Nicht alles lässt sich mit Quantenphysik erklären

Auch Enthusiasmus kann ein Projekt ruinieren X: Rebirth erschien, gelinde gesagt, in einem katastrophalen Zustand und war ein direkter Stich in das Herz aller...

von ShortSeb am: 24.02.2015

Auch Enthusiasmus kann ein Projekt ruinieren


X: Rebirth erschien, gelinde gesagt, in einem katastrophalen Zustand und war ein direkter Stich in das Herz aller Fans. "Wie kann man nur so ein unfertiges Produkt veröffentlichen?" oder "Das muss doch jemanden auffallen!" war aus den diversen Communityforen zu lesen. Doch wie kam es nun wirklich zu diesem Release-Debakel? Ich habe hier meine ganz eigene Theorie.

Die X-Serie war schon immer ein Produkt von Liebhabern für Liebhaber. Jedem Serienteil merkte man die Kreativität und die Liebe der Entwickler zu ihrem "Kind" an und so fand sich auch eine treue und überzeugte Community, die diesen Enthusiasmus schätzte. Doch dieses mal wollte Egosoft noch mehr von diesem Enthusiasmus investieren, viel mehr. X: Rebirth sollte nicht nur einfach wieder ein neuer Teil der Serie werden, sondern die Wiedergeburt im wahrsten Sinne des Wortes. Man wollte nicht nur neue Spieler mit einer besseren Zugänglichkeit locken, sondern auch das alte Feuer der Community wieder entfachen.

Immer mehr Features entstanden in den Konferenzen und auf den Reissbrettern. Und das muss noch rein, und dies. Oh, ich hatte da gestern noch einen Einfall - das muss unbedingt in´s Spiel! So ungefähr könnte es sich damals bei den Entwicklern zugetragen haben. Anstatt Halbfertiges fertig zu machen, wurde immer wieder an neuen Ideen gearbeitet. So kann und wird ein Produkt natürlich nie fertig, doch Produktion kostet nun einmal Geld. Täglich. Stündlich. Heute gehen Entwickler in solchen Phasen andere Wege - Stichwort Early Access. Egosoft hingegen stand vor einem Scheideweg: Veröffentlichen oder das Projekt einstellen? Man entschied sich schließlich für die Veröffentlichung und bereitete sich mit dicken Fellen auf den Shitstorm vor.

Nun ist inzwischen doch einige Zeit vergangen und bis heute zahlreiche Patches erschienen. Höchste Zeit also, um sich die aktuell vorliegende Version 3.20 noch einmal genauer anzusehen.

 

Alleine im Weltraum


Als damals verlautbart wurde, X: Rebirth sollte sich auch gezielter an Neulinge der Serie richten und die Zugänglichkeit maßgeblich verbessert werden, ging das erste große Raunen durch die Spielergemeinschaft und die ersten Spekulationen wurden laut. Gerade die schiere Komplexität und das stundenlange Einarbeiten bis man einmal überhaupt versteht, was man hier macht, waren Markenzeichen und eine große Motivation hinter der Serie. Und nun soll alles plötzlich simpel und zugänglich sein? Keine Arbeit, Mühe und Zeit mehr fordern?

Fans konnten schlussendlich beruhigt sein. X:Rebirth ist genau so leicht oder schwer zugänglich, wie es auch die Vorgänger waren. Vor Allem als Neueinsteiger ist man gut damit beraten, erst einmal mit der Kampagne zu beginnen. Diese wirft einen direkt als Pilot Ren Ortani in das Albion System, welcher soeben ein lange verschollenes Schiff wieder flott zu machen versucht. Wenige Sekunden später plötzlich stürmt bereits unsere zukünftige Begleiterin an Bord und nimmt neben uns als Copilotin Platz. Nach einem kurzen Wortwechsel wissen wir immer noch nicht, wer sie ist, von wo sie plötzlich herkommt und was sie hier macht. Wir denken uns nur: Hääääh!? Willkommen im X-Universum!

