Ein zeitloses Erlebnis

Mein Gott, was habe ich getan? sage ich fassungslos zu mir selbst, als der Abspann der 5. Episode von Life is Strange zu den naiv-lieblichen Klängen von...

von Weltensohn am: 17.01.2016

"Mein Gott, was habe ich getan?" sage ich fassungslos zu mir selbst, als der Abspann der 5. Episode von Life is Strange zu den naiv-lieblichen Klängen von "Foals - Spanish Sahara" den Bildschirm entlangläuft. Tränen laufen mir die Wange hinunter angesichts der emotionalen Achterbahn, die somit gerade ausläuft und mich aufgewühlt aussteigen lässt. Noch lange werde ich dieses Spiel in meinem Gedächtnis behalten und mit Freunden über unsere Entscheidungen diskutieren.

 

HALT STOP, JETZT REDE ICH! Wichtige Warnung am Rande: alle, die auch nur minimalst Interesse am Selberspielen von Life is Strange haben, sollten unter keinsten Umständen die Bilder im Gamestar "Screenshots"-Ordner anschauen! Zwar steht da nichts geschrieben, und es sind auch keine zentralen Dialoge ersichtlich, aber nichtsdestotrotz zeigen die Bilder einige Schlüsselstellen des Spiels und sollten somit unbedingt vermieden werden.



Doch nicht nur das Ende des Spiels lässt einen nicht so schnell los, generell schafft es Life is Strange eine bedrückende, aber doch hoffnungsgeladene Atmosphäre zu versprühen. Gekonnt wandert Entwickler Dontnot auf den Spuren von Telltale. Jedoch gelingt ihnen mit Life is Strange nicht lediglich eine einfacher Abklatsch, sondern ein eindrucksvolles, umfangreiches und in beinahe jeglicher Hinsicht den Lehrmeister übertreffendes Adventure, das besonders durch die grandiose musikalische Untermalung und die erstklassig geschriebenen und vertonten und Charaktere zu bestechen weiß. Doch genug der Vorschusslorbeeren, fangen wir von ganz vorne an.

Mit diesem eindrucksvoll dargestellten Tornado samt tosendem Gewitter eröffnet sich Life is Strange neuen Spielern.


Geschichten, die das Leben schreibt

Das Episoden-Adventure Life is Strange des Entwicklers Dontnot Entertainment wurde im klassischen Telltale-Episodenformat zwischen dem 30. Januar 2015 und dem 20. Oktober 2015 durch den Publisher Square Enix veröffentlicht. Etwa ein Jahr nach dem Release der ersten Episode, nämlich am 22. Januar 2016, erscheint zudem eine Limitierte Edition für PC, XBox-One und PS4, die allerdings bei den meisten Online-Händlern bereits ausverkauft ist. Diese enthält neben allen fünf Episoden u.a. auch den Soundtrack und ein kleines Artbook und liegt erstmals in physischer Form vor. Besonders aufgrund des Original Scores und den ausgewählten Liedern, die in Life is Strange an Schlüsselstellen oder im Abspann der jeweiligen Episoden zu hören sind, machen diese Limited Edition zu einem für viele Spieler sehr verführenden Angebot.

In seinen fünf Episoden, die alle je nach Spielart und Spieler zwischen 2 und 5 Stunden dauern, erzählt Life is Strange die Geschichte von Maxine Caulfield, die in Arcadia Bay, dem fiktiven Ort des Geschehens in den USA an der Blackwell Academy Fotorafie studiert. Bereits zu Beginn der ersten Episode trifft sie durch Zufall auf ihre ehemalige beste Freundin Chloe, die sich nicht nur äußerlich sehr verändert hat. Die blauhaarige Punkerin mit gutem Herz befindet sich nämlich in einer lebensgefährlichen Situation, aus der sie Max retten kann, indem sie ihr magisches Talent erkennt, die Zeit zurückdrehen zu können.

