Ein Rollenspiel, dass den Moment zelebriert

“Ein Hexer, versteckt eure Frauen!” schallt der Ruf eines Mannes durch die Stadt. Was ist los? Zieht ein alter Mann durch die Straßen, der Frauen für unheilige...

von - Gast - am: 20.04.2010

“Ein Hexer, versteckt eure Frauen!” schallt der Ruf eines Mannes durch die Stadt. Was ist los? Zieht ein alter Mann durch die Straßen, der Frauen für unheilige Rituale opfert? Mitnichten! Aber kaum eine Frau kann dem natürlichen Charme dieses Hexers entgehen - und diesen Hexer spielen Sie! Aber was hat “The Witcher” noch zu bieten außer Sex mit wunderschönen Frauen?

Die Vorgeschichte

Ende des Jahres 2007 kam “The Witcher” in die Läden. Das Spiel war allerdings so stark verbuggt, dass der Entwickler CD Projekt “The Witcher” ein Jahr später erneut auf den Markt brachte, jedoch komplett überarbeitet. Die meisten Fehler wurden entfernt, die Sprachausgabe komplett erneuert, diverse Änderungen vorgenommen. Dieser Test basiert auf der überarbeiteten Enhanced Edition, die Urversion habe ich nicht gespielt. Entsprechende Vergleiche werde ich daher unterlassen.
Die Geschichte des Spieles basiert auf den Büchern von Andrzej Sapkowski. Den letzten Absatz widme ich den Lesern der Bücher, im Hauptartikel werde ich jedoch kaum darauf eingehen.

Das Spiel

Der Spieler übernimmt die Rolle von Geralt von Riva, einem Hexer. Wer jetzt glaubt das Magie eine wichtige Rolle spielt liegt falsch, vielmehr ist ein Hexer ein spezialisierter Monsterjäger, der ein paar rudimentäre Hilfszauber beherrscht. Direkt zu Beginn wird die Festung der Hexer von Unbekannten überfallen und magische Utensilien geplündert. Geralt nimmt die Verfolgung auf und deckt dabei im Laufe der sehr langen Geschichte eine komplexe Verschwörung auf. Die Handlung motiviert und ist spannend inszeniert, hat jedoch in der Mitte des Spieles längen. Das Finale hingegen ist ein absolutes Highlight und hat eine interessante Wendung, die einen nachdenklich werden lässt.
Die überragende Qualität der Buchvorlage wird jedoch nur an wenigen Stellen erreicht.
Eine Besonderheit von “The Witcher” sind Entscheidungen, die der Spieler im Laufe der Handlung trifft und deren Konsequenzen sich teilweise erst viel später zeigen. Rettet man die vermeintliche Hexe vor dem wütenden Mob oder lässt man zu, dass sie verbrannt wird? Tötet man den Werwolf oder hilft man ihm? Diese Entscheidungen verändern das Spiel maßgeblich und tragen viel zur grandiosen Atmosphäre bei. Leider gibt es auch unzählige töte-dies-töte-jenes Aufgaben, die teilweise in Fleißarbeit ausarten.

Das Leveldesign

Die Gestaltung und der Aufbau der Landschaften sind ein zweischneidiges Schwert. Goldgelbe Felder wechseln sich ab mit dunklen Hintergassen und finsteren Sümpfen, in den Städten pulsiert das Leben.
Kinder spielen, Vogelschwärme steigen auf wenn man sich Ihnen nähert, Barden singen Lieder.
Derart schöne und glaubwürdige Welten gibt es nur in sehr wenigen Spielen.
Während der Großteil des Spieles atmosphärisch sehr düster ist, sticht vor allem das vierte von sechs Kapiteln heraus. Grüne Wiesen, blaues Wasser, ein friedliches Dorf... das es dort auch Probleme gibt verspricht sich von selbst. Aber warum muss man mehrfach durch den selben Sumpf rennen? Und ist es wirklich nötig gegen Ende des Spieles erneut in einen anderen Sumpf geschickt zu werden? Abwechslung sieht anders aus. Rennen ist ein wichtiges Stichwort, nur im dritten Kapitel gibt es eine Möglichkeit zur Schnellreise. Ansonsten ist im Spiel viel Fußarbeit gefragt. Zudem sind die Levelbegrenzungen unnatürlich und zwingen zu weiten Umwegen.
Im krassen Gegensatz zu den tollen Außenlandschaften stehen die Innenräume: Höhlen verwenden oft den selben Grundriss, Häuser sind unnatürlich aufgebaut.