Durchaus enthalten die ersten Spielstunden eine Art Tutorial. Wir reisen mit unserer neuen Freundin von Station zu Station und bekommen nach und nach so nebenbei die Grundfunktionen dies Spiels erklärt, wobei hier die Betonung ganz klar auf Grundfunktionen liegt. Selbst nach zehn Stunden Spielzeit bekommen wir im Rahmen der Story immer noch neue Funktionen präsentiert. Für die einen ist es die Kampagne, für die anderen das wahrscheinlich längste Tutorial der Welt. Bis man also tatsächlich alle Facetten und Details des Spieles Kennen gelernt, verinnerlicht und verstanden hat, hat man vermutlich bereits 15-25 Stunden Spielzeit am Buckel. Gerade Neueinsteigern, die nun bereits den Mauszeiger über den Reiter "Freies Spiel" kreisen lassen, kann ich nur empfehlen: Tut es nicht. Tut. Es. Nicht. Doch wer sich diese Einarbeitungszeit, ja, diese richtige Arbeit sowieso nicht antun möchte, für den war die X-Reihe ohnehin nie die passende Freizeitbeschäftigung.

 

Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt


Nach einigen Spielstunden sind wir also so halbwegs mit dem Universum sowie unserem Schiff vertraut, starten unsere ersten Entdeckungsreisen, nehmen Nebenmissionen an, die gerade zu Beginn schnell einmal in ein Himmelfahrtskommando ausufern können und folgen der Story. Schnell wird man dann allerdings bemerken, dass selbst der friedlichste Händler und der größte Weltraum-Hippie oft genug zur Waffe greifen muss. Böses Gesocks gibt es in den unendlichen Weiten da draußen nämlich zur Genüge. Auch am Kampfsystem hat sich (glücklicherweise) nicht viel geändert und auch meine alte Taktik funktioniert noch genau so tadellos, wie in den Vorgängern. Feindliches Ziel aufschalten, Autopilot aktivieren und während der automatischen Verfolgung, ganz auf das Schießen konzentriert, zwischen Bordgeschützen und Raketen durchschalten. Mehreren Gegnern sollte man gezielt in den Rücken fallen, oder im Schlimmsten Fall bei der nächsten Station Schutz suchen... sollte sie einem denn freundlich gesinnt sein.

 

Ein Fehler kann dein letzter sein


Wer viele Freiheiten genießt, kann auch viel falsch machen. Dies trifft nicht nur auf Politik und Wirtschaft zu, sondern auch auf X: Rebirth. Den teuren Großfrachter einmal im falschen Sektor geparkt? BOOOM! Er ist weg, samt Fracht und Besatzung. Im Eifer des Gefechtes kann es mitunter sogar vorkommen, dass man dies garnicht mitbekommt. Wer dann zwischendurch speichert, hat einfach Pech gehabt. Es existiert zwar eine Autosafe Funktion, allerdings ist diese für ein derartiges Spiel entweder völlig falsch konfiguriert oder einfach fehlerhaft. So gab es Spieltage, wo ich zwar brav vor dem Beenden der Session manuell gespeichert habe, der letzte Autosave allerdings sage und schreibe zwei Tage (!) zurückliegt. Es empfiehlt sich also, niemals auf das regelmäßige Speichern zu vergessen. Denn wer dann einmal nichts ahnend in ein spawnendes, übermächtiges Überfallskommando schippert oder einen zerstörten Großfrachter unbedingt wieder zurück haben möchte, muss sich ansonsten von mehrere Spielstunden, eventuell sogar mit diversen zufälligen Glücksereignissen, verabschieden.

Oft kann man selbst allerdings auch garnichts dafür. Auch wenn bereits viele der großen Bugs durch Patches im vergangenen Jahr und auch heuer bereits entfernt wurden und die nach wie vor auftretenden hauptsächlich optischer Natur sind, so kann einem bis jetzt der ein oder andere Fehler den letzten Nerv rauben.

 

Belebter Weltraum


Umso schöner ist es dann, wenn man in der Bar einer Station einmal bei einem Bier und den Holotänzerinnen entspannen kann. Und plötzlich bemerken wir: Wir sind nicht alleine im Weltraum und er endet auch nicht an der Cockpitscheibe unseres Schiffes. Ja, Cockpitscheibe! So sehr habe ich sie im 3. Serienteil vermisst und umso mehr freue ich mich über ihre Rückkehr: Die richtige Cockpitansicht, welche durch die vielen Reisen durch den Raum einfach noch für das gewisse Atmosphäreplus sorgt. Sogar der kleine Mannschaftsraum dahinter ist eingeschränkt begehbar. Ebenso begebar sind alle Stationen, auf denen wir landen können und dort mit zahlreichen Händlern und Personal sprechen oder nach Kisten mit wertvoller Fracht Ausschau halten. Dies sorgt zwar gerade am Anfang für einen irrsinnigen Atmosphäreschub, wiederholt sich allerdings recht schnell, wenn man nach dem erstmaligen Erkunden immer wieder die gleichen Korridore nach Kisten absucht. Auch der Smalltalk mit den Stationsbesuchern, welcher immer wieder in dem gleichen unnötigen Minispielchen ausartet, nutzt sich schnell ab. Die vier, fünf vorgefertigten Dialoge sind zwar mit ihren verschiedenen Optionsverläufen nett gesprochen, aber nach dem ersten mal Hören nun einmal nur noch störendes Beiwerk.