Ab diesem Zeitpunkt spinnt Life is Strange ein fiktionales, aber doch so real wirkendes Netz an vielen kleinen und einer großen, alles verbindenden Geschichte. Die "große" Geschichte handelt von Max' neuerlich freundschaftlicher Beziehung zu Chloe, ihren gemeinsamen Abenteuern und der Suche nach Rachel Amber, einer ehemaligen Schülerin des College, die seit ein paar Monaten spurlos verschwunden ist und eine Freundin Chloes' war. Hierbei fühlt sich Life is Strange oft wie ein Hobbydetektiv-Spiel an, doch im Großen und Ganzen dominieren Epik und Drama das Geschehen. Besonders ab der dritten Episode nimmt die Haupthandlung an Fahrt auf und der Spieler findet sich in einer packenden Situation nach der anderen.

Die "kleinen" Geschichten sind zahlreich vorhanden. Hier gibt es einige Konstanten, beispielsweise Max' Mitschülerin Alyssa, die regelmäßig von Footballs getroffen wird, in einen Pool zu fallen droht, oder sonstige Problemchen hat. Hier kann man mithilfe Max' Fähigkeit aushelfen. Doch es gibt auch andere kleine Geschichten die oft auch mit der Haupthandlung verwoben sind, aber nur einmalig vorkommen und dem Spieler beispielsweise einen kleinen Vorteil in der Detektivarbeit bieten. Aus spoilergründen werde ich hier allerdings auf keine eingehen.

Mehr als nur Freunde? Max' Mitschüler Warren zeigt bei einem gemeinsamen Gespräch im Sonnenuntergang seine hilflos-romantische Seite.

Die große Stärke in der Geschichte von Life is Strange manifestiert sich vor allem in zwei großen Säulen: zum Einen präsentieren uns Dontnod nachvollziehbare, realistische Handlungsstränge. Anstatt Zombies und Märchenfiguren bei Telltale stehen Mobbing und Vermisstmeldungen sowie kleinere detektivische Tätigkeiten im Programm. Durch die Wahl des Ortes entsteht außerdem eine angenehme ländliche Atmosphäre, die Umgebung wirkt beruhigend und unberührt.

Zum Anderen führt die College-Atmosphäre bei jüngeren Semestern (entschuldigt bitte den Wortwitz, leider kann ich nicht die Zeit zurückspulen und ihn ungeschehen machen) wie mir dazu, dass man sich fast schon heimelig und in die eigene Schullaufbahn zurückversetzt fühlt. Die typischen Gruppen sind klar gezeichnet, so gibt es neben den hippen Style-Queens, die von der stark egozentrischen Veronica angeführt werden auch die Gruppe der introvertierten Leisen, die niemanden auffallen, und auch - wie es leider ebenfalls in der Realität der Fall ist - die Opfer von Mobbing und Gewalt. Ein wichtiger Ausüber dieser Gewalt und gleichzeitiger Star der Selbstdarstellung ist Nathan, der zu Beginn die Rolle des Antagonisten einnimmt. Aufgrund seiner tiefen familiären Verflechtungen in die finanzielle und logistische Politik Arcadia Bays hält er einen Sonderstatus und ist somit von den meisten Anschuldigungen gefreit.

Die anfangs sehr klaren Figurenkonstellationen verwaschen je nach Spielweise zusehends. Außerdem kann man so gut wie jedes Gespräch wiederholen und somit beispielsweise das für sich selbst befriedigenste Ende finden.

Ist das noch ein Spiel...?

... oder schon ein interaktiver Film? Im Gegensatz zu Telltale verlässt sich Life is Strange nicht nur auf den Freiraum in Gesprächen, sondern lässt den Spieler auch unterschiedlich große Areale frei erkunden. Vor allem ab der dritten Episode werden die Gebiete weitläufiger, so begehen wir beispielsweise das Hauptgebäude des College oder hetzen durch eine der Straßen in Arcadia Bay. Bereiche, die wir dabei nicht betreten sollen, sind logisch durch Zäunen, Hecken, Häusern oder ähnlichem vom Rest abgetrennt. Ladezeiten gibt es zwischen den Gebieten keine, lediglich bei Verwendung einer HDD kann es zu kurzen schwarzen Bildern kommen, die danach aber sofort die Szenerie aufdecken.

