Stress & Crunch bei Bioware - »Wir wollten, dass Dragon Age 3 scheitert, weil es so nicht weitergehen konnte«

Ein Enthüllungsreport von Kotaku offenbart diverse Hintergründe zu den Problemen hinter Anthem, Mass Effect & Co. Stress war wohl eines davon.

Die Entwicklung von Anthem hatte offenbar Licht- und Schattenseiten. Die Entwicklung von Anthem hatte offenbar Licht- und Schattenseiten.

In den vergangenen Jahren häufte sich die Anzahl an Meldungen, die von überbordendem Stress, zu langen Crunch-Phasen und erdrückenden Arbeitsumständen in der Gaming-Branche berichten. Mitarbeiter leiden an gesundheitlichen und/oder psychischen Problemen, weil sie mit der Arbeitslast nicht mehr zurechtkommen. Ein Enthüllungsreport von Kotaku attestiert aktuell genau solche Fälle bei Bioware - oder genauer: den unterschiedlichen Bioware-Studios, die an Mass Effect: Andromeda, Dragon Age: Inquisition und Anthem arbeiteten.

Der Report basiert auf zahlreichen internen Quellen bei Bioware, einige davon schieden über die Jahre aus dem Unternehmen aus, andere befinden sich noch an Bord. So soll der finanzielle Erfolg von Dragon Age: Inquisition 2014 für die Mitarbeiter intern »das schlimmste gewesen sein, was hätte passieren können«.

Die Entwicklung des dritten Dragon Age sei von so vielen Fehlentscheidungen und technischen Problemen geprägt gewesen, dass man im Release-Jahr 2014 unheimlich viel verlorene Zeit aufholen musste. Und das funktionierte nur über unheimlich lange Crunch-Phasen, also Entwicklungssprints mit drastisch erhöhter Arbeitsbelastung, Überstunden und so weiter. Die Belastung - so der Report - sei so hoch gewesen, dass Mitarbeiter in Edmonton sich sogar wünschten, das Spiel würde gegen die Wand fahren.

"Einige Kollegen in Edmonton litten so unter ihrem Burnout, dass sie sich sagten: Dragon Age: Inquisition sollte eigentlich allein deshalb scheitern, damit die Leute realisieren, dass man so einfach keine Spiele entwickeln darf."

GameStar-Plus: Unser großer Report zu den Veränderungen bei Bioware

Dragon Age war nur ein Beispiel unter mehreren

Kotaku-Autor Jason Schreier referenziert in seinem Report einen Bioware-internen Begriff namens »Bioware Magic«. Dahinter verbirgt sich eine Studio-Philosophie, die daran glaubt, dass man Stolpersteine in der Entwicklung letztlich durch genügend Fleiß und Leidenschaft kompensieren könne. Über die Jahre sei diese Vorstellung jedoch wieder und wieder an ihre Grenzen und darüber hinaus gestoßen.

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Neben Inquisition kamen es offenbar auch bei Anthem und Mass Effect: Andromeda zu zahlreichen »Stress Leaves«, also ärztlichen Attesten, durch die Mitarbeiter teilweise über Monate aufgrund psychischer Belastung freigestellt werden mussten. Ein Mitarbeiter erklärte:

"Es gab unzählige sogenannte Stressausfälle bei der Entwicklung von Mass Effect: Andromeda und Anthem. Als Stressausfall bezeichnen wir intern jemanden, der so einen mentalen Zusammenbruch erleidet, dass er teils für mehrere Monate ausfällt."

Einige von diesen ausgefallenen Leuten kehrten laut dem Kotaku-Report zum Unternehmen zurück, andere nicht. Ein anderer Mitarbeiter berichtet von Kollegen, die sich regelmäßig in stille Räume zum Weinen zurückzogen. »Die Leute waren andauernd wütend und traurig, Depression und Angstzustände sind eine Epidemie innerhalb von Bioware.«

Über die Jahre wurde es spürbar schlimmer

Bei den vergangenen drei Bioware-Spielen habe sich - so der Report - die »Bioware Magic« zumindest dahingehend entfaltet, dass die Spiele im letzten Jahr ihre Entwicklung drastisch verbessert haben. Als Bioware zur E3 2017 ankündigte, Anthem werde im Herbst 2018 erscheinen, bestand der tatsächliche Build des Spiels aus gerade mal einer Mission.

