Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt. Das trifft nicht nur auf Arcane selbst zu - denn nach der gefeierten ersten Staffel und drei Jahren Wartezeit schauen unglaublich viele Augen auf Season 2. Schließlich ist die nicht nur eine Fortsetzung, sondern gleichzeitig das Finale der Serie und soll mir ein befriedigendes Ende für Jinx, Caitlyn, Vi und Co. bescheren.
Auf der anderen Seite müssen sich aber auch die Figuren selbst genau dieser Verantwortung stellen. Staffel 1 endete mit einem Knall und jetzt sind die Karten neu gemischt. Wer setzt sich für wen ein? Wer kann wem vertrauen? Schon während der ersten drei Folgen ringt Arcane seinen Charakteren unfassbar schwierige Entscheidungen ab und schafft damit, was ich kaum für möglich gehalten hätte: Der Netflix-Hit wird noch besser.
Spoilerfreies Review: Wir gehen in unserer Kritik lediglich auf die Ausgangslage der zweiten Staffel ein und nehmen keine größeren Entwicklungen vorweg. Ein paar Szenen und kleinere Ereignisse müssen wir aber aufgreifen, um zu verdeutlichen, was den Auftakt visuell und erzählerisch so stark macht.
Wenn Pixel weinen und Frames schreien
Ein einziger Schuss bringt in Piltover alles ins Wanken. Jinx’ Rakete schlägt während des Finales der ersten Staffel ins Ratsgebäude ein. Zum Auftakt der zweiten Staffel sehe ich das erschreckende Ausmaß der Katastrophe: Zerstörung, Tod, Verzweiflung und Schmerz.
Arcane nimmt sich viel Zeit, um die Konsequenzen der ersten Staffel wirken zu lassen. Statt mit Aktionismus und Explosionen werde ich mit einer sprachlosen, gebrochenen Caitlyn konfrontiert und einer schuldbewussten Vi, die nicht weiß, wie sie ihr noch begegnen soll.
Jayce kämpft verzweifelt um Viktors Leben und Mel ringt um Fassung, wohl wissend, dass ihre Mutter Ambessa nur darauf wartet, die Kontrolle über Piltover an sich zu reißen.
Arcane versteht wie kaum eine andere Serie das Spiel mit Emotionen. Jeder Dialog, jeder Frame ist ein Werkzeug, um mich das erleben zu lassen, was die Charaktere fühlen. Deshalb ändert sich auch der Animationsstil kurzzeitig nach dem Anschlag: Plötzlich ist die Welt schwarz-weiß, dunkel und verschmiert, mit grober Holzkohle gemalt.
Bilder sagen mehr als Worte
Viel zu oft greifen Serien hier auf das Offensichtliche zurück, damit ja niemand die Botschaft verpasst. Charaktere erklären mir lang und breit, warum sie leiden und was sie belastet, manchmal dürfen sie es sogar in die Welt hinausschreien.
Ein The Dragon Prince ist zum Beispiel eine andere großartige Animationsserie auf Netflix. Aber während Bösewicht Viren dort eine Rede hält, warum er nun ein reformierter Mann ist, sehe ich bei Arcane direkt in Caitlyns Augen, dass die Trauer sie verändert, ganz ohne Worte. Und die Welt um sie herum reflektiert das noch.
Arcane bricht die eigenen Regeln immer wieder, wenn es die Wucht der Szene verlangt. Plötzlich blitzen harte Kanten und Neongekritzel wie in einem Comic auf, wenn Jinx ihre Raketen und Granaten abfeuert oder aus Vis Hextech-Powerfäusten Blitze schießen. Das transportiert mich direkt in einen epischen Anime-Kampf, wo Schläge ganze Wände einreißen und Kugeln ihr Ziel in Zeitlupe nur um Haaresbreite verfehlen, während ein fetziger Rock-Soundtrack raue Prügeleien und elegante Todestänze rhythmisch zusammenführt.