Die einzelnen Szenarien sind sehr detailverliebt gebaut, an jeder Ecke tummeln sich Schüler, Einwohner, oder auch einfach mal nur ein Eichhörnchen, dem man natürlich etwas kleines zu Essen geben kann. Danach darf Max auch ein Foto mit ihrer Sofortbildkamera schießen. Diese Option bekommen wir als Fotografiestudentin übrigens nicht immer, sondern nur an (zahlreichen vorhandenen) vorgegebenen Stellen im Spiel. Wenn wir an diesen Punkten ein Foto schießen, erhalten wir übrigens ein Achievement - ja, die gibt es in Life is Strange auch.

Nicht selten überrascht Life is Strange den Spieler mit filmreifen Kameraperspektiven wie dieser hier.

Der Kern des Gameplays und somit das Herzstück des Spiels liegt aber in den gut inszenierten und exzellent vertonten Zwischensequenzen, die wir entweder selbst triggern können indem wir mit einer Person interagieren, oder die auf uns zukommen, zum Beispiel manchmal nach dem Verlassen eines Gebäudes. Hier erhalten wir immer wieder die Option, eine Antwort auszusuchen. Viele beeinflussen nur den Gesprächverlauf, manche Antworten ändern aber auch langfristig unsere Haltung zu der betroffenen Person. Als chronisch "netter" Mensch in Videospielen, wie ich mich selbst beschreiben würde, endet man allerdings trotzdem nicht mit lauter Freunden. Wie auch im echten Leben wollen manche Konstellationen einfach nicht funktionieren.

Ein paar dieser häufigen Entscheidungen verlangen einiges von uns ab. Besonders wenn es um das Schicksal einer uns nahestehenden Person geht, sitzt man oft minutenlang grübelnd vorm Bildschirm - Zeitdruck wie von Telltale's Adventures bekannt gibt es nämlich in Life is Strange nicht.

Dies tut dem Spiel aber keinen Abbruch und die Entscheidung ist auch logisch nachvollziehbar: da man ohnehin dank Max' Fähigkeit zurückspulen kann, um eine andere Entscheidung auszuprobieren, kann man den Zeitdruck gleich bleiben lassen.

Kleine Bemerkung am Rande: die Tatsache, dass ich wiederholt "uns" statt "Max" schreibe, zeigt, wie unfassbar gelungen den Entwicklern die Immersion in Life is Strange gelungen ist. Max ist eine realistisch dargestellte, junge, introvertierte Studentin mit nachvollziehbaren Interessen und Ansichten, und das macht sie so glaubhaft und ermöglicht im weiteren Spielverlauf die tiefgreifende Identifizierung mit ihrer Person.

 

Musik und Sprache fürs Herz

Eine weitere riesige Stärke von Life is Strange liegt in der teils subtilen, teils brachialen Musikuntermalung. Sowohl der Original Score als auch die sorgfältig ausgesuchten Lieder, in denen besonders Gitarren- und Keyboardklänge dominieren, passen perfekt zu der fast schon verträumten aber doch harten Spielwelt des Spiels. Die Melodien bleiben nicht nur minuten- oder stundenlang, sondern mehrere Monate oder möglicherweise gar Jahre im Gedächtnis, beim Hören erinnert man sich sofort an die zugehörige Stelle im Spiel und die Gänsehaut kriecht einem langsam den Rücken hoch.

Lieblich und doch perfide präsentiert sich der Strand von Arcadia Bay im Licht der untergehenden Sonne - ein kontrastreiches Stilmittel, das in Life is Strange gerne verwendet wird.

Eine derart gelungene Musikuntermalung habe ich in einem Videospiel bisher noch nie erlebt, denn neben klassisch-epochalen Soundtracks mit einem völlig ausbesetzten Streichorchester mit zusätzlichen Bläsern und einem überdominanten Schlagwerkregister findet sich heutzutage keine Perle mehr wie Life is Strange. Die Musik regt zum Reflektieren und Nachdenken an und ich habe mich nach dem Durchspielen bereits mehrmals erwischt, wie ich den Soundtrack nebenher auf Youtube aufgedreht habe, wenn ich Zeichnen, Lesen oder einfach nur "Augen schonen" wollte. Das ist mir bisher noch mit keinem anderen Spiele-Score passiert und dies alleine spricht für mich Bände.