Das Charakterdesign

Das Charakterdesign ist einerseits überragend, andererseits auch eine der großen Schwächen von “The Witcher“. Gesichter sind fein gezeichnet, Animationen fließend. Vor allem Geralt und einige der Hauptpersonen wissen zu gefallen. Auffällig sind jedoch extreme Widerholungen der verwendeten NPC-Modelle. Alle alten Frauen sehen identisch aus, Banditen gibt es in drei sich widerholenden Varianten, alle Soldaten der Stadtwache habe das gleiche Gesicht. Dies sind nur einige Beispiele. Zusätzlich stören fehlerhafte Lippenbewegungen, vor allem bei einigen sprechenden Monstern, die Ihre Lippen überhaupt nicht bewegen. Das es besser geht beweisen genug Spiele. Die Sprachausgabe hat ähnliche Probleme. Zwar sind die Stimmen gut ausgewählt und verbreiten viel Atmosphäre, wiederholen sich jedoch sehr oft. Dies geschieht deutlich offensichtlicher als in der Gothic Reihe.

Das Kampfsystem

Das Kampfsystem wirkt im ersten Moment komplexer als es ist. Normalerweise trägt Geralt zwei Schwerter, ein Stahlschwert gegen Menschen und Tiere und ein Silberschwert gegen Ungeheuer. Gekämpft wird mit drei unterschiedlichen Stilen: ein langsamer Starken, ein schneller Wendiger und ein Kampfstil gegen mehrere Gegner. Geschlagen wird mit jedem Mausklick, wenn der Zeiger aufleuchtet klickt man erneut um eine Schlagkombo auszulösen. Auf die Dauer wird das “totklicken” der Gegner ermüdend, der erste Kampf kämpft sich wie der Letzte. Mit den anspruchsvollen Schwertkloppereien aus Risen kann sich “The Witcher” daher nicht messen.
Aufgelockert werden die Kämpfe mit einfachen Zaubern. Fernkampfwaffen wie Bögen und Armbrüste tragen ausschließlich die Gegner.
Das Skillsystem ist eher rudimentär und erlaubt nur wenige Möglichkeiten sich zu individualisieren.

Die Technik

“The Witcher” verwendet die Auora Engine aus dem ersten Neverwinter Nights von Bioware, sieht jedoch um Längen besser aus. Lediglich der Tageszeitenwechsel ist nicht fließend, das Licht ändert sich ruckartig. Eine Kleinigkeit die kaum ins Gewicht fällt. Die Musik ist großartig und erzeugt in jedem Kapitel ein einzigartiges Spielgefühl. Angenehmerweise liegt der Soundtrack als Audio-CD dem Spiel bei. Sehr gut gelungen sind auch die wenigen Render-Videos im Spiel, diese bewegen sich fast auf dem Niveau von Blizzard-Spielen. Vor allem das Intro weiß zu gefallen.
Etwas seltsam wirken die Bluteffekte. Mir ist jedenfalls neu, dass bei einem Faustschlag ins Gesicht Blutfontänen aus den Schultern spritzen. Ebenso bizarr wie hässlich ist das Verschwinden von Leichen, diese hinterlassen beim despawnen nur einige blutige Knochen. Das wirkt sogar noch hässlicher als in Dragon Age: Origins.

