Lesen ist eine Tugend

Pillars of Eternity ist für mich das erste wirkliche oldschool – RPG. Das erste RPG das mich mit so viel Tiefe, so vielen überraschenden...

von RAZzERMAUS am: 03.06.2015

Pillars of Eternity ist für mich das erste wirkliche oldschool – RPG. Das erste RPG das mich mit so viel Tiefe, so vielen überraschenden Momenten, so nachhaltig beeindruckt hat.  Ich kann nicht anders und muss es als ein Meisterwerk ohne wenn und aber bezeichnen, doch fehlt mir der Bezug und der Vergleich zu den Klassikern wie Baldurs Gate und Icewind Dale etc. um mir eine respektable Meinung bilden zu können.

 

Charakter Erstellung so umfangreich, so bedeutend wie noch nie (Klassiker ausgenommen)

 

Herkunft, Kultur, Klasse, Spezialfähigkeiten, Attribute und noch vieles mehr gilt es zu bestimmen. Von Anfang an wird man wird man von der tiefen lore gerade zu erschlagen. Die verschiedenen Länder, Rassen und Kulturen sind so Detial reich beschrieben so dass ich nicht darum kam mir ALLES durch zu lesen bevor ich mir meinen Charakter erstellt hatte. Dies bildet das Fundament für die Welt und diese ist essentiell.

Doch hier ist mein erster Kritikpunkt. So umfangreich die Charakter Erstellung auch sein mag das optische gestalten des Charakters ist unbefriedigend und dürftig.

 

Klassisch Tolkien, aber Tief und unglaublich authentisch

 

Elfen, Zwerge, eine böse Macht, Magie und man ist natürlich der Auserwählte in diesem Fall ein so genannter „Wächter“. Klassisch und langweilig ? Langweilig vielleicht auf den ersten Blick, dass dies so überhaupt nicht stimmt werde ich in den folgenden Zeilen begründen.

Der Held ist anfangs auf Reisen in einer Karawane unterwegs nach Goldtal. Woher er kommt und  warum er auf Reisen ist entscheidet ihr! Doch wie hätte es anders sein können! Als ihr rastet werdet ihr von Ureinwohnern überfallen. Bis auf die Kriegerin Calisca, den verwundeteten Heodan und naürlich eurer Wenigkeit überlebt niemand den Überfall und den „Sturm„. Nach einer Flucht durch altertümliche Ruinen werdet ihr Zeuge eines absonderlichen Rituals. Ihr überlebt aus euer „Party“ als einziger und kommt so auch nach Goldtal. Eine Idylle, so wurde euch das Dorf beschrieben, doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Das Dorf und das komplette Land, so erfahrt ihr, leide unter Hohlgeburten, Neugeborenen ohne menschlichen Geist und Verstand. Nahe bringt euch Obsidian dieses Unglück durch persönliche Tragödien und so handhabt es das Spiel, mehr als erfolgreich,  die meiste Zeit über.

Die Welt zu beschreiben, so gern ich es tun würde, würde den Rahmen einer Review sprengen und ich will euch ja nichts vorweg nehmen.

Von Religionen und Fanatismus zur Wissenschaft. Von persönlichen Schicksalen zu Schicksalen von erheblicher Tragweite. Von diversen Politischen Parteien und Mächten zu Balladen, Legenden und Mythen. Obsidian schafft es in so vielen Momenten dem Spieler eine graue Faust der Entscheidung und allgemeinen Meinungsbildung ins Gesicht zudrücken, dass ich über so viel Talent nur staunen kann. Ist es richtig einen Menschen zum Wohle der Wissenschaft, die alles ändern und den Tod so vieler verhindern könnte zu opfern?

Die Geschichte, so klassisch und berechenbar sie klingt, schlägt ungeahnte Bahnen und ist größer und tiefer als es anfangs den Anschein hat. Sie glänzt mit Entscheidungen und Konsequenzen, mit Charakteren die niemals wirklich gut oder böse sind und die erst nach und nach ihren Charakter offenbaren. Das Spiel behandelt viele Themen kritisch die auch Bezug zur Realität haben und bei denen man nie eine endgültige Meinung haben kann. Immer wird man überrascht!

 

Isometrisch, taktisch, gut

 

Das Kampfsystem bietet zahlreiche Möglichkeiten zum Erfolg. Es lässt uns selbst nachdenken und an der Skillung, Zusammenstellung und Positionierung unserer „Party“ feilen. Die Positionierung ist der Schlüssel zum Erfolg. Wer den Magier an vorderste Front stellt wird, ich wage zu behaupten selbst auf leicht (ich habe nie selbst auf leicht gespielt), nicht über die ersten Kämpfe hinwegkommen.

Wer allerdings darauf achtet, dass Paladin und Kämpfer zwischen Gegner und „Backline“ stehen hat schon zur Hälfte gewonnen. AOE – Fähigkeiten richtig ein setzten, alle 2 Sekunden pausieren, die „Party“ buffen, auf Schwachstellen achten und flankieren aber nicht flankiert werden sind der essentiell um zu siegen, besonders auf den höheren Schwierigkeitsgraden.