Ohne den Soundtrack selbst erlebt zu haben, fällt es schwer, die Begeisterung nachvollziehen zu können. Daher möchte ich bereits an dieser Stelle jedem interessierten Leser empfehlen, Life is Strange selbst auszuprobieren und zu erleben, sei es mithilfe der Limited Edition, einem klassischen Download oder nach dem Abwarten eines Steam-Sales, wie ich es ursprünglich gemacht habe.

Die ausschließlich englischprachige Vertonung ist ebenfalls von aller höchster Qualität. Die Sprecher glänzen in ihren Rollen und schaffen es, jedem einzelnen Charakter eine einzigartige, wiedererkennbare und unverwechselbare Identität durch sie zu verleihen und das, obwohl einige der Synchronsprecher doppel- und gar dreifach besetzt sind. Man spührt die Emotionen anhand des Klangs der Stimme und die Sprecher sind mit wirklich viel Herzblut bei der Arbeit. Bei dieser herausragenden Qualität kann man meines Erachtens über eine fehlende deutsche Version oder gar deutsche Untertitel hinwegsehen, zumal es letztere per Mod gibt.
Wer allerdings des Englischen nicht fließend mächtig ist, dem rate ich zur Limited Edition, die erstmals offizielle deutsche Untertitel beinhalten wird. Diese werden aber vermutlich auch in die reguläre Version des Spiels gepatcht, wenn die Limited Edition erscheint.

In abendlichen Momenten wie diesem unterstreicht der Soundtrack die liebliche Idylle der gebotenen Szene.

 

Klingt zu schön, um wahr zu sein?

Wer nun schon Feuer und Flamme ist und Life is Strange, ein offensichtlich perfekt erzähltes, tiefschichtiges, wundervolles Adventure mit packenden Entscheidungen, zu kaufen und gleich drauf los zu zocken, dessen Euphorie muss ich allerdings an dieser Stelle nun doch etwas bremsen.

Besonders zwei zentrale Kritikpunkte habe ich persönlich beim Spielen gefunden. Der erste große Kritikpunkt liegt in der Grafik. Diese ist bewusst in einem malierisch wasserfarbenartigen Stil gehalten und sieht sehr gut aus. Detailarme Darstellungen und verpixelte Texturen wie in Telltale's zahlreichen Adventures findet man nicht, stattdessen strotzt Life is Strange immer wieder mit nahezu cineastischen Aufnahmen, die wirklich einiges hermachen. Besonders Max' Tag- und Alpträume, die der Spieler ebenfalls immer wieder sieht, sind eindrucksvoll und überraschend actionreich dargestellt. Was mich persönlich aber an der Grafik stört, waren die hölzernen Animationen. Nicht nur bewegen sich sämtliche Charaktere, als würden sie von einem Puppenspieler an den Fäden gezogen werden, sondern ihre Gesichtsanimationen sind auch sehr steif, lieblos und flach. Das tut der Immersion doch dann und wann einen Abbruch, vor allem, wenn eine weinende Person kaum veränderte Gesichtszüge zeigt als eine glückliche, und lediglich durch eine rötlichere Hautfarbe um die Augen und mehr Reflexion in selbigen auf die Tränen verweist werden soll.

