Wieso gute Spiele euch auch mal hungern lassen sollten

Meinung: Der Gaming-Markt hat sich in den letzten 15 Jahren drastisch verändert, bietet gigantische Open Worlds. Doch in diesen unendlichen Weiten ist etwas wichtiges verloren gegangen.

Splinter Cell Conviction war der Inbegriff eines Spiels, das Fans hungern lässt. Splinter Cell Conviction war der Inbegriff eines Spiels, das Fans hungern lässt.

Heutzutage verstehen sich die meisten großen Spiele als Büfett. Ihr kauft euch in ein Assassin's Creed: Odyssey, ein Wolfenstein: Youngblood oder Rage 2 ein - und dann heißt es »All you can eat«: Probiert hiervon, probiert davon, konsumiert unsere mannigfaltigen 100-Stunden-Inhalte, bis ihr pappsatt und zufrieden auf eurer Couch einschlaft. Da mögt ihr sagen: Klingt doch perfekt - was ist an Büffets verkehrt?

Prinzipiell nichts. Assassin's Creed: Odyssey, Red Dead Redemption 2, Destiny 2 - alles gute Spiele, die euch eine mehrmonatige Anlaufstelle für eure tägliche Gaming-Dosis geben. Jeden Abend nach der Arbeit finde ich neues Futter, neue Dailys, unentdeckte Inseln, Quests, Gegenstände. Doch in dieser Publisher-Fokussierung auf Masse ist etwas verloren gegangen, das ich früher überhaupt nicht zu schätzen wusste: die Notwendigkeit, uns Spieler ab und an mal hungern zu lassen.

Im April 2010 habe ich mich richtig geärgert. Damals erschien Splinter Cell: Conviction mit einer läppischen Singleplayer-Spielzeit von fünf Stunden. Fünf! Was für eine Schweinerei, die Vorgänger boten gefühlt das Doppelte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als jede Solo- und Koop-Mission mehrfach zu spielen, um meinen Hunger irgendwie zu stillen. Vor zehn Jahren empfand ich das als blöd, heute vermisse ich's.

Spiele sollten nicht länger sein, als sie tief sind

Splinter Cell: Conviction war damals vorbei, bevor ich mich daran satt gespielt hatte. Bevor ich alle Gadgets, alle Manöver und alle coolen Stealth-Takedowns durchexerziert hatte. Ein anderes Beispiel ist Max Payne 2: Ich habe jedes Level so lange wiederholt, bis ich wirklich jedes Bullet-Time-Kunststück vollführten konnte. Aus fünf Stunden Spielzeit wurden 50. Bei vielen heutigen Spielen ist es genau anders herum.

Der Autor: Dimi liebt umfangreiche Spiele, schließlich testet er nicht ohne Grund fast jeden Open-World-Blockbuster für die GameStar. Doch Länge, Größe und Weite sind keine Pauschalargumente für gute Unterhaltung. Ganz im Gegenteil: Gerade weil heute so viele Spiele mit Umfang protzen, müssen sie auch genügend Inhalt bieten, um sich gegen die Konkurrenz zu behaupten. Und es kann eine hervorragende Taktik sein, die Spieler eben nicht zu übersättigen.

Spiele tun sich durchaus einen Gefallen damit, vorbei zu sein, bevor ihr Gameplay an Fahrt verliert. Oder akademisch formuliert: Ein Spiel sollte sich in meinen Augen häufiger trauen, nur so lang zu sein, wie es tief ist. Bei vielen modernen Spielen - gerade im Open-World-Bereich - sehe ich in den ersten zehn Stunden jeden Gegnertypen, jede Art Herausforderung, die das Ding zu bieten hat.

Die restlichen 60 Stunden wiederhole ich die gleichen Tätigkeiten, sammle den gleichen Kram und bekämpfe die gleichen drei Gegnersorten (Normalo, Heavy und Schütze), bis dann irgendwann der Abspann rollt. Zu diesem Zeitpunkt bin ich längst übersättigt. Selbst bei guten Spielen empfinde ich nach dem Durchspielen immer seltener das Gefühl, direkt noch mehr davon zu wollen. Ich bin fertig damit, bevor ich damit fertig bin.

Der »Sweetspot« im Umfang

Nicht falsch verstehen: Ich liebe lange Spiele. In Assassin's Creed versenke ich unendlich viele spaßige Stunden, in Ghost Recon: Wildlands macht meinen Kumpels und mir die Gleichförmigkeit überhaupt nichts aus. Ich plädiere allerdings dafür, dass viele Spiele drastisch verlieren, wenn sie sich künstlich aufblähen. Entgegen aller Kritik handhabt zum Beispiel Call of Duty seine Kampagne zumindest in diesem Bereich recht clever.

Die Kampagne von Modern Warfare fasst sich glücklicherweise kurz, denn das stumpfe Gameplay unterhält eben nur in kurzen Schüben. Die Kampagne von Modern Warfare fasst sich glücklicherweise kurz, denn das stumpfe Gameplay unterhält eben nur in kurzen Schüben.

Die Singleplayer-Ballereien eines Modern Warfare passen in ihrer Komplexität auf ein Post-It-Zettelchen - eine 20-Stunden-Kampagne würde sich nur grundlos und furchtbar langweilig in die Länge ziehen. Kompakte fünf Stunden? Perfekter Zielwert! Nicht jedes 10-Gänge-Menü übertrumpft Fast Food, wenn jeder einzelne Gang nur aus den immer gleichen Nudeln besteht. Manchmal ist weniger mehr.

Ich hoffe, dass der Aufstieg der Abo-Services wieder mehr Raum für solche kurzen Snacks ermöglicht. Dem Netflix-Modell kann schließlich egal sein, ob ein einzelnes Spiel euch 300 Stunden bindet - solange euch das Gesamtangebot zum Vertragsabschluss verlockt.

Vielleicht muss ein Gears 6 sich dann anders als der Vorgänger nicht länger rühmen, das bisher größte und längste aller Gears zu sein, sondern akzeptiert stattdessen, dass die Fans nach dem Abspann hungrig bleiben und mehr, mehr, mehr wollen. Was wäre daran verkehrt?

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