Raven's Cry im Test - Trash der Karibik

Nach dem katastrophalen Release schiebt Entwickler Reality Pump einen riesigen Patch für Raven's Cry hinterher. Im Test finden wir heraus: Sind damit die gröbsten Probleme aus der Welt? Und noch wichtiger: Macht's denn Spaß?

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Wenn wir als Christopher Raven durch die Hafenstädte der Karibik flanieren, bekommen wir häufig das bekannte Lied The Wild Rover zu hören. Nach vielen Stunden in der Release-Fassung von Raven's Cry (in der uns Soundmassaker und Plotstopper gequält haben) hatten wir den Refrain bereits unserem Fazit angepasst: »And it's no, nay, never, no, nay, never, no more will I play Raven's Cry no, never, no more.«

Und kurz bevor wir fertig waren, kam dieser Gigabyte große Patch, der alles durcheinander wirbelte. Wir entschieden uns also für einen erneuten Durchlauf, denn die Patch-Änderungen traten nur in neuen Spielständen in Kraft. Um es vorwegzunehmen: Ja, es hat was gebracht - ein besseres Spiel ist Raven's Cry aber nicht geworden.

Jagd auf das Klischee

Ein Pirat wie aus einem Groschenroman: Raven ist ebenso beliebig wie unberechenbar. Ein Pirat wie aus einem Groschenroman: Raven ist ebenso beliebig wie unberechenbar.

Christopher Raven ist Pirat und als solcher lässt er nun mal gern fremde Schiffe untergehen. Gleich zu Beginn dürfen wir einer seiner Auftragsversenkungen beiwohnen, ein Spanier zahlt für eines anderen Spaniers Seebestattung. Was bei jedem anderen die Alarmglocken klingeln hätte lassen, schert Raven nicht: Als der Auftraggeber ihn übers Ohr haut und wegen Mordes verhaften will, muss er aus der Hafenstadt San Juan fliehen.

Raven fährt mit seinem Mentor, dem alten schwarzen Rumbrenner Marcus nach Saint Lucia, um dort neue Pläne zu schmieden. Wie der Zufall es will, sitzt da grad eine Mannschaft mit einem vollkommen hirnbefreiten Kapitän fest - und den wollen sie gern loswerden. Raven kommt also wie gerufen, wir meucheln den alten Kapitän und übernehmen den Segeleimer. Bei der Jungfernfahrt entdeckt die Crew ein überfallenes und geplündertes Schiff. Die Inspektion wird zu einer Begegnung mit Ravens Vergangenheit; der Kapitän des Potts wurde genauso aufgespießt wie vor langer Zeit Ravens Vater. Das kann nur eines bedeuten: Der schreckliche Pirat Neville ist zurück. Und der wird von nun an von Raven gejagt.

Mehr gibt die Geschichte um Raven einfach nicht her, denn die folgenden Missionen bestehen aus Zickzackfahren durch die Karibik, um für irgendwelche Leute Aufträge zu erledigen. Dafür bekommen wir neue Namen von Zielpersonen, die wir entweder foltern und umlegen oder für die wir erneut Aufträge erledigen. Und so weiter und so fort. Die Schlichtheit der klischeebeladenen Story würde nicht weiter stören - wenn sie denn vernünftig geschrieben und inszeniert worden wäre.

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So schlecht, dass es fast wieder gut ist

Filme wie die Tanz-der-Teufel-Reihe sind nicht deshalb zu Klassikern geworden, weil sie Meisterstücke der Film- und Erzählkunst waren. Sie werden auch heute noch als Trash gefeiert, insbesondere der dritte Teil, Armee der Finsternis, ist ein Genuss für Freunde kultigen Unsinns.

Auch Raven's Cry driftet in diese Richtung. Unser Piratenkapitän stolziert wie ein eitler Pfau durch die Karibik, besitzt in Gesprächen eine ständige halbrechte Halssteife - was cool wirken soll, aber unfreiwillig komisch ist. Auf See beleidigt er seine Crew im Stakkato: Landraten, Weicheier, Schwuchteln … Raven steigert sich, aber leider nur im negativen Sinne.

Die Autoren schaffen es nicht, die Balance zwischen derb und peinlich zu bewahren, sodass dem Spieler irgendwann nichts anderes übrig bleibt, als darüber zu lachen - oder auszuschalten. Auch das Frauenbild im Spiel ist indiskutabel. Es ist eine Sache, eine frauenfeindliche Gesellschaft von versoffenen Freibeutern darzustellen, aber etwas gänzlich anderes, mit plattesten Beschimpfungen die Weiblichkeit zu Fußabtretern zu degradieren.

Plotstopper sind absolut ärgerlich: Nein, der Charakter Koffi ist ganz offensichtlich nicht hier! Plotstopper sind absolut ärgerlich: Nein, der Charakter Koffi ist ganz offensichtlich nicht hier!

Die Charakterzeichnung bleibt belanglos, was in Anbetracht der Fülle (viel zu) langer Dialoge eine Kunst darstellt. Ist Raven ein von Dämonen gejagter Rächer? Ein chauvinistischer Maulheld mit sanftem Kern? Ein skrupelloser Killer? Keine Ahnung, denn er hat eigentlich keinen Charakter. Er beschimpft jeden, macht auf harten Mann und bringt alles um, was ihm in die Quere kommt. Dann, plötzlich, ist er wieder handzahm und brav - das ist inkonsequent und lässt keine Persönlichkeit zu. Außer natürlich, Raven soll ein impulsgesteuerter Soziopath mit anarchistischem Einschlag sein. Um das überzeugend hinzukriegen, hätten die Autoren allerdings vielleicht bei Trevor in GTA 5 in die Lehre gehen sollen.

Überhaupt ist die Geschichte voller abstruser Herleitungen und Sprünge: Da soll ein gewisser Santorio Informationen besitzen, die Raven nützlich sind. Bordellchefin Maria warnt Raven davor, den gnadenlosesten Piratenjäger der Karibik aufzusuchen, sein Hass auf Freibeuter sei legendär. Was macht Santorio im ersten Gespräch mit Raven? Verrät ihm direkt den geheimen Zugang zu seiner Insel.

Die heiße Nonne (!), die Raven später in seiner Kajüte trotz Gegenwehr hernimmt, passt obendrein in die krude Geschichte als fantasielose Befriedigung hochpubertärer Sexträume. Allerdings bietet das alles in Verbindung mit den teilweise unglaublich schlecht geschriebenen Dialogen einen gewissen Trash-Charme, eine etwas morbide Freude auf den nächsten Dialog, die nächste dumme Handlung, den nächsten beknackten Wutausbruch. Kein Witz, das macht auf eine ganz verrückte Weise Spaß und motiviert sogar.

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