Sterben kann so schön sein!

Jump&Runs gab es früher wie Sand am Meer. Sie waren ein beliebtes Genre, doch mit der Zeit fiel das Interesse an den Hüpf- und häufig auch...

von Weltensohn am: 01.07.2015

Jump&Runs gab es früher wie Sand am Meer. Sie waren ein beliebtes Genre, doch mit der Zeit fiel das Interesse an den Hüpf- und häufig auch Rätselspielen. Wenn man allerdingsauf die jüngste Vergangenheit zurückblickt, fällt auf, dass wieder neue, erfolgreiche Spiele des Genres auf den Markt kommen. Neben den allseits beliebten Spielen aus dem Hause Nintendo gesellen sich auch bunte und spaßige Hüpfspiele wie die Rayman-Titel oder eben auch Exoten von Indie-Entwicklern wie Ori and the Blind Forest. Auf den ersten Blick besticht das Spiel mit einer wunderschönen und verspielten Grafik sowie mit einem berührenden Soundtrack und einer süßen Spielerfigur. Doch wie steht es um das Herzstück des Spiels, das Gameplay?

 

 

 

Zum Heulen schön

Ah, erwischt! Da zitiert er die Gamestar! Doch so leid es mir tut, besser könnte ich die Geschichte von Ori and the Blind Forest nicht in so kurzen Worten zusammenfassen. Nicht nur, dass sie selbst ohne gesprochener Worte der Charaktere berühren kann, auch, dass sie lediglich durch das Spiel von Mimik, Gestik und dazu passender Musik derart glaubhaft und wunderbar wirkt, spricht ganz klar für die Stärken des Spiels. Dabei ist die Handlung selbst nicht so komplex wie es im ersten Moment wirken möge, vielmehr ist es das Spiel der Emotionen, das bewusst innerhalb von uns vorgeht, welche sie derart zum Leben erweckt.

Der Spieler steuert hierbei Ori, ein Schutzgeist des Waldes Nibel, in dessen unterschiedlichen Arealen das Spiel fortan seinen Lauf nimmt. Als Sternschnuppe vom Himmel gefallen und dadurch getrennt vom Geisterbaum, an dem Ori einst glücklich gelebt hat, gibt es für Ori nur ein Ziel: überleben. Doch als er Naru trifft, ein Wesen, welches Ähnlichkeiten mit einem dicken, zufriedenen Bären aufweist, entdeckt er den Spaß und die Freude am Leben. Zwischen den beiden entwickelt sich eine intensive Beziehung, die völlig ohne Worte oder Dialoge glaubhaft in Szene gesetzt wird. Doch als das Schicksal eine tragische Wendung parat hält, beginnt für Ori erneut ein Kampf um Leben und Tod, und er macht sich auf den Weg, um das Licht, welches er in Form des Wesens "Sein" trifft, zurück zum Geisterbaum zu bringen.

Was jetzt nach einer ausführlichen Beschreibung der halben Geschichte klingen mag, ist in Wirklichkeit lediglich die Introsequenz sowie die erste Minute Gameplay. Doch schon in dieser kurzen Zeit gelingt es Ori and the Blind Forest, eine wahnsinnig tiefe Verbindung zu seinen Charakteren zu schaffen, man freut sich mit ihnen und leidet mit ihnen. Und durch den malerischen und verspielten Grafikstil wirkt dabei alles auch noch unfassbar schön und nahezu romantisch.

Mehr möchte ich aber auch nicht mehr über die Handlung und die Wirkung von Ori and the Blind Forest erzählen. Auch, wenn die Geschichte, die an wichtigen Orten durch Cutscenes erzählt wird, lediglich die Motivation für den Spieler ausmacht, die Welt zu durchstreifen und Rätsel zu lösen sowie Geschicklichkeitsübungen zu bestehen, fühlt sie sich dennoch wichtig und sinnvoll erweiternd an. Insofern lege ich das Spiel nicht nur Fans von Jump&Runs, sondern auch Freunden von gut erzählten Geschichten, wie ich einer bin, ans Herz, denn man wird garantiert seinen Spaß an der erzählten Geschichte haben.

