Lauf, Faith, Lauf!

  Fast 6 Jahre ist es nun schon her, dass meine letzte Leserrezension auf GameStar erschienen ist. Und mindestens genau so lange ist es her, dass ich...

von Grizzyplayer am: 05.03.2018

 
Fast 6 Jahre ist es nun schon her, dass meine letzte Leserrezension auf GameStar erschienen ist. Und mindestens genau so lange ist es her, dass ich Mirror's Edge gespielt habe. Der Jump'n'Runner hat mit 9 Jahren zwar schon etwas auf dem Buckel, muss sich aber zumindest technisch nicht gegenüber aktuellen Titeln verstecken und verspricht in puncto Innovation vor allem Spielern, die mal etwas anderes ausprobieren wollen oder es leid sind in 2D-Welten von Block zu Block zu springen, jede Menge frischen Wind in das Gehäuse der Konsole bzw. des PCs zu blasen. Genug also der Vorworte, denn ich höre die Hubschrauber der ortsansässigen Polizei bereits gefährlich näher kommen. Ich glaube ich muss euch den Rest unterwegs erklären...
 
Story
 
Im Jahre 2020 hat die Bevölkerung jegliches Recht auf Meinungsfreiheit und Individualismus an die Staatsgewalt abgetreten. Gedanken, Nachrichten, Arbeitssuche, Fernseh - und Radiosender, Bankkonten - das alles und mehr wird von der Regierung strengstens überwacht und bei Missachtung der dazu festgelegten Regelungen mindestens mit einer Gefängnisstrafe geahndet.
 
Bei solch dramatischen Umständen (unter denen wir in zwei Jahren hoffentlich nicht leiden müssen) sind die einzige Hoffnung für Privatsphäre die sogenannten Runner. Sie übermitteln Nachrichten zu Fuß außerhalb der wachenden Augen des Regimes und riskieren dabei über den Hochhausschluchten von Glass City Kopf und Kragen. Faith, unsere Protagonistin, ist eine von ihnen und tritt nach einer Verletzung zurück in ihr "Berufsleben" ein. Nach dem ersten Run läuft jedoch schon alles schief und plötzlich steckt sie zusammen mit Ihrer Schwester in einer Mordverschwörung die es im Laufe der Handlung aufzuklären gilt.
 
Das Spiel spinnt die Geschichte dabei
entweder in Diese Comickurzen Ingame-Sequenzen oder in hübsch aufgemachten Comiczeichnungen weiter und unterhält für 6-8 Stunden. Eine Blockbusterstory mit tiefgehenden Charakteren oder unvorhergesehenen Wendungen sollte man dennoch nicht erwarten. Diese sollte aber ohnehin nicht der Kaufgrund für Mirror's Edge sein, denn der steckt
in einem ganz anderen Teil.
 
Allgemeines
 
Womit wir beim Herzstück des Spiels wären. DICE hat mit Mirror's Edge nämlich, wie ich finde, eines der ambitioniertesten Experimente im letzten Jahrzehnt gewagt. Das Spiel ist genauer gesagt ein Ego-Jump'n'Run-Adventure, dessen Reiz es ist immer den schnellsten und kürzesten Weg in den insgesamt 11 Missionen ausfindig zu machen und dabei in einem Bruchteil der Sekunde die verschiedensten Manöver auszuführen. Dass soetwas physikalisch nicht immer mit rechten Dingen zugeht ist klar wie Kloßbrühe. Das muss es aber auch nicht, denn wenn Faith meterweit über den Dächern an einer Plakatwand entlang läuft nur um sich dann an eine Seilbahn zu hängen und das ganze noch mit einer graziösen Rolle zehn Meter tiefer beendet, zieht das den Spieler in einen regelrechten Sog voller Glücksgefühle. Es macht Spaß sich in den Leveln umzuschauen und immer wieder eine elegantere Lösung für einen Weg von A nach B zu finden. Ist man einmal im "Flow" und sieht die Hindernisse nur noch so an sich vorbeirauschen, dann möchte man am liebsten gar nicht mehr aufhören zu rennen. Das Spiel belohnt dabei diejenigen die nicht immer den erstbesten Weg einschlagen, der in einem markanten Rot markiert ist, sondern Hindernisse vorrausschauend erkennen und dann den perfekten Mix aus Geschwindigkeit und Klettereinlagen austüfteln.
 
