Fürchterlich-charmantes Physik-Jump & Run

Wann war Horror noch furchteinflößend? Mal ehrlich: Seit die Farbe den Bildschirm dominiert, sind klassische Spannungsszenarien schnell in...

von TheVG am: 22.02.2013

Wann war Horror noch furchteinflößend? Mal ehrlich: Seit die Farbe den Bildschirm dominiert, sind klassische Spannungsszenarien schnell in Vergessenheit geraten. Was dabei vergessen wurde, ist, dass gerade diese Schwarz-Weiß-Klassiker einen zeitlosen Gruselfaktor inne hatten, die auch heute noch im Gedächtnis hängen geblieben sind. Genau hier setzt „Limbo“ an. „Limbo“ – das ist kein tropisches Strategiespiel und kein Facebook-Ableger, in dem man unter einer Latte durchtanzt. „Limbo“ ist nur der ungewöhnliche Titel eines Spiels, das einst auf der Xbox einen großen Erfolg feierte und 2011 für den PC portiert wurde. „Limbo“ lehrt uns das Fürchten, und das ganz klassisch.

Ein bisschen Natur

Ein Wald, wehendes Gras, und mittendrin liegt ein Junge. Doch ich kann ihn nicht dazu bringen, sich aufzurichten. Plötzlich öffnet er die Augen. Er steht auf, und jetzt erst kann ich ihn mit den Tasten bewegen. Ohne Tutorial und nur mit einer simplen Steuerungsanzeige im Menü geht es sodann in ein schaurig-schönes Abenteuer, das ganz in Schwarz-Weiß und einen grisseligen Overlay-Effekt gehalten wurde. An dieser Stelle würde ich ja gerne wie auch sonst etwas über eine Story erzählen, aber die gibt es so gesehen nicht. Der Junge hat keinen Namen, durchwandelt sein persönliches Fegefeuer und sucht seine Schwester. Mehr konnte ich auch nicht in Erfahrung bringen, und mehr wollte sich Entwickler Playdead wohl auch nicht einfallen lassen. Aber seit wann haben Jump&Runs überhaupt eine anspruchsvolle Story?

Nun nehmen wir einfach mal so hin, wie es ist und lassen uns darauf ein, was das Setting so verspricht. „Limbo“ ist ein neuwertiges Jump&Run, in der Physik eine tragende Rolle spielt. Die Steuerung ist so simpel wie zu Gründerzeiten, außer dass wir bewegliches Material zusätzlich durch den Bildschirm ziehen müssen. Das Spiel geizt nämlich nicht mit Rätseln. Nach einem gediegenen Einstieg steigt der Schwierigkeitsgrad stetig an, aber nicht so arg, dass wir uns schnell überfordert fühlen würden. Immer wieder stellt sich ein Aha-Effekt ein, wenn wir durch Schalterrätsel unüberwindbare Barrieren meistern müssen oder beispielsweise Wasser für unser Weiterkommen benötigen. Hier wurde wirklich vieles integriert, das einem Physikrätsel würdig ist, und logisch erdacht sind diese ebenfalls, bis wir letztlich wirklich alle Register ziehen müssen, um den ersehnten Ausgang zu finden.

Die Essenz der Furcht

„Limbo“ hätte nicht seinen unverwechselbaren Charme, wenn die Rätselei nur für sich stünde. Da spielt dann doch noch die Atmosphäre eine wichtige Rolle, die uns ein wohliges Schaudern bereitet. Das monochrome Bild erinnert an gute, alte Nosferatu-Zeiten, und auch wenn die Umgebung nur als Schatten wahrnehmbar ist, sind alle Elemente wie Kisten, Loren oder Monster eindeutig erkennbar. Was uns da so erschaudern lässt, sind die Geschöpfe, Ideen und Kleinigkeiten, die aus diesem Spiel ein recht brutales sowie abstraktes Vergnügen machen. Klassisch werden wir von einer riesigen Spinne verfolgt, die Urängste effektvoll weckt, darüber hinaus finden auch moderne Schocker ihren Platz, in denen wir regelmäßig und blutig unser Leben lassen. Da die Blutspritzer in Schwarz dargestellt sind, sieht das nur in den Animationen heftig aus, wenn wir von Spinnenbeinen aufgespießt werden oder in Kreissägeblätter geraten. Sollte das passieren (und das wird es zuhauf), werden wir einfach ein Stück zurück versetzt, so sind freies Speichern und das Geläster über blöd gesetzte Speicherpunkte kein Thema.

