Das Meisterwerk, mit dem Spieler weinen lernten

Sors immanisWas macht einen echten Bösewicht aus? Jemand, der die Welt beherrschen und unterjochen will und darauf die obligatorische Heldengruppe erscheint,...

von - Gast - am: 29.11.2009

Sors immanis


Was macht einen echten Bösewicht aus? Jemand, der die Welt beherrschen und unterjochen will und darauf die obligatorische Heldengruppe erscheint, die ihn aufhält, ist so jemand ein echter Bösewicht? Jemand, der Chaos stiftet und die Welt verrät, sich somit dem Bösen verschreibt? Oder jemand, der die Welt mithilfe von unzähligen Buchstaben und endlosen Sätzen in sogenannten Tests versklaven will und auf die Negativbewerter trifft? Das können alles Definitionen für einen echten Bösewicht sein.

Doch das richtige Böse in Spielen sucht man dennoch mit der Lupe, das unbeschreiblich Böse, das man nicht nur aus dem Grund schlagen will, weil es der Job ist, sondern weil man ihn hasst, weil man endlich Rache ausüben will oder weil er einfach ein Mistkerl ist. Auch wenn das viele Spiele versuchen so zu demonstrieren scheitern viele daran, entweder sind die Bösewichter nicht derart charismatisch, wie man uns zu glauben machen vermag oder wir bauen keinen Bezug zu ihnen auf, weil wir sie nur in den seltensten Momenten so wirklich zu Gesicht bekommen.

Doch um dieses Böse zu finden, braucht man nichts weiter zu tun als sich in der Spiele-Vergangenheit umzusehen, denn ein kleines Rollenspiel aus den fernöstlichen Ländereien von Japan hat 1998 gezeigt, wie man einen Bösewicht zu darstellen hat. Mit Sephiroth aus Final Fantasy VII gebar Squaresoft den wohl fiesesten, charismatischsten, durchgedrehtesten, sprich: den echten Bösewicht. Und nicht nur das, dazu gibt es die tollsten Charaktere, ein dynamisches Kampfsystem, eine grandiose musikalische Untermalung, sprich: Einen zeitlosen Rollenspielklassiker.


Et inanis


Wie jedes Spiel der inzwischen 13teiligen Reihe hat auch Final Fantasy VII ein eigenständiges Universum, indem der Weltkonzern Shinra mithilfe seiner Mako-Reaktoren den Planeten ausbeutet, um die wertvolle Mako-Energie zu produzieren, um damit den Menschen ein angenehmes Leben zu bescheren. Wie in der heutigen Zeit ruft das verständlicherweise Gegner dieser Politik auf den Plan, in diesem Falle ist das die Splittergruppe Avalanche, die versucht, innerhalb der Hauptstadt Midgar die Mako-Reaktoren zu zerstören. Mit dabei: Hauptcharakter Cloud Strife, ehemals Angehöriger der Shinra-Eingreiftruppe Soldier und ehemaliger Gefährte von Sephiroth, der aufgrund einer Erkenntnis seiner Herkunft durchdreht, das Heimatdorf von Cloud in der früheren Zeit dem Erdboden gleichmacht und in der Jetzt-Zeit die Welt bedroht. Dadurch ändert sich das anfängliche Ziel, die Mako-Reaktoren zu zerstören, schnell in das Vereiteln von Sephiroth´s Plänen.

Was das für Pläne sind, was es mit der Erkenntnis auf sich hat und durch welche Tat Sephiroth als größter Bösewicht aller Zeiten in die Geschichtsbücher einging, wird natürlich nicht verraten, denn die Story rund um Cloud, Sephiroth und co. ist einer der motivierendsten Gründe, warum man das Spiel eigentlich spielen sollte. Die vielen Wendungen, zusammen mit der Vielzahl der extrem liebenswürdigen Charaktere und den teils sehenswerten Rendersequenzen lassen dieses Spiel zu einem der emotional fesselndsten Games aller Zeiten werden. Man wird allein dadurch immer wieder dazu verleitet, sich einige Stunden mit Final Fantasy VII zu beschäftigen.