Unterbrochen wird das Geschwindigkeitsgefühl sobald Faith auf Widersacher in Form von Polizisten oder feindlichen Runnern trifft. Dann stürzt sie sich furchtlos in den Kampf wobei sie auf ein beschauliches Bewegungsrepertoire aus Faustschlägen und Tritten zurückgreifen kann. In engen Arealen lassen sich diese mit etwas Geschick auch in die Hindernisläufe einbinden sodass es, zumindest bei leichten Gegnern, oft nicht einmal nötig ist anzuhalten. Selbstverständlich muss man sich den Kämpfen nie wirklich hingeben, wenn man dazu keine Lust hat. Faith ist schnell genug um den meisten Gegnern aus dem Weg zu gehen - Ausnahmen bilden nur die feindlichen Runner (die besonders hartnäckig die Verfolgung aufnehmen sobald man sich aus den Staub macht) und ein bis zwei Bosskämpfe. Wer die Action aber nicht vernachlässigen will, kann den Gegnern durchaus Paroli bieten. Auf Knopfdruck entwaffnet die junge Dame Polizisten oder Spezialeinheiten und nutzt die ergatterten Schießprügel dann solange selbst bis das Magazin leer ist. Mit etwas Zielvermögen lassen sich so große Gruppen schnell dezimieren um den erlittenen Schaden zu verringern. Man sollte trotzdessen beachten, dass Faith keine Ex-Marine mit Hornhautüberzogenem Abzugfinger und Kevlarweste ist und dementsprechend bei länger andauernden Gefechten schnell das Zeitliche segnet.
 
Abseits der Kämpfe gibt es in Mirror's Edge eher weniger zu sehen. Man merkt schnell das die Spielwelt nicht für größere Interaktionen gedacht ist, sondern eher um Faith schnell durch verschiedene Missionen zu schleusen. Eigentlich schade denn das Spielsetting hätte durchaus Raum für ein paar Kleinigkeiten abseits der Hetzerei geboten. 
 
Auch das Leveldesign lässt bis auf die positiven Aspekte die ich oben beschrieben habe zu wünschen übrig. Zwar gibt es immer mehrere Wege um zum Zielort zu gelangen, wirklich weitläufig sind die Levelschläuche allerdings nicht. Vielmehr wird dem Spieler sogar durch die grenzenlose Weitsicht auf den Dächern eine offene Spielwelt suggeriert nur um ihm dann nach einem kleinen Spaziergang an der frischen Luft durch ausbremsende Bürokomplexe und Luftschächte zu schicken. Dabei wäre soviel mehr drin gewesen wenn man bedenkt wie befriedigend sich der Moment anfühlt in dem man ein Level zum wiederholten Male spielt und plötzlich einen ganz anderen Weg findet um es zu beenden.
 
Des Öfteren kommt es auch vor, dass man irgendwo in Mitten eines Levels steht und nicht mehr weiß wohin um weiterzukommen. Es gibt zwar markierte Punkte in der Spielwelt um dem Spieler zu zeigen wo es weitergeht aber sind diese einmal durch einen alternativen Weg passiert, so werden sie ausgeblendet um nicht weiter zu irritieren. Dann kann es schonmal sein, dass man minutenlang in einem Abschnitt herumirrt weil man den gottverdammten Luftschacht nicht findet, der an der obersten Reihe des Lagerregals ist, das mit Kartons zugestellt wurde. Solche Frustmomente halten sich aber glücklicherweise in Grenzen.
 
