Mehr als Cyberpunk - Polnische Spieleentwickler nach The Witcher

The Witcher 3: Wild Hunt lenkte die Aufmerksamkeit der ausländischen Mainstream-Presse auf Polen. Plötzlich wurden Spiele wie Dying Light, This War of Mine, Dead Island oder Call of Juarez nicht mehr als einmalige, zufällige Erfolge wahrgenommen, sondern eher als Teil eines Musters.

Von Jakub Mirowski

Bei dieser Artikelreihe handelt es sich um einen zweiteiligen Gastbeitrag. Den ersten Teil zum Thema "Warum The Witcher in Polen entwickelt werden musste" könnt ihr hier nachlesen.

Nach dem Release von The Witcher 3 begannen Journalisten auf der ganzen Welt über das Aufstreben einer neuen Größe in der Videospielindustrie zu schreiben, und auch wenn diese Behauptungen vielleicht etwas übertrieben waren,war der herausragende Status der polnischen Industrie eine Sensation, vor allem angesichts der Tatsache, dass die wirtschaftliche Lage des mitteleuropäischen Landes - auch wenn sie sich seit 1989 stetig verbesserte - nicht wirklich mit den Nachbarn aus dem Westen vergleichbar war.

Die Presse konzentrierte sich hauptsächlich auf die spektakulärsten Erfolge, doch die Polen bewiesen in den vergangenen Jahren, dass Flexibilität und Vielfalt die Markenzeichen der lokalen Spieleentwicklung sind. Die heimische Industrie erfuhr vor allem aufgrund der beachtlichen Errungenschaften von CD Projekt RED oder Techland internationale Beachtung, aber in diesem Land mit seinen 37 Millionen Einwohnern gibt es noch wesentlich mehr Entwickler - von denen viele ihre eigene Nische gefunden haben. Die 11 Bit Studios haben sich mit This War of Mine einen Namen gemacht, und kürzlich bewiesen sie mit Frostpunk, dass sie ihr Handwerk exzellent verstehen. Unabhängige Produktionen des Studios kombinieren dunkle Themen und eine düstere Atmosphäre mit umfangreichem Gameplay, was die Herzen der Fans im Sturm erobert hat.

Mit Frostpunk zeigte 11 Bit Studios, wie sich ein kleines polnisches Studio internationale Aufmerksamkeit erarbeiten kann. Mit Frostpunk zeigte 11 Bit Studios, wie sich ein kleines polnisches Studio internationale Aufmerksamkeit erarbeiten kann.

Im Bereich der Indie-Spiele ist das Bloober Team zu nennen, die hauptsächlich für das Horrorspiel Layers of Fear bekannt sind; vergangenes Jahr machten auch Creepy Jar (mit dem Survivalspiel Green Hell) oder Thing Trunk (Book of Demons) respektable Debüts. Erwähnenswert ist außerdem SuperHot, ein außergewöhnlicher Mix aus Puzzlespiel und Ego-Shooter, der PC, Konsolen und sogar VR eroberte.

Im Segment der Low-Budget und Mid-Budget-Spiele war wiederum PlayWay besonders erfolgreich. Das Unternehmen verfolgte eine andere Strategie: Der Fokus lag auf dem Publishing von Spielen kleinerer Teams mit weniger beeindruckenden Budgets. Ihr Angebot umfasst keine Kunstwerke interaktiver Unterhaltung, trifft aber den Geschmack von Fans aller Arten von Simulatoren. Und davon hat das Unternehmen jede Menge - von Car Mechanic Simulator über Giant Machines, 911 Operator und House Flipper bis hin zu Thief Simulator.

Die Simulation House Flipper spielte in nur zwei Wochen ein Vielfaches seiner Produktionskosten wieder ein. Die Simulation House Flipper spielte in nur zwei Wochen ein Vielfaches seiner Produktionskosten wieder ein.

Natürlich sind das keine besonders ehrgeizigen Spiele, die jede Menge Presse-Awards und gute Kritiken einfahren, aber die meisten davon sorgen für stete Gewinne und manche sogar für herausragende Umsätze. House Flipper sorgte beispielsweise für Umsätze von 14 Millionen Zloty innerhalb von zwei Wochen (was angesichts des Budgets in Höhe von 550.000 Zloty ein beeindruckendes Ergebnis ist), und Car Mechanic Simulator 2018 fand über 800.000 Käufer.

Im Mobile-Sektor haben wiederum Artifex Mundi, das in Breslau ansässige T-Bull oder Digital Melody die Oberhand. Alle diese Unternehmen produzieren Spiele für Gelegenheitsspieler, mit relativ niedrigem Budget und seit geraumer Zeit auch nur für den Binnenmarkt. Dabei hat jedes Unternehmen einen anderen Fokus: Artifex Mundi produziert massenweise HOPAs (auch wenn das Studio in den vergangenen Jahren auch mit anderen Genres liebäugelte), T-Bull entwickelt Rennspiele aller Arten, und das Kernstück von Digital Melody sind kostenlose Arcade-Spiele, die Umsätze beruhen vorwiegend auf Mikrotransaktionen.