Estuans interius


Und was man in diesen einigen Stunden macht ist für jeden Final Fantasy-Kenner ein altbekannter Hut, an dem Mix aus Dungeon- und Weltkarte erforschen, Kämpfen und der Story folgen hat man auch bei Teil 7 nichts großartig geändert. So blieb das altbekannte Active-Time-Battle-System (kurz: ATB-System) aus den Vorgängern erhalten. Beim Kämpfen füllt sich ein Zeit-Balken neben dem Charakter-Namen, der signalisiert, wann man eine Aktion starten kann. Das passiert erst, wenn dieser Balken vollständig gefüllt ist (die Geschwindigkeit wird aus den Geschicklichkeitswerten des jeweiligen Helden heraus berechnet) und erst dann darf man einen Angriff ausführen, Items benutzen, Zauber sprechen oder Kampf-Fertigkeiten einsetzen. Die Befehle dafür gibt man aus dem Kampfmenü heraus und der Clou dabei: Das Spiel pausiert dabei nicht. Das bedeutet, man ist weiterhin einem Echtzeitdruck ausgeliefert, während man seine Befehle für die meist dreiköpfige Kampftruppe gibt. Wer etwa zu lang für das Auswählen einer Aktion benötigt, könnte einige Angriffe mehr vom Gegner kassieren als unbedingt notwendig.

Doch manchmal ist das sogar ein Vorteil, denn durch Angriffe der Gegner lädt sich die Limit-Attacke auf, die verheerende Wirkung zeigt und die Balance der Kämpfe schön in der Wiege hält. So kann man etwa kurz vor dem Charaktertod den Spieß noch umdrehen und aus dem sicher verlorenen Gefecht noch einen glorreichen Sieg machen.

Ab und zu artet das Kämpfen aber in hektisches Gedrücke aus, wenn man im Zaubermenü nach dem entsprechenden Heilzauber sucht in der Gewissheit, das der nächste, gegnerische Angriff den Tod bedeuten würde. Doch die Dynamik geht dabei nicht verloren, die Kämpfe sind schön ausgewogen und erfordern sogar Taktik bei entsprechenden Monster-Typen, beispielsweise bei den Waagen-Gegnern, die mal nur durch physische Attacken, mal nur durch magische Attacken verwundbar sind, auch wenn die Scharmützel gegen die “normalen“ Monster mit einer hochgezüchteten Kampf-Truppe teils zu leicht ausfallen.

Jedoch verbleibt auf dem PC ein kleiner, fader Beigeschmack, denn die Steuerung fällt vor allem in den Kämpfen ungemein ungenau aus. Nicht nur, das die Steuerung komplett auf dem Numpad stattfindet, der Zielcursor ist im Kampffenster entsprechend hektisch, mal passiert es, das man ungewollt seinen eigenen Kollegen mit dem Schwert zurichtet statt dem Feind. Überhaupt bleibt das Bewegen schwammig, mal kann es sein, das plötzlich die Bewegungsrichtung sich ändert. Dann läuft man diagonal nach unten links anstatt sich korrekt nach unten zu bewegen und das passiert recht häufig im Spiel. Zudem sind die Menüs verschachtelt, meist sucht man mehr die einzelnen Materia anstatt sich mit dem Charaktersystem zu beschäftigen. intuitiv geht anders.


Ira vehementi


Aber wenn schon das Charaktersystem erwähnt wird, kann man auch auf das an sich simple System eingehen. Denn viel von den Levelaufstiegen kann man in Final Fantasy VII nicht erwarten, lediglich Charakterwerte, maximale Gesundheit und die Mana-Punkte erhöhen sich - automatisch, versteht sich. Ohne die Materia wäre das Charaktersystem auch eigentlich keiner Erwähnung wert. Statt sich wie in einigen Vorgängern auf das Job-System zu verlassen, die unter anderem bestimmen, welche Fähigkeiten der Charakter erlernen kann, erhält man die Fertigkeiten über die Materia, die ähnlich wie Waffen und Rüstungen angelegt werden müssen.