Das Leben der Helden hängt von 2 Faktoren ab. 1. Der Ausdauer: Sobald diese auf 0 sinkt ist der Charakter bewusstlos und steht erst nach dem Kampf wieder auf, erleidet allerdings diverse Mali an Attributen und verliert HP … 2. Den klassischen HP: Sinken diese unter 0 ist der Charakter tot … für immer. Um Mali zu entfernen und die HP wiederherzustellen muss man in einer Taverne oder an einem Lagerfeuer rasten.

Die Iso – Perspektive gibt einem die nötige Übersicht doch Übersicht ist nicht immer gegeben. So werden Wände nicht ausreichend transparent und man kann nur an grünen und roten Kreisen die Position der Party und der Gegner erahnen. Auch die Wegfindung bereitet manchmal große Probleme. Ein Durchgang der platzt für 3 zu bieten scheint reicht nur für 2 und der Rest der Party muss sich hinten anstellen und kann Befehle nicht korrekt ausführen. Aber ehrlich gesagt: Selbst schuld! Dann nimm halt nur 2 Nahkämpfer mit und positioniere dich vor einem Kampf richtig! Nutze die Umgebung!

Das Kampfsystem ist befriedigend, komplex und lässt einem viele Möglichkeiten. Nach einigen Spielstunden hatte ich eine Heldentruppe in der ich mich sehr wohl fühlte und genau wusste was ich zu tun hatte … nun kommt ein Problem.

 

Die „Party“

 

Neben Party - Charakteren die man im Laufe des Spiels trifft und die allesamt bestens geschrieben sind, gibt aus auch noch die „Helfer“. Und die sind mein „Problem“. In einer Taverne kann man sich einen solchen Helfer anheuern. Was heißt: Man erstellt sich nach Belieben einen neuen Charakter und hat man die nötigen KP (was man anfangs nicht hat) ist man schnell zusammen mit Party – Charakteren am Maximum von 6 angelangt. Soweit so gut ich hatte schnell einen Truppe bestehend aus: Meinem Held, 3 Party – Charakteren und 2 „Helfern“ (einem Gottähnlichen-Barbar / Elfin – Bardin). Das Problem: Mein Trupp war so gut auf einander eingestimmt und ich kam so gut mit ihm klar, dass es mich schmerzte die „Helfer“ gegen weitere Party – Charaktere auszutauschen und das war der Grund warum ich genau das lange Zeit nicht tat. Schade, dass mir die Geschichten der anderen Party – Charakteren somit lange Zeit verwehrt blieben. Also mehr oder weniger ein persönliches Problem oder ging es jemandem so wie mir?

 

Charakter – System

 

Endlich ein RPG mit Attributen! Schade, dass sowas fast schon selten heut zutage ist. Die Attribute werden in der Charakter Erstellung festgelegt und können nur durch passive Fähigkeiten oder Items erhöht werden. Attribute wirken sich allerdings nicht nur auf den Kampf aus sondern sind auch extrem wichtig in den Dialogen. Wer dumm ist, der kann auch nur dummes von sich geben!

Spezialfähigkeiten gibt es zu 1000nd. Sie gestallten das Kampfsystem unglaublich abwechslungsreich und flexibel. Es gibt Klassen spezifische Fähigkeiten, wie zb. einem Feuerball aber auch allgemeine, wie Lazarett, die es einem erlaubt einen geringen Teil der HP eines verbündeten wiederherzustellen. Die meisten Fähigkeiten haben eine Anzahl an Aufladungen und müssen durch rasten in Taverne oder Lagerfeuer wiederhergestellt werden.

Noch dazu gibt es die „Talente“, wie Heimlichkeit oder Wissen. Diese wirken sich ebenso auf Dialoge aus wie auch auf Interaktionen mit der Spielwelt. Das ist ja eigentlich gut allerdings war mir das Skillen dieser irgendwie zu nebensächlich. Mal ein paar Punkte da rein mal ein Punkte dahin am Ende kann man vieles sowie so gleichzeitig Perfekt und das mehrfach da jeder der Party diese Talente besitzt.

Umfangreich und komplex allerdings gefiel mir das Charaktersystem eines Drakensang‘s (mein wohl oldschooligstes rpg vor POE und Orginal Sin) besser zwar hatten dort Fähigkeiten weniger Auswirkungen auf Dialoge aber es hat mich allgemein mehr motiviert, besonders das „sparen“ von Erfahrungs- und Abenteuerpunkten. (Eigentlich gehört hier Drankensang gar nicht rein)

 

Festung, Seelen vergangener Leben und UI / Inventar

 

Im laufe des Spiels erobert ihr eine heruntergekommene Festung diese kann dann nach belieben ausgbessert und erweitert werden. Das ist auch der Ort wo eure Party rastet. Nettes feature.

Am UI gibt es eigentlich nichts zubemängeln aber das Inventar wird stellen weise unübersichtlich ist aber alles in allem in ordnung und aufjedenfall besser als es meistens der Fall ist. Gerade die Optik ist wunderschön, mal kein langweiliges "modern - rpg - desgine".