Die Rätselei hat mitunter etwas sehr Makabres an sich. So müssen wir wortwörtlich über Leichen gehen, wenn wir über einen kleinen See kommen wollen, und mit Erhängten lassen sich in Verbindung von Bärenfallen höhere Ebenen erreichen. Doch zieht sich das nicht komplett durch das Spiel, weil sich eher die Locations ändern und damit spielerische Ideen kreiert werden. Beispielsweise beeinflussen Gehirnlarven unsere Bewegungen, oder wir drehen mal eben den ganzen Bildschirm durch Umlegen eines Schalters. Das beeinflusst nicht nur die Physik selbst, sondern gehört zu einem sehr durchdachten Repertoire an verschiedenartigsten Rätseln, das auch über eine Bildschirmbreite hinaus für Denksportaufgaben sorgt. Das Design der Aufgaben ist nicht nur anspruchsvoll, sondern auch in jeder erdenklichen Weise ausgeschlachtet worden, dass man respektvoll mit der Zunge schnalzt. So kann es auch passieren, dass Deckenlampen die einzigen Hinweisgeber für ein weiteres Vorgehen sind, wenn sie eine Leiter kurzzeitig beleuchten.

Einseitig vielseitig

Technikfreaks werden sofort bemäkeln, dass sich „Limbo“ nicht einstellen lässt. Optionen gibt es so gut wie keine, also ist man an eine Bildschirmauflösung gebunden oder kann die Steuerung nicht ändern. Mir ist das herzlich schnuppe, weil der Stil schon genug Schönes zu bieten hat. Die Optik ist sehr eigenständig und überzeugt vor allem durch den sogenannten Film-Grain-Effekt, der gerne in düsteren Filmen benutzt wird. Dieser hilft, die Atmosphäre passend zu unterstützen. Das lediglich graue Antlitz erinnert perfekt an die alten Horrorklassiker und ist höchstens in der Animationsqualität seinen Vorbildern einiges voraus. Die Bewegungsabläufe sind nämlich butterweich und tragen sogar zur Spannung bei, wenn die Riesenspinne wie einst in „Tarantula“ angekrabbelt kommt oder eine Riesenfliege als Flugzeug missbraucht werden muss. Dazu macht der Sound ebenso eine tolle Figur, die Hintergrundgeräusche sind vielfältig und realitätsgetreu, und wirklich jede Aktion hat ihr passendes Stück Audio verpasst bekommen. Musik gibt es nur selten (oder eher unauffällig) in Form von Ambient-Tracks, aber selbst die passen jederzeit wie die Faust auf´s Auge, und da sie meinen Geschmack voll treffen, bin ich da natürlich gleich Feuer und Flamme für gewesen.

Ich will nicht behaupten, dass „Limbo“ in irgendeiner Weise einen AAA-Titel in die Schranken weist, aber das Spiel schafft es im Fahrwasser der Indie-Retrowelle, dass Innovation nicht nur an Polygonen oder teuren Sprechern auszumachen ist. Die Atmosphäre zog mich schnell in ihren Bann, denn das Zusammenspiel aus Nostalgieoptik, Horrorelementen und düsterem, hochwertigen Sound ist schon was ganz besonderes geworden. Einen Platformer mit Topphysik und vielseitigem Rätseldesign gibt es heutzutage schon öfter, aber „Limbo“ versprüht seinen eigenen, makabren und Magenkribbeln fördernden Charme, dem ich (zwar verspätet, aber) sogleich verfallen war.


Wertung
Pro und Kontra
  • Einzigartiger Grafikstil
  • Butterweiche Animationen
  • Tolle Soundkulisse
  • Vielseitiges Rätseldesign
  • Top-Atmosphäre
  • Steile, aber nicht übertrieben ansteigende Lernkurve
  • Keine Einstellungsmöglichkeiten
  • Kaum Story

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(3)
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