Hier verwende ich bewusst den Begriff erhält, denn ein langwieriger Lern-Prozess existiert nicht, man kann also innerhalb kürzester Zeit einen Krieger wie Barret in einen heilenden Zaubermeister verwandeln, die entsprechenden Materia vorausgesetzt. Neue Fähigkeiten erlernen darüber hinaus auch nur die jeweiligen Materia mithilfe der in Kämpfen gesammelten AP-Punkte, beispielsweise verstärkt sich der Blitz-Zauber auf den Blitz2-Zauber usw. Wenn man diese dann einem Charakter anlegt, kann er sofort auch diesen Blitz2-Zauber sprechen anstatt erst mal diesen sich mühselig anzutrainieren.

Zwar bleibt das relativ simpel, doch durch diese Flexibilität kann man sich sofort den Begebenheiten anpassen, das Fokussieren auf einen einzigen Charakter fällt weg. Das Risiko des Verskillens besteht überhaupt nicht und Frust durch falsche Entscheidungen sind auch passé, da verzeiht man das viel zu oberflächliche Aufleveln mit einem zugedrücktem Auge.


Estuans interius


Doch später das zugedrückte Auge unbedingt öffnen, denn ansonsten verpasst man noch die vielen kleinen Details, die das Spiel zu bieten hat! Etwa einen schwimmenden Karpfen in einem Teich, mitten in den Gemächern eines japanischen Hauses. Oder der fließende Wasserfall im Hintergrund von Aeris´s Haus. Oder der Fußballspielende Red XIII, der zusammen mit zwei Kindern das Leder über die sandigen Straßen einer heißen Hafenstadt kickt. Man merkt dem Spiel einfach das Herzblut an, das die Entwickler zur Genüge in das Spiel gesteckt haben. Ständig entdeckt man neue, feine Details, die die ohnehin gelungene Atmosphäre des Spiels unterstreichen und die Szenerie in ein stimmiges Licht rücken.

Passend dazu servieren uns die Entwickler am laufenden Band kleine Minispielchen sowie ausgefallene Quests, um uns den Spieler-Alltag mit Abwechslung zu versüßen. Denn selten hat man in einem Spiel sich als Mädchen verkleiden müssen, um ein Freudenhaus zu infiltrieren und darin eine Freundin vor dem perversen Besitzer zu retten. Oder man musste sich nur in den wenigsten Fällen als feindlicher Soldat ausgeben, auf einer Parade zu Ehren des Shinra-Präsidenten marschieren, um dann als blinder Passagier auf einem ihrer Boote zu landen.

Zwischendurch wird es mit den eben schon angesprochenen Minispielen aufgepeppt, um an eine Perücke für die Mädchen-Verkleidung zu kommen, müssen wir an einer Wrestling-Schule Kniebeugen um die Wette machen. In der Parade müssen wir eine Choreographie einhalten, es hat sogar ein simples Strategie-Spiel seinen Weg ins Spiel gefunden. Von den legendären Motorrad- und Snowboard-Einlagen mal ganz zu schweigen.

Aber man sollte sich davon auch nicht zu viel erwarten, es ist weiterhin ein japanisches Rollenspiel. Soll heißen, abseits der linearen Hauptquest gibt es nur wenig bis gar nichts zu entdecken, alle Beispiele in diesem Test stammen auch aus dem Verlauf der entsprechend schön in Szene gesetzten Hauptaufgabe. Einige weitere Macken wie die Zufallskämpfe und die markierten Speicherpunkte haben es auch in Spiel geschafft, fallen aber nie wirklich schwer ins Gewicht. Vor allem die Zufallskämpfe schaffen eine schön ausgewogene Mischung aus Quantität und Qualität, aber bleiben Geschmackssache.


