Der Free2Play-Boom - Der Gratis-Krieg

Der Free2Play-Boom wirbelt weiterhin die Spielelandschaft durcheinander, die Goldgräber-Zeiten sind jedoch vorbei. Denn mit dem Konkurrenzdruck steigt auch der Anspruch an die Gratisspiele. Gleichzeitig müssen die Hersteller weiterhin Geld damit verdienen – bleibt dabei am Ende die Fairness auf der Strecke?

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Das Ende der guten PC-Spiele naht. Nicht die kundenfeindlichen Online-Aktivierungen sind schuld daran, nicht die Konsolen der nächsten Generation und auch nicht die ideenarmen Fortsetzungsfabriken von Electronic Arts, Activision & Co. Der Untergang kommt kostenlos - sein Deckname: Free2Play.

Darunter versteht man Spiele, die zunächst gratis sind, bestimmte Dinge aber gegen echtes Geld feilbieten, vom lustigen Hut für den Helden bis hin zu Waffen und Fähigkeiten. Mancher Spieler hält Free2Play-Titel für verhaltenspsychologisch optimierte Ausbeutungsmaschinen, die mehr gemein haben mit Farmville als mit Civilization, reiche Spieler belohnen und arme mit Frust und Langeweile geißeln.

So und so ähnlich argumentieren die Kritiker des Konzepts seit Jahren. Doch wenn Free2Play-Spiele wirklich so böse, so schlecht, so unfair sind, warum ist dann das meistgespielte Spiel auf Steam das (praktisch) kostenlose Dota 2? Warum verbrachten die Spieler laut einer Studie des Forschungsinstituts DFC Intelligence zwischen Juli 2011 und Juni 2012 fast 1,3 Milliarden Spielstunden im kostenlosen League of Legends, das damit weit vor World of Warcraft und Minecraft zum meistgespielten Titel des Jahres avancierte?

Sind die 45 Millionen Spieler, die sich für die Free2Play-Panzerhatz World of Tanks registriert haben, allesamt so doof, sich ausbeuten zu lassen? Und sind die über 145 Millionen Euro, die deutsche Spieler laut dem Branchenverband BIU im ersten Halbjahr 2012 für Ingame-Items ausgaben, nur in die Taschen von Abzockern geflossen?

Die Zukunft der PC-Spiele

Von einer Randerscheinung hat sich Free2Play längst zum Millionengeschäft gemausert, in Russland, Südkorea und China gilt der Gratismarkt inzwischen als lukrativer als der klassische Produkthandel. Viele Hersteller bejubeln Free2Play deshalb als die Zukunft der PC-Spiele. Oder besser: die Zukunft der Spiele im Allgemeinen. Auf Smartphones und Tablets gehören Gratistitel mit »In-App-Käufen« längst zum Alltag, und auch auf den klassischen Konsolen steigen erste Gratis-Testballons.

Der Eve Online-Macher CCP etwa hat im Januar den offenen Betatest seines kostenlosen Playstation-3-Shooters Dust 514 gestartet. Kurzum: Der Gratistrend erfasst immer mehr Plattformen, immer mehr Nischen. Wir werfen einen Blick auf die Vergangenheit und Zukunft des Booms. Vor allem Letztere scheint unklar, denn ein Patentrezept für die Free2Play-Zukunft existiert nicht.

Die Wurzel allen »Übels«

Der Grund dafür, dass Spiele nichts mehr kosten, heißt QuizQuiz, ist (Überraschung!) ein Quiz-Spiel und kommt aus Südkorea. Ende der 90er-Jahre entwickelte der Publisher Nexon erfolgreiche Online-Spiele, die von den schnellen Internet-Leitungen seines Heimatlandes profitierten.

Das im Oktober 1999 in Korea gestartete Online-Quizspiel gilt als einer der erster Free2Play-Titel. Das im Oktober 1999 in Korea gestartete Online-Quizspiel gilt als einer der erster Free2Play-Titel.

QuizQuiz sollte der nächste Erfolg werden. Die Mischung aus Quiz und Online-Rollenspiel mit Anime-Charakteren begeisterte in einer kostenlosen Beta-Version zahlreiche Spieler. »Und dann haben wir Abo-Gebühren eingeführt und alle haben das Spiel schlagartig verlassen«, erzählt Nexons Amerika-Chef Min Kim in einem Interview. Schuld war die angespannte Wirtschaftslage in Südkorea, die es vielen Spielern schlicht nicht erlaubte, einen festen Monatsbetrag zu investieren.

»Wir haben also überlegt, wie wir die Leute wieder zurückholen könnten, und da haben wir gesagt: Lass uns doch versuchen, Kostüme und so etwas zu verkaufen.« Die Abogebühr verschwand zugunsten von »Microtransactions«, geringen Gebühren für optionale Spiel-Gegenstände wie lustige Hüte und Kostüme, die man direkt im Spiel kaufen kann. Die Spieler kamen zurück.

Mit Titeln wie dem Sidescroller-MMO MapleStory gehört Nexon inzwischen zu den erfolgreichsten Publishern weltweit. So erfolgreich, dass 2012 durchaus glaubwürdige Gerüchte kursierten, das südkoreanische Unternehmen wolle Electronic Arts aufkaufen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schwappte endgültig die Erkenntnis in die westliche Welt herüber, dass Free2Play mehr Geld in Publisher-Kassen spülen kann als jede andere Vertriebsform.

