einer neuen Steuerung und einem geringeren Schwierigkeitsgrad entgegen kommen.
Dabei herausgekommen ist mit Tomb Raider Legend ein Ergebnis, bei dem sich die alten Fans über den deutlich geringeren Anspruch und ein verändertes Spielgefühl wundern.
Gleichzeitig dürften sich Lara-Neueinsteiger wohl gefragt haben, wo denn nun das "Besondere" an diesen Tomb Raider Spielen gewesen sein soll, von dem sie früher immer gehört hatten.
Am Ende bleibt ein Spiel, welches einem nach dem Durchspielen nicht das Gefühl vermittelt, etwas geschafft zu haben.
Eher dieses Gefühl von "Ganz nett, aber war das schon alles?".
Es wirkt auf mich so, als hätte Crystal Dynamics ein Konzept für ein Action-Adventure in der Schublade gehabt.
Und nach einem Anruf bei Eidos hat man der Spielfigur das Aussehen von Lara Croft gegeben...


60/100 aufgrund der wirklich guten Präsentation


Wertung
Pro und Kontra
  • für 2006 Top Grafik
  • Super Lokalisation
  • zu einfach
  • zu kurz
  • NextGen-Modus zu hardwarehungrig

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

zu leicht

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



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