GTA 4 wird perfekt
Das Risiko, bei professionellen Testern auf Ernüchterung zu stoßen, ist für die Hersteller gehypter Spiele überschaubar. Von der »Stunde der Wahrheit« kann zumindest auf Presseseite oft keine Rede sein. Denn in der klassischen Spielekritik finden die Hersteller eher Verbündete als Kontrolleure. Im Fall von Grand Theft Auto 4 nimmt das erstaunliche Ausmaße an. In Sachen rauschhafter Jubel hatten die Spiele-Fachorgane den Publikumsmedien ordentlich vorgelegt.
Webseiten wie Metacritic.com sammeln die Einzelwertungen von weltweiten Kritiken und errechnen einen Mittelwert. Am 9. Mai, zehn Tage nach dem Erscheinen von Grand Theft Auto 4, betrug dieser Sammelwert 99 von 100 Punkten. 35 der 55 aufgeführten Tests vergaben 100 Punkte (oder das Äquivalent dazu auf ihrer Skala). Die niedrigste Wertung war eine 85. »Sie müssen nur eines wissen: Sie müssen dieses Spiel spielen. Punkt«, urteilte die große amerikanische Spieleseite IGN. »Es müsste schon ein Wunder geschehen, um Grand Theft Auto 4 den Titel "Spiel des Jahres" noch streitig zu machen«, orakelte Eurogamer. »GTA 4 verändert die Landschaft des Spielens«, deklarierte Game Informer. Selbst die traditionell britisch-steiflippige Edge, die Bioshock 2007 mit 8 von 10 Punkten abkanzelte, vergab die Höchstnote - das Spiel sei ein »Triumph«.
Schwächen werden unwichtig
99 von 100 Punkten im weltweiten Schnitt wären schon erstaunlich, wenn sie ein Einzelfall wären. In Wirklichkeit sind sie nur der aktuelle Höhepunkt einer Spielekritik, die von Gipfel zu Gipfel hastet. Schon 1998 sammelte Zelda: The Ocarina of Time unter Rezensenten einen 99er-Schnitt ein, im letzten Jahr kamen Halo 3 auf 94, Bioshock auf 96, Super Mario Galaxy auf 97. Der Spielraum nach oben wird dünn für Spitzenspiele. Grand Theft Auto 4 musste zwangsläufig noch höher klettern.
Ernüchternd daran ist, dass die Spieler den Kritikern nicht folgen. Mit 8,3 von 10 Punkten bewerten die Nutzer von metacritic.com Grand Theft Auto 4 derzeit. Halo 3 sehen sie bei 7,3, umgerechnet mehr als 20 Punkte niedriger als die gesammelten Spielejournalisten. Natürlich sind solche Zahlen mit Vorsicht zu genießen, die Stichproben klein und wenig repräsentativ. Zudem drücken Massenmeinungen den Mittelwert, weil enttäuschte Hasser die enthusiastischen Fans zumindest teilweise ausbalancieren.
Dennoch ist die Tendenz deutlich: Spielejournalisten neigen dazu, die Qualität eines Spiels zu überzeichnen. Zudem sind sie oft erstaunlich unkritisch. Die US-Website Joystiq bündelt für ihre sogenannten »Nega-Reviews« die Kritikpunkte aus mehreren Testberichten. Im Falle von GTA 4 sah sich der Redakteur Kyle Orland zu einer Anmerkung gezwungen: »Es war relativ hart, negative Zitate zu finden. Das Lob für GTA 4 ist absolut überfließend.« Dabei hat Grand Theft Auto 4 durchaus sichtbare Probleme, etwa teils monotone Missionen, ein ungenaues Kampfsystem und technische Bugs, die von Rucklern bis hin zu Abstürzen reichen.
Der US-Branchenprimus Gamespot kommentiert: »Das Spiel hat seine Schwächen.« Darunter steht die Wertung: 10,0 von 10,0 Punkten. Für den Take-2-Mann Markus Wilding ist das eine durchaus logische Konsequenz von emotionalen Hypes: Wer ein Spiel liebte, der »will überhaupt nicht hören, dass es eventuell Schwächen hat.« Schon 2006 seufzte der US-Redakteur Chris Buffa in einem Essay über Spielejournalismus: »Ich sorge mich wegen unserer offensichtlichen Weigerung, den Menschen die Wahrheit zu sagen.«
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