Overwatch - Tracer ist kein Problem, aber das Kalkül von Blizzard

Elena findet toll, wie offen mit Tracers Sexualität umgegangen wird. Aber die Diskussion zeigt auch, dass Blizzard mit seinen Overwatch-Charakteren ein großes Problem hat.

Eine einzige Szene sorgt dafür, dass der neuste Webcomic zu Overwatch nicht in Russland verfügbar ist. Schuld ist keine übermäßige Gewalt, kein Verbrechen, das man nicht zeigen will, sondern einfach nur ein banaler Kuss - zwischen Heldin Tracer und einer Frau.

Blizzard zeigt also Monate nach dem Release von Overwatch erstmals, dass eine der zentralen Figuren des Shooters homosexuell oder zumindest bisexuell ist und erntet dafür Begeisterung und Lob von vielen Fans, aber auch Kritik und sogar Hass. Spieler weigern sich plötzlich, die beliebte Heldin weiterhin zu spielen oder boykottieren gar den Kauf des Multiplayer-Shooters.

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Lesbisch? Gut so!

Mein erster Gedanke dazu war vergleichsweise simpel: Ich finde gut, dass Blizzard seine Heldin lesbisch gemacht hat. Denn Overwatch ist vor allem für eines bekannt: seine unglaublich vielfältige und diverse Heldenriege. Statt aus langweiligen Klischee-Soldaten können die Spieler aus einem kunterbunten Heldenmix Marke MOBA wählen. Hier geht es längst nicht mehr nur um Stärken und Schwächen, sondern auch um Sympathien und persönliche Präferenzen - will ich der coole Cowboy sein oder das niedliche Mädchen im Eskimo-Outfit?

Die Spieler bauen eine Beziehung zu diesen Figuren auf und das, obwohl sie eigentlich Teil eines reinen Multiplayer-Shooters sind. Trotz Lore und Universum im Hintergrund, gibt es hier nicht einmal eine echte Story oder auch nur das klassische Gut gegen Böse. Und dennoch identifizieren sich die Spieler mit diesen Figuren, die im Spiel weder Ziele noch Ideale und sogar nur den Hauch eines Charakters besitzen - in erster Linie sind sie schließlich Avatare.

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Charaktere fürs Marketing

Trotzdem oder gerade deswegen bin ich zwiegespalten, was Overwatch und seine Charaktere angeht. Einerseits finde ich es vorbildlich, dass Tracers Homosexualität keinen Einfluss auf ihre Rolle im Spiel hat - denn wie auch im echten Leben definieren wir uns nicht ständig nur über lediglich einen Aspekt, wie eben die sexuelle Orientierung. Tracer ist in erster Linie eine Person, eine Kämpferin und eine Heldin - wen sie liebt, ist dafür zunächst völlig egal.

Andererseits zeigt das für mich aber deutlich ein Problem, das Overwatch hat: Die Geschichten und Wesenszüge seiner Charaktere finden ausschließlich außerhalb des eigentlichen Spiels statt. Das ganze Lore-Drumherum, egal ob nun Rendertrailer oder Comics, existieren im Grunde genommen nur fürs Marketing.

Das mag zwar ein genialer Schachzug von Blizzard sein, und es scheint ja auch wunderbar zu funktionieren. Aber es hat für mich auch einen faden Beigeschmack, weil sich der Tracer-Comic unter diesem Gesichtspunkt eben zumindest zu großen Teilen nach Marketing-Kalkül anfühlt. Tracer bekommt eine Rolle, die gerade nützlich für Blizzard scheint, ohne dass darauf innerhalb des Spiels zuvor in irgendeiner Form drauf hingearbeitet wurde. Bös gesagt ist sie dort nur ein leeres Vehikel.

Fan-Service statt Story

Für mich funktionieren die Charaktere damit nicht innerhalb einer Geschichte oder einer Welt. Ich frage mich nicht, warum sie sind wie sie sind, weil ich den Grund insgeheim bereits kenne: Blizzard hat seine Charaktere vor allem für die Fans geschaffen.

Sie sind ideal für die aktuelle Internet-Kultur. Die Fans verarbeiten die coolen Charaktere, Outfits und Looks in Rekordzeit zu Cosplays. Pärchen werden in Fan-Fiction »geshippt« und neu verkuppelt, sogar in Form von Hentais und Pornos.

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Und bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Das ist nichts Schlechtes. Im Gegenteil. Ich finde es grundsätzlich wundervoll, mit wie viel Liebe und Sorgfalt Fans bekannten Figuren aus Comics, Filmen und Spielen eine neue Bühne geben und ihre Geschichte weiter ausgestalten. Aber im Fall von Overwatch und Blizzard wirkt mir das einfach ein Stück weit zu vorausgeplant, zumal der Entwickler ohnehin ein Talent dafür hat, bereits etablierte Prinzipien zu perfektionieren.

Ein bisschen zu perfekt

So auch das Charakterdesign: Die Figuren sind meisterhaft gestaltet, detailliert und liebevoll, verfügen über eigene Comics und Filmchen, die Disney Pixar Konkurrenz machen könnten. Aber weil das alles so isoliert stattfindet, wirkt es für mich auch seltsam aufgesetzt. Ein bisschen wie Geschichten von Fans für Fans, die nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun haben - die es in diesem Fall ja nicht einmal gibt.

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Dadurch fehlt mir einfach der Reiz, mich näher mit ihnen auseinanderzusetzen. Denn ein perfektes Design macht eine Figur vor allem eines: berechenbar. Und dabei will ich doch überrascht werden. Ich will keine Charaktere, die so verschieden sind, das mindestens einer rein statistisch gesehen zumindest ansatzweise zu mir passen müsste. Ich will echte Persönlichkeiten mit Ecken, Kanten und Widersprüchen und eine echte Geschichte, die über kleine Comicfetzen und Videoschnipsel hinausgeht.

Und weil mir das bei der Charakterzeichnung von Overwatch fehlt, fällt es mir schwer, mehr darin zu sehen als Werbung und nettes Beiwerk für einen beliebten Multiplayer-Shooter. So großartig das mit der lesbischen Tracer also auch ist, ich würde mir für zukünftige Overwatch-Episoden wünschen, dass Blizzard sowas auch innerhalb der Spiele thematisiert. Mag sein, dass dies noch mehr Mut verlangt hätte. Aber gerade Blizzard sollte sich das eigentlich trauen können.

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