HOORAH!

Daumen hoch. Beide. Trotzdem.Denn Activision und Entwickler Infinity Ward haben sich beim Schlussspurt der Veröffentlichung alle Mühe gegeben, die immense...

von GROBI75 am: 14.11.2009

Daumen hoch. Beide. Trotzdem.
Denn Activision und Entwickler Infinity Ward haben sich beim Schlussspurt der Veröffentlichung alle Mühe gegeben, die immense Vorfreude auf den potentiellen Shooter des Jahres zu mindern. Keine Dedicated Server, Steampflicht, merkwürdige Preispolitik, kontroverse Level, Schnippigkeiten gegenüber PC-Usern, Chaos bei der Installation, bei mir funktioniert sogar der Multiplayer nicht(!!!) etc. Allenfalls GTA IV fand ähnlich holprig und mit Überhype seinen Platz auf dem Rechner. Und konnte auch trotz aller Widrigkeiten überzeugen - sofern man sich drauf einlassen wollte.

'Modern Warfare 2' hat es sowieso nicht leicht, muss es sich doch an einem nahezu perfekten Vorgänger messen. Mit verklärtem Blick erinnert sich der Fan an ein Action-Biest, das sich an aktuelle Weltgeschehnisse anlehnte und damit eine gehörige Brisanz ins Genre bliess. Der Weltkriegs-Shooter war endgültig aus der Mode. Ausflüge in Krisengebiete wie Azerbaijan standen genauso auf dem Programm wie das höchst ungewöhnliche Setting eines Tschernobyl. Damals hatte IW auch schon wenig Berührungsängste und es ist offensichtlich, wie schwer es sich die Entwickler machen, diese aussergewöhnlichen Locations zu toppen. Prypiat liess man weiterhin 'Stalker' bearbeiten, dafür holte man den Krieg diesmal nach Hause.

Vladimir Makarov verübt einen Terroranschlag auf einem russischen Flughafen, um ihn den Amerikanern in die Schuhe zu schieben. Der kalkulierte Gegenschlag lässt nicht lange auf sich warten und prompt befindet man sich inmitten einer Invasion Washingtons. Der Story darf man nicht allzuviel Gehalt beimessen, dieser Umstand bleibt für Europäer genauso abstrakt wie die Alien-Invasion in einem Emmerich-Film. Auch wenn das Krisengebiet in keinster Weise so mystisch und faszinerend erscheint wie die Geisterstadt um das havarierte Atomkraftwerk, bietet der Krieg in der Heimat großes - visuelles - Potential. Markante Wahrzeichen werden geschickt in die Shootouts einbezogen, sei es das Weisse Haus oder Burger-Buden. Und wenn man mit seinen Kameraden und schwerem Gerät die gepflegten Gärten in den idyllischen Vororten zerpflügt, hat es schon einen verstörenden Charakter. Die Inszenierung sorgt für weitere erhabenene Momente. Es gibt hektische Schiessereien zu getragener Hintergrundmusik und kurze melancholische wie auch 'schöne' Momente, wenn man z.B. den Funkenflug eines brennenden Baums passiert - davon hätte ich gerne viel, viel mehr gehabt!

Mit dem Szenario konnte übrigens Jahre zuvor schon der Strategie-Titel 'World in Conflict' punkten. Und bei aller Liebe - der macht es etwas besser. Die Action in den Render-Szenen kommt oppulenter daher und er nahm sich auch Zeit für leise Untertöne. Ohne Scham wurde dort über die Angst vor einem Atom-Schlag erzählt, Soldaten telefonierten ausschweifend mit ihren Frauen in der Heimat, ein Discman hat wichtige Auftritte usw.

Über solche Eindrücke rollt MW2 ungerührt hinweg. Atmosphäre wird erneut mit einem Großaufgebot an Script-Sequenzen erzeugt, die alle punktgenau sitzen. Das setzt erneut das Schlauch-Level-Prinzip voraus, diesmal zeitweilig durch kleine 'Arenen' gebrochen, und erklärt die kurze Spielzeit von ca. sechs Stunden. Sowas empfinde ich allerdings nicht als Nachteil. Auch beim ähnlich flotten MW1 sehe ich das Spiel eher als interaktiven Lieblings-Spielfilm, den man sich immer wieder gerne mal ansieht. Im Singleplayer habe ich daher mehr Zeit verbracht als im Multiplayer. Keine Durchhänger, prima dosierte Abwechslung, sowas macht mir am Stück mehr Spaß als ein OpenWorld-Setting, das immer mit langweiligen Passagen zu kämpfen hat. Kurz zuvor habe ich 'Red Faction Guerilla' durchgespielt und an dieses unmotivierende Kutschieren zu den Missionszielen hatte ich schon ziemlich zu knabbern. Mit Rollenspielen hab' ich die gleichen Probleme - ich bin ein Freund von Stringenz!

