Hardcore-Simulationen - Teil 1: Spielst Du noch – oder simulierst Du schon?

Warum sind die teilweise richtig anstrengenden »Spiele« eigentlich so faszinierend? Wir gehen dem vielfältigen Genre der Simulation in einer dreiteiligen Serie auf den Grund.

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»Hardcore-Simulationen sind tot!« das hört man seit den goldenen Neunzigern immer wieder. Dabei sind sie quicklebendig - sie verstecken sich nur gut hinter den pompös erfolgreichen Landwirtschafts-, Eisenbahn- und Truck-Simulatoren. Aber warum sind die teilweise richtig anstrengenden »Spiele« eigentlich so faszinierend? Wir gehen dem vielfältigen Genre in einer dreiteiligen Serie auf den Grund.

Folgender Skype-Dialog ist nicht ausgedacht, sondern hat tatsächlich so stattgefunden:

GameStar-Kollege Christian Schneider: Hi, sag mal, wie startet man denn im Train Simulator den Zug?
Ich: welchen? Dampf, Diesel, Elektrick?
Christian: Elektrik
Ich: Tastatur? Gamepad?
Christian: Tastatur
Ich: Maus auf linken Hebel, etwas »Gas« geben, dann den rechten Hebel auch etwas hochschieben.
Christian: okay
Ich: fährt?
Christian: nö. Ich schau mir mal ein paar Tutorials an :)
Ich: läuft der Motor denn?
Christian: keine Ahnung, es gibt ein Brummen

Für den Train Simulator gibt es einzelne Loks, Waggons und Strecken für weit über tausend Euro. Für den Train Simulator gibt es einzelne Loks, Waggons und Strecken für weit über tausend Euro.

Der Dialog ging noch eine Weile weiter, bis sich Christian doch mal die Schnellstart-Anleitung geschnappt hat. Dabei ist er weder doof noch unfähig - im Gegenteil, er kennt sich mit Spielen natürlich bestens aus. Doch für Simulationen wie den aktuellen Train Simulator 2013 gelten eben ganz andere Gesetze als für Massenmarkspiele wie Need for Speed, die extrem auf Zugänglichkeit getrimmt sind. Während uns solche Titel gleich bei der Hand nehmen, die ohnehin vereinfachte Steuerung nochmal haarklein erklären oder in kurzen Tutorials üben lassen, gehen es anspruchsvolle Simulationen sehr, sehr gemütlich an. Zig Schritte sind nötig, bevor unser Flieger abhebt, unsere Lok anfährt oder das Rennwagen-Setting perfekt abgestimmt ist.

Hardcore oder Weichei?

Dabei ist Simulator nicht gleich Simulator: Hardcore-Simulationen wie das ultrarealistische, laufend erweiterte iRacing hat mit Need for Speed so viel zu tun wie ein Formel-1-Bolide mit einem Bobby-Car. Und sogar der komplexe Train Simulator fährt sich verglichen mit seinen Kollegen von Virtual Railroad wie eine Märklinbahn.

Das ultrarealistische iRacing ist ein Eldorado für Schraubendreher Das ultrarealistische iRacing ist ein Eldorado für Schraubendreher

Selbst die so erfolgreichen Serien Landwirtschaft-Simulator oder Euro Truck Simulator, die den Begriff »Simulation« in den letzten Jahren geprägt haben, sind da weichgespülte, viel einfacher zu steuernde Versionen echter Maschinen - was ich durchaus positiv meine.

Aber was treibt Menschen dazu, sich stundenlang in Handbücher zu vertiefen, Pre-Flight-Checklisten abzuarbeiten oder U-Bahnstrecken abzufahren, ohne je ans Tageslicht zu kommen? Niemand käme auf die Idee, eine Pkw-Simulation zu veröffentlichen, in der man im Polo vom Oer-Erkenschwick nach Bitterfeld fährt. Warum sind dann komplizierte Flugsimulationen, in denen man nachts neun Stunden über den Atlantik fliegt, so faszinierend?

»Man hat sonst schlicht nicht die Möglichkeit, so eine echte Maschine zu fliegen. Ich drücke nicht einfach eine Taste, um loszurollen, sondern habe 37 Startschritte. Ich bekomme die Chance, etwas zu beherrschen, ich muss mich bei einer Rennsimulation nicht an die normalen Verkehrsregeln halten«, erzählt uns Marc Althaus. Der Familienvater spielt zahlreiche Simulationen, vom Train Simulator über Rennspiele wie besagtes iRacing oder Simbins Race bis hin zu zivilen Flugsimulationen wie MS Flight und X-Plane, aber auch ihre militärischen Kollegen wie A-10 (das »fliegende Warzenschwein«) und P-51 (die gute alte Mustang). »Nach 20 Versuchen endlich eine Landung hinzubekommen, ohne in einem Feuerball zu enden, ist für mich mehr Motivation als 200 Soldaten oder Zombies weggeschossen zu haben«.

»99,658 Prozent fehlerfrei gefahren«

Die Sache mit der Motivation trifft es gut, denn die Simulationen haben noch eine andere Eigenheit, die sie von Massenmarktspielen unterscheiden: Es gibt kaum Belohnungen, aufwendig designte Missionen oder sonstige Motivations-Karotten. Wo Otto-Normal-Spiele uns schon als Held feiern und belohnen, wenn wir das Gewehr richtig rum halten, gibt's beim Train Simulator nach zwei Stunden (!) Zugfahrt eine Abschlusspunktzahl plus staubtrockenes Text-Debriefing (»Sie sind 99,658 Prozent der Strecke fehlerfrei gefahren«). Hier gilt wirklich, dass der Weg das Ziel ist.

Treffen der Generationen: Warzenschwein (unten) und Mustang im Steigflug Treffen der Generationen: Warzenschwein (unten) und Mustang im Steigflug

Dabei lassen sich auch viele der anspruchsvollsten Simulationen auf Wunsch »weichspülen«. Meine knapp vierjährige Tochter spielt mit Begeisterung den Train Simulator - ich muss vorher nur das einfache Fahrmodell einschalten, und ein paar Einstellungen auf Automatik stellen, schon kann sie per Gamepad mit vier dicken Dieselloks wild hupend kilometerlange Güterzüge durch Wyoming wuchten (wobei ich vor Bahnhöfen heimlich mit der Maus bremse). Auch die oben genannten knallharten Mustang- und Warzenschwein-Simulatoren lassen sich so zahm einstellen, dass »sie sich wie Tom Clancy's HAWX fliegen«, so Simulations-Fan Marc Althaus.

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