Overhyped & Underfucked - trotzdem schön.

Regel Nummer 1: Sei immer skeptisch, wenn ein Spiel als die grandioseste, innovativste und außergewöhnlichste Erfahrung seit der letzten RL -...

von Donatella am: 30.12.2013

Regel Nummer 1:
Sei immer skeptisch, wenn ein Spiel als die grandioseste, innovativste und außergewöhnlichste Erfahrung seit der letzten RL - Alieninvasion angepriesen wird.

Regel Nummer 2:
Verheirate deinen Skeptizismus mit einem Spock-entliehenen Hochziehen einer einzelnen Augenbraue, wenn bei den positiven Schlagwörtern "berührend" und "emotional" dominieren.

Versteht mich nicht falsch - ich bin durchaus emotional, und wahrscheinlich sogar das, was die Entwickler als Prototyp ihrer Zielgruppe im Kopf hatten. Weiblich, zwischen 20 und 40, bekennende Seherin guter Lovestories, leidenschaftliche Leserin von melancholischen oder gar Herzschmerz-Geschichten und nicht zu stolz um zuzugeben, dass ich sowohl beim letzten Einhorn selbst heute noch still eine Träne wegdrücke und beim Erstbetrachten von "Das Geheimnis von Kells" geheult hatte, als gäbe es kein Morgen.

Aber - und das ist jetzt durchaus ein großes ABER - ich bin auch eine Spielerin. Und als solche sehe ich "Gone Home" eindeutig als OVERHYPED an.

Wäre das Ganze als "interaktives Hörspiel" oder als "Familienerzählung zum Selbstentdecken" vermarktet und für 5, ja meinetwegen auch 10 Dollar zum Verkauf angeboten worden, würde ich es durchaus lobpreisen und hoch leben lassen. Ist es aber nicht.

Um eines klar zu stellen:

Ich beschwere mich NICHT darüber, dass es so gut wie keine Gameplay Elemente außer dem "Entdecken" (was eher ein Aufdecken darstellt) gibt. Im Gegenteil, in dieses Projekt hätte jetzt kniffliges Adventure Puzzlen zum Weiterkommen ungefähr so gut gepasst wie eine Monty Python Gesangseinalge in ein ernstes Historiendrama.

Technisch schwankt Gone Home zwischen "solide & schön" und "sehr liebevoll gestaltet", das ist ein durchgehender Pluspunkt. Was die Geschichte und vor allem das Storytelling betrifft, ist Gone Home ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Und das sage ich jetzt mal als hauptberufliche Lektorin und Büchertante ohne mit der Wimper zu zucken.

Jedoch hätte die Geschichte einen guten Angriffspunkt geboten, um das offenbar in den Staaten noch immer sehr brisante Thema auch auf einer größeren Ebene, im Big Picture, zu beleuchten. Reflexionen der umherstreifenden Protagonistin, oder noch besser, provozierte Reflexionen im Kopf des Spielers selbst, vor allem in Bezug auf gesellschaftliche Vorurteile und juristische Implikationen hätten der wunderschönen Geschichte eine Bedeutung wie "Papers, please" verleihen können, ohne sie zu verwässern.
Hier ist "Gone Home" in Bezug auf Agenda und Impact eindeutig Underfucked.

Nichts desto trotz habe ich die rund 100 Minuten sehr genossen, weil es einfach eine wunderschön erzählte, berührende und emotionale Geschichte ist. Und als solche, aber nicht als Spiel, durchaus empfehlenswert. Den großen "Aha Effekt" am Ende kann ich jedoch nicht nachvollziehen - ab ca. 20 Minuten vor Schluss hatte ich bereits ein Solches erwartet. Weibliche Intuition und so...


Wertung
Pro und Kontra
  • Exzellentes Storytelling
  • Unglaublich gute Sprecherin
  • Wunderschöne Familiengeschichte
  • Solide Technik
  • Glaubhafte Gestaltung der Räume
  • "Pseudointeraktion" schön dargestellt
  • Als Spiel verkauft - ist es aber nicht
  • Preis / Leistung unverschämt

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

zu leicht

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Weniger als 5 Stunden



Kommentare(2)
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