2210 - Immer noch ein gutes Leben

Von Tsabotavoc · 27. Oktober 2016 · Aktualisiert am 27. Oktober 2016 ·
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  1. Ein kleines Experiment meinerseits. Eine kleine, dystopische Geschichte über das Leben im Jahr 2210 mit Einschlägen von der Welt aus Shadowrun und CONTACT. Hoffe es gefällt euch! Über Feedback würde ich mich sehr freuen. Sowohl positiv als auch negativ.



    2210 - Immer noch ein gutes Leben

    Vincent eilte die regennassen Treppen hinab. Er hatte, mal wieder, die Zeit im Büro restlos übersehen. Und das ausgerechnet heute am dritten Jahrestag!

    Sein Wagen erkannte ihn bereits mehrere Meter entfernt aufgrund der, für jeden Menschen einzigartigen, Energieaura. Die eleganten Flügeltüren öffneten sich und das Fahrzeug hob vom Parkplatz ab.

    Vincent ließ sich in den Fahrersitz fallen. Warum nannte man das eigentlich Fahrersitz? Kommandos konnte man von überall im Fahrzeug geben. Vincent hatte einmal einen Oldtimer gesehen mit vielen Knöpfen und Hebeln und einem großen Reifen. Der Führer erklärte, dass damit die Menschen früher wohl ihr Ziel manuell eingestellt hätten. Wohl vergleichbar mit diesen Wahlschaltern auf dem Radio das seine Uroma noch hatte als er ein Kind war.

    Nach einem Scan der Hirnströme reihte sich das Fahrzeug in den dichten Verkehr von Neu-Wien ein. Vincent sah auf den Rücksitz und stellte zufrieden fest, dass das Geschenk für seine Verlobte bereits angekommen war. Die Botendrone hatte es wohl tagsüber in seinem Fahrzeug deponiert. Er war selbst schon gespannt was es war.

    Er hatte es, wie es sich eingebürgert hatte auf Spartacon bestellt. Man wählte den oder die zu Beschenkende, die Preisklasse und die ausgeklügelten Routinen von Spartacon erledigten den Rest. Seine Freundin hatte ihren Account hierfür extra auf AAA hochgestellt wodurch der Konzern tatsächlich alle Daten die er über einen Nutzer sammelte auch nutzte. Das kostete zwar im Monat einige hundert Credits aber das war es wert.

    Vincent gestattete sich eines seiner seltenen Lächeln. Er arbeitete hart um mit seinem kleinen Unternehmen Erfolg zu haben. Und der Tag heute war diesbezüglich ziemlich erfolgreich. Der neu entwickelte Nahrungsersatzstoff war von der Rheinland Distriktregierung für unbedenklich erklärt deklariert worden. Bis inklusive Wertschöpfungsgruppe B. Bürger der Wertschöpfungsgruppe A durften nur natürliche Nahrungsmittel verkauft werden und nur diese hatten auch die Berechtigung natürliche Nahrungsmittel zu kaufen. Er hatte in seiner Jugend noch öfter echtes Fleisch und Gemüse gegessen und war zum Schluss gekommen das es nicht seines ist. Er bedauerte die Konzernknechte der Wertschöpfungsgruppe A sogar. Lieber starb er ein paar Jahre früher an Krebs als sich seinen täglichen Synthkaffee entgehen zu lassen.

    Natürlich war es mit der Genehmigung der Regierung noch nicht getan. Mit der Genehmigung hatte er die Möglichkeit einen Zulassungsprozess durch den Rat der Sieben anzustreben. Ziemlich hochtrabender Name für die sieben finanzstärksten Konzerne der Welt. Die meisten Zulassungen scheiterten an den komplizierten Zulassungsprozessen des Rates aber hier machte er sich keine Sorgen. Er war ein Veteran auf diesem Gebiet. Der Trick bestand darin das Produkt dem entsprechenden Konzernbeamten so zu präsentieren das man dieses gegen eine moderate Umsatzbeteiligung, in der Regel zwischen 60% und 80%, auf den Markt bringen durfte. Man durfte den Bogen nicht überspannen: Wenn der Beamte das Gefühl hatte es mit einer Goldgrube zu tun hatte wurde das Produkt als "Für die Gesellschaft unentbehrlich" eingestuft und entsprechend in die effizienten Hände eines Megakonzerns gelegt.

    Dies war ihm vor allem am Anfang seiner Karriere mehrmals passiert. Man bekam eine Dankesurkunde für den großartigen Dienst den man der Menschheit erwiesen hatte und blieb auf den Entwicklungskosten sitzen.

    Sein Wagen fädelte sich durch den dichten Verkehr, die Fahrzeuge der Wertschöpfungsgruppe C und schlechter machten automatisch Platz. Die Bedürfnisse von B und besser hatten einfach Vorrang zu haben. Noch eine Stunde bis zum Essen mit Alexa. Sein digitaler Hausassistent hatte mit Sicherheit schon alles vorbereitet.