Infinity Ward bietet also Non-Stop-Action, die jeder Fan des Vorgängers lieben wird. Versprochen! Es wurde auch spürbar an den Details gefeilt, so ist das Spawn-Problem endlich behoben! Man muss keine Trigger mehr auslösen, um den unendlichen Gegner-Strom zu unterbrechen. Es gibt zwar immer noch ein hohes Aufgebot, aber irgendwann ist halt auch mal Schluss. Dazu kommt ein ganzer Haufen an neuen Bewegungsabläufen, die das Umfeld zwischen den Mitstreitern noch realistischer macht und man 'Sims'-artig auch mal eine Weile zugucken kann, wie sich KI gegen KI schlägt. Jedes Gefecht ist anders und spannend. Mal wird ein Gegner im Nahkampf weggetreten, mal über die Schulter geworfen. Rennt man mit seiner Einheit durch einen Kugelhagel, halten sie ihre Waffen schützend neben ihren Kopf, hechten geschmeidig animiert vor Granaten in Deckung, brechen zusammen und rappeln sich wieder auf, geben via Funk dynamisch die Position von Gegnern durch etc. Da entdecke ich auch beim dritten Durchspielen immer noch Neues.

Und mehrmaliges Durchspielen ist durchaus gerechtfertigt. Ich habe mir wegen des O-Tons die UK-Version gekauft und wenn man Englisch nicht wie seine Muttersprache beherrscht, geht grade beim ersten Durchlauf Relevantes zuweilen im Schlachtengetöse unter, Plot-Twists sind etwas irritierender. Beim zweiten Anspielen ist man gewappnet um auch auf die Details zu achten und dann macht's eigentlich erst richtig Spaß! Da lernt man auch die Kameraden zu schätzen. Gaz wurde z.B. würdig durch 'Ghost' ersetzt, den nimmt man beim ersten Zocken nur nebenbei wahr.

Aber nicht jede Mission weiss durchweg zu überzeugen. Es gibt viel zu sehen! Wüste, Eis, Städte, Hüttendörfer.. Den großen Dämpfer gibt es in der berühmt-berüchtigten 'Airport'-Mission, in der man gezwungen ist als CIA-Undercover-Agent den besagten Terror-Anschlag zu verfolgen. Ich stand dem Part trotz der Hysterie aufgeschlossen gegenüber. Mir war es wichtig, diese Szene im Kontext zu *erleben*, um mir darüber ein Urteil zu bilden. Ich will auch keinen Comic bewerten, der mir lediglich vorgelesen wird. Für mich stand es ausser Frage, mich am Mord an Zivilisten zu beteiligen. Aber ich finde ich gut, dass man versucht das Genre aus der Pubertät zu führen, indem solche grenzwertigen Situationen einfügt, um auch den mündigen Spieler mit Moral in einem Shooter zu konfrontieren. Ein nicht grade üblicher, aber wünschenswerter Umstand, um Videospiele aus dem kulturellen Ghetto zu holen. Da bin ich für jede Doppelbödigkeit dankbar, auch wenn sich diese nicht jedem erschliesst und nicht bis in letzter Konsequenz gelungen ist.

Umso ernüchtender ist die Mission an sich. Der Auftakt funktioniert! Man wird ins kalte Wasser geschmissen und befindet sich inmitten eines Terroranschlags. Eine schreckliche wie faszinierende Perspektive, die einem sofort die Kehle zuschnürt. Es gibt keine sichere Distanz aus der Sicht einer Zwischensequenz. Die Menschen rennen schreiend vor uns weg, kriechen in Deckung. Ergeben sich mit erhobenen Händen und werden trotzdem hingerichtet. Versuchen Leute zu retten und müssen dabei auch ihr Leben lassen. Das sind Bilder, die man in einem Shooter nicht sehen möchte, denn es macht keinen 'Spaß' einen Eindruck vom 'wahren Leben' und authentischen Reaktionen zu bekommen. Ein Shooter muss besser Schwarz/Weiss sein und allen Klischees entsprechen. Hat der Gegner eine Waffe, verdient er den Tod. Das zelebrierte Leid der Airport-Mission stellt für mich einen Kontrapunkt zu dem 'Kollateral'-Schaden eines GTA IV dar. Muss dort aus welchen Gründen auch immer eine unschuldige Menschmenge dran glauben, bietet es keinerlei Ballast für das Gewissen. Aber genau darauf hat es die Airport-Mission abgesehen. Und dieser Ansatz ist wichtig! Dass Shooter nicht prinzipiell 'Spaß' machen oder verharmlosen müssen, sondern den Spieler auch mal daran erinnern, dass er eine Waffe in der Hand hält und die einschlägige Reaktionen hervorruft, mit denen sich in der Regel keine Games verkaufen lassen. Aber Spiele haben genauso das Recht unbequem zu sein wie seine Verwandten Film, Literatur, Musik etc.

Leider verliert man zum Schluss der Mission das Ziel aus den Augen, denn mit dem Einsatz der Polizeikräfte wird man letztendes doch zur Verwendung der Waffe gezwungen, denn die KI der Terroristen kämpft sich nicht selbstständig durch - da habe ich dann die Mission abgebrochen. Weil es hier nur wieder ein schnöder Shooter mit der üblichen Mechanik wurde und mit allen vorherigen Ansätzen komplett bricht. Der Gegner hat wieder Waffen, also viel Spaß beim Ballern? Lass' ma'...

