Beinahe wünsche ich mir Deidranna zurück. Ja, gut, die 1999 verstorbene Despotin mit dem Schönheitsfleck hielt es nicht so genau mit Menschenrechten und Genfer Konventionen. Auch vor kaltblütigem Mord schreckte sie nicht zurück: Ihren Schwiegervater ließ sie umbringen, nur um das Verbrechen anschließend ihrem Ehemann in die Schuhe zu schieben - und den dann zu exekutieren. Der Gerechtigkeit muss schließlich Genüge getan werden ...
Alles in allem ist Deidranna also vielleicht nicht das ideale Vorbild für junge Politikerinnen. Aber sie wusste zumindest, wie man mit unfähigen Untergebenen umgeht! Ihren trotteligen Assistenten Elliot ließ die Antagonistin von Jagged Alliance 2 regelmäßig ihren Zorn spüren, sowohl körperlich wie verbal (»Elliot, Sie Schwachkopf!«). So ein energisches Durchgreifen würde ich mir heute auch mal wünschen. Denn wenn es nach mir ginge, würde Deidranna aus dem Pixelgrab auferstehen, die gesamte Spielebranche am Schlafittchen packen, kräftig durchschütteln und den Entwicklern dabei Folgendes ins Gesicht schreien: »Waaas, ihr habt 19 Jahre nach meinem Ableben immer noch keinen würdigen Nachfolger zu Jagged Alliance 2 auf die Reihe gebracht?! Ihr Schwachköpfe!«
Making of Jagged Alliance: Warum es ursprünglich Echtzeitkämpfe haben sollte
Es ist nur eine vage Hoffnung, aber möglicherweise würden ein paar gezielte Beleidigungen den Spiele-Entwicklern ja endlich mal Beine machen. Und wenn das nichts bringt, dann vielleicht ein kleines bisschen Folter in Deidrannas Palastkerker? Über den illegalen Einsatz der ein oder anderen Streckbank könnte ich hinwegsehen, wenn dafür ein Jagged Alliance 3 von der Qualität des Vorgängers rausspringt. Genug Versuche, die alte Taktikperle zu renovieren, gab es über die Jahre zwar, aber keiner davon erreichte die spielerische Güte des Vorbilds. Im Gegenteil, die meisten rangierten auf der Qualitätsskala zwischen irgendwo Softwareschund und Mittelmaß.
2018 unternehmen die deutschen Cliffhanger Studios den jüngsten Versuch, mit dem alten Namen Kasse zu machen. Das gerade angekündigte Jagged Alliance: Rage! nutzt ganz offiziell Namen, Spielprinzip und Charaktere des Klassikers aus dem Jahre 1999, sogar Schwachkopf Elliot ist mit von der Partie. Aber der Funke, er will auch bei diesem nunmehr sechsten Versuch einer Neubelebung der Marke nicht so recht überspringen. Egal ob Rage!, Flashback, The Jagged Edge, New Jagged Union und wie sie alle heißen, die Möchtegern-Nachfolger von Jagged Alliance 2 - immer fehlte ihnen mindestens ein ganz elementarer Bestandteil der Serie, um den Erfolg von 1999 zu übertrumpfen.
Woran das liegt? An Unvermögen, rechtlichen Zwängen, mangelnder Leidenschaft. Und an einer katastrophalen Fehleinschätzung seitens der Entwickler. Es folgt: Ein persönlicher Blick auf das ideale Jagged Alliance 3 - und die Gründe dafür, warum es zum Leidwesen aller Fans immer noch nicht erschienen ist.
Der Autor
Peter Bathge ist ein Kind der 90er-Jahre - hat aber viele der tollen Hits von damals erst sehr viel später spielen können, als er endlich einen vernünftigen Rechner und ein Spielezeitschriften-Abo sein Eigen nennen konnte. Jagged Alliance 2 holte er deshalb auch erst in den 2000er-Jahren nach - und trotz der zu diesem Zeitpunkt arg veralteten Grafik hat ihn der Befreiungsfeldzug auf der Insel Arulco schwer beeindruckt. Besonders das Söldner-Management samt Ausbilden eigener Milizen und das Rückerobern von Sektoren hebt Jagged Alliance 2 für ihn von vergleichbaren Spielen ab - das und die Persönlichkeiten der Pixel-Charaktere. In Abwesenheit eines würdigen Nachfolgers stiegen später aber die XCOM-Neuauflagen von Firaxis zu seinen neuen Lieblingsspielen im Rundenstrategie-Genre auf.
Das Scheitern an der Drei
Jagged Alliance 3 muss so sein wie Jagged Alliance 2 - wenn es nach großen Teilen der (auch nach fast 20 Jahren noch aktiven!) Fan-Community geht, dann ist die Sache klar. Ein bisschen moderner, ja gerne, ein bisschen hübscher, okay, ein bisschen komfortabler, na wenn's denn sein muss. Aber im Grunde sollten die Entwickler doch einfach auf den Stärken des Vorgängers aufbauen - aber genau das erwies sich immer wieder als großer Stolperstein auf dem Weg zu einer würdigen Fortsetzung der Serie.
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