Auch optisch kann man nur von einer sanften Evolution im Vergleich zum Vorgänger sprechen. Lichteffekte, Schiffe und Stationen wirken zwar absolut stimmig, allerdings wird dieses Gesamtbild massivst an allen Ecken und Enden von niedrig aufgelösten Matschtexturen getrübt. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass viele Szenen und Reisen immer wieder durch perfekte Licht- und Farbstimmung einfach nur fantastisch aussehen.

 

Das rauschende Mehr


Doch es wäre kein X-Spiel, wenn es nicht mehr zu bieten hätte, als sich mit seiner Nussschale in Kämpfe zu stürzen und eine Station nach der anderen abzuklappern. Natürlich sind auch die Groß- und Handelsschiffe wieder mit von der Partie, wenn auch ihre Funktion und Mechanik komplett umgekrempelt wurde. Das Schmerzhafte vorweg: Selbst steuern der Dickschiffe gibt´s nicht mehr. Am nähesten kommen wir unseren dicken Kreuzern nur noch, wenn wir auf ihnen landen und mit der dortigen Besatzung ein Kaffekränzchen halten. Gesteuert wird nur noch außerhalb mittels Befehlen. Fliege hier hin, handle das, verkaufe dort, folge mir. Das war´s. Ziel dahinter ist es, sich auf sein eigenes, liebgewonnenes Schiff zu konzentrieren.

Doch haben wir nun endlich einmal die Nase voll vom Rumfliegen, so werden wir einfach sesshaft und übernehmen unsere eigene Raumstation mit zig Personal. Ja, richtig gelesen. Auch Fabriken und andere Raumstationen können wir besitzen und verwalten, um so zusätzlich fleissig Gewinnn zu erwirtschaften. Die Spielmechanik von X: Rebirth ändert sich dann schlagartig von nervenaufreibenden Dogfights hin zu einer komplexen Handelssimulation mit Warenketten. Man sieht also, zu tun gibt es genug.

 

Fazit


X: Rebirth hat es nach den vielen Patches definitiv verdient, gespielt zu werden. Auch wenn es nach wie vor noch so seine Schwächen und Fehler zeigt, so birgt es genügend Potenzial, sich darin stunden-, tage- und monatelang zu verlieren. Nicht zuletzt ist hierfür auch die Mod-Community verantwortlich, welche zusätzlich zu den Patches noch so manches vermisste Spielelement miteinbaut. Die alten Ansagen auf den Stationen oder gar die Rückkehr der komplett begehbaren Brücken und Mannschaftsräume auf den Großschiffen sind hier nur als Kleinigkeiten zu nennen.

Viele X-Veteranen werden, teilweise zu Recht, wohl bei ihrem geliebten X³ bleiben, doch meiner Meinung nach wird Rebirth unfair unterschätzt. Wer sich die Mühe, Zeit und Arbeit nimmt, sich einmal mehrere Stunden in ein Spiel einzuarbeiten um es überhaupt einmal in seiner Gänze zu verstehen, erhält mit X: Rebirth eine monatelang gesicherte Freizeitbeschäftigung. Allen Pannen zum Trotz, der Serie ist die Wiedergeburt zumindest gelungen.


Wertung
Pro und Kontra
  • Stimmige Atmosphäre
  • Gigantischer Umfang
  • Komplexes Wirtschaftssystem
  • Storykampagne als mehrstündiges Tutorial
  • Bewährtes, einfach zu steuerndes Kampfsystem
  • Niedrig aufgelöste Texturen
  • Nach wie vor viele Bugs
  • Unvorhersehbare, teils konfuse Ereignisse
  • Stationsbesuche werden schnell eintönig
  • Kein eigenes Steuern von Großschiffen

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Oft, regelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



Kommentare(3)
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