Assassin's Creed - Meinung: Odysseys DLC ignoriert, dass es ein Rollenspiel ist - und dadurch entstehen zwei Probleme

Das Vermächtnis der ersten Klinge ist eigentlich ein wirklich guter DLC. Aber er stößt an Grenzen, die Open-World-RPGs häufig zu schaffen machen.

Assassin's Creed: Odyssey hadert als Rollenspiel mit einigen Design-Herausforderungen. Assassin's Creed: Odyssey hadert als Rollenspiel mit einigen Design-Herausforderungen.

Spoiler-Warnung!
Der erste Absatz dieses Textes ist harmlos, aber nach der Zwischenüberschrift werde ich über den Plot-Twist des neuen DLC von Assassin's Creed: Odyssey sprechen. Auch die Story des Hauptspiels wird vorausgesetzt. Wer den Inhalt lieber für sich selbst erspielen möchte - und dazu rate ich -, der sei hiermit gewarnt!

Über Assassin's Creed: Odyssey wird aktuell heftig gestritten. Auf Reddit schleudern Fans zahlreiche Vorwürfe durch den virtuellen Raum: Das Spiel habe sich selbst hintergangen, Entwickler stünden nicht zu ihrem Wort, Odyssey befinde sich wahrhaftig auf Irrwegen. Ausgangspunkt dieser Streiterei ist der neue, eigentlich ziemlich gute DLC Das Vermächtnis der ersten Klinge: Episode 2. Dort werden einige ziemlich grundlegende Story-Entscheidungen getroffen, die vielen Spielern ganz schön sauer aufstoßen.

Bevor ich den Fall hier aufrolle (inklusive Spoiler), ein paar Worte der Klärung: Man kann zu Ubisofts Beschlüssen stehen, wie man möchte, doch meiner Meinung nach darf man das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Eine gute Geschichte in einem Open-World-Rollenspiel zu erzählen, ist eine ziemlich komplizierte Herausforderung. Besonders bei RPGs versemmelt man sein Potenzial verflixt schnell.

Und das angebliche Scheitern von Ubisoft im neuen Assassin's-Creed-DLC illustriert in meinen Augen zwei der größten Probleme beim Open-World-Storytelling. Denn genau über diese Hürden stolpert Das Vermächtnis der ersten Klinge.

Alle streiten über [SPOILER!]

Nennen wir das Kind beim Namen: Elpidios. Okay, schlechter Joke, aber tatsächlich dreht sich die aktuelle Diskussion um ein Baby. Genauer gesagt: euer Baby in Assassin's Creed: Odyssey. Denn am Ende des zweiten Teils von Das Vermächtnis der ersten Klinge wird unsere Spielfigur »gezwungen«, mit dem Sohn oder der Tochter des Proto-Assassinen Darius eine Beziehung einzugehen. Und das Ergebnis dieser Zusammenkunft ist ein Kind.

Kassandra wird in Assassin's Creed: Odyssey Mutter, ob sie will oder nicht. Kassandra wird in Assassin's Creed: Odyssey Mutter, ob sie will oder nicht.

Das Blöde an der Sache: Man bekommt keine Wahl. Falls ich meine Kassandra als mordlüsterne Söldnerin ohne Herz spiele, schaue ich spätestens hier in Röhre. Selbst wenn ich im DLC-Dialogen bewusst sage, dass ich niemals sesshaft werden möchte, ändert sich dadurch mein Schicksal nicht. Am Ende von Shadow Heritage nimmt Alexios beziehungsweise Kassandra eine mindestens neunmonatige Elternauszeit von der Kriegstreiberei. Und ich kann nichts dagegen tun.

Fans finden das furchtbar. Ubisoft hat sich im Vorfeld Entscheidungsfreiheit auf die Fahne geschrieben. Odyssey wollte uns niemals irgendeine Liebelei oder sexuelle Orientierung aufzwingen, doch im DLC muss ich ein Baby in einer heterosexuellen Liebesbeziehung bekommen und lege meine Karriere für ein Jahr auf Eis. Natürlich sorgt das auch auf politischer Seite für Kritik, doch mir soll es hier um das grundsätzliche Game-Design-Problem gehen: Odyssey lässt mir hier in entscheidenden Punkten zu wenig ... naja ... Entscheidung.

Wenn ein Rollenspiel mir die Rolle vorspielt

Dieses Problem gibt es auch im Hauptspiel ab und an. Zwar kann ich über das Schicksal meiner Familienmitglieder entscheiden und bekomme am Ende unterschiedliche Schlusssequenzen, doch andere zentrale Figuren wie Phoebe, Perikles oder Brasidas sterben zwangsläufig (teils auch, weil sie historische Figuren sind). Die Trauer, das Scheitern, den Schmerz beobachte ich wie in einem Film, ohne selbst darüber zu entscheiden.

Der Autor: Dimi hält Entscheidungen in Spielen nicht für das Design-Allheilmittel, das viele Fans darin sehen. Denn man macht dabei schnell sehr viel falsch. Dragon Age: Origins litt beispielsweise häufig darunter, dass es einen klar besten Weg für das Absolvieren vieler Quests gab. In Assassin's Creed: Odyssey gehen ihm dafür die Konsequenzen vieler Story-Pfade nicht weit genug.