 

 

Springend und rätselnd in den Tod

Was gleich zu Beginn unbedingt erwähnt werden muss, ist, dass der Grafikstil von Ori and the Blind Forest täuscht. Das Spiel ist weder lieblich noch in irgendeiner Art und Weise für entspanntes Spielen konzipiert. Die Levels sind fordernd gestaltet, selbst gute Spieler werden jenseits der 100 Tode für das Durchspielen landen. Erst durch das Auswendiglernen der einzelnen Passagen kann dies verringert werden. Ich als absoluter Grobmotoriker mit schlecht ausgebildeten Reflexen bin sogar beinahe bei 1000 Toden angelangt und habe ganze 14 Stunden für das Spiel gebraucht und hatte 87% erkundet - zum Vergleich: ein Freund von mir hat das Spiel in etwa 8 Stunden abgeschlossen, 98% erkundet und hatte nur 183 Tode. Ich habe mich also garantiert nicht mit Ruhm bekleckert, die hohe Anzahl an Toden lag aber weniger an den einzelnen Levels, als an den (seltenen) Fluchtpassagen im Spiel, in denen enormer Zeitdruck vorherrschend ist und die man nahezu auswendig können muss... es sei denn, man verfügt über schnelle Reflexe und grandiose Hand-Augen-Koordination.

Doch genug von der Schwierigkeit, kommen wir nun zum Gameplay selbst. Wie in jedem klassischen Jump&Run rätseln und springen wir uns durch die Welt. Interessant ist hierbei, dass Ori zu seiner Verstärkung im Verlauf des Spiels verschiedene Fähigkeiten erst erlernen muss - so kann er beispielsweise zu Beginn weder Wandsprünge, Doppelsprünge noch andere "Genre-Standardkost". All dies muss erst freigeschalten werden. Hierbei baut das Spiel aber sehr intelligent seine Level auf: wichtige allgemeine Fähigkeiten (wie zB. das Stampfen, also das Aufwenden des gesamten Gewichts auf eine kleine Fläche, um so Strukturen im Level zu zerstören; oder Wandsprünge) findet man in Fähigkeitsbäumen. Um diese zu erreichen muss man Passagen der Welt durchqueren und dabei bewusst sämtliche bisher erlernte Fähigkeiten kombinieren, anders ist es nicht zu meistern.

Weiterhin kann man mit Hilfe von Fähigkeitspunkten seine Fähigkeiten verstärken (wer hätts gedacht). Erfahrung erhält man durch das Töten von Gegner, das Lösen großer Rätsel und durch das zerstören bestimmter Objekte im Spiel, die einem Erfahrung bereit stellen. Auf ähnlichem Weg erhält man auch mehr Gesundheit oder Energie - durch das Finden bestimmter Objekte im Spiel. Diese sind immer gut versteckt und nicht auf der Karte angezeigt, es sei denn, man hat eine gewisse Fähigkeit geskillt. Es gibt allerdings auch Achievements, die von einem abverlangen, das gesamte Spiel ohne einem Upgrade durchzuspielen, es ist also auch auf clevere Art und Weise möglich, sämtliche optionalen Gebiete zu ignorieren und bewusst die Geschichte voranzutreiben - nur muss man hierfür eben auch die relevanten Gebiete der Welt kennen, denn diese werden einem nicht vorgegeben. Man muss alles selbst entdecken und finden, das abenteuerlustige, entdecksüchtige Kleinkind in jedem von uns darf sich also auf viel erkundbaren Freiraum freuen.

Viele Gebiete müssen aber manchmal zweimal durchquert werden, da die Spielwelt ein großer Hub ist, der in mehrere Regionen (ohne Ladepausen) unterteilt ist. Ladepausen gibt es nur in Dungeons, die allerdings sehr rar gesäht sind. Sieht man von den Mini-Dungeons am Ende des Spiels ab, in denen jeweils ein Rätsel versteckt ist, gibt es nur drei große Dungeons im Spiel, die jeweils ca 5-15 Minuten dauern. Danach geht es wieder in die offene Spielwelt. Dadurch kommt es aber - wie bereits erwähnt - zu Backtracking, so wird man beispielsweise wiederholt von westlichen Gebieten und östliche geschickt. Auf diesem Weg muss man zum Teil mehrere Regionen durchqueren, eine Teleportfunktion wäre also eine sinnvolle Erweiterung des Gameplays gewesen.

 

 

Es... es ist so wunderschön!

Damit ist - anders als man es vielleicht vermuten möchte - nicht primär die Grafik gemeint, sondern erstmals das Leveldesign. Die Rätsel und Sprungeinlagen fordern dem Spieler einiges ab, was vor allem an der clever designten Architektur liegt. Gezielt muss man sämtliche bisher erlernte Fähigkeiten kombinieren, um neue Gebeite zu erreichen. Hierbei variiert auch der Artstyle und die Musik je nach Gebiet, es ist allerdings in jedem Fall nur eine Wiederverarbeitung bekannter Grafiken und Klänge, was das einheitliche Gefühl der Welt verstärkt.

