Scarface, das (gute) Spiel zum (sehr guten) Film

Sierra legt mit Scarface die 'Verspielung' des Films-Hits von 1983 vor. Eine Menge Potenzial also. Genutzt wird es leider nur unbefriedigend. Warum Scarface...

von Chimaera am: 23.06.2009

Sierra legt mit Scarface die 'Verspielung' des Films-Hits von 1983 vor. Eine Menge Potenzial also. Genutzt wird es leider nur unbefriedigend. Warum Scarface nicht an GTA rankommt, und warum es trotzdem Spaß macht - auch längerfristig.

Mit der Tür ins Haus

HEY WOOOW DAS KENN ICH JA, DAS KENN IIIIICH…HAHAAA…… Naja, nicht ganz so stürmisch habe ich mir das Intro von Scarface angesehen, aber so oder so ähnlich kann man sich meine Reaktion etwas abgeschwächt vorstellen. Scarface fällt buchstäblich mit der Tür ins Haus, pardon, in die „Mansion“, Tür ist übrigens auch keine mehr dran. Gut, zugegeben, der Vergleich hinkt also. Jeder, der den Film (Brian da Palma, 1983, mit Al Pacino) gesehen hat, findet sich im Spiel sofort zurecht, denn es knüpft fast nahtlos an das Ende des Kino-Streifens an. Fast? Naja, Kenner wissen, Tony Montana, so die Hauptfigur, wird getötet. Man muss sich mit dem Gedanken anfreunden, eine geniale Geschichte umzuschreiben. Ich nehme vorweg, man kommt sich vor, als schaue man einen Film, nachdem man das Buch dazu gelesen hat, etwas enttäuscht, ein bisschen nicht ernst genommen, hat man doch schon eigene Vorstellungen, die so gar nicht zur Vorstellung des Regisseurs passen wollen. Die Vorlage war hier allerdings real sichtbar, trotzdem hakt es. Warum? Seht ihr gleich.

Story - halbgar, aber ok

Wenn etwas zu dicht ist, kommt man irgendwann nicht mehr durch, Nebel ist ein gutes Beispiel, ob das bei Atmosphäre aber genauso ist? Zugegeben, die Filmatmosphäre kommt zumindest am Anfang glaubwürdig rüber. Der Grafik-Stil ist bunt, Vice-City-ähnlich, etwas angestaubt. Ich identifiziere mich schnell mit Tony, der Al Pacino so gut es geht (und es geht sehr gut) nachempfunden ist - übrigens auch in seiner Wortwahl. In der englischen Version hagelt es nur so F-Wörter. Der geniale 80er-Soundtrack überholt beinahe den von Vice City und unterstreicht die Atmosphäre. Allerdings fehlt im Gegensatz zum Rockstar-Werk etwas Leben. Die Story ist ernster, die Spielwelt steriler.
Gut, ich bin also Tony, und nach der Schießerei in der Mansion ist die Vorfreude riiiiieeesig. Die wird leider schnell getrübt, stellt sich doch heraus, dass das bereits der Höhepunkt des Spiels war. Die folgenden Missionen sind Aufgaben à la „töten, eskortieren, sammeln“. Bis ca. 15% beschränkt sich dies auch noch auf einfachste Drogenauslieferung. Öde.

Spielmechanik - funktioniert, aber stott

Wie gesagt, der Höhepunkt kommt zu Beginn, und somit ist auch der Einstieg unverhältnismäßig hart. Das magere Tutorial kann da nicht helfen. Die Kameraführung ist hektisch und unglücklich. Bei Verfolgungen kann ich meine Gegner nicht anschauen, da die Kamera mich sofort wieder hiniter das Auto zwingt. Die Konsolenherkunft des Spiels ist hier deutlich zu spüren.
Noch deutlicher aber spürt man sie in den Menüs. Ich muss allen Ernstes dreimal bestätigen, bevor der Spielstand gespeichert ist. A propos speichern: Das funktioniert automatisch nach der Geldwäsche in der Bank. Nicht so überzeugend wie freies Speichern, aber eine annehmbare Lösung.