    Zwei Stunden später war Vincent bereits mehr als nur nervös. Er konnte seine Freundin weder auf ihrem Comm erreichen noch konnte ihm der digitale Hausassistent von Alexas Wohnung sagen wo sie war. Auch ein Anruf bei der Polizei hatte nichts ergeben.

    Vincent fragte sich noch mehrere Tage was mit seiner Freundin geschehen war. Auf ihrem Arbeitsplatz verweigerte man ihm die Auskunft und überhaupt schienen die Behörden nicht hilfreich zu sein. Spartacon hatte seine veränderte seelische Verfassung bereits entsprechend analysiert und zuverlässig jeden Abend eine Flasche Synthscotch sowie Bier der Reinheitsklasse C nach Hause geliefert. Das Geschenk für Alexa setzte bereits ersten Staub an. Der Hausassistent respektierte das Eigentum anderer Menschen und putzte entsprechend drum herum.

    Vincent wollte es nicht mehr sehen. Es erinnerte ihn nur schmerzlich an sie. Er trug den Karton zum Müllverbrenner unter der Spüle und war bereits kurz davor es wegzuwerfen. Doch es widerstrebte ihm einfach Dinge zu entsorgen die prinzipiell zu gebrauchen waren.

    Er konnte es zumindest auspacken. Er riss den Überkarton vom Verlobungsgeschenk und hielt das Buch, welches Spartacon für Alexa ausgewählt hatte, in seinen zitternden Händen. Er konnte es nicht glauben.

    Langsam las er die ersten Worte der Einführung:

    "Sie wurden zur Organentnahme für Bürger der Wertschöpfungsgruppe A oder höher ausgewählt und sind nun verzweifelt? Es ist natürlich dass der eigene Tod eine beängstigende Erfahrung darstellt.

    In diesem Ratgeber helfen wir Ihnen die vielen positiven Aspekte zu sehen. Ihr Lebenswandel und Ihr sorgsamer Umgang mit dem eigenen Körper haben Sie zu einem sehr wichtigen Zahnrad unserer Gesellschaft gemacht.

    Der Bescheid der Organentnahme ist nicht das Ende. Es ist immer noch ein gutes Leben."

Kommentare

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  1. Yeager
    Ich hoffe nicht.
    Ich hoffe, dass Dystopien wie diese erreichen, was sie beabsichtigen: Zu warnen und die Augen zu öffnen. Ansonsten wäre es eine Welt, in der Amok eine überlegenswerte Alternative ist.

    Kritik:

    - Keine Dialoge
    - Zu kurz
    - "Vincent tat..." / "Vincent machte..." <- Wirkung monoton klingender Aneinanderreihungen. Variieren: ER tat...(bla bla), woraufhin Vincent tat (...).

    Idee:

    - Sehr gut, Ende bleibt einem im Halse stecken.
      2 Person(en) gefällt das.
  2. Bellasinya
    Eine beängstigende Erfahrung... ja könnte man so sagen...
    Das Ende kam unerwartet und bereitet eine schöne Wendung, und schlägt vor allem ein.
    Einfach auch, weil er nur dadurch erfährt was mit ihr passiert ist. Anders wird sie einfach ausgelöscht, ihre Existenz ausradiert, alles andere ist egal.
    Das Erschreckende daran ist, dass es, wie so viele Zukunftsvisionen, gar nicht mal so unwahrscheinlich erscheint.
    Ebenso ihr Umgang damit. Alles was sich in niedrigen Wertschöfungsgruppen befindet wird ruhig gestellt. Im Prinzip Vieh, dem man ein angenehmes Leben macht, damit das Fleisch im Endeffekt besser schmeckt.

    Erzählstil und Schreibweise sind prägnant und auf den Punkt, ich bekomme eine gute Vorstellung von dieser Welt und wie sie funktioniert. Das Tempo ist gut gewählt und das Ende schlägt ein.
    Vielen Dank für diese Geschichte, von meiner Seite aus gerne mehr davon :)
      2 Person(en) gefällt das.
  3. Bastius
    Warum fügen sich die Leute denn einfach? Deiner Geschichte würde vielleicht helfen, wenn du beschreibst, wie die Menschen denken, sodass sie eine Ordnung akzeptieren, in der der Wert eines Menschen sehr genau beziffert werden kann.


    Im Jahr 2200 wird man hoffentlich Krebs längst besiegt haben und Organspenden gar nicht brauchen. Technologisch hat man das Niveau offenbar in deiner Geschichte nicht erreicht, aber an anderer Stelle ist man sehr technologisch fortschrittlich und kann die Bevölkerung sehr effektiv unterdrücken. Wie ist das zu erklären und wieso hat die Gesellschaft eine solche Entwicklung genommen? Den Endzustand zu beschreiben finde ich ein bisschen langweilig.
  4. RedRanger
    Da kann ich die Kurzgeschichte "Manna" empfehlen, die eine interessante Entwicklung erklärt.

    http://marshallbrain.com/manna1.htm
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