Jedes Jahr Mitte August wird meine Selbstdisziplin auf eine harte Probe gestellt: Nämlich immer dann, wenn ich vom Unverständnis lese oder höre, wie man sich denn »sowas wie den Publikumsbereich der gamescom« nur antun könne.
Das Erschreckende: Das steht nicht nur unter nahezu jedem unserer gamescom-Artikel, sondern ich bekomme es auch immer wieder von Journalistenkollegen oder Mitarbeitern von Spielefirmen zu hören. Also genau von denjenigen, die im angenehm klimatisierten Business Center ohne Menschenmassen und kilometerlange Warteschlangen die neuesten Spiele sehen.
Wer vier Stunden ansteht, macht das bewusst
Ich bin der Meinung: Wer so denkt, der demonstriert nicht nur eine gehörige Portion Ignoranz and Arroganz, sondern hat auch den Bezug zu denjenigen verloren, für die er eigentlich seinen Job machen sollte.
Natürlich kann und darf man vieles an der weltgrößten Spielemesse kritisieren. Und ich kann grundsätzlich auch jeden verstehen, der keine Lust hat vier Stunden anzustehen, um ein Spiel auszuprobieren, das er schon ein paar Wochen oder Monate später ganz entspannt kaufen und ohne Einschränkungen zocken kann.
Aber das gibt uns noch lange nicht das Recht, diejenigen als Deppen abzustempeln, die mit großer Freude bereit sind, diese vier Stunden Anstehen zu investieren. Vielleicht weil es für sie noch etwas Besonderes ist, ein Spiel vor den meisten anderen ausprobieren zu dürfen. Vielleicht weil sie sich schon seit Jahren auf genau diesen Titel freuen. Oder vielleicht auch weil sie in den Warteschlangen jede Menge Gleichgesinnte treffen, fachsimpeln und sogar neue Freundschaften schließen können.
Diese ehrliche und ungefilterte Begeisterung der Messebesucher zu sehen, macht mir beim jährlichen Gang durch die Messehallen jedes Jahr aufs Neue klar, für wen ich diesen Job eigentlich mache. Nämlich für diejenigen, die Computer- und Videospiele genauso sehr lieben wie ich.
Und ich weiß, dass es vielen Spiele-Entwicklern ähnlich geht. Journalisten ein Spiel zu präsentieren ist das eine. Aber zum ersten Mal die leuchtenden Augen eines Fans an der Demostation zu sehen etwas völlig anderes.
Der Kontrapunkt zum durchchoreographierten Livestream
Hinzu kommt, dass dieser direkte Kontakt zwischen Spiele-Schaffenden und -Konsumenten immer seltener wird und ich auch das Gefühl habe, dass sich die Hersteller immer mehr von ihren Fans entfernen.
Spielepräsentationen finden häufig nur noch als von PR- und Marketing-Experten durchchoreographierte Livestream-Events statt, gern flankiert von bezahlten Influencern und mehr oder weniger berühmten Promis. Die E3 2019 war diesbezüglich bereits ein erschreckender Vorgeschmack.
gamescom together: Mit diesem Livestream-Programm bringen wir euch die Messe nach Hause
Man muss die gamescom nicht mögen. Man muss sie auch nicht besuchen. Genauso wie jede andere Publikumsmesse. Aber ein bisschen mehr Respekt und Demut vor denjenigen, die ihre Begeisterung und Leidenschaft für Spiele gemeinsam und unmittelbar mit anderen feiern wollen, wäre nicht nur eine Frage des Anstands, sondern auch wichtiges Signal an die Spielehersteller, dass kein Livestream oder Forums-AMA der Welt den direkten Kontakt mit den Fans ersetzen kann. Wir sehen uns in Köln, ich freue mich drauf!
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