Die Gebiete selbst könnten unterschiedlicher nicht sein: über einen regulären, alten und nahezu vergessenen Wald, hohe Berge, das innere von Vulkanen und auch ein Baum, der sich in einer (auf der Gamescom 2014 gezeigten) fulminanten Fluchtsequenz mit Wasser füllt, ist alles vorhanden. Spielerisch fließen die einzelnen Gebiete ineinander, der Grafikstil und das realistische World-Design gehen hier gekonnt Hand in Hand und führen zu einem atemberaubenden Spielerlebnis.

Dadurch entsteht aber auch eine Zwickmühle: auf der einen Seite möchte man an nahezu jeder Stelle innehalten, jeder Frame wirkt wie ein eigenes Kunstwerk, doch auf der anderen Seite herrscht immer wieder Zugzwang oder Zeitdruck. Beispielsweise findet man selten ruhige Stellen, an denen man die Grafik genießen kann, da spuckende Würmer, bösartige Spinnen, mysteriöse und glibbrige Schleimwesen oder seltsame dicke Froschwesen an jeder Ecke lauern, um den Spieler zu töten. Doch diese stellen alle nur eine vergleichsweise geringe Gefahr dar, schließlich kann Ori aus der Ferne mit Hilfe eines Lichtblitzes angreifen. Der wahre Feind liegt im Leveldesign, welches so grandios gestaltet ist, dass jeder Bereich der Welt, so malerisch er auch wirken mag, zu einer Herausforderung wird.

Bosskämpfe gibt es auch in Ori and the Blind Forest, nur sind diese ebenso rar gesäht wie auch in der Schwierigkeit überschaubar. Die Taktik ist schnell durchschaut, so dass es nur noch zu einem Kampf auf Zeit wird. Auch hier ist der wahre Feind häufiger das fordernde Leveldesign als der Boss selbst. Dies tut dem Spielspaß aber keinen Abbruch, meistens sind die Bosskämpfe ohnehin nach wenigen Sekunden vorbei - und der wahre Kampf geht ohnehin weiter. Was innerhalb dieser Kämpfe aber bravurös gelingt, ist die Ablenkung des Spielers vom sonstigen Alltag des Spiels, da bewusst vollkommen andere Fähigkeiten vom Spieler abverlangt werden.

 

 

 

Ein mehr als nur empfehlenswertes Kleinod

Ob ich mit meinen 14 Stunden Spielzeit, weit über 900 Toden und einer nur zu 87% erkundeten Welt ein Fazit über Ori and the Blind Forest ziehen darf, darüber kann man gut und gerne diskutieren. Fakt ist aber, dass ich persönlich mit dem Spiel einen heiden Spaß hatte, das flüssige Gameplay und die malerische Grafik machen dieses Spiel nämlich zu einem wahnsinnig beeindruckenden Gesamtpaket. Die liebevoll gestalteten Charaktere, die Stimmung, die das Spiel rüberbringt, und besonders die eindrucksvolle, gefühlsgeladene Endsequenz nach einem wahrhaft fulminanten Finale (welches mich übrigens über 300 Tode kostete!) runden Ori and the Blind Forest ab zu einem der bisher besten Spiele 2015.

Dass es nach dem wahrhaftig von hochkarätigen Spielen überladenen November immer noch in dieser Position ist, halte ich für nicht unwahrscheinlich. Denn die enorme Bindung, die während des Spielens aufkam - auch wenn es mich einiges an Frustmomenten erleben lies - will ich innerhalb meiner Laufbahn als Hobbyspieler nicht mehr missen, und wirklich jeder, der nur irgendwas mit Jump&Runs oder guten, berührenden Geschichten anfangen kann, sollte Ori and the Blind Forest eine Chance geben. Geübten Spielern ist es bereits zu kurz, doch dafür gibt es noch eine große Anzahl an Herausforderungen (beispielsweise es in unter drei Stunden durchzuspielen, oder nicht ein einziges Mal zu sterben).


Wertung
Pro und Kontra
  • Atemberaubend schöner Grafikstil
  • Berührender und stimmiger Soundtrack
  • Intensive Atmosphäre
  • Spannendes Leveldesign
  • Steile Lernkurve
  • Sinnvolles Skill-System
  • Gut gelöste Steuerung mit Controller
  • Viele Extras zu erkunden
  • Wunderschöne Geschichte
  • z.T. Trial&Error
  • manchmal Backtracking
  • Fluchtszenen für Grobmotoriker beinahe schon zu schwer
  • PC-Steuerung manchmal umständlich
  • Je nach persönlichem Können evtl. zu kurz

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



Kommentare(10)
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