Fazit

“The Witcher” ist ein Rollenspiel, dass den Moment zelebriert. Selbst wenn phasenweise die Story schwächelt und das Kampfsystem langweilt, schafft es das Spiel dennoch den Spieler durch kurzfristige Highlights bei der Stange zu halten. Spannende Entscheidungen, packende Dialoge, beeindruckende Schwertchoreographien... die Motivation ist durchgehend sehr hoch. Die Schwächen werden erst bei einem Blick aus der Ferne offensichtlich.
Für Rollenspieler ist the Witcher ein absoluter Pflichtkauf, nur sehr wenige Spiele haben eine derart dichte Atmosphäre.

Fazit für Kenner der Bücher

Dieser Absatz richtet sich an die Leser der Bücher und fließt in keiner Form in Wertung des Spieles ein, da es sich hierbei stark um meine (objektive) Meinung handelt.

Als ich “The Witcher” zum ersten Mal spielte, kannte ich die Bücher von Andrzej Sapkowski noch nicht. Zu diesem Zeitpunkt fand ich das Spiel schlicht herausragend. Die Bücher habe ich erst danach gelesen (der Zufall wollte das ein Verwandter die Bücher bereits hatte). Als ich mich vor einigen Wochen dazu entschloss, einen Lesertest zu verfassen, spielte ich “The Witcher” erneut, um meine alten Erinnerungen aufzufrischen - und hinterließ einen schalen Beigeschmack.

Die Geschichte von “The Witcher” spielt circa fünf Jahre nach den Büchern. Geralt hat einen Gedächtnisverlust und kann sich nicht an die Vergangenheit erinnern. Allerdings trifft er im Spiel viele Personen, die er bereits aus den Büchern kennt. Merkwürdig ist jedoch, dass niemand daran Interesse hat, seine alten Erinnerungen wieder aufzufrischen. Namen von alten Freunden werden ohne weitere Erklärung in den Raum geworden, ein näherer Bezug wird nicht hergestellt. Dies wirkt unnatürlich und schadet extrem der Atmosphäre. Natürlich nur wenn man die Bücher kennt, andernfalls werden einem die Randbemerkungen nicht auffallen.
“Ihr Name war Cirilla.” Dieser Satz ist mein persönlicher Tiefpunkt des Spieles und schafft es, das Spiel maßgeblich negativ zu beeinflussen. Wer Ciri kennt wird an dieser Stelle des Spieles unangenehm berührt zusammenzucken, wer die Bücher nicht gelesen hat wird sie ignorieren.

Was bleibt ist das traurige Fazit, dass man die Toten ruhen lassen sollte. Ein neuer Held wäre sinnvoller gewesen.
Ich bin sehr gespannt, wie sich die Geschichte in der Fortsetzung kommendes Jahr weiterentwickelt und ob der Entwickler aus seinen Fehlern gelernt hat.


Wertung
Pro und Kontra
  • Grafik: Schöne Landschaften und Monster, Lichteffekte
  • Sound: toller Soundtrack, gute Synchronstimmen....
  • Balance: Schwierigkeitsgrad steigt gleichmässig an
  • Atmosphäre: Außenlevel, Entscheidungsmöglichkeiten
  • Bedienung: kurze Ladezeiten, schnell zu erlernen
  • Umfang: sehr lang, hoher Wiederspielwert
  • Quest/Handlung: spannend und wendungsreich
  • Charaktersystem: fast alle Talente sinnvoll
  • Kampfsystem: 2 Schwerter und 3 Kampfstile, Ergänzungszauber
  • Items: Tränke kann man selber herstellen
  • Grafik: viele gleiche Gesichter
  • Sound: ...die sich oft wiederholen
  • Balance: stellenweise zu einfach
  • Atmosphäre: Innenlevel, unnatürliche Levengrenzen
  • Bedienung: unübersichtliches Inventar
  • Umfang: Levelrecycling
  • Quest/Handlung: öde Nebenquests, Hauptgeschichte hat Längen
  • Charaktersystem: wenig Variationsmöglichkeiten
  • Kampfsystem: immer gleich, relativ anspruchslos
  • Items: wenig Items, nur sehr wenig sinnvolle Items

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(2)
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