Was sich leider nicht in Grenzen hält ist die Emttäuschung darüber das DICE die perfekte Vorlage für ein paar kleinere Rollenspielelemente (Levelsystem, Fähigkeitspunkte für neue Bewegungen, usw.) nicht nutzt und Faith stattdessen von Anfang an alles beherrscht und nicht schlauer wird. Auch der Umfang des Spiels fällt mit einer Kampagne, einem Time Trail Modus in dem es in recycelten Levelabschnitten aus der Story gegen die Uhr gilt so schnell wie möglich ein Ziel zu erreichen, und einigen Sammelobjekten nicht besonders groß aus. Mit ein bisschen Mühe wäre ein Mehrspielermodus auch möglich gewesen und hätte sogar angesichts der einzigartigen Mechanik relativ spaßig sein können. Aber gut man kann halt eben nicht alles haben.
 
Grafik und Sound
 
Beim Stichwort 'einzigartig' lassen wir die kritischen Worte erst einmal außen vor und fokussieren uns auf die Optik von Mirror's Edge. Schwer zu glauben aber wahr: Das Spiel sieht bei maximalen Grafikeinstellungen immer noch viel besser aus als manch aktueller Titel. Das liegt unter anderem an der wirklich interessant gestalteten Spielwelt. Glass City sieht aus wie ein riesiger Krankenhauskomplex. Die Häuser strahlen im wahrsten Sinne des Wortes "klinisch" weiß, so als ob sich jeden Tag eine Schar Maler auf den Weg machen würde um die Wände sauber zu halten. Die triste Umgebung wird in Innenarealen teilweise durch andere Farbakzente unterstützt, die Nachricht der Entwickler kommt aber dennoch sehr gut an: Alles hat seine Ordnung, Individualismus ist unerwünscht.
 
Natürlich zieht die eintönige Gestaltung der Stadt aus Glas auch Nachteile mit sich. So hat man zum Beispiel nach einem Drittel der Kampagne schon das Gefühl alles zum wiederholten Male zu sehen, denn auch wenn sich kein Layout wirklich zu hundert Prozent gleicht folgt das Leveldesign einem klaren Schema. Mich hat das nicht besonders gestört, aber der ein oder andere wird sich beim Spielen dann doch etwas mehr Abwechslung wünschen.
 
Ansonsten gibt es an der Grafik von Mirror's Edge wirklich wenig auszusetzen. Auf meinem alten Mittelklasse PC lief das Spiel damals mit stabilen 50 FPS, voller Auflösung und hohen Details, zauberte dabei knackige Texturen und weiche Animationen über den Bildschirm. Vorrausgesetzt ich hatte die nVidia PhysX-Funktion abgewählt, die auf entsprechend leistungsstarken Geräten Stoffe realistisch im Wind zappeln oder Glas physikalisch korrekt splittern ließ. Für jene die sich die Framerateabzüge leisten können ist das sicherlich ein nettes Beiwerk, ansonsten kann man getrost darauf verzichten, denn andernfalls artet ME zu einem wahren Ruckelspektakel aus sobald auch nur die kleinste Glasflasche im Blickfeld zu Bruch geht.
 
Ein schönes Detail dabei: Faiths Körper ist durchgehend beim Spielen zu sehen, was der Atmosphäre und dem Mittendringefühl ein gehöriges Plus verschafft.
 
Wie das Spiel auf Konsolen aussieht kann ich bisweilen leider nicht beurteilen, vermutlich muss man dort aber vor allem optisch mit Abzügen rechnen.
 
Soundtechnisch macht ME einen soliden Eindruck. Das gute Geschwindigkeitsgefühl wird neben dem Wischeffekt an den Bildschirmrändern noch mit einem leichten Windrauschen und Faiths keuchendem Atem unterlegt. In Zwischensequenzen kommt es teilweise zu Soundaussetzern oder asynchronen Lippenbewegungen die das Gesamtbild aber nur leicht trüben. Insgesamt haben die Synchronsprecher ihre Arbeit geleistet, wer will kann natürlich auf die englische Fassung umstellen, nötig ist das aber nicht, zumal die Handlung, wie bereits erwähnt, nicht besonders spannend ist.
 
