Bei mir zu Hause in München-Sendling, kurz nach Mitternacht: Unzählige Pro-Evo-Partien waren bereits gespielt und als größter Erfolg konnten wir lediglich ein zäh ermauertes 0:0 gegen die Nationalmannschaft von Neuseeland verbuchen. Doch nun hatten wir uns doch irgendwie mit dem geradezu sprichwörtlichen »Schiffer-Dusel« und rumpeligem Anti-Fußball in das Finale des Turniers gemogelt.
Wie genau das passiert war, das wussten wir selbst nicht so genau, denn wir waren jetzt schon seit einigen Stunden in etwa so besoffen wie eine russische Badewanne. Jetzt mussten wir auch noch gegen den FC Chelsea ran, der von Thomas und Matthias gespielt wurde, zwei regelrechten Virtuosen am Controller.
Thomas war bei Pro Evo ein Stratege wie Xavi, ein Fußball-Metronom wie Schweinsteiger, ein Mittelfeld-Dynamo wie Matthäus. Und Matthias, der war ein Fummler, ein quirliger Strafraumspieler, halb Mensch, halb Kernseife, man bekam ihn einfach nicht zu fassen. Und gegen diese Wunderkicker sollten wir eine Chance haben? Wir, die wir schon allergrößte Mühe hatten, den Ball per Billo-Kurzpass ausnahmsweise mal NICHT präzise in die Beine des Gegners zu schieben?
Das Ganze war eigentlich völlig aussichtlos - doch dann … dann kam ich! Ich setze in der Küche zu einer »inspirierenden« Bier-Schweiß-und-Tränen-Rede an, ich lallte etwas von »nie aufgeben!« und »weiter, immer weiter!«, ich appellierte mit schriller werdender Stimme an den Teamgeist und bemühte so lange mit großem Pathos historische Fußballvergleiche (Österreich vs. Faröer, 1990!), bis mich irgendwer mit sanfter Gewalt wieder vom Küchentisch herunterzog. Dann begann das Spiel.
Wir rannten, wir kämpften und wir ackerten, wir gaben alles, wir fighteten um jeden Ball, wir rieben uns auf, jeder Zentimeter des virtuellen Fußballplatzes wurde von uns erbittert verteidigt - und verloren 0:12. Tja, und kurz darauf musste ich mich dann dummerweise auch noch übergeben. Das ist sie also, die Geschichte von der »Schande von Sendling«.
Der Autor
Christian Schiffer ist Journalist beim Bayerischen Rundfunk, Politikwissenschaftler, weltgrößter Ultima-7-Fan und Herausgeber des Spielkultur-Bookazines WASD. In seiner Kolumnenserie #keineahnung schreibt er für GameStar Plus über die Absurditäten unserer Branche und legt den Finger in die Wunde: Seid ihr eigentlich alle bescheuert?
E-Sport oder Iiieeh, Sport?
Ich habe diese Geschichte schon mal für mein Magazin »WASD« aufgeschrieben und erzähle sie nun schon wieder. Warum nur? Um klar zu machen, wie schlecht ich als Computerspieler bin. Wenn es in meinem Leben je so etwas wie Spurenelemente einer hoffnungsvollen E-Sport-Karriere gab, dann war sie spätestens im Alter von neun Jahren vorbei.
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