Der zweite große Kritikpunkt, den ich persönlich hatte, betrifft den famosen Sound. Ich habe eine Asus Xonar Essence STX II Soundkarte in meinem System, die mit einem Sennheiser HD700 Kopfhörer gepaart ist. Wenn ich länger als 40 Minuten am Stück spiele, bekommt der Sound nicht nur immer wieder Imput-Lags, sondern fühlt sich nach ca. 1 Stunde so an, als würde jemand dauernd die Kopfhörer an- und abstecken - das charakteristische "Knacksen" inklusive. Wenn man dann oft ganze Gespräche nicht mehr flüssig, lippensynchron und ununterbrochen hören kann, tut das der Immersion ganz und gar nicht gut. Darum habe ich alle 30 Minuten eine kurze Trinkpause eingelegt, in der ich das Spiel neu gestartet habe. Eine Dauerlösung ist das sicherlich nicht, da ich das Spiel aber in meiner Begeisterung in einem Rutsch an einem freien Tag durchgespielt habe, wollte ich mir nicht die Zeit nehmen, nach einer richtigen Lösung zu diesem Problem zu suchen. Der Fehler trat erst ab Episode 2 auf.

Auch abseits hiervon hat Life is Strange einige größere und kleinere Problemchen, die aber alle nicht so ins Gewicht fallen. Im Nachfolgenden werde ich sie dennoch kurz ansprechen, für Nachfragen stehe ich gerne in den Kommentaren zur Verfügung. Mich haben sie in keinster Weise gestört, es ist allerdings etwas, das ich für erwähnenswert halte.

Max erhält ihre Gabe innerhalb der ersten fünf bis zehn Minuten des Spiels, je nachdem, welcher Spieltyp man ist. Woher diese Gabe kommt, wieso sie da ist, wozu sie gut ist oder warum gerade Max sie erhält, wird im ganzen Spiel nicht erklärt. Letztere Fragen kann man sich gegen Ende des Spiels als aufmerksamer Spieler möglicherweise zusammenreimen, eindeutige Antworten erhält man aber nie. Außerdem gibt einem das Spiel so gut wie immer einen Hinweis, wann man zurückspulen kann oder sollte, sodass selbst hier der Ansporn rausgenommen wird, selbst zu entdecken, wann es nun wirklich sinnvoll ist.

Der Einstieg in Life is Strange ist sehr actionlastig und wirft den Spieler mitten rein ins Geschehen.

Desweiteren beginnt die Geschichte sehr seicht, wenn auch der Einstieg selbst einem Paukenschlag gleicht. Genauso schnell und direkt, wie man in den ersten 15 Minuten ins Spiel geworfen wird, ist die anfängliche Fahrt wieder herausgenommen, und die ersten beiden Episoden spielen sich so fast mehr wie ein Simulator des täglichen Lebens einer introvertierten Studentin, die gerade eine alte Freundin wiedergefunden hat. Trotzdem hatte ich von Anfang an irgendwoher den Drang, weiterzuspielen, obwohl noch nichts wirklich spannendes (verglichen mit Episode 3 und später) passiert war. Glücklicherweise zieht die Geschichte spätestens mit dem Cliffhanger in Episode 3 deutlich an, und flacht zu keinem Zeitpunkt mehr ab.

Trotz der Spannung, die man förmlich greifen kann, da sie so dick in der Luft liegt, gibt es auch einige Zeitpunkte, an denen man sich schon denken kann, was noch wohl passieren wird. Aus Spoilergründen erwähne ich nun nichts weiter davon, außer, dass dies bei mir vor allem bezüglich einem Fund in Episode 4 und 5 der Fall war, also zu einem Zeitpunkt, wo eigentlich schon alles auf "unvorhersehbares Finale" eingestellt sein sollte.

Abseits davon habe ich weder Bugs erlebt, noch irgendwelche störenden Elemente bemerkt. Technisch und grafisch hat das Spiel ein paar Macken, die den Spielspaß doch etwas trüben, aber ähnlich wie auch bei den Spielen von Telltale gewöhnt man sich nach einiger Zeit daran. Und dann hat man mit Life is Strange eines der besten wenn nicht sogar das beste Spieleerlebniss, das 2015 zu bieten hatte.

Ein durch und durch wunderschöner und entspannender Anblick. Doch so friedlich, wie es hier wirkt, ist Arcadia Bay keinesfalls...