Beim Spielen untermalen passende elektronische Klänge die Kulisse. Sogar ein Popsong, gesungen von Lisa Myskovsky, ist dabei.
 
Steuerung und Gameplay
 
Die Steuerung in Mirror's Edge ist schnell erlernt und geht genauso schnell wieder von der Hand. Es gibt jeweils eine zentrale Taste zum Springen, Umdrehen, Ducken und Schlagen bzw. Treten. Je nach Objekt reagiert Faith dann anders auf die Kommandos und führt die gewünschte Aktion aus. Während des Spielens habe ich kein einziges Mal erlebt dass die Steuerung hakt oder Faith etwas tut das ich nicht beabsichtigt habe. Beim Rennen kommt es also immer nur darauf an die richtige Taste im richtigen Moment zu drücken. In hektischen Passagen oder Kampfsituationen gestaltet sich dies zwar manchmal etwas ungenau wenn man aber erst den Bogen raus hat, ist kein Hindernis mehr zu schwer und kein Abgrund zu tief, um ihn nicht zu meistern. Ähnlich simpel gestaltet sich die Benutzung per Gamepad (nur xBox 360), ich hatte aber immer das Gefühl mit der Maus präziser sein zu können. Im Endeffekt bleibt es jedem selbst überlassen wie er Faith durch die Level manövriert, funktionieren tut nämlich beides gut. 
 
Fazit
 
Unterm Strich ist Mirror's Edge wie Club Mate. Entweder man liebt es oder man hasst es. Auf der einen Seite stehen das erfrischende Konzept und das tolle Glücksgefühl bei erfolgreich aneinandergereihten Sprüngen. Auch optisch kann das Spiel mit einem interessantem Stil und scharfen Texturen punkten. Die Soundkulisse ist durchgehend solide, die Steuerung eingängig, sowohl mit Maus und Tastatur als auch mit dem Gamepad.
 
Die Handlung bietet zwar interessante Ansätze ist im Endeffekt aber nur ein Mittel, um das Spiel voranzutreiben und zudem viel zu kurz. Interaktionsmöglichkeiten sucht man in der schlauchigen Spielwelt vergebens, zudem trüben ein fehlendes Levelsystem und ein magerer Umfang das Spielerlebnis zusätzlich. Außerdem werden einige Areale unglaublich oft recycelt, was manchmal dazu führt dass man sinnlos in den Missionen herumirrt. In den Zwischensequenzen kann es zu Soundaussetzern und asynchronen Vertonungen kommen.
 
Story: 62/100 (30%)
 
Allgemeines: 85/100 (40%)
 
Grafik und Sound: 83/100 (20%)
 
Steuerung und Gameplay: 90/100 (10%)
 
Eine Chance hat sich Mirror's Edge bei jedem Gamer verdient - Alleine wegen des einzigartigen Gameplays. Ob das allerdings reicht um die übrigen Mankos unbeachtet zu lassen, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wertung
Pro und Kontra
  • Einzigartige Spielmechanik
  • Interessanter Grafikstil
  • Befriedigendes Geschwindigkeitsgefühl
  • Guter Handlungsansatz...
  • Optionale Kämpfe
  • Scharfe Texturen
  • Solider Sound
  • Präzise Steuerung
  • Alternativwege vorhanden
  • Wenig Interaktionsmöglichkeiten
  • Teilweise eintöniges Leveldesign
  • Irrführende Wegfindung
  • ...der leider nicht konsequent weitergeführt wird
  • geringer Umfang (Story dauert 6 Stunden)
  • Seltene Soundaussetzer
  • Nur xBox-360-Unterstützung

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



Kommentare(7)
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