Dieser Umstand führte auch zu den großen Diskrepanzen zwischen dem, was die ursprüngliche E3-Demo präsentierte, und dem, was das Spiel am Ende tatsächlich enthielt. Zum direkten Vergleich haben wir ein eigenes Video angefertigt.

Ist Anthem das Spiel, das Bioware versprochen hat? - Video: Downgrade-Check mit der E3-Demo Video starten 7:45 Ist Anthem das Spiel, das Bioware versprochen hat? - Video: Downgrade-Check mit der E3-Demo

Bis zum tatsächlichen Release im Februar 2019 stemmte das Team also in nicht einmal zwei Jahren ein unheimliches Pensum an Spielmechaniken, Assets, Story-Inhalten und so weiter. Dass das fertige Produkt letztlich trotzdem viel Kritik erntete, steht auf einem anderen Blatt.

Dieser Crunch hatte jedoch seinen Preis. Die sogenannten »Stress Casualties« nahmen von Projekt zu Projekt drastisch zu. Ein Mitarbeiter hatte vor Andromeda noch nie von solchen Ausfällen gehört, danach gehörte es zum inoffiziellen Portfolio von Bioware.

Bioware reagiert auf die Kritik des Reports

Zur Einordnung: Wer sich »den Entwickler Bioware« als ein einziges großes Studio vorstellt, verkennt die Realität. Zum Zeitpunkt des Andromeda-Release im Jahr 2017 bestand der Entwickler aus drei Niederlassungen. Der Sitz in Edmonton kümmerte sich um Dragon Age: Inquisition und jüngst Anthem, das Austin-Team arbeitet seit Jahren an Star Wars: The Old Republic und das mittlerweile geschlossene Studio in Montreal verantwortete Mass Effect: Andromeda.

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Mittlerweile hat Bioware auf die Kritik reagiert. In einem Blog-Post beteuert der Entwickler, dass man Crunch-Phasen grundsätzlich vermeiden wolle und die körperliche und geistige Gesundheit der eigenen Mitarbeiter sehr ernst nehme. Im gleichen Atemzug kritisiert die Stellungnahme wiederum Kotakus Report dafür, angeblich gezielt einzelne Mitarbeiter und Führungskräfte in die Schusslinie zu rücken.

"Wir richten unsere Planungen immer darauf aus, Crunch-Phasen zu vermeiden. Und uns erreichte dahingehend auch kein großes internes Feedback. Ein Spiel und insbesondere eine neue Marke zu entwickeln, ist immer eine große Herausforderung. Wir tun alles, was in unserer Macht steht, diesen Prozess gesund und stressfrei zu halten, gestehen jedoch ein, dass es immer Raum für Verbesserungen gibt."

Und weiter:

"Als Entwickler akzeptieren wir jede Kritik an unseren Spielen, insbesondere von unseren Fans. Kreative Prozesse sind hart, Herausforderungen real. Aber die Belohnung von unseren Spielern, wenn wir ihnen etwas von uns Erschaffenes in die Hand drücken, ist unglaublich. Leute in unserer Branche stecken so viel Leidenschaft und Energie in solche Projekte, die Spaß bescheren. Wir sehen keinen Wert darin, andere Leute oder ihre Arbeit abwerten zu wollen. Und deshalb glauben wir auch nicht, dass Artikel, die so etwas tun, die Industrie oder das Gaming-Handwerk verbessern."

Bereits lange vor der Veröffentlichung des Kotaku-Reports hat Bioware übrigens versprochen, Anthem in Zukunft zu fixen. Dazu veröffentlichen sie immer neue Updates, wie zum Beispiel vor Kurzem den Patch 1.04. Was der Loot-Shooter zu seinem Release zu bieten hatte, erfahrt ihr übrigens in unserem Test zu Anthem.

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