Weiter, immer weiter

Gleichzeitig zeigt die polnische Videospielindustrie keinerlei Anzeichen von Müdigkeit. Ganz im Gegenteil, interaktive Unterhaltung gewinnt im Land immer mehr an Popularität: Laut einer Umfrage aus dem vergangenen Jahr betrachten sich bis zu 79% der Internetnutzer als "Gamer". Dies hat wiederum eine wachsende Vielfalt an exklusiven Spielgeräten zur Folge - knapp die Hälfte der Teilnehmer besitzen mindestens eine Konsole, meist eine PlayStation 4. Das Ergebnis dieser Umfrage spiegelt sich in der Strategie der Entwickler wider, die nun vermehrt reinen PC-Titeln den Rücken zukehren und stattdessen andere Plattformen in ihr Repertoire aufnehmen, was wiederum dabei hilft, Spieler außerhalb Polens und Osteuropas zu erreichen.

Spiele wie Witchfire von The Astronauts haben großes Erfolgspotenzial. Spiele wie Witchfire von The Astronauts haben großes Erfolgspotenzial.

Das eigentlich Fantastische ist aber, wie polnische Spiele heutzutage aufgenommen werden. Bloober Team kann mit dem Release des Sequels zu ihrem erfolgreichen Layers of Fear im Mai mit respektablen Umsätzen rechnen; das neue Projekt von The Farm 51, das Horrorspiel Chernobylite, konnte wie ganz selbstverständlich auf Kickstarter 100.000 Dollar einsammeln. Der unabhängige Ego-Shooter Witchfire von The Astronauts unter der Leitung von Industrieveteran Adrian Chmielarz sieht ebenfalls sehr vielversprechend aus. Doch all diese Spiele werden von den zwei AAA-Giganten überschattet werden, die in nächster Zukunft unweigerlich auf den Markt kommen werden.

Dying Light 2 und Cyberpunk 2077. Für die Entwicklung des Ersteren konnte Techland eine Legende der interaktiven Unterhaltung, Chris Avellone, gewinnen und ein Budget von geschätzt mehr als 100 Millionen Zloty auftreiben. Bisher hat noch keines dieser Spiele ein offizielles Releasedatum, doch wir sind zuversichtlich, dass wir beide auf der diesjährigen E3 zu sehen bekommen werden. Wer jetzt noch nicht vom Hype erfasst wurde, wird es spätestens dann werden. Zumal Cyberpunk 2077, das neue, extrem ehrgeizige Projekt von CDPR sogar noch sehnlicher erwartet wird. Der im vergangenen Jahr auf der E3 gezeigte Trailer schloss Microsofts Pressekonferenz ab und wurde zum populärsten Material der gesamten Show. Die Entwickler geben offen an, dass es ihr Ziel sei, wie auch bei The Witcher 3, neue Meilensteine in der interaktiven Unterhaltung zu setzen. Und auch wenn derartige Statements immer mit Vorsicht zu genießen sind, muss man sagen, dass im Fall von Cyberpunk 2077 allein aufgrund der Verbindung zu Wild Hunt alles außer einem überragenden wirtschaftlichen Erfolg eine Enttäuschung wäre.

Nach The Witcher 3 strebt CD Projekt Red mit Cyberpunk 2077 den nächsten Welterfolg an. Nach The Witcher 3 strebt CD Projekt Red mit Cyberpunk 2077 den nächsten Welterfolg an.

Momentan haben wir allerdings keinen wirklichen Grund zur Sorge - sowohl, was die Zukunft von CD Projekt RED als auch die gesamte polnische Industrie betrifft. Auch wenn sie nie ein Koloss wie die USA werden wird, schätzt sich das Land dennoch glücklich, die dominierende Macht der Videospielindustrie in Zentralosteuropa zu sein. Und wenn wir nationale Industrien insgesamt analysieren, gibt es in der Region bislang keine wirkliche Konkurrenz - was jedoch nicht bedeutet, dass polnische Entwickler im kommenden Jahrzehnt die Füße hochlegen werden. Dafür ist ihr Ehrgeiz viel zu groß.

Die Errungenschaften der Entwickler - nicht nur von Techland oder CD Projekt RED, sondern auch von allen anderen Teams, die in den letzten Jahren größere oder kleinere Erfolge feierten - haben den Appetit geweckt, und die Jahrzehnte an Erfahrung, die erst durch leidenschaftliche Amateure und dann nach und nach durch spezialisierte Experten gesammelt wurde, hat die polnische Videospielindustrie mit einer bemerkenswerten Anzahl von Talenten versorgt. Allein die Tatsache, dass in der Mitte des vergangenen Jahres knapp 250 Unternehmen aktiv in der Videospielentwicklung tätig waren, mit einem Nettowert von 550 Millionen Dollar (d.h. neun Prozent mehr als im Vorjahr), spricht Bände. Natürlich wird nicht jedes Projekt von ihnen ein globaler Erfolg werden, dennoch überwiegt insgesamt die Freude über solche Zahlen. Und in Sachen Videospiele ist der zwischen den Flüssen Bug und Oder bekannte Spruch "gut, weil es aus Polen kommt" mehr als nur Wunschdenken.