Es wäre kurzsichtig, dumm und unfair das ganze Spiel von dieser einen Mission abhängig zu machen. In anderen Szenen gibt es sich hingegen sehr menschlich. Nach einem harten Feuergefecht in einem verwinkelten Hüttendorf setzt eine trügerische Ruhe ein. Ich stehe unter Hochspannung und erwarte in jeden Moment die nächsten Schüsse. Plötzlich reisst jemand ein Fenster auf, ich halte reflexartig drauf und bemerke mit einem aufrichtigen 'Scheisse...' auf den Lippen, dass ich einen Zivilisten erwischt habe. Beim zweiten mal bin ich schlauer. Er reisst wieder das Fenster auf - und weist mir wild gestikulierend die Richtung, in der sich die Gegner befinden. Manchmal reicht nur eine solche Kleinigkeit für ein schlechtes Gewissen, liebe Leute von Infinity Ward...

Natürlich gibt es noch weitere Gänsehaut-Augenblicke, denn einen besseren Shooter gibt es auf dem PC derzeit nicht! Die Schlachtpanoramen sind von eindringlicher Schönheit, die Sounds klingen satt aus dem Hörer und das Gameplay switcht ohne Unterlass zwischen Shooter, Stealth-Action, Racing und Rail-Shooter. Dazu konkurriert man gerne mit anderen Shooter-Elementen wie der Slow-Motion-Funktion. Beim Sturm eines Raumes springt das Spiel für ein paar Sekunden in eine spektakuläre Zeitlupe, die es einfach macht mehrere Gegner auf's Korn zu nehmen. Und toll aussehen tut's natürlich auch noch. Der Plot reisst allerdings keine Bäume aus. Man erkennt durchaus differenzierte Zwischentöne, ist nicht nur hurrapatriotisch und mit dem gezwungene Plottwist kann ich mich wenigstens beim zweiten Ansehen etwas anfreunden, aber da hat 'World in Conflict' eben dann doch die Nase vorn.

Das Finale ist auch nicht so rundum gelungen wie zuvor. Der Aufbau ist ähnlich, der Schluss noch ausgewalzter, aber ich habe anfangs nicht gemerkt, dass ich bereits im Finale war! Da hab' ich dann doch etwas mehr erwartet. Und mit einem Cliffhanger macht man sich meiner Meinung nach prinzipiell keine Freunde, da war der Abspann bei MW befriedigender. Aber das Achterbahn-Gefühl zeckt halt immer noch: 'NOCHMAL!'...

Technisch gibt man sich keine Blöße. Auch wenn die Engine etwas betagt ist, hat man endlich mehr Physik ins Spiel eingebunden. Die Umgebung reagiert viel mehr auf Beschuss, irgendetwas fliegt immer durch die Gegend, was das Ding auch merklich hardwarehunriger macht als der Vorgänger. Unerreicht ist hingegen die Gestaltung von Licht und Schatten. Jede Szenerie bietet sorgsam angelegtes Licht, soviel Mühe geben sich da andere Shooter erst gar nicht. Aber hier wird die die Konsolenlastigkeit deutlich: man kann weniger bei der Grafik justieren und warum man Musik und Stimmen/Geräusche nicht getrennt steuern kann, verstehe ich überhaupt nicht! Es gibt nur einen Regler für den gesamten Sound.

Ein kleines Juwel ist der Specops-Modus! Der ist etwas umständlich, denn es gibt kein Lobby-System, man kann nur Steam-Freunde zu einer Koop-Runde einladen. Zu zweit werden dann kleine Missionen bestritten bzw. freigespielt, was *tierisch* Laune macht!

Ich habe da mit einem Niederländer (deutsche und englische Versionen sind in diesem Modus nicht kompatibel!) viele Maps ausprobiert und es ist genau das richtige für mich als Gelegenheits-Spieler! Viele Karten wurden dafür aufgefrischt, wie z.B. die legendäre Sniper-Map, die man nun zu zweit spielen kann und die spannende Gegner bietet - Sniper! Bei manchen Missionen sitzt ein Spieler im Bomber oder Heli und muss seinem Partner am Boden Deckung geben: großartig! Bei DLCs für diese Minispielchen würde ich auch etwas springen lassen...

Spiel des Jahres 2009?
Für mich schon. Trotzdem.
Diesmal lass' ich mich noch mitreissen und ich bin ausgesprochen gespannt, was IW für MW3 in petto hat. Was mich beunruhigt ist die sichtliche Auftrags-Arbeit einer PC-Version. Aber lieber so, als für MW3 gleich eine Konsole kaufen zu müssen, um zu erfahren wie die Story denn nun endet. Irgendwo ist selbst meine Schmerzgrenze erreicht. Hoorah!


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(6)
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