Ira vehementi


Die halbe Community-Welt regt sich über den Helden in Dragon Age auf, der hat ja noch nicht einmal Sprachausgabe! Darüber lachen die Final Fantasy VII-Fans genüsslich, denn im gesamtem Spiel gibt es überhaupt keine Sprachausgabe, aber dadurch büßen die Dialoge keineswegs Qualität ein, ganz im Gegenteil. Man wird sich immer wieder wundern, welch Dramatik und Emotionen die Dialoge hervorbringen, trotz fehlender Synchronisation und den auf die Textbalken-Länge zugeschnittenen, eher mageren Umfangs.

Aber wer denkt, das man damit eine schlechte Lokalisation umgangen hat, der liegt leider falsch. Etliche Rechtschreibfehler und Formulierungsfehler reißen den Spieler immer wieder aus der tollen Atmosphäre heraus, schlecht gewählte Bezeichnungen mancher Kampfaktionen trüben den Kampfverlauf sogar unfreiwillig komisch, Stichwort: Flachlegen.

Doch spätestens beim ersten Anklingen der Weltkartenmusik ist alles vergessen, der Serien-Komponist Nobuo Uematsu hat seine überragende Arbeit aus den Vorgängern im siebten Teil sogar noch mal getoppt. Keines der komponierten Stücke wirkt deplatziert, sind schön anzuhören und beliefern die gesamte Emotionen-Palette von melancholisch, über lustig bis hin zu opulent und orchestral. Spätestens beim Anklingen von Aerith´s Theme wird man der Musik verfallen und sich auch als maskuliner Spieler des Weinens nicht zu schade sein. Kleiner Wermutstropfen: Als PC-Spieler sollte man Abstriche bei der Soundqualität hinnehmen können und auch die Sound-Abmischung ist eher schlecht als recht gelungen, aber wer damit leben kann, wird Zeuge eines wunderschönen Audio-Erlebnis, das auch heutzutage nichts von seiner Faszinierung einbüßen musste.

Zudem ist es immer wieder beeindruckend, wie packend das Spiel gerade durch seine Optik ist. Inzwischen ist es grafisch mehr als angestaubt und die Übersichtlichkeit leidet unter den teilweise recht krassen Kameraperspektiven (es gibt nicht ohne Grund eine Hotspot-Anzeige), aber soll das eine Einschränkung der Atmosphäre sein? Mitnichten! Die vorhin angesprochenen Dialoge transportieren zusammen mit den einfachen Animationen die Gefühle der Charaktere auf eindringlichste Art und Weise, wo selbst heutige Meisterwerke vor Neid erblassen würden. Das alles untermauert die grandiose Atmosphäre und die gelungene Story umso mehr, denn die Charaktere haben Profil und wecken auf faszinierendstem Wege die Gefühle des Spielers – und damit eilt es seinen heutigen Artgenossen immer noch voraus.


Sephiroth!


Durch das hohe Alter von Final Fantasy VII ist es quasi unmöglich, es im Gamestar-Wertungssystem fair zu bewerten, die Abzüge auf Grafik, Soundqualität und Bedienung würden dem Spiel eine Wertung bescheren, die es einfach nicht verdient hat! Nüchtern betrachtet, hätte das Spiel zahlreiche Argumente gegen sich, jedoch ist es als Erlebnis einzigartig. Die Emotionen und der Spaß, der im Zusammenspiel aus den dynamischen Kämpfen, den feinen Details, der beeindruckenden Atmosphäre, der extrem schönen Musikuntermalung und vor allem den tollen Charakteren entsteht, ist derzeit immer noch konkurrenzlos und stellt einen Meilenstein der Rollenspiel- und Videospielgeschichte dar. Denn ohne Final Fantasy VII hätten die Spieler nie gelernt zu weinen.


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



Kommentare(5)
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