Technik - naja, nicht so wichtig ;)

Gut, wer VC mochte, mag auch Scarface, man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, hier hätte jemand kopiert. Die polygonarmen Modelle tun der Stimmung allerdings keinen Abbruch, ebenso wenig wie die mäßigen Wettereffekte, die matschigen Texturen, das detailarme Schadensmodell und die ungenaue Kollisionsabfrage.
Die Innenlevels finde ich recht hübsch, auch wenn GameStar in ihrem Test das anders bewertete.

Gut, Grafik pfui, dafür Sound hui. Unzählige 80er-Hits warten darauf, gehört zu werden. Die Vertonung (Englisch) ist genial, die Synchronsprecher leisteten ganze Arbeit. Die Waffen klingen ok. Für den Fahrzeugsound war offenbar keine Zeit mehr, eine Nähmaschine klingt anpruchsvoller.

In 200 Metern, bitte links halten

Über Leveldesign kann man vortrefflich streiten. Tun wir das doch. Die Spielwelt ist, sagen wir, skurril gestaltet. Man befindet sich auf einem Atoll, die Stadtteile bilden Inseln. Die Welt ist frei befahrbar, auch wenn entsprechende Missionen erst später freigeschaltet werden. Ich sagte also frei befahrbar, aber nur theoretisch. Der Atoll-Stil mit einer einzigen Hauptstraße, die um die Bucht führt, vermittelt eine Art Schlauch-Gefühl. Hier meine Theorie zur Entstehung:
Entwickler A: „Wir kommen mit der Welt nicht voran, wir schaffen das nicht.“
Entwickler B: „Dann mach halt nur den Rand, in die Mitte Wasser und sag es wären Inseln.“

Ansonsten: Nur wenige Gebäude sind begehbar, schade. Die Straßenführung ist nervig. Entweder ich fahre um den Block und schaffe die Zeitbegrenzung nicht, oder ich nehme die enge Abkürzung, fahre gegen drei Wände und schaffe…ach naja.
Die Größte Enttäuschung: Es gibt unsichtbare Wände! Hallo? Mittlerweile dürfte die Designtechnik schon so weit fortgeschritten sein, das wir das nicht mehr benötigen. Teile des kleinen Territoriums sind also noch unbegehbar. Trotz des vielen Wassers sind Bootsfahrten großer Käse. Das Becken in der Mitte der „Stadt“ ist voll mit unlogisch angeordneten Tankern. An entspanntes Bootfahren ist nicht zu denken.
Die Gag schlechthin: Im späteren Spielverlauf wird eine Inselgruppe freigespielt, die vorher nicht auf der Karte auftauchte. In letzter Zeit wird im Vorhinein durch Videos und Interviews meist alles über kommende Spiele enthüllt, schön, noch auf Überraschungen zu treffen.

Wer kommt mit zwei Armen rum?

So, das Level sei nun kritisiert, kommen wir gleich zum Umfang.
Die Stadt ist groß, die Möglichkeiten nicht ganz so. Es gibt haufenweise Missionen, Haupt- sowie Nebenmissionen, die allerdings nach dem gleichen Schema ablaufen. Der Sinn des Spiels ist es, sich die Stadt durch Immobilienkäufe Untertan zu machen. Dazu muss man die Eigentümer überzeugen, indem man für sie eine Mission löst.
Das Spiel motiviert trotzdem, weil es einem häppchenweise Erfolge bietet. Das Balls-System (eine Art Bullet-Time) ist nicht innovativ, aber gut umgesetzt. Es gibt haufenweise Einrichtungsgegenstände und Immobilien. Einrichtungsgegenstände? Ja, richtig gehört. Man darf seine Villa einrichten. Das ist zwar langweilig, aber immerhin.
Im Vergleich zu GTA ist die Fahrzeugwahl fast lächerlich. Auf den Straßen fahren etwa 6 bis 7 verschiedene Vehikel, der eigene Fuhrpark umfasst schon mehr, aber nichts wirklich Innovatives. Motorräder fehlen ebenso wie Flugzeuge. Die Fahrphysik lässt zudem zu wünschen übrig. Sie erinnert entfernt an Söldner (Kennt keiner mehr? Macht nix).