Farbenfrohes Rätseln

Einen letzten Punkt, der nun eher mythologisch-philosophischer Natur ist, möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen. Dazu muss ich sagen, dass mir zwar die gleich angesprochene Farbthematik aufgefallen ist, doch die Deutung dahinter wäre mir als Unwissenden in dieser Thematik bis heute nicht klar, hätte mir nicht zufällig ein Freund ein YouTube-Video darüber geschickt.

Worum geht es jetzt also bei diesem "farbenfrohen Rätseln", wie die Überschrift besagt? Für die folgenden Absätze beziehe ich mich exzessiv auf das YouTube-Video unter nachfolgendem Link, dass ich Interessierten, die das Spiel noch nicht gespielt habe, keinenfalls ans Herz lege, da es massiv Spoiler beinhaltet, die ich an dieser Stelle entfernen werde! Es handelt sich dabei um das Video "Fan Theory: The Mystery of Chloe Price", welches am 15.02.2015 von der YouTuberin Geek Remix unter dem Link [https://www.youtube.com/watch?v=Ac3xWs9evg0] hochgeladen wurde.

Das Spiel stellt ziemlich zu Beginn der ersten Episode (nach rund 20 Minuten Spielzeit) durch den Nebencharakter Samuel, der der Hauswart des College ist, die Theorie auf, dass jeder Mensch ein "Spirit Animal" hat. Für Max ist dies beispielsweise ein Eichhörnchen, bei Chloe ist es ein blauer Schmetterling. Rachel Amber, die entführte Schülerin und Freundin von Chloe hat einen Blue Jay, ein bläulicher Vogel, als "Spirit Animal". Wie die YouTuberin nachgeforscht hat, war bei einem Volk der Ureinwohner Amerikas, die in der Gegend um Oreon, wo Life is Strange spielt, angesiedelt waren, der Blue Jay der Gott des Betrugs. Dieser besitzt ein großes Herz und hilft gerne der Menschheit, liebt es aber auch, Probleme zu verursachen.

Woher man das weiß? Rachel Amber trägt die Feder eines Blue Jays, Max erfährt es von Samuel und Chloe hat einen blauen Schmetterling in ihrem ansonst tiefroten Tattoo auf der rechten Hand. Dieser Schmetterling steht außerdem für den Schmetterling in der Butterfly Effect auf dem die Chaos Theory beruht, auf die das Spiel in einem wissenschaftlichen Erklärungsversuch des Zeitreisens von Max Bezug nimmt. Und, sind Sie schon ausgestiegen? Nein? Gut, denn man kann in die Welt und besonders die Farbgebung noch mehr hineininterpretieren, was sich schlussendlich auch als korrekt erweist und zeigt, wie viele Gedanken sich die Entwickler zum Spiel gemacht haben müssen. Vieles Vorangegangenes versteht man auch erst, nachdem man das Spiel zu Ende gespielt hat. Im folgenden erzähle ich noch eine weitere kleine Anekdote aus dem oben zitierten Video, wiedermals spoilerfrei.

Besagter Schmetterling hat ein sehr helles und kräftiges Blau. Dieses hat er nur, wenn es sich um einen männlichen Vertreter dieser Art handelt. Auf Chloes' Zimmerwand kann man kurze Sätze wie "Think like a man" und ähnliches finden.

Noch mehr gefällig? Gerne, doch nun kommen leichte Spoiler! Die hunderten Videos zu diesem Thema zu schauen ist wirklich sehr interessant und offenbart erst, wie viel vorangegangene geistige Arbeit in den Titel gesteckt wurden.

Chloe symbolisiert offenbar eine Mischung aus Chaos und Tod, womit auch sie wieder gut zur Chaos Theory passt. Ihr Look mit den Totenköpfen am Gewand, den kräftig-hellblauen Haaren und den roten Tattoos deuten darauf hin. Nun kommen wir zu dem wirklich farb-spezifischen, das ich bereits angeteasert habe: das Spiel benutzt einen ganz bestimmten Blau- und Rotfarbton. Nicht nur, dass der Blue Jay, der Schmetterling und Chloes Haare blau sind, auch Max' Armband, Kate's Marker und viele weitere "zusammengehörige" Personen haben Details an sich, die im gleichen Blau gehalten. Das verwendete Rot steht dazu im genauen Kontrast, denn es steht für aggressives Verhalten und Menschen, die eine Vergangenheit oder Rolle besitzen, für die Gewalt oder Geld eine Rolle spielen. Dass man auf die Farben achten sollte, wird einem vom Spiel aber nie gesagt. Nur wer aufmerksam durch die ersten paar Minuten des Spiels wandert, der wird an den Wänden des Klassenzimmers, in dem das Spiel startet, einige Poster finden, die demonstrieren, wie wichtig Farben und Kontraste in der Fotografie sind.

