Gemischte Gefühle im 17. Jahrhundert

Ich erwache an einem Ufer und sehe in der Ferne auf dem Wasser mein havariertes Schiff. Offenbar bin ich der einzige Überlebende. Vor mir liegt eine Welt,...

von marioworld2013 am: 06.08.2014

Ich erwache an einem Ufer und sehe in der Ferne auf dem Wasser mein havariertes Schiff. Offenbar bin ich der einzige Überlebende. Vor mir liegt eine Welt, die vornehmlich aus Wald und Wiesen besteht und die von mir erkundet werden will. Klingt bekannt und nicht sehr einfallsreich.

Betrayer ist ein Indie-Spiel des Entwicklers Blackpowder Games, das im Jahr 2014 erschien. Ganz unbeleckt sind die Entwickler jedoch nicht, stammen sie doch zumindest teilweise aus den Teams, die sich unter anderem für die Monolith-Shooterlegenden No One Lives Forever und F.E.A.R. verantwortlich zeichnen.

Das erste, was an Betrayer auffällt, ist die Grafik. Die Steine am Ufer, die sich im Wind wiegenden Bäume und Grashalme, wirken nahezu fotorealistisch schön...allerdings schwarz-weiß! So präsentiert sich das ganze Spiel und sorgt damit für eine ganz eigene und eigenartige Atmosphäre, die dem Spiel sehr gut tut. Als rote Farbtupfer dienen lediglich Gegner, aufnehmbare Gegenstände in der Nähe und eine erinnerungslose junge Dame (von mir liebevoll Rotkäppchen genannt), die uns sehr früh im Spiel begegnet und deren Geschichte es aufzudecken gilt, wie uns schnell klar wird.
Wem der monochrome Look nicht gefällt, der kann auch mit wenigen Mausklicks in den Optionen das Spieler in voller Farbpracht genießen. Sieht immer noch schön aus, aber die spezielle Atmosphäre geht ein wenig verloren.

Was aber ist Betrayer für ein Spiel? Zunächst mal ist es offensichtlich ein unheimlicher Horror-Egoshooter, ohne dabei auf plumpe Effekte zu setzen. Für den Horror sorgen insbesondere die Atmosphäre aus Grafik und Soundkulisse. Allerdings sorgen nicht doppelläufige Schrotflinten, Raketenwerfer und Maschinengewehre für Leichenberge. Wir befinden uns in der Kolonialzeit, also im 17. Jahrhundert! Entsprechend können wir uns nach und nach mit Messer, Tomahawks, Pfeil und Bogen (schnell, aber nicht ganz so durchschlagskräftig), Armbrust sowie altmodischen Pistolen und Musketen (allsamt wesentlich stärker, aber auch extrem langsam, da nach jedem Schuss zeitaufwendig nachgeladen werden muss) ausrüsten.

Wir sind dabei nicht in schlauchigen Levels unterwegs, sondern die insgesamt sieben Abschnitte des Spiels sind jeweils freiläufige Gebiete, die wir erkunden können und sollen. In der Regel gibt es in jedem Abschnitt eine Art Fort, das wir finden (und in der Regel erst mal von Gegnern befreien) müssen und das uns fortan als zentraler Rückzugspunkt dient. Dort können wir unsere Wasserschläuche (als Heilmittel) auffüllen, (nach und nach bessere) Waffen, Glücksbringer (die uns gewisse Verbesserungen wie mehr Gesundheitspunkte oder eine schnellere Nachladefähigkeit) einbringen und Munition kaufen und noch mehr, zu dem wir noch kommen werden.

Bei der Erkundung der Welt sind diverse Dinge zu finden. Teilweise sind diese unabdingbar für den Fortgang des Spiels und den Übertritt in den nächsten Abschnitt, teilweise bringen sie nur etwas Geld oder sorgen für das Erreichen von Achievements. Um an die entscheidenden Gegenstände heranzukommen hilft uns eine spezielle Fähigkeit. Mit Druck auf die X-Taste setzen wir nämlich ein besonders feines Gehör ein, das uns mit Geräuschen und Markierungen auf unserem Kompass nach und nach näher an die wichtigen Positionen heranführt. Da die Gegenden doch zumeist sehr änlich aussehen, eine durchaus sinnvolle Einrichtung.