Darius ist der Opa meines Kindes. Darius ist der Opa meines Kindes.

Bei der ersten Präsentation von Assassin's Creed: Odyssey erklärte mir Ubisoft, dass Alexios und Kassandra anders als beispielsweise der Dragonborn in Skyrim keine leeren Hüllen, sondern durchaus festgelegte Persönlichkeiten seien. Man entscheidet über die Nuancen (diplomatische oder rabiate Lösungen), die grobe Persönlichkeit bleibt aber vorgefertigt.

Und deshalb hadert das Spiel auch in der Baby-Situation des DLC so sehr mit sich selbst. Die Fans wollen Odyssey als richtiges Rollenspiel erleben, die strikte Dramaturgie bremst sie aber aus. Assassin's Creed gelingt der Balance-Akt aus Plot und Freiheit an vielen Stellen recht gut, aber Shadow Heritage zeigt eben, dass der Spagat auch mal zu breit sein kann. Und ein zu breiter Spagat tut ziemlich weh.

Das zweite Problem

Das führt uns zu Problem Nummer Zwei: Der Baby-Vorfall riskiert viel, hat aber per Definition keinerlei Auswirkungen auf das Hauptspiel. Viele Eltern würden wohl zustimmen, dass ein eigenes Kind für sich genommen schon einen gewaltigen Schritt im Leben darstellt. Dafür auch die Karriere auf Eis zu legen, macht die Sache noch größer. In Odyssey passiert all das quasi nebenbei, den Zeitpunkt innerhalb der Kampagne bestimmen ironischerweise sogar wir.

Non-lineare Open-World-Spiele brechen hier oft mit ihrer Dramaturgie. Vielleicht habe ich als Alexios gerade entdeckt, dass meine Schwester oder Mutter noch lebt, nehme danach die DLC-Quest an und verabschiede mich erstmal für ein Jahr in die Elternzeit. Was für ein Quatsch. Entwickler lösen dieses Problem, indem sie die Charakterentwicklung meiner Hauptfigur in Open-World-Titeln oft recht seicht anlegen. Zu jedem Zeitpunkt der Story verhält sich meine Figur gleich, damit die Quests eben immer stimmig erscheinen.

Der DLC zu Assassin's Creed Syndicate erzählt eine bessere Geschichte als das Hauptspiel, weil der Open-World-Spaß in den Hintergründ rückt und drastischere Story-Wendungen erlaubt. Der DLC zu Assassin's Creed Syndicate erzählt eine bessere Geschichte als das Hauptspiel, weil der Open-World-Spaß in den Hintergründ rückt und drastischere Story-Wendungen erlaubt.

In Assassin's Creed Syndicate zanken die Geschwister Evie und Jacob Frye häufig miteinander, er ist ein Haudrauf, sie ein Kopfmensch. Diese Eigenschaften werden am Anfang der Kampagne etabliert und gelten auch am Ende noch, denn Ubisoft weiß ja nicht, wann ich all die Nebenquests mit Charles Darwin, Karl Marx und Co. angehe, wo die Zwillinge mit ihren jeweiligen Wesenszügen natürlich konsistent auftreten müssen. Kurz vor dem Finale streiten sich die beiden Hauptfiguren zwar etwas heftiger, die Versöhnung zum Schluss ändert aber nichts daran, dass sie unheimlich wenig Entwicklung durchmachen.

Wieso tut Ubisoft das?

Odyssey tritt also in zwei Fettnäpfchen, die sich eigentlich widersprechen. Zugunsten einer starken Dramaturgie wird mir die Entscheidung genommen, der Wendepunkt selbst gliedert sich aber unter Umständen überhaupt nicht stimmig in die größere Dramaturgie des Spiels ein, weil ich über den Zeitpunkt dann doch wieder entscheide. Ubisoft verstrickt sich in einem Netz aus Design-Widersprüchen und schadet dem Spiel mit einer eigentlich grandiosen Idee.

Denn ich bin nach wie vor der Meinung, dass Odysseys DLC wunderbar viel Mumm beweist und das Potenzial bietet, die persönliche Reise von Alexios und Kassandra durch eine unheimlich wichtige Dimension zu erweitern: In der Kampagne wird immer wieder angerissen, was unsere Hauptfigur jenseits des Söldnerdaseins machen möchte. Ob es ein Ende der Gewalt geben kann. Und genau hier wäre die Antwort, wenn das Spiel mir doch nur die Wahl ließe!

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Dann wäre dieser Story-Zweig nämlich grandios. In wie vielen Rollenspielen kann ich mich entscheiden, meinen Helm an den Nagel zu hängen, sesshaft zu werden, ein Kind zu bekommen und Liebe statt Krieg zu zelebrieren? Selbst bei The Witcher 3 passiert das erst ganz, ganz zum Schluss.

Dieser Weg wäre ein starkes Statement, ein wunderbarer Abschluss meiner Odyssey - oder eben die ultimative Absage an den Frieden: Denn ich bin mir sicher, dass sich in Episode 3 des DLCs zeigt, dass diese ganze Familienidyll-Sache für Alexios und Kassandra einfach nicht klappt. Auch das wäre unheimlich faszinierend, wenn ich doch stärker nur darüber entscheiden könnte.

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