Schuhe auf dem Arbeitstisch einer höhergestellten Person? Kein Problem für die "Chaos-Königin" Chloe Price.

 

Spoiler aus - Spiel an

Über kein anderes Spiel habe ich bisher so viel mit Freunden, die es ebenfalls gespielt - oder soll ich sagen erlebt? - diskutiert und reflektiert. Dabei habe ich neue Ansichten gewonnen, meine Entscheidungen, die ich zuvor für gut befunden habe plötzlich bereut, oder auch die ein oder andere Finessé bezüglich der Charakterzüge meiner Freunde herausgefunden. Denn Life is Strange behandelt teilweise auch Tabuthemen, Randthemen wenn man so will, über die nicht gern gesprochen wird, und das ist super. Es ermöglicht die erwachsene Auseinandersetzung mit diesen Themen und stellt meist grob alle Sichtweisen dazu selbst dar, da es so viele unterschiedliche Charaktere gibt, die alle in meinen Augen glaubhafter denn je zuvor in einem Videospiel wirken. Nicht nur deswegen haben sich ein paar meiner Freunde bereits zum Ziel gesetzt, das Spiel noch mehrmals durchzuspielen, um weitere Details herauszufinden oder um andere Optionen auszuprobieren. Ich fand das einmalige Erlebnis einzigartig, und möchte es mir persönlich nicht nehmen, da ich befürchte, dass es wie bei Telltale's Spielen sein könnte, die beim ersten Spielen Freiheit schreien, aber in Wirklichkeit keine bieten. Ich wollte mir diese Illussion bewahren.

Summa summarum möchte ich diese elends lange Rezension mit zwei Zitaten abschließen, die alles darstellen, was das Spiel ausmacht. Wer diese Sätze nachvollziehen kann und sich möglicherweise selbst abundzu in einer ähnlichen Situation wiederfindet, der wird mit Life is Strange ein erstklassiges Spiel genießen können, dass trotz der ein oder anderen kleinen Makel ein famoses, umwerfendes und lange berührendes Ereignis ist.

"Geschichten werden nur manchmal wahrhaftig erlebt, sehr selten gar, und daß nur, wenn sie richtig erzählt werden." - Quelle unbekannt

"Jede Geschichte, die wir über uns erzählen, kann nur in der Vergangenheit erzählt werden. Sie spult sich von dort, wo wir heute stehen, nach rückwärts ab, und wir sind nicht mehr ihre Akteure, sondern ihre Zuschauer, die sich entschieden haben zu sprechen." - Siri Hustvedt, Was ich liebte


Wertung
Pro und Kontra
  • Packende Geschichte, mitreißend erzählt
  • wie "aus dem Leben gegriffen"
  • Nebenziele
  • Glaubhafte Charaktere
  • Harte Entscheidungen
  • Berührender Original-Score
  • Stimmig ausgewählte Musiktitel
  • Langes Reflektieren des Geschehens möglich
  • Wisenschaftliche Erklärungsversuche und mythologische Deutungen
  • Regt zu Diskussionen an
  • Hoher Wiederspielwert dank Entscheidungen
  • Nur englische Vertonung
  • Flache Gesichtsanimationen
  • Soundbugs nach längerem Spielen ab Episode 2
  • Max' Gabe plötzlich und ohne Erklärung eingefügt
  • Allzu deutliche Vorgabe fürs "Zurückspulen"
  • Nimmt erst in Episode 3 wirklich Fahrt an
  • Teils vorhersehbare Elemente

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Oft, regelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



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