Zwang zum Umdenken

Zuvor waren westliche Publisher dem fernöstlichen Gratisboom lange hinterher gehinkt. Erst die schlechten Abonnentenzahlen von MMOs wie Age of Conan zwangen zum Umdenken, die meisten mit einem klassischen Abo-Modell gestarteten Online-Rollenspiele litten von Anfang an unter leeren Servern. Immer weniger Spieler waren bereit, für ein Online-Abenteuer Monatsgebühren zu überweisen.

Die Tolkien-Versoftung Herr der Ringe Online etwa schlug erst nach der Gratis-Umstellung ein wie eine Balrog-Peitsche und gilt als Musterbeispiel für eine gelungene Trendwende. Die Free2Play-Version von Star Wars: The Old Republic hingegen erntete Kritik angesichts der Nachteile für Spieler, die keine Monatsgebühr bezahlen wollen. Die Patzer sind nicht überraschend, schließlich hatte das Jedi-Abenteuer zuvor ebenfalls auf einem klassischen Abo-Modell basiert.

Da reicht es nicht, einfach den Kostenlos-Stempel draufzudrücken und Eintrittskarten für Instanzen zu verkaufen. Vielmehr müssen die Entwickler die Beziehung zwischen Spieler und Spiel neu überdenken. Es ist also wenig verwunderlich, dass die ersten Free2Play-Versuche aus dem Westen von Entwicklern kamen, die sich keiner Abo-Tradition verpflichtet sahen, sondern von Anfang das Potenzial erkannten, mit Free2Play neue Zielgruppen zu erschließen.

Ohne Spaß kein Geld

»Unser durchschnittlicher Spieler ist 38 Jahre alt, zu 70 Prozent weiblich, hat zwei Kinder und drei Haustiere«, sagt Nina Müller, die als Managing Director für Casual Games bei Bigpoint über das erfolgreichste Spiel des Hamburger Publishers wacht: Farmerama.

Nina Müller, Managing Director bei Bigpoint Nina Müller, Managing Director bei Bigpoint

Der Bauernhof-Simulator folgt dem Schema von Facebook-Titeln wie Zyngas FarmVille und lässt Spieler einen Bauernhof pflegen. »Mehrere Millionen aktive Spieler« beackern laut Müller bei Bigpoint ihre Online-Felder. Als Farmerma 2009 erschien, war einer der großen Vorteile für die Spielerinnen und Spieler eben auch die fehlende Bindung an Facebook. Die Lektionen, die Bigpoint aus Titeln wie Farmerama gelernt hat, sind äußerst wertvoll für die Entwicklung von Free2Play.

»Wenn der Spaß fehlt, dann bezahlt sowieso keiner. Das ist unsere Grundeinstellung«, sagt Müller. »Das ist auch so ein bisschen die Philosophie bei der ganzen Bezahlgeschichte. Denn wenn man die Leute dazu zwingt, zu bezahlen, dann fühlen sie sich abgezockt. Aber wenn man ihnen alternativ die Möglichkeit gibt, über einen längeren, aufwändigeren Weg da ranzukommen, ohne zu bezahlen, dann akzeptieren sie das.«

Ein zentraler Bestandteil von Free2Play ist es also, den Spielern zu versichern, alles Wichtige auch tatsächlich kostenlos erleben zu können. Gegen Geld bekommt man's eben nur leichter und schneller. Inzwischen bietet Bigpoint zudem alternative Wege, wertvolle Gegenstände im Spiel freizuschalten. Etwa durch das Ausfüllen von Fragebögen oder das Anschauen von Werbefilmen.

Das Prinzip hat sich bewährt, in den letzten Jahren gehörte der Hamburger Publisher zu den erfolgreichsten Spielefirmen Deutschlands und vermeldete 2011 einen Gewinn von 33 Millionen Dollar, während etwa Ubisoft im selben Zeitraum Verluste verschmerzen musste. Doch der Gratismarkt wandelt sich, die Goldgräber-Zeiten sind vorbei. Das liegt vor allem am Konkurrenzdruck.

Der Free2Play-Markt muss sich wandeln

Dem Erfolg der Free2Play-Gelegenheitsspiele à la Farmerama folgten viele Nachahmer, die ihr Glück in kleinen, kostenlosen Spielen suchten. Der Markt wurde schnell unübersichtlich. Erst 2011 rühmte Bigpoints ehemaliger Managing Director Philip Reisberger in einem Interview die Expertise der Hamburger, neue Spieler durch Werbung »einzukaufen«.

Doch diese Zeiten sind schon wieder vorbei. »Es gibt einfach mehr Konkurrenz«, erklärt Nina Müller. »Einen Farmerama-User für 100 Euro anzuwerben, hat keinen Sinn mehr, weil man das Geld nicht wiedersieht.« Vor drei Jahren noch sollen neue Spieler weniger als halb so viel gekostet haben. Die gängige Taktik der Macher war, durch Werbung, Partnerschaften, Empfehlungen und puren Zufall so viele Spieler wie nur möglich ins Spiel zu bringen. »Funnel«, auf Deutsch »Trichter« nennt man das in der Branche. Denn durchschnittlich lassen nur fünf Prozent aller Spieler, die sich für ein Free2Play-Programm registrieren, letztendlich auch Geld im Spiel. Knapp die Hälfte der Registrierten steigt sogar nach dem ersten Tag gleich wieder aus. Kurzum: Die Masse macht's.

Heute, wo das Angebot an Free2Play-Spielen so stark zugenommen hat, muss jedoch ein neues Lockmittel her: Qualität. Die mit geringem Aufwand produzierten Gratistitel der vergangenen Jahre locken immer weniger zahlungswillige Spieler an die Mäuse.

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