Na komm, schieß doch, schieß schon, los…

Waffen gibt es nicht im Überfluss, aber die Standardmodelle sind vertreten. Belohnungen sind Extras, die im Laufe der Kampagne freigeschaltet werden, darunter Personal, Fahrzeuge oder „Exotisches“. Darunter verbergen sich Attraktionen für die eigene Villa. Das Belohnungssystem überzeugt, die Belohnungen selbst sind häufig großer Quatsch.

KI = Keine Intelligenz?

Na gut, ganz so hart wollen wir mal nicht sein. In Fahrzeugen verhält sich die KI tatsächlich dämlich, zu Fuß aber ist sie solide, von ein paar Aussetzern mal abgesehen. Dass die Gegner nur Kanonenfutter sind, dafür kann die KI nichts. Gegner erscheinen zuhauf, vertragen aber nichts.

Damit sind wir beim nächsten Knackpunkt: Ein Spiel erzählt eine Geschichte. Scarface auch. Aber wie am Anfang angedeutet, keine besonders gute. Dem herrlich inszenierten Beginn folgt größtenteils Leere. Missionen verkommen zur sinnlosen Ballerei: Tür auf, Blei rein, Tür zu.
Die so genannten ‚Gang Wars‘ sind nett inszeniert, aber ohne Zusammenhang. Im Film ist die Umgebung eleganter gestaltet.

Fazit



“Is this what life is about? Killing, dealing, driving?”

Das Leben nicht, Tony, aber das Spiel. Das Fazit: Scarface wiederholt sich ständig. Die Story ist sehr sehr dünn, unter allen Erwartungen, aber fesselt trotzdem für einige Zeit. Persönlichkeiten wie Elvira oder Mamma Montana fehlen gänzlich. Die Gewaltdarstellung ist zumindest in der englischen Version übertrieben hoch. Sorry, Kettensägen gehen mal gar nicht. Lustige Minispiele lockern etwas auf.
Trotz aller Kritikpunkte empfehle ich den Kauf des mittlerweile Budget-Titels. Wer auf 80er steht und Manches verschmerzen kann, wird mit dem Spiel glücklich. Der Wille, nur noch die eine Mission zu machen, nur noch dieses eine Lagerhaus zu erobern, der Sucht-Faktor, ist da. Man gewöhnt sich an alles, und wenn man sich in etwas verliebt, findet man auch die Macken gut :)


Wertung
Pro und Kontra
  • Grafik: 80er-Farbstil, Tag-Nacht-Wechsel
  • Sound: Synchronisation, Soundtrack genial
  • Balance: angenehme Lernkurve, keine Frusterlebnisse
  • Atmosphäre: Freie Welt, Klamotten, Musik, Drogen, Originell
  • Bedienung: Kampfsystem gut, aber von Konsole
  • Umfang: viele Missionen, große Stadt, Inselwelt
  • Leveldesign: Skurrile Welt, hübsche Innenlevels (wenige)
  • KI: solide KI, Polizei-KI nicht die schlechteste
  • Waffen & Extras: viele Extras, Standardwaffen gut ausbalanciert
  • Handlung: fesselnd, trotz schlechter Umsetzung der Vorlage
  • Grafik: polygonarm, Texturauflösung mangelhaft, veraltet
  • Sound: Fahrzeugsounds mangelhaft
  • Balance: harter Einstieg, manchmal zu leicht
  • Atmosphäre: -
  • Bedienung: hektische Kamera, Fahrzeugphysik eigenartig
  • Umfang: wenig Innovation, Wiederholungen
  • Leveldesign: Atoll-Design dämlich, Straßenführung unüberlegt
  • KI: in Fahrzeugen, Gegner Kanonenfutter
  • Waffen & Extras: unnötige Extras, wenig Waffensauswahl
  • Handlung: dünne Story, keine Wendungen, Charaktere beliebig

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

eher leicht

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 20, weniger als 40 Stunden



Kommentare(2)
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