Zwischen Verantwortung und Verrat
Die Serie verlässt sich also nicht immer nur auf Worte. Aber wenn es etwas zu sagen gibt, hat es Gewicht und fast immer mehrere Ebenen. So lädt Caitlyn Vi zum Beispiel ein, Teil der Polizei von Piltover zu werden. Sie will gemeinsam mit ihr nach Zhaun, um Jinx aufzuhalten und den Frieden zu sichern. Eine einfache und naheliegende Bitte - beide haben schon zusammengearbeitet und gute Gründe, Jinx zu jagen.
Aber unter der Oberfläche brodelt es, was den Worten zwischen den Zeilen so viel mehr Gewicht verleiht: Caitlyn will Rache. Ihr geht es nicht nur um die Sicherheit ihrer Heimat. Sie will ein Ventil für ihren Schmerz, einen Zweck, der sie am Leben hält. Und Loyalität, weil es in ihrer Welt keine Stabilität mehr gibt. Sie will, dass Vi sich für sie entscheidet.
Nichts in Arcane 2 ist jemals statisch. Jeder Charakter darf sich verändern, weiterentwickeln und wird vor unbequeme Entscheidungen gestellt, die unweigerlich entweder zum Bruch oder zur persönlichen Erlösung führen. Auch Jayce hat zu kämpfen, weil er Mel vorgezogen und Politik und Ruhm über Viktor und ihre gemeinsame Leidenschaft für die Wissenschaft gestellt hat.
Das hat weitreichende Folgen, mit denen beide leben müssen und Arcane scheut sich keinen Moment lang, mir diese schonungslos vor Augen zu halten.
Eine unwahrscheinliche Heldin
Doch der Konflikt des ersten Aktes geht weit über persönliche Beziehungen hinaus. Auch im Großen beweist Arcane, dass die Serie keine Kompromisse eingeht. Alles hat Folgen, jede Wahl ihren Preis und nichts wird beschönigt.
In Piltover herrscht nach dem Anschlag Chaos. Ein gefährliches Vakuum, das Ambessa prompt ausnutzt, um nach der Macht zu greifen. Sie ist die knallharte Anführerin, die Piltover jetzt braucht, aber auch das größte Hindernis für den Frieden mit Zhaun. Denn Ambessa will eine Invasion, Jinx töten und den aufständischen Untergrund unter ihre Kontrolle bringen. In Zhaun schlagen sich wiederum die Chem-Barone nach Silcos Tod gegenseitig die Köpfe ein, während die Bevölkerung hilfesuchend in Richtung Jinx blickt. Durch ihren Akt der Rebellion ist sie in den Augen vieler zur Heldin aufgestiegen.
So entsteht eine unglaublich starke und spannungsgeladene Ausgangslage für Staffel 2. Überall reiben sich Ideale aneinander, Konflikte brodeln vor sich hin, fast jeder scheint eine Waffe unter dem Tisch zu verstecken und die Frage lautet nur noch: Wer schießt zuerst?
Niemand wirkt zu diesem Zeitpunkt mehr sicher, niemand ist nur sympathisch, aber auch niemand ein Monster. Arcane lässt die Spannung in keinem der Handlungsstränge abreißen. Das Schicksal der Figuren und das von Piltover und Zhaun ist derart ungewiss, dass es mir beinahe die Luft abdrückt.
Gerade Jinx wird dabei zum Dreh- und Angelpunkt und löst sich mehr und mehr von der tragischen Figur, die sie in der ersten Staffel war. Als Symbol des Widerstandes bekommt sie zum ersten Mal einen Lichtblick und überraschende Verbündete, die an sie glauben. Nachdem sie in der letzten Staffel ihre Wut rausgelassen hat, muss sie nun lernen, weiterzuleben und herausfinden, wer sie als junge Frau ist - Jinx, Powder oder jemand völlig anderes. Alles begann mit ihrer Entscheidung und scheint nun auch damit zu enden.
Die ersten drei Episoden von Arcane 2 sind ab dem 9. November verfügbar. Der zweite Akt folgt am 16. November. Dann teilen wir auch den zweiten Teil unserer Filmkritik mit euch.
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