Immer noch der Rollenspielkönig

Lang, lang ist's her, da beherrschte Dungeons&Dragons in der Infinity Engine (IE) die CRPGs.  Damals erklomm Baldur's Gate 2 den Thron der...

von Jcfr am: 20.01.2015

Lang, lang ist's her, da beherrschte Dungeons&Dragons in der Infinity Engine (IE) die CRPGs.  Damals erklomm Baldur's Gate 2 den Thron der Rollenspiele. Die Frage ist nun: Kann die enhanced Edition dem Glanz alter Zeiten nach über zehn Jahren noch immer gerecht werden? 

Verliese und Drachen:

Wer den Vorgänger nicht kennt oder gespielt hat, der wird vor allem am Anfang häufig nur Bahnhof verstehen... soviel darf wohl gesagt sein. Wir schlüpfen in die Haut unseres selbstkreierten Helden und erwachen prompt... in einem Verlies. Wieso wir dort sind, was uns dorthin gebracht hat, was der irre Magier Jon Irenicus mit uns vorhat und inwiefern dies mit unserem Erbe als Kind des Gottes des Mordes zu tun hat, das alles bleibt zunächst unklar. 

Klar ist nur, das die Geschichte bis zur letzten Minute packend ist... sofern man damit leben kann, dass der Großteil davon in unvertonten Textfenstern erzählt wird. Für wen moderne Präsentation ein Muss ist, der wird mit solch altertümlicher Inszenierung allerdings wohl nicht warm werden. Bringt man allerdings ein wenig Geduld und Leidensbereitschaft mit, so wird man dafür mit dichter Atmosphäre und gutgeschriebenen Charakteren und Dialogen belohnt.

+1 oder -1:

Das Spiel beginnt zunächst mit dem Charaktereditor, der mit einer ordentlichen Vielfalt daherkommt, von denen sich weitaus jüngere RPG-Titel durchaus die eine oder ander Scheibe abschneiden können. Ob man jetzt einen Halbork-Kämpfer, Gnomen-Hexer, Elfen-Walfläufer, Menschen-Kleriker oder Halbling-Schurke spielen will, der Kombinationsmöglichkeiten gibt es viele.  Dann geht es an die Vergabe der Attributspunkte und Auswahl der Skills.  Letztere sind vor allem bei nicht-magiebegabten Klassen zwar doch recht überschaubar (nach modernen Standards), fallen aber nichtsdestoweniger im Spiel ins Gewicht. 

Von Initiativ- und Rettungswürfen:

Die Kämpfe in BG2EE sind so taktisch anspruchsvoll, wie in frühen Tagen. Alles hat eine Auswirkung, angefangen bei der Zusammenstellung unserer sechsköpfigen Abenteuerergruppe, über Ausrüstung, Level und Skills.  Dabei muss nicht jede Situation zwangsläufig mit Gewalt ausgetragen werden. Oftmals kann ein Kampf vermieden oder geschickt umgangen werden. Wer allerdings die beste Ausrüstung im Spiel ergattern will, der wird sich als Pazifist durchaus benachteiligt sehen.

Die Kämpfe an sich fließen in Echtzeit, lassen sich aber zu jeder Sekunde pausieren, um Befehle zu geben. Plumpes Draufhauen bringt einen bei weitem nicht immer ans Ziel. Viele Monster und Gegnergruppen erfordern, dass man sich ihrer Stärken und Schwächen anpasst. Manchen Golems kann man so z.B. nur mit stumpfen Waffen Schaden zufügen, Trolle sterben nur, wenn man sie am Ende mit Feuer oder Säure bearbeitet und einem feindlichen Magier nicht die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, sondern sich stumpf zunächst auf die niederen Schergen zu werfen kann potentiell vernichtend sein.

In Zeiten Action-orientiereten Dauergemetzels spricht BG noch immer die grauen Zellen an und fordert.

Ist das noch eine Quest oder schon ein Abenteuer:

Die meisten Rpgs strecken ihren Umfang mit Nebenquests. Das diese oft in "geh und Töte Gegner X an Kartenpunkt Y" enden ist dem Erbe der MMORPGs geschuldet... und ja, auch wenn BG2 die eine oder andere Quest dieser Art hat, so warten auf den Entdecker und Rollenspieler daneben doch auch viele epische Nebenquests. Ob man nun einen Betrachterkult näher in Augenschein nimmt, eine, von Trollen eroberte, Festung angreift oder die Morde in einem Stadtviertel untersucht, es gibt massenhaft Aufträge überall unauffällig am Rand verteilt. Sogar Questreihen, die allein bestimmten Klassen vorenthalten sind (was den Wiederspielwert deutlich erhöht).

Allerdings wird der Spieler bei der Questführung nicht immer deutlich an die Hand genommen, was zu manchem Blättern im unübersichtlichen Quest-Journal und manch einer "was muss ich jetzt tun" oder "wo soll ich eigentlich hin"-frage führt. Es gilt: Wer manchen Dialog und manches textfenster zu schnell wegklickt, der steht schon mal ahnungslos in der Gegend.

Von Hamstern und Waldläufern:

Eine von Bg2EEs größten Stärken sind nach wie vor die NPCs. Fünf kann man davon zugleich in die Gruppe aufnehmen, darunter alte Bekannte wie der beliebte und leicht debile Waldläufer Minsk und sein Hamster Boo, oder die strenge Druidin Jaheira. Aber auch neue Charaktere warten auf Bekanntschaft und bringen persönliche Quests mit sich einher. Auch der Aufbau intimerer Beziehungen bietet der eine oder andere von ihnen an.

Und auch wieder dabei sind EE-exklusive Charaktere wie der finstere Halbork Dorn oder die Hasardeurin Neera. Ob diese dieselbe Tiefe aufweisen, wie die alten Serienveteranen, darüber kann man sich streiten. Zumindest fügen sie sich aber gut ins Gesamtbild ein.  Gänzlich neu ist lediglich die kühl-abweisende Vampir-Schurkin Hexxat. 

Kleinere und größere Mängel:

Ok, machen wir keinen Hehl daraus: Die Technik ist und bleibt veraltet, selbst mit angepassten Auflösungen. Dennoch - so finde ich - haben die gezeichneten Hintergründe ihren Charme und bieten vielfältige Abwechslung im Laufe der Handlung. Auf der anderen Seite dürfte es dadurch aber auch kaum einen Rechner geben, auf dem BG2EE nicht läuft.

Ansonsten gilt: Was vor über zehn Jahren schon Mängel waren sind es heute auch noch. Die Wegfindung hat sich so z.B. um nichts gebessert und ist immer noch ein Graus - gerade in engen Räumen. Auch das Magiesystem hat so seine Mängel. Zauber unterschiedlicher Stufen teilen oftmals dieselben visuellen effekte, was es schwer macht, gerade Schutzzauber effektiv und gezielt zu bannen. 

Generell fordert BG2 eine gewisse Einarbeitungszeit vom Spieler und es kann auch nicht schaden, wenn man ein wenig Ahnung vom D&D-Regelwerk hat.

Throne of Bhaal:    

Zum Addon, das bei der Enhanced Edition mit dabei ist: Es bietet im Wesentlichen mehr vom Selben mit ein paar Unterschieden. So habe ich z.B. die epischen Nebenquests vermisst. Auch artete mir der Spielverlauf etwas zu Oft in Massenkämpfen aus. ToB konzentriert sich eben ganz darauf, die Hauptgeschichte zu einem Abschluss zu bringen... und wirkt dadurch leider etwas zu gehetzt und kampf-orientiert. Umfang bietet es jedoch allemal.

 

Fazit:

Selbst nach über zehn Jahren zieht mich BG2 noch immer mit seiner Spieltiefe in den Bann.

Wer auf taktische Kämpfe, echtes Gruppenfeeling, gut geschriebene Charaktere und epische Quests steht... und wer ein wenig Leidensbereitschaft und Einarbeitungszeit mitbringt, den könnte dieser Klasiker ebenfalls in seinen Bann schlagen.

Allein an Feinschliff und Technik mangelt es dem Spiel... aber Grafik ist ja bekanntlich nicht alles.

 

 

 

   

 

 


Wertung
Pro und Kontra
  • Taktische Gruppenkämpfe
  • Ordentlich umgesetztes D&D-Regelwerk
  • Packende Handlung
  • Epische Quests und NPCs
  • Gutgeschriebene Dialoge...
  • ... von denen allerdings nur wenige vertont sind
  • alte Technik
  • Einstieg erfordert Einarbeitung
  • Mangelnder Feinschliff

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(2)
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