Als sogennannter "Wächter" habt ihr die Fähigkeit erlangt Einblicke in Seelen früher Leben einer Person zu erlangen. Dies wird in der Story mehrmals relevant und ist sehr "interessant". Doch daneben gibt es dutzende gold markierte NPCs mit denen ihr nicht sprechen könnt dafür aber in vergangene Leben schauen könnt. Hier werden alle samt sehr gut geschriebene kleine Kurzgeschichten erzählt ... doch sie geben einem meist nicht wirklich Informationen zu der Welt etc. und so ließ ich dieses Feature nach einiger Zeit beiseite und las lieber die zahlreichen Bücher. Daraus hätte man viel mehr machen können.

 

Schön zum Hören und auch schön zum Sehen  (Präsentation und Inszenierung)

 

Die wenigen Sprecher die das Spiel hat sind erste Klasse und der OST ist stimmig wenn auch nicht herausragend. Technisch mag das Spiel ja nicht auf der Höhe seiner Zeit sein doch ich finde es wunderschön und atmosphärisch anzuschauen. Die Stadt Trutzburg ist so detailiert es ist unglaublich!

Dialoge werden Emotionen eingehaucht wie es in einem AAA-Titel nicht möglich gewesen wäre. Nicht durch Animationen durch geschriebenen Text zwischen den gesprochenen Zeilen! „[Sein blick trübte sich vor Trauer]“ Anspruchslose QTE’s? Nein POE setzt hier auf „Rätsel“. Ein Beispiel: Die Heldentruppe steht vor einer steilen Felswand. Das Spiel bietet einem die Option sie zu untersuchen und zu erklimmen doch hat niemand in der Truppe kein hohes Athletik Talent stürzt derjenige ab und bricht sich zb. den Fuß. Hat man zb. einen Enterhaken kann man sich damit behelfen. Solche Events ziehen sich durch das komplette Spiel und sind eine erfrischende Neuerung. Zwischensequenzen sind sehr selten und allgemein ist das Spiel nicht großartig inszeniert, aber das hatte ich auch nicht erwartet.

Zwei kleinere Mankos in Sachen Optik und Atmosphäre gibt es allerdings. Die Gebiete zwischen Städten oder wichtigeren Orten sehen oft viel zu gleich aus und das item designe ist doch sehr dürftig.

 

Lesen ist eine Tugend

 

Da das Spiel bis auf wenige Ausnahmen nicht vertont ist muss man lesen, lesen und nochmals lesen. Vom Questlog und Bestiarium zu den Büchern und Briefen oder einfachen Umgebungsbeschreibungen und natürlich den Seiten langen Dialogen.

Es ist ein Segen, dass es nicht vertont ist denn mit Vertonung wären Dialoge und Entscheidungen solchen Umfangs nicht möglich gewesen. Lesen ist die oberste Tugend. Lest ihr nur das „nötigste“ könnt ihr euch keine Meinung zu wichtigen Themen im Spiel bilden, wisst viel zu wenig über die Vorgeschichte und versteht im allgemeinen nicht besonders viel. Das alles gibt dem Spiel eine noch nie dagewesene Tiefe allerdings macht es auch das Spiel zu einem …

 

Ein Spiel nicht für jedermann

 

Als ich das Spiel begonnen hatte spielte ich jeden Tag von früh bis spät, doch irgendwann ist auch einmal ein Punkt erreicht an dem man mal wieder ins wirkliche Leben will. So legte ich das Spiel für ein paar Tage beiseite (hatte schon gute 45h investiert) und kam nicht so leicht wieder in das Spiel rein. Das führte zu einer POE Pause von 1 Monat! Ich habe das Spiel zum Glück wieder angefangen und in wenigen Tagen pausenlosen suchtens durchgespielt. Entweder man schenkt dem Spiel die Aufmerksamkeit die es verdient oder man lässt es. Ein Spiel für zwischen durch ist es sicher nicht.

Auch wird oftmals behauptet POE wäre ein Nostalgieschinken und praktisch nur für Kenner von BG etc. geeignet und schon gar nicht für einen 17 jährigen … nun ich bin vielleicht kein Durchschnitts Jugendlicher. Viele in meinem Alter haben wenn es hoch kommt selbstständig 2 – 3 Bücher gelesen … da bin ich ganz anders und genau das kam mir wahrscheinlich auch hier zu gute. Denn lesen muss man viel sehr viel, aber es lohnt sich!


Wertung
Pro und Kontra
  • Welt
  • Geschichte
  • Dialoge
  • "C&C"
  • Isometrisches, taktisches Kampfsystem
  • RPG - Tiefe
  • Charaktere
  • Komplexes aber übersichtliches Charaktersystem
  • Anspruch, aber nicht nur im Kampf!
  • solider und stimmiger OST ...
  • Wegfindung
  • Übersicht in Kämpfen
  • "Seelenlesen - feature" mäßig in die Welt eingebunden
  • ... aber herausstechen tut er nicht

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher schwer

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



Kommentare(3)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.