Unterwegs treffen wir natürlich auf Gegner. Dabei handelt es sich vorwiegend um eine Art untote Spanier aus der damaligen Zeit und eine Art Indianer-Zombies. Treten diese in Gruppen auf, kann so ein Kampf angesichts der unmodernen Waffen schon zur Herausforderung werden. Wir können dabei die offene Konfrontation suchen oder auch in Stealth-Manier den Weg des Anchleichens und hinterrücks Meuchelns wählen. Sterben wir, erwachen wir wieder beim am nächsten gelegenen Wegpunkt. Diese müssen wir entdecken und können sie dann auch zur Schnellreise verwenden. Das Spiel lässt uns dabei die Wahl, ob wir beim Sterben Geld und Gegenstände verlieren, die wir am Punkt unseres Ablebens wieder einsammeln müssen und die endgültig verloren sind, wenn wir auf dem Weg dorthin erneut sterben, oder nicht.

Aber warum machen wir das eigentlich alles? Es gilt, mit den Geistern dieser Welt in Kontakt zu treten. Dies bewerkstelligen wir, indem wir in unserem jeweiligen Fort eine Glocke (die wir mitunter erst mal finden und befestigen müssen) läuten. Von da an verändert sich die Welt, wir gelangen in eine Art Geister- oder Nachtmodus, der noch unheimlicher wirkt und in dem wir es gegnermäßig vowiegend mit Skeletten zu tun bekommen. Vor allen Dingen können wir hier aber einige Geister treffen und uns mit ihnen unterhalten. Diese leiden wie Rotkäppchen unter Gedächtnisverlust und wir müssen mit den Hinweisen, die wir zuvor gefunden haben, dieses wieder auffrischen. So sucht ein Geist beispielsweise seine Frau. Mit den gefundenen Hinweisen finden wir recht schnell heraus, was mit ihr geschehen ist und dass ihr Mann an ihrem Ableben nicht ganz unbeteiligt war...

Die Geschichten, die wir hierbei aufdecken, sind zum Teil wirklich nett erzählt, allerdings, und da merkt man das wohl geringe Budget, komplett ohne Vertonung. Alle Diealoge finden nur mittels geschriebenem und ausschließlich englischem Text statt.

Haben wir in einem Gebiet alle Fälle aufgeklärt und alle Flüche beseitigt, dürfen wir in den nächsten Abschnitt, um am Ende insbesondere aufzuklären, was es mit "Rotkäppchen" und ihrer Geschichte tatsächlich auf sich hat.

Nach rund 9 Stunden Spielzeit flimmerte der sehr kurze Abspann über den Bildschirm und ich bin bei Betrayer etwas hin- und hergerissen. Einerseits gefällt mir das Spiel, weil es anders ist: Es setzt auf eine eigenartige Atmosphäre und tolles Artdesign, ermöglicht mir Schleicheinlagen oder den Angriff von vorne. Dass ich nicht wild ballern kann, weil die Waffen mich daran hindern, sorgt für zusätzliche Spannung und taktische Elemente. Allerdings habe ich auch spielerisch nach den ersten zwei Abschnitten fast alles gesehen. Die weiteren Abschnitte sind im Grunde jedesmal gleich aufgebaut: Welt absuchen, Glocke und Fort finden, Glocke läuten, mit Geistern sprechen, die Fälle mit Hilfe der gefundenen Gegenstände lösen, zwischendrin gegen die immer gleichen Gegnertypen kämpfen und ab in den nächsten Abschnitt. Das Spiel gibt mir das Gefühl, dass ich mit drei Stunden weniger Spielzeit und zwei Abschnitten weniger auch nichts verpasst hätte. Etwas mehr Abwechslung hätte da gutgetan. So verkamen die letzten etwas 3 Stunden des Spiels für mich etwas zur Pflichtaufgabe, um das Spiel noch fertig zu kriegen.

Dennoch muss ich sagen: Die Hand voll Euros, die ich im Rahmen des letzten Steam Sales für das Spiel ausgegeben habe, tun mir alles andere als leid. Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass ich mit Betrayer locker vier bis fünf Stunden richtig Spaß hatte, der Rest war dann mehr Pflichtaufgabe, aber ja auch nicht schlecht. Für Spieler, die abseits des Mainstreampfades mal eine andere Spielerfahrung machen wollen, insbesondere eine spezielle Atmosphäre schnuppern, denen sei Betrayer ans Herz gelegt.

 

 


Wertung
Pro und Kontra
  • Durch Sound und Grafik hervorragende eigene Atmosphäre
  • Tolles Artdesign
  • Schleichmöglichkeit
  • Geschichten
  • zu wenig spielerische Abwechslung
  • zu wenig Gegnertypen
  • Waffen- und Glücksbringerverbesserungen bewirken gefühlt nicht sehr viel
  • keine